I.
Es ist schon ein „komisch’ Ding“:
Da wird einer der bedeutendsten Komponisten 200 Jahre alt, sein Heimatland nennt ihn das Zentrum der musikalischen Hochromantik – und wie erinnern die Medien an ihn?
Im Radio, ja, da bemühen sich einige Sender, allen voran der MDR und Bayern 4.
Das Fernsehen als das wichtigere Medium zeigt – mit Ausnahme des MDR frühnachmittags zu ungünstiger Sendezeit – am Gedenktag selbst ... nichts! Statt dessen hat es sich im Wesentlichen mit einer Doku 3 Tage zuvor, mit der man an diesem Datum kaum rechnen kann (Musikaufführungen sieht man sonst auch regelmäßig). Es gäbe z.B. auch den Spielfilm „Frühlingssymphonie“ mit Kinski und Grönemeyer, vielleicht die gelungenste Musikbiographieverfilmung außerhalb der Oper überhaupt. Aber keine Spur.
In den Hauptnachrichten der beiden großen Sender erfährt man alles Mögliche. Auf eine Nachricht zum großen Geburtstag des großen Komponisten Schumann wartet man vergeblich.
Genauso wie auf eine Festaktrede eines hohen politischen Repräsentanten aus diesem Anlass.
Gewinnt aber eine nett und hübsch aussehende 19-jährige Abiturientin, deren wirkliche Musikalität und sängerisches Talent höchst zweifelhaft sein dürfte, mit einem englischen Titel einen Schlagerwettbewerb, bricht ein regelrechter „Hype“ aus, alle möglichen Prominenten geben sich als „Fan“ zu erkennen, und all unsere großen Medien erwecken tagelang an vorderster Stelle den Eindruck, ein neues Musik-Wunderkind sei am Firmament aufgestiegen.
(Was natürlich Humbug hoch zehn ist.)
Das Prädikat „Kulturnation“ war gewiss schon begründeter als in diesen Tagen.
Zwei alte Herren, die sich in ihrem jeweiligen Metier beide des nicht unvorteilhaften Etiketts „Papst“ erwehren, weil sie als d i e Kritikerinstanzen unseres Sprachraums schlechthin gelten, könnten sich nach einer solchen medialen Panne eigentlich einmal zu Wort melden: Der eine, Marcel Reich-Ranicki, hat selber gerade einen runden Geburtstag feiern dürfen und verehrt die Klassische Musik und speziell Schumann (wahrscheinlich wegen seiner künstlerischen Doppelnatur) mehr, als viele es vermuten mögen, und vom anderen, Joachim Kaiser, weiß ich erst seit kurzem, als er es im Rahmen eines Schumann-Konzerts selber erzählte, dass er vor Jahren einmal in einem Fragebogen den heutigen Jubilar als seinen Lieblingskomponisten bezeichnet hat.
II.
Wohl kein Komponist kommt einem bei dem geflügelten Wort von „Genie und Wahnsinn“ eher in den Sinn als Robert Schumann.
In seinem 1990 bei Kohlhammer erschienenen Buch „R.S. – Leben und Werk“ beleuchtet der Psychoanalytiker Udo Rauchfleisch diese tragische Seite Schumanns. Das Buch las sich für mich ziemlich packend, aber möglicherweise nur deshalb, weil mir das einschlägige Fachwissen und der nötige Überblick fehlte.
Die 2. Auflage von 2004 (bei Vandenhoeck & Ruprecht) erfährt in der Ausgabe „Die Tonkunst online“ einen Verriss, wie man ihn nicht oft zu Gesicht bekommt.
http://www.die-tonkunst.de/dtk…Rauchfleisch_Schumann.pdf
Ich glaube, den meisten bereitet es mehr Vergnügen, einen überzeugenden, fundierten Verriss zu lesen als eine überschwängliche Lobhudelei.
Das ZDF-Kulturmagazin behauptet, beim jungen Schumann seien Alkohol- und andere Exzesse an der Tagesordnung gewesen. Dabei habe er sich die Syphilis geholt, Grund seines Zusammenbruchs mit 44 Jahren. „Dubiose“ Kompositionen habe Clara teils verbrannt, teils unterschlagen, weil sie sich für sie geschämt habe.
Das klingt nach starkem Tobak. Weiß jemand hierzu nähere Fakten und Belege?
III.
Im Vergleich mit Chopin, dem anderen großen Musik-Jubilar dieses Jahres, hat Schumann aus meiner Sicht beim Gesamtwerk die Nase vorn.
Mit Wohlwollen könnte man das extrem umfangreiche Klavierwerk Chopins als noch stilistisch reichhaltiger und facettenreicher als das Schumannsche qualifizieren. Chopins Etüden sind quasi die romantische Fortsetzung von „Altem“ (Wohltemperiertes Klavier) und „Neuem Testament“ (Beethoven-Sonaten), also vielleicht eine Art Apokalypse der Klaviermusik.
Aber während Chopin den Beweis schuldig blieb, dass er auch bedeutende Werke der Sinfonik, der geistlichen und der Kammermusik schreiben konnte, hat Schumann ihn erbracht.
Sein Werk kann bis auf einen Punkt als äußerst vielseitig gelten. Die große Einschränkung ist natürlich der Bereich der Oper. Hier ist außer der extrem selten aufgeführten (kürzlich seit langem wieder in Zwickau!) „Genoveva“ leider nichts entstanden.
Und das überrascht, war Schumann doch – abgesehen von Wagner – der komponierende Poet schlechthin. Warum floss seine literarische Ader fast ausschließlich in die Lieder und nicht in große Bühnenwerke?
Bei einem anderen, der genau 1 Tag jünger war und ab Mitternacht seinen großen Gedenktag hat, Otto Nicolai, ist es umgekehrt gerade so, dass er heute nur noch wegen eines einzigen Werkes bekannt ist: Die „Lustigen Weiber von Windsor“.
IV.
Schumanns Biographie liest sich wie ein romantischer Schauerroman und ist gespickt von Ereignissen, die man bei anderen großen Komponisten vergebens sucht.
Dazu gehören der Traum, im Rhein ertrunken zu sein (er wird sich 24 Jahre später beinahe erfüllen), den er im Alter von 19 Jahren in seinem Tagebuch notiert, ebenso wie die selbstverschuldete Aufgabe der Pianistenlaufbahn, weil er mit eigenen Fingerwerkzeugen sich die Bewegungsfähigkeit der rechten Hand zerstörte.
Dazu gehört auch das begonnene Studium eines Fachs, das zu ihm überhaupt nicht passt (Jura) und die Notwendigkeit eines Prozesses gegen den Vater seiner Braut, um sie – endlich – heiraten zu dürfen.
Singulär dürften weiterhin die Demütigungen sein, auf einer Konzertreise der Ehefrau (in Russland) nicht erkannt zu werden, obwohl zu diesem Zeitpunkt er sich längst als Komponist einen Namen gemacht hatte, als auch auf die Einnahmen dieser Konzerte seiner Ehefrau finanziell angewiesen zu sein.
Welcher andere Schöpfer heute anerkannter Symphonien wurde von seinem eigenen Orchester aus dem Amt gejagt? Und wer außer ihm verbrachte die letzten Lebensjahre in der „Klapsmühle“?
Trotz aller biographischen Sonderbarkeiten: Für mich ist Schumann in seiner Musik zutiefst bewundernswert, und er wird vermutlich selbst von Klassikfreunden immer noch ein Stück unterschätzt.
Ich persönlich halte sein Gesamtwerk, aus demselben Grund der Einseitigkeit wie bei Chopin, auch für bedeutender als dasjenige von Wagner!
Man muss unbedingt seine Partituren studieren, um Schumanns ganze Genialität nachvollziehen zu können. Denn etwa die Synkopen/Akzentverschiebungen seiner Klavierwerke (z.B. Toccata op.7), die sich dann plötzlich wieder auflösen, dezent eingestreute neobarocke Stilelemente, rythmische Einfälle und vieles mehr geht oftmals in einer entweder zu schnellen oder zu virtuosen Interpretation beim Hörer unter.
Lang lebe Robert Schumann!