ZitatOriginal von farinelli
Ein sehr guter Einwand; weil er ja vor allem den Abstand zur Rezeptionshaltung heutzutage vor Augen führt. Wir können schlichtweg nicht mehr den moralisch rigiden und unbarmherzigen Standpunkt der Gesellschaft Verdis einnehmen - der Garbo sei Dank, ist Violetta im Himmel eine Dame geworden.
Man sollte vielleicht nicht gar so pessimistisch an die Sache herangehen. Insbesondere scheint ja Alfred in der Lage zu sein, diesen Aspekt im Sinne der Botschaft aufzunehmen?
Was soll dagegen sprechen, die Inhalte/Botschaften zumindest so erlebbar zu machen, wie sie gemeint waren? Wenn man das gar nicht versucht, und stattdessen mit dem interpretierenden Zeigefinger zwar hinzeigt, aber einen moralischen Standpunkt von heute in den Zeigefinger legt, der die Distanz zur gemeinten Botschaft unterstreicht, verhindert man ein Nachempfinden. Das mag vielleicht unserer Überheblichkeit früherer Epochen gegenüber aufhelfen und uns das Gefühl geben, wir seien so viel besser als die Menschen von damals, hilft aber für das Verständnis wenig, da Verständnis kaum durch begründete Ablehnung als vielmehr durch Nachvollziehen entstehen könnte, auch wenn man nachher seine Position lieber wieder im gewohnten Weltanschauungs-Saft der Gegenwart bezieht (also man muss nicht umbedingt Öko-Royalist werden, um die Existenzberechtigung historisierender Aufführungen zu sehen).
ZitatWir können auch das Schockierende des Plots nicht mehr in uns auffühlen.
Also nochmal: Doch, wenn es auch etwas Einfühlungsarbeit ist. Und bei der hilft das Historisierende von der Darmsaite bis zur Dekoration. Jedenfalls kann man sich etwas annähern (sowohl betreffend Schock-Fühlen als auch betreffend Darmsaite oder Dekoration).
Den Schock durch einen anderen ersetzen, um dem Publikum, das sich nicht einfühlen will, zumindest in der Nähe des intendierten Schocks einen Ersatz zu schaffen, finde ich nicht so prickelnd vom Konzept her. (Deshalb meide ich auch den Dirigenten Harnoncourt.)
Aber das ist natürlich meine persönliche Rezeptionshaltung (mit der ich auf jede Art von Kunst losgehe) und die will ich niemandem aufzwingen. Allerdings läßt sie sich auch argumentativ verteidigen, ich denke, dass das so halbwegs gelungen sein dürfte ...