Hallo zusammen,
Was ist eigentlich ein kompletter Tenor ? Nun, ich meine damit jemanden, bei dem Musikalität, individuelles Timbre, Technik, darstellerisches Talent und natürlich die stimmliche Substanz - das Instrument! - alle auf höchstem Niveau entwickelt sind. Flórez ist aus meiner Sicht jemand, der viele dieser Kriterien erfüllt - lediglich der Nachweis seiner darstellerischen Fähigkeiten ist noch nicht auf Konserven festgehalten und für mich insofern nicht voll beurteilbar.
Ich wurde auf diesen Sänger eher zufällig aufmerksam: Ein Freund bekam Auszüge aus obiger CD mittels eines kostenlosen Samplers zu hören und empfahl Sie mit enthusiastisch weiter. Eher skeptisch hörte ich im Laden mal rein. Zu sehr enttäuscht haben mit die gepushten Tenöre der letzten Jahre. Alle sicher nicht schlecht, aber mich bei weitem nicht so faszinierend wie ein junger Pavarotti, ein Wunderlich oder - um jemanden zu nennen, der gewisse stimmliche Defizite durch große Musikalität ausgleichen konnte - Corelli. Alagna z.B. ist mir zu klossig, Villanzon etwas zu hart im Ton.
Nun aber Florez: Vor allem beeindruckt mich die akribische Artikulation, aus jeder Silbe wird Musik gemacht. Die langsamen Tempi aus der obigen CD mit Arien von Bellini und Donizetti lassen dafür breiten Raum. Er singt unglaublich einfühlsam. Zu dieser Musikalität gesellt sich nun glücklicherweise auch eine wundervolle naturgegebene Stimmausstattung: mit einem sehr individuellen, strahlenden Timbre voll jugendlicher Kraft. (so z.B. in der Arie ´Allegro io son´ hörbar). Vom Sängertypus erinnert er an Alfredo Krauss, jedoch ist er diesem an Stimmumfang weit überlegen. Mühelos wird ein hohes Des gesungen. Die hohen Töne dieser CD sind grandios, nur sind sie zum Glück nicht das Wesen seiner Kunst, sondern man nimmt wohlwollend zur Kenntnis, dass - ähnlich wie bei einem Musiker vom Schlage Sviatoslav Richters- einfach genug Reserven da sind, um alle technischen Schwierigkeiten zu bewältigen, so dass man sich wieder der Musik zuwenden darf.
So beeindrucken mich bezeichnender Weise gar nicht so sehr die wie selbstverständlich an den Stimmumfangshimmel genagelten fünf hohen C´s der Arie ´A mes Amis´, sondern der einnehmend gestaltete lyrische Anfangsteil.
Die Zukunft wird zeigen, wie sich dieser hervorragende erst 31jährige Sänger enwickelt. Im Moment ist er ein typischer ´tenore di grazia´. Als Aufnahmen liegen bei Decca neben der oben genannten CD noch eine CD mit Rossini-Arien und eine mit Rossinis Cantaten vor. Gespannt darf man sein, ob und wann dieser Sänger Verdi singen wird (oder Oratorien von Hadyn, Mozart - während seiner Ausbildung hat er diese einstudiert) und wann die ersten Operngesamtaufnahmen erscheinen, an denen man seine Fähigkeit, komplexe Rollen zu gestalten, messen kann.
Ich bin jedenfalls sehr erwartungsvoll und hoffe auf eine großartige Entwicklung. Potential ist reichlich vorhanden und er scheint seine eigene Entwicklung behutsam beraten vorzunehmen.
Fasziniert Euch dieser Sänger ebenfalls ? Hört Ihr den Namen grad zum ersten Mal ?
Auf Stellungnahmen wartet gespannt
der Anti