Widerstand gegen das Regietheater wächst unaufhörlich - ist das Ende nah?

  • Zitat

    Original von farinelli


    Ein sehr guter Einwand; weil er ja vor allem den Abstand zur Rezeptionshaltung heutzutage vor Augen führt. Wir können schlichtweg nicht mehr den moralisch rigiden und unbarmherzigen Standpunkt der Gesellschaft Verdis einnehmen - der Garbo sei Dank, ist Violetta im Himmel eine Dame geworden.


    Man sollte vielleicht nicht gar so pessimistisch an die Sache herangehen. Insbesondere scheint ja Alfred in der Lage zu sein, diesen Aspekt im Sinne der Botschaft aufzunehmen?


    Was soll dagegen sprechen, die Inhalte/Botschaften zumindest so erlebbar zu machen, wie sie gemeint waren? Wenn man das gar nicht versucht, und stattdessen mit dem interpretierenden Zeigefinger zwar hinzeigt, aber einen moralischen Standpunkt von heute in den Zeigefinger legt, der die Distanz zur gemeinten Botschaft unterstreicht, verhindert man ein Nachempfinden. Das mag vielleicht unserer Überheblichkeit früherer Epochen gegenüber aufhelfen und uns das Gefühl geben, wir seien so viel besser als die Menschen von damals, hilft aber für das Verständnis wenig, da Verständnis kaum durch begründete Ablehnung als vielmehr durch Nachvollziehen entstehen könnte, auch wenn man nachher seine Position lieber wieder im gewohnten Weltanschauungs-Saft der Gegenwart bezieht (also man muss nicht umbedingt Öko-Royalist werden, um die Existenzberechtigung historisierender Aufführungen zu sehen).
    :D

    Zitat

    Wir können auch das Schockierende des Plots nicht mehr in uns auffühlen.


    Also nochmal: Doch, wenn es auch etwas Einfühlungsarbeit ist. Und bei der hilft das Historisierende von der Darmsaite bis zur Dekoration. Jedenfalls kann man sich etwas annähern (sowohl betreffend Schock-Fühlen als auch betreffend Darmsaite oder Dekoration).


    Den Schock durch einen anderen ersetzen, um dem Publikum, das sich nicht einfühlen will, zumindest in der Nähe des intendierten Schocks einen Ersatz zu schaffen, finde ich nicht so prickelnd vom Konzept her. (Deshalb meide ich auch den Dirigenten Harnoncourt.)


    Aber das ist natürlich meine persönliche Rezeptionshaltung (mit der ich auf jede Art von Kunst losgehe) und die will ich niemandem aufzwingen. Allerdings läßt sie sich auch argumentativ verteidigen, ich denke, dass das so halbwegs gelungen sein dürfte ...
    :rolleyes:

  • Zitat

    [i]Original von KurzstueckmeisterNö, Franz Marc ist kein schlechter Maler, aber Bizet ist nicht Boulez.


    Wahrscheinlich ist er erheblich besser.
    Und darum ist es für Carmen so unerheblich, welche "Farbe" sie bekommt, wie für die Pferde.
    Ob der Schauplatz ein Marktplatz in Sevilla, in Italien, oder eine Tiefgarage in Versailles oder bei Karstadt ist, sagt nichts aus. In allen Settings sind dumme und geniale Inszenierungen denkbar.
    Und das macht Theater ja spannend - unter Anderem.

  • Zitat

    Original von Alberich


    Wahrscheinlich ist er erheblich besser.


    Wer ist jetzt besser als wer?
    :D
    Marc besser als Bizet?
    Oder Bizet als Boulez?


    Von den dreien halte ich bislang Boulez (als Komponisten) für die wichtigste Figur.
    Aber ich habe ohnehin vor, mich mehr mit Marc und Bizet zu beschäftigen - Marc ist mir doch in den letzten Jahren näher gekommen ...


    Zitat

    Und darum ist es für Carmen so unerheblich, welche "Farbe" sie bekommt, wie für die Pferde.


    Nö, ich glaube nicht, dass es unerheblich ist, welche Farbe Marcs Pferde haben.


    Zitat

    Ob der Schauplatz ein Marktplatz in Sevilla, in Italien, oder eine Tiefgarage in Versailles oder bei Karstadt ist, sagt nichts aus.


    Hm? Ein Schauplatz ist doch immerhin ein Schauplatz und mehr als nichts.


    Zitat

    In allen Settings sind dumme und geniale Inszenierungen denkbar.
    Und das macht Theater ja spannend - unter Anderem.


    Ja, das bestreite ich nicht. Und wer durch die "geniale Inszenierung" so viel gewinnt, dass er manchen Kollateralschaden gerne in Kauf nimmt (Verlust des originalen Schauplatzes z.B.) gegen den habe ich ja gar nichts - solange er mir meinen Originalschauplatz gönnt.
    :D
    :hello:


  • Damit kann ich ganz prima leben.
    Jedem sein Sevilla und jedem sein Karstadt.
    :hello:

  • also die Diskussion, ob es Tiefgaragen gab oder nicht bzw. Hörner im Freischütz, das finde ich jetzt doch schon albern. Das ist doch Haarspalterei. :hahahaha: Auf solche Dinge kommt es doch gar nicht an, und das ist von den meisten Usern bestimmt auch nicht gemeint.
    Es verlangt doch kein Mensch, dass man die Hieroglyphen auf den Kulissen bei Aida übersetzen kann und ob sie auch genau in die entsprechende Zeitphase passen. Gemeint sind doch Extreme wie z. B. den Troubadour im Vietnam-Krieg spielen zu lassen, die Rheintöchter im Taucheranzug u.a. zweifelhafte Projektideen.


    Spaßeshalber kann man ja die Sache dann auch umdrehen und Hypothesen aufstellen, z. B. dass Wagner aus der "Herr der Ringe-Saga" - wenn er das Vergnügen gehabt hätte, dieses Werk zu kennen - einen weiteren Opernzyklus geschrieben hätte usw. :hello:

  • Hat jemand vorgestern den "Rosenkavalier" auf 3sat gesehen? Diese Inszenierung war nicht kitschig, bot aber dennoch große Schauwerte und es gab viel zu lachen. Bilder:





    Sollte eigentlich sogar Christoph gefallen :yes:.


    :hello:

  • ja ich habs versucht, mir hat die Inszenierung auch super gefallen, Herbert Wernicke eben :jubel:


    Wenn nur R. Strauss nicht wär....die "Musik" hat leider alles verdorben :D:untertauch::stumm:

  • War eine wirklich schöne Inszenierung - nur - ICH WILL DEN KLEINEN MOHREN HABEN!!!!! :motz:


    Thielemann war großartig, nur einen anderen Ochs hätte sich die Aufführung verdient gehabt (ich erinnere da z.B. an Peter Rose, der von ein paar Jahren in Wien einfach großartig war!!)!


    Ansonsten muss ich unserem Lullisten naturgemäß widersprechen - der Rosenkavalier ist eine ganz, ganz tolle Oper. Aber vielleicht muss man, um das wirklich genießen zu können, ein Wiener sein. Es sei ihm also vergeben !!

    Hear Me Roar!

  • Ich habe mir heute Abend die Bregenzer Tosca-Inszenierung angesehen. Na ja - geht mit viel Mühe gerade so durch. :no:
    Einiges fand ich total unverständlich (z. B. das Schießen in den Käfig im ersten Akt - ich dachte, dass dieser in der Kirche spielt). Dann das blonde Fräulein - ist mir jedenfalls in der Tosca noch nie aufgefallen. Auch diese Webcam-Einstellungen die eine totale Überwachung darstellen sollten, haben mich irgendwie gestört, um nur einiges hier zu nennen. ?(


    Noch einmal würde ich mir diese Aufzeichnung allerdings nicht antun.


    Sollte sich hier Jemand an die TV-Inszenierung an den Originalschauplätzen und den Originalzeitabläufen erinnern (evtl. 2005 oder 2006). Diese Tosca gefiel mir um vieles besser, dabei war die auch absolut nicht altmodisch.

  • Zitat

    Original von monteverdi13
    Sollte sich hier Jemand an die TV-Inszenierung an den Originalschauplätzen und den Originalzeitabläufen erinnern (evtl. 2005 oder 2006). Diese Tosca gefiel mir um vieles besser, dabei war die auch absolut nicht altmodisch.


    Die habe ich dann auch lieber gesehen als den Stuss von Bregenz - habe nämlich noch das Video. :DEs gab auch noch eine sehr gelungene Tosca aus der MET. Ich erinnere mich, dass ich die als Kind im TV sah - ich glaube von Zefferelli, leider im letzten Jahr auch verschrottet.


    Und leider wird ja auch der Münchener Rosenkavalier entsorgt. Ich bezweifle, dass was besseres kommt. Der Badener Rosenkavalier ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung aber da reicht mir ein einmaliges Schauen. Das war mir alles zu konstruiert und zu wenig Herz. Die Münchener Inszenierung könnte ich dagegen immer wieder sehen - auch wenn ich kein Wiener bin, aber angeblich sind sich Wiener und Kölner Opernpublikum laut Musikwissenschaftler Hiller ja ähnlich.

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  • Lieber Christoph,


    der Baden-Badener "Rosenkavalier" war ja auch nur ein zweiter Aufguss.
    Herbert Wernickes Inszenierung der Strauss-Oper, 1995 für die Salzburger Festspiele produziert, wurde für die Festspielhausbühne in Baden-Baden nur ein bisschen neu konfektioniert. Die Inszenierung gehört allerdings zu den großen Würfen des im Jahre 2002 verstorbenen Regisseurs.


    Am Silvesterabend läuft im ZDF-Theaterkanal die Otto-Schenk-Inszenierung aus München, mit Popp, Araiza, Jungwirth usw unter Carlos Kleiber von 1979.


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Zitat

    Original von monteverdi13

    Es verlangt doch kein Mensch, dass man die Hieroglyphen auf den Kulissen bei Aida übersetzen kann und ob sie auch genau in die entsprechende Zeitphase passen. Gemeint sind doch Extreme



    Auch scheinbare Selbstverständlichkeiten haben es manchmal in sich.


    Wie ägyptisch ist die Aida? Als offizieller Prunkakt hatte das Werk die Großartigkeit der ägyptischen Geschichte zu verherrlichen; als Ausstattungsoper bediente sie den Exotismus des 19. Jh. (wie etwa Samson et Dalila, Lakmé, Thais, Salomé, Turandot oder Le Rossignol).


    Den Zeitgenossen schien sie vielleicht dennoch wie ein Diorama; man fühlte sich in ein wirkliches antikes Ägypten versetzt. Das Kino war noch nicht erfunden, die Imagination daher leichter entzündlich als heute.


    Der tendenziell etwas schwülstig-erotische Orientalismus (Salammbô, Makart, die Präraffaeliten, um nur drei Aspekte anzudeuten) wird heute verpönt und ist doch immer noch wirksam (Kinoversionen von Alexander dem Großen und Troja). Makarts "Tod der Kleopatra" illustriert recht gut das gestellte, kostümierte, fashioanble Element, das auch in Verdis Aida mitschwingt. Ein ausschweifendes Parfum liegt über der Nilszene, der Ballettmusik und dem berüchtigten Triumphmarsch. Zumal hier oder in der Gerichtsszene zielt Verdis Musik auf eine Monumentalität jenseits aller archäologischen Verbindlichkeiten.


    Es ist daher tatsächlich wurscht, ob die Hieroglyphen auf den Tempelfriesen irgend einen Sinn machen. Und Alfred Schmidt stünde nicht an, den paraägyptischen Illusionismus mit heutigen Mitteln auf die Spitze zu treiben - Aida, staged by Ridley Scott. Das gäbe viel Sklavennacktheit, einen veritablen Wildzoo, inbrünstige Tempelzeremonien und ein Liebespaar im Clipdesign (Barbie und Ken in knappen Monturen, dressed by Calvin Klein).


    Denn man kann nicht die schauprangende Wirkungsabsicht um ihrer selbst willen rehabilitieren, um damit die Oper zu retten - man gibt sie vielmehr erst völlig der Beliebigkeit preis. Womit nicht bestritten werden soll, daß im Fall der Aida, einer mittelmäßigen Arbeit auf ein hahnebüchnes Sujet :stumm:, das Spektakel verführerischer ist als der dramatische Gehalt.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Lieber Harald,


    ganz herzlichen Dank. Leider kriege ich den Kanal nicht rein:-(


    Einen guten Jahreswechsel mit einem wirklich schönen Rosenkavalier,


    Knuspi

  • Zitat

    Original von Dreamhunter
    War eine wirklich schöne Inszenierung - nur - ICH WILL DEN KLEINEN MOHREN HABEN!!!!! :motz:



    In Hofmannsthals Text wird im zweiten Akt in Rofranos Gefolge auch ein Farbiger, der Octavians Hut trägt, gefordert. Der wird immer fortgelassen, obwohl er doch ein bezeichnendes Licht auf seinen Herrn wirft. Ergo -


    ICH WILL DEN GROSSEN MOHREN HABEN!!!!! :boese2:



    :baeh01:

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  • Aus einem Interview von Peter Korfmacher (Leipziger Volkszeitung) mit Ulf Schirmer, neuer Generalmusikdirektor der Oper Leipzig vom 17.12.2009:


    PK:Sieht man sich die Neuproduktionen dieser Saison an, ist nicht allzu viel Repertoiretaugliches dabei.
    US: Darüber führen wir sehr intensive Diskussionen. Aber es ist noch zu früh, öffentlich darüber zu reden.
    PK: Das Leipziger Publikum zeigt der Oper derzeit die kalte Schulter - liegt das nicht am Spielplan?
    US: Wohl auch. Aber so einfach ist es nicht. Es ist viel passiert am Haus in den letzten Jahren, personelle Verwerfungen, Produktionen wie der „Fliegende Holländer“, den ich nicht gesehen habe, auf den ich aber ständig angesprochen werde, haben nicht zur Vertrauensbildung beigetragen. Wichtiger allerdings finde ich, dass das Theater selbst wieder ein stabiles Selbstverständnis bekommt, dass es weiß, wo es steht - und nicht hereinregiert wird.
    PK: Schon bei den Rennern gibt es Auslastungsprobleme - wie wollen Sie Entdeckungen im Spielplan verankern?
    US: In Wien habe ich am Beispiel von Pfitzners „Palestrina“ gesehen, wie es geht. Den spielt die Staatsoper immer um Ostern herum, jeweils zwei Mal. Dafür wird gründlich geprobt, dafür wird das große Marketing-Rad gedreht - mit dem Ergebnis, dass diese Oper, die kein Selbstläufer ist, die die Wiener nicht wirklich interessiert, immer ausverkauft ist. Auf solche Konstanten müssen wir setzen: Parsifal vor Ostern, Hänsel und Gretel, Bohème, Nussknacker vor Weihnachten, die sind gesetzt. Es gibt einige andere Werke, die in solchen Zusammenhängen sinnfällig funktionieren. Wir werden sie spielen.



    Tja, aber was tun, wenn die Inszenierungen von den "Rennern" das Publikum vergrätzen? Noch mehr Freikarten unter die Leute bringen? Es läuft doch irgendwas total falsch, wenn z.B. in Köln schon eine Bohème oder ein Hoffmann häufig vor halbleerem Saal spielt - totz guter Sänger.


  • Es ist ja schließlich auch eine Oper und keine zeitgeschichtliche Dokumentation. Und über Geschmäcker was Opernsujets betrifft kann man streiten, aber daß vielleicht nicht so ganz unbedingt die Ballettmusik und der Triumphmarsch, aber sehr wohl der Nilakt und die Schlußszene zum musikalisch Herrlichsten gehören, was Verdi komponiert hat dürfte unbestritten sein.

  • Zitat

    Original von La Gioconda
    Es ist ja schließlich auch eine Oper und keine zeitgeschichtliche Dokumentation.



    Cara Gioconda,


    so provokant schreib ich ja auch bloß als Agent Provocateur, um ein paar reservierte Paminas aus der Reserve zu locken.


    Hier schreiben viel zu wenig Damen, gemessen an der Mitgliederzahl. Es grenzt an Inzucht =)


    Worum es mir im Rahmen des threads ging, war die Frage, wie man sich aus heutiger Sicht, wenn man werkgerecht inszenieren möchte, zum Exotismus der Aida verhalten soll. Der museale Monumentalkitsch von Stummfilmkulissen wirkt, da sind wir uns wohl einig, einfach lächerlich, obwohl er Verdis Absichten am nächsten käme.


    Die Eindimensionalität der Figuren erschwert einem Mitteleuropäer den Zugang, da die Wertewelt des Plots nicht mehr die unsrige ist. Von daher spricht nichts dagegen, die Geschichte tatsächlich in den Mittleren Osten zu verlegen (dort haben wir Krieg, religiös geprägtes Priesterstaatswesen, absolute Ehrbegriffe, angeborenen Sippen- und Nationalstolz, politisch unmögliche Mischehen, ein traditionelles Geschlechterbild sowie die zugehörigen Konflikte auf allen Ebenen).


    Radames ist eine lächerliche Figur; bereits sein Auftrittsgesang ist eine dramaturgische Absurdität. Er bietet eine spiegelverkehrte Version von Aidas Zerrissenheit zwischen Patriotismus und erotischer Verlockung des Verbotenen. Aber während Aida als Exilierte und Luxus-Sklavin immerhin das Recht hat, um ihr Vaterland zu trauern, bleiben Radames´ Phantasien, Aida wieder auf den ihr angestammten Thron zu setzen, merkwürdig leer (er weiß ja nicht einmal, daß sie eine Königstochter ist). Ihr Schmerz erhöht noch ihre erotische Anziehungskraft auf ihn; und daß der Thron von Ägypten Aidas Herz nicht wert sei, ist eine zweideutige Aussage.


    Mit etwas Selbstüberwindung kann man in Aida eine Selbstmordattentäterin erblicken (die ja auch nicht ohne verzweiflungsvolle Gefühlskonflikte auskommt). Etwas schematisch zwar schwankt sie in ihrer Begeisterung für Radames´ Äthiopienfeldzug und der Chance, seine Liebe als Mittel zum Verrat zu benutzen. - In der Todeszelle vereint, nach der feierlich verhängten Todesstrafe für den Kollaborateur aus Liebe: Das ist der m.E. ungenießbare Inhalt des Schlußtableaus (der nur im künstlichen Kintopp-Ägypten seine Peinlichkeit überschminkt).


    Amneris, die leer ausgehende Rivalin, die Intrigantin des Stücks, hat keine einzige Arie (wenn man mal von Akt IV,1 absieht) und ist schon deshalb eine dramaturgische Notgeburt. Musikalisch läßt ihre Eifersucht völlig kalt, da schon ihre Liebe zu Radames eine Behauptung bleibt; z.B das "tutto darei per te", eine aus ihrem Mund amüsante Phrase (auch Radames´ Liebe ist so eine Behauptung auf der dürren Grundlage eines rollenfernen Schmachtgesangs).


    Der durchsichtige Erbauungskitsch (addio, valle di pianti; si schiude il ciel), den Verdi für seine ätherischen Damentode kreiert, kommt mir gerade in der Schlußszene schon etwas routiniert und fadenscheinig vor.


    Was für ein böser Schluß ist das eigentlich - das Land hochverraten; die Königstochter als alte Jungfer in spe machtlos im Totengericht; das Liebespaar eingemauert. Ägypten triumphiert ein letztes Mal als nekrophile Supermacht, in der das Leben und die Lebenden zu kurz kommen.


    Daß die Liebe sich am Ende freiwillig der Macht unterwirft, gibt dem Schluß etwas, pardon, Kümmerliches, Privates, das von den thesenhaften Gefühlsblöcken der Figuren nicht gedeckt wird. Eine Terroristin, die sich am Schluß mit dem Verräter à la "la mort des amants" die Spritze teilt, ist unerträglich. Als Selbstmordattentäterin hätte Aida immerhin einen Sprengsatz in die Grabkammer geschmuggelt, und ihr "il ciel" beinhaltete mit der Vorfreude aufs Paradies ineins den Triumph, den ganzen Priesterhaufen über ihr in die Luft zu jagen.

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Zitat

    Original von farinelli
    Der museale Monumentalkitsch von Stummfilmkulissen wirkt, da sind wir uns wohl einig, einfach lächerlich, obwohl er Verdis Absichten am nächsten käme.


    Wir? Uns? Wirf mich bloß nicht in diesen Topf. Ich liebe die ägyptische Ornamentik und eine meiner schönsten Aida-Erfahrungen ist die Rekonstruktion der Liceo-Inszenierung der Jahrhundertwende. Ja, ich kann mir lebhaft vorstellen, wie sich jetzt einige hier wieder auf die Schenkel klopfen. Bitte nur zu.

  • Keine Angst, das Ende naht nicht. Ich sehe eigentlich eher gegenläufige Tendenzen. Aber ob man nun pro oder contra ist....entscheidender dürfte sein, ob und in welchem Umfang und mit welchen Mitteln es eine fruchtbringende Diskussion geben kann. Mir macht es nichts aus wenn jemand buht oder seiner Meinung über eine Inszenierung kund tut. Beispiel Karlsruher RING. Ich war vor ca 2 Jahren da um KF Vogt als Siegmund zu hören (war leider enttäuschend für mich, obwohl er zu meinen absoluten Lieblingssängern gehört) Die Inszenierung fand ich dermaßen grauenhaft, voller Klischees....ich weiß, daß andere Besucher anderer Meinung waren. Ich wollte mir eigentlich den gesamten Ring ansehen...aber das hab ich dann natürlich unterlassen. Gruss....Titan

  • Ich finde sog. "Monumentalkitsch" auch nicht lächerlich. Eben eine andere Ästhetik, die ins 21. Jahrhundert nicht mehr recht passen will (was ich bedauerlich finde). "Aida" ist ja vielleicht "die" Monumentaloper schlechthin. Wieso sollte man das nicht auch zeigen dürfen?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Zitat

    Eben eine andere Ästhetik, die ins 21. Jahrhundert nicht mehr recht passen will


    Darf ich auf einen kleinen aber feinen Unterschied hinweisen ?


    Es ist nicht so, daß diese Ästetik nicht mehr ins 21. passen will,
    sondern man redet uns solange ein, daß sie nicht passt oder Kitsch sei,
    bis wir selbst Schuldgefühle entwickeln , wenn sie uns gefällt.


    Wir werden konditioniert bis wir, wenn wir irgend etwas ekelerregend Hässliches vorgesetzt bekommen, uns nicht mehr zu sagen getrauen, "Das ist primitivste Machart und hässlicher als der Zins" sondern schüchtern meinen "Dazu habe ich den Zugang (noch !!! :D) nicht gefunden !!!"


    Aber dieser Tread entstand ja - nicht um über aufgezwungenen oder verflossen Ästetik zu argumentieren, sondern wird die spekulative Frage auf auf, wie lange sich das Publikum das alles noch gefallen lassen wird.


    Die Reaktionen geben mir Zuversicht, daß ALLE Seiten insgeheim schon wissen, daß es nicht mehr lange dauern wird....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das Forum läuft anscheinend wieder so gut, daß es mir nicht mehr möglich ist, alle Beiträge zu lesen - oder ich lese sie zu spät.
    So habe ich die Beiträge über Verdis Oper AIDA erst jetzt gelesen.


    Dazu passt vorzüglich die Meinung eines Opernbesuchers aus 1872, die zwar an anderer Stelle im Forum schon veröffentlicht wurde, hierher aber vorzüglich passt, so, daß ich sie zur Kenntnis bringen möchte...



    :P


    es grüsst Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • Danke, das spricht mir aus der Seele, da es nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit ist. Aber glücklicherweise gibt es auch heute noch kritikfähige Zeitgenossen, die sich von sowas nicht einlullen lassen und es ankreiden.


    Die Tendenz, daß man heutzutage als Fan des Monumentalen und Pompösen, kurz: der alten, durch Jahrhunderte gültigen Kunstästhetik, von den selbst ernannten neuen Messiassen des heutigen Regietheaters, das selbst bei weiter Definition kein halbes Jahrhundert auf dem Buckel hat, zum Kunstbanausen degradiert wird, zeigt sehr schön, wie sehr sich alles wandelt. Früher definierte sich Kunst genau dadurch.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Original von Joseph II.
    Die Tendenz, daß man heutzutage als Fan des Monumentalen und Pompösen, kurz: der alten, durch Jahrhunderte gültigen Kunstästhetik, (...) zum Kunstbanausen degradiert wird, zeigt sehr schön, wie sehr sich alles wandelt. Früher definierte sich Kunst genau dadurch.



    Pace, meine Herren von der dekorativen Fakultät. Als ich von Stummfilmkulissen sprach, wollte ich gerade auf das jeweils Zeitbedingte der großen historischen Aufmachung hinweisen. Natürlich gab es bereits damals großartiges Stage-Design, Langs Metropolis z:B. oder Lubitsch´s Dubarry-Film mit Pola Negri. Aber es gab vor allem einen auf uns heute unfreiwillig komisch wirkenden Antik-Trash, zumal wenn es um Biblisches ging. Und an dieser Wirkung ist natürlich nicht das Regietheater schuld (auch nicht das zeitgenössische der Herren Brecht, Piscator, Taírow und Reinhardt, die "früher" auch die Kunst definierten).


    Wenn man im aktuellen Kino Gladiator, Troja oder Alexander der Große mit klassischen Werken wie Ben Hur oder Quo vadis vergleicht, fällt zweierlei ins Auge: die visuell überwältigende Bildfindung bei gleichzeitig schwachen, kolportagehaften Drehbüchern der neueren Filme. Gleichwohl wirken bereits die so sorgfältig ausgestatteten Sandalenfilme der 50er und 60er oft betulich in den gestelzten Dialogen, den prallen Genreszenen, den sentimentalen Liebeshandlungen und der schmalzigen Filmmusik.


    Doch in dieser Hinicht noch viel flacher ist gewiß der Troja-Film mit Brad Pitt als Achilles. Es funktioniert nicht, die Ilias ohne Götter zu erzählen. Es gibt zwar keine Papp-Felsen wie in den 20ern, aber papierne Dialoge; und aus dem XXII. Gesang wird eine banale Kampfszene, eingeleitet durch das martialische "Hektor!!!"-Gebrüll des Peleiden vor den Mauern Trojas. Auch der Tod des Patroklos bleibt ein tragischer Bubenstreich.


    So hängt das Pathos der Geschichte, das der Film ja breit ausmalt, für einen ungebildeten Zuschauer ganz im Leeren - wo doch schon genrebezogen der Terminator das Modell für den homerischen Zorn des Achilles geliefert hätte.


    Es gibt, da bin ich mir sicher, eine Wechselwirkung zwischen falscher historischer Auffassung und dem darin geschilderten Plot. Es liegt an den Äußerlichkeiten, dem Bombast und dem Schwulst, daß die Figuren aus dem Blick geraten.


    Ein wirklich überzeugender Antiken-Film ist m.E. Pasolinis Medea mit der Callas. Er verzichtet ganz auf den großen Bühnenkitsch, inszeniert etwa ein kultisches Opfer mit der Lakonik und der folkloristischen Nüchternheit eines ethnologischen Dokuments und wirkt damit viel schockierender als alles Kunstblut, das Ridley Scott verspritzen läßt

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  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt


    Es ist nicht so, daß diese Ästetik nicht mehr ins 21. passen will,
    sondern man redet uns solange ein, daß sie nicht passt oder Kitsch sei,
    bis wir selbst Schuldgefühle entwickeln , wenn sie uns gefällt.


    Danke, genauso ist es. So hat sich der Rezensent der FAZ bei der Zefferelli-Aida verstiegen nicht nur Bühnenbild und Kostüme zu verreißen, sondern gleich das gesamte Stück als veraltet hinzustellen. Außerdem fehle es dem werk an Ohrwürmern. Erst im 2. Akt käme mal ein wenig Dramatik auf. Aida sei eindeutig kein Repertoirestück. Hammerhart. Auf youtube steigt gerade auch eine kleine Paralleldiskussion. Einfach mal "Traumpantomime" eingeben. Da wird einem klar, was Regisseure, wie z.B. die Thalbach wirklich für Ziele verfolgen.

  • - - - ach Kinders ... wer läßt sich denn hier von irgendwen manipulieren resp. "was einreden" ... TSTS ...


    Das Tamino-Forum als Gemeinschaft von mündigen Bürgern DAS WÄR´s DOCH...
    (oder fällt jetzt schon Kant unter die modisch-arroganten Messiasse??)


    Meine wenige Mächtigkeit :hello: jedenfalls läßt sich nicht einreden, daß


    - es gemütskrank (?) oder sonst irgendwie "böse" sei, im Zeitalter der massenmedial vervielfältigten Pompösitäten wie Reichsparteitagsgelände Nürnberg / Regierungspalast Bukarest usw.usw. jegliche dargestellte Monumentalität für zumindest problematisch zu halten
    (BTW hat mich auch selten ein Stummfilm - und ich hab`eine Menge gesehen!! - so ratlos zurückgelassen wie besagter "Metropolis")


    - Ekligkeiten wie Bietos Berliner "Entführung" oder Goschs D`dorfer (Shakespeare)"Macbeth" irgendwie "heute sein müssen"


    - ein Taminist, der nicht beruflich mit Hochkultur zu tun hat, i r g e n d w a s kennen MUSS (, um ein ernstzunehmender Taminist zu sein)


    - die Sicherheit d t. Kernkraftwerke gewährleistet sei :D :untertauch: :D




    PS ... bitte um die eine/andre ernstzunehmende Quelle, die da behauptet (u. belegt !), daß Regietheater "kaum 50 Jahre alt sei" !
    - neenee, ick laß mir gerne eines besseren belehren ... s`würd`mich nur sehr wundern......
    PPS ... um näher nachzusinnen, wie Grimes die "Aida" denn evtl. inszenieren würde: Dazu fehlt mir grade die Zeit...
    - neige allerdings derzeit dazu, den leidigen Triumphmarsch...zu streichen :P


    ...man liest sich...TSCHÖ
    micha

  • Aha, Knusperhexe erhofft sich offenbar Terrainvorteille :D


    Der Abendsegen ist ein leicht stilisierter Kinderreim (Reclam nennt als Quelle die Wunderhorn-Lieder; doch ich kenne auch eine Version, die schließt:


    zweie die mich weisen
    zu Himmels Paradeisen).


    Das Libretto zitiert damit ein kleines, ganz alltägliches abendliches Familienritual (Cosima Wagner war gerade über diesen Zug an der Oper entzückt). Die Szene beinhaltet eine ganze Menge Subtext - es handelt sich um brave Kinder (das Kind beim Nachtgebet ist eine rührende Ikone bis in 50er Jahre des Heimatfilms und ins Hollywood unserer Zeit).


    Aus heutiger Sicht verwandelt sich das Motiv - z.B. die Waltons - in die Konstruktion einer heilen Welt von annodazumal (darauf antworten übrigens die Simpsons).


    Die Regieanweisung der Wette ist schlicht (und offenbar hielt man eine schlichte Inszenierung für besonders wirkungsvoll). Humperdincks Musik zu dieser Pantomime ist allerdings viel zu lang, zu verspielt und vor allem zu dramatisch gesteigert, um mit der wörtlich genommenen 14er-Aufstellung einen Sinn zu ergeben.


    Sagen wir: die Musik gibt hier alle Zärtlichkeit, deren die veirrten Kinder zu ihrer Behütung im Wald beürfen, auch alle Sehnsucht, die sie fern des elterlichen Schutzes (wie die leeren Mägen) ertragen müssen. Sie malt aber auch eine gleitende Bewegung, die vom Einschlafvorgang inspiriert scheint, und eine steigende Intensität, ein überwirkliches Leuchten, halb traumhaft, halb feierlich.


    Die boshaften youtube-Kommentare haben mich sehr gewundert. Ich hab die Pantomime mit leuchtenden Kinderaugen angeschaut, ich finde die Bildlichkeit sehr ausgewogen zwischen märchenhaft befriedeten Waldtieren und schwebenden Engelein, rührender Nostalgie und traumartiger Brechung.

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  • Zitat

    Original von farinelli



    Die Regieanweisung der Wette ist schlicht (und offenbar hielt man eine schlichte Inszenierung für besonders wirkungsvoll). Humperdincks Musik zu dieser Pantomime ist allerdings viel zu lang, zu verspielt und vor allem zu dramatisch gesteigert, um mit der wörtlich genommenen 14er-Aufstellung einen Sinn zu ergeben.


    Gar nicht wahr, Du kannst genau hören, wann der Lichtstrahl fällt, wann die Treppe sich den Weg durch den Nebel bahnt, wann sich welches Engelpaar nach unten begibt. Studier mal die Partitur, da wirst Du sehen, wie passgenau das alles komponiert ist. Die Thalbach hat schlichtweg an der Musik vorbeiinszeniert.

  • Liebe Knuperhexe,


    die Partitur kenne ich leider nicht.


    Ich bezweifle aber, daß das Mimetische und das Symbolische in der Musik eine derart eindeutige Verbindung eingehen.


    Das ist so, als sagte man: Man kann hören wie Carmen bei der Habanera mit den Hüften wackelt.


    Man kann es tatsächlich hören; aber Christa Ludwig hat zehnmal recht, wenn sie sich schlichtweg weigert, es so zu spielen.

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

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