Sinn oder Unsinn - Regietheater

  • Ich würde nicht jeden Punkt unterschreiben, aber grundsätzlich liegen unsere Meinungen sehr dicht beieinander.


    Zwei Gedanken möchte ich hinzufügen, vorher aber eine Zusatzbemerkung: Mir persönlich (andere mögen das anders sehen) geht es bei solchen Diskussionen weniger um die Frage, ob Begriffe wie »Werktreue« oder »Regietheater« und die Konzeptionen, die mit ihnen zusammenhängen, sinnvoll sind. Mit dieser Frage verschwendet man nur seine Zeit, denn die Antwort liegt ja klar auf der Hand. Mir geht es allerdings auch nicht darum, irgendwem vorzuschreiben, dass er diese Begriffe nicht verwenden soll, das kann schließlich jeder halten, wie er will. Worum es mir geht, ist, dass ich sehr viel dagegen habe, wenn irgendwer daherkommt und Vorschriften erlässt, an die sich die Künstler zu halten haben. Und zwar so, dass er jede sinnvolle Begründung für diese Vorschriften ebenso konsequent verweigert wie die Auskunft darüber, wer oder was ihn ermächtigt, solche Vorschriften zu erlassen. Wie ich schon schrieb: Ich kenne das Verfahren nur zu gut (der Stil der Äußerungen ist übrigens erstaunlich ähnlich, bis in einzelne Formulierungen hinein, die in der kulturpolitischen Dokumenten der SED ebenso auftauchen wie in den Äußerungen der heutigen Apologeten der Werktreue), und ich denke gar nicht daran, mich solchen ordre du mufti zu fügen.


    Was nun die häufig vorgebrachte Frage betrifft, warum man in der Musik so historisch wie möglich sein will, auf der Bühne aber nicht, wäre vieles zu antworten. Um nur einiges herauszugreifen:


    Die Aufführungspraxis alter Musik hat sich in den letzten Jahrzehnten insofern radikal geändert, als die ausführenden Musiker genauer studieren, wie diese Musik damals gespielt worden ist. Der ursprüngliche Begriff der »historischen Aufführungspraxis« wurde inzwischen durch den der »historisch informierten Aufführungspraxis« ersetzt, der viel genauer wiedergibt, was gemeint ist. Es gibt, Christian hat darauf hingewiesen, ebenso wenig alte Musik wie altes Theater. (Ungeachtet des Sprachgebrauchs, der das suggerieren könnte.) Denn die Partituren, die uns überliefert sind, sind keine Musik, sondern nur eine mehr oder weniger (oft sehr wenig) genaue Aufzeichnung dessen, was erklingt, wenn nach diesen Partituren musiziert wird. Darum gibt es auch keine historische Aufführungspraxis, sondern nur eine zeitgenössische. Wenn sich nun die Musiker, die ein altes Stück Musik darbieten wollen, darüber informieren, wie das damals gespielt wurde, informieren sie sich in Wahrheit darüber, wie das, was in der Partitur steht, gemeint ist. Das heißt, sie erlernen die Sprache, in denen diese Dokumente verfasst sind. Sie erkennen dann, dass z. B. in der Barockmusik noch viel mehr nicht notiert ist als in der des 19. Jahrhunderts und erlernen, wie da zu ergänzen ist. Sie lernen auch, dass z. B. die Bezeichnung »Adagio« bei Händel einen ganz anderen Sinn hat als bei Bruckner. Daraus ziehen sie dann die Schlussfolgerung, die Musik, die so bezeichnet ist, auch anders zu spielen. Aber auf keinen Fall kommt damit eine Aufführung des 18. Jahrhunderts zustande. Die könnten wir im 21. Jahrhundert ja gar nicht hören.

    Nun ist, wenn man ein paar Jahrzehnte zurückblickt und anhand von Tondokumenten sich ein Bild davon verschafft, wie solche Musik früher gespielt wurde (was heute oft kurios bis irrwitzig anmutet) eins auffällig: Es gibt in den Entwicklungen des Aufführungsstils eine Tendenz zu größerer Leichtigkeit, zu geringerem Pathos, zu mehr Humor usw. Diese Tendenz ist keineswegs auf die Musik beschränkt. Man erkennt dieselbe Tendenz, wenn man die heutigen Speisekarten mit denen der 50er Jahre vergleich. (Ich meine selbstverständlich nicht die grafische Gestaltung sondern die aufgeführten Gerichte.) Oder wenn man die Einrichtung der Wohnungen vergleicht. Der Filmausschnitt mit Winifred Wagner zeigt die Innenausstattung ihre Wohnräume. Man weiß manchmal nicht, was grausiger ist: was sie erzählt oder dieser Anblick. Der gewaltige Unterschied zu heutiger Innenarchitektur hat eine Parallele in der Veränderung de Aufführungsstils von Musik, wie man leicht sehen kann.


    Damit ist nichts darüber gesagt, wie diese Tendenzen zu bewerten sind. Aber es liegt auf der Hand, dass die historisch informierte Aufführungspraxis eine Idee ist, die zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehört (sie hat Anfänge in den 20er Jahren, konnte sich aber damals nicht zufällig nicht durchsetzen), also ganz zeitgenössisch und überhaupt nicht alt oder historisch vergangen ist. Es gibt also diesen Widerspruch zwischen einer ausdrücklich zeitgenössisch gestalteten Szene und einer ausdrücklich historisch gestalteten Musik gar nicht. Mithin passt das schon ganz gut zusammen. (Mal besser, mal schlechter, wie das im Leben so ist: Nicht jede Ehe ist eines glückliche.)


    Und ganz nebenbei sei angemerkt, dass Widersprüche zwischen den Elementen und Ebenen eines komplexen Kunstwerks kein Makel sein müssen, sondern sowieso unvermeidlich sind. Der Hegelkenner weiß, was gemeint ist.


    Die zweite Bemerkung: Ein stetig auftretender aber für mich immer wieder besonders rätselhafter Punkt in solchen Diskussionen über die sog. »Werktreue« (vor allem, wenn es sich um Oper dreht) ist, dass die Apologeten dieses Begriffs, so gut wie immer nahezu ausschließlich vom Libretto sprechen, als sei dies das alles entscheidende Element der Oper. Mir scheint allerdings, dass sich die Oper vom Schauspiel vor allem dadurch unterscheidet, dass zur dramatischen Dichtung die Musik hinzutritt. Und zwar – das ist der Unterschied zwischen Opern- und Schauspielmusik – als strukturbestimmendes Element. (Was sich schon in der allseits bekannten Tatsache ausdrückt, dass viele Opernfreunde bekunden, vor allem oder ausschließlich wegen der Musik in die Oper zu gehen, aber auch in in der Tatsache, dass es nur äußerst wenige Opernlibretti geben dürfte, nach denen heute noch ein Hahn krähen würde, wenn sie nicht vertont wären.) Nun meine ich – was vielleicht naiv ist –, dass in einer Diskussion über die Praxis der Opernaufführung dieses strukturbestimmende Element eine wesentliche Rolle spielen sollte. Es ist ein alter Hut, dass es zwischen dem, was die Musik in der Oper erzählt und dem Libretto erhebliche Differenzen gibt. (Anders ist es ja nicht erklären, dass durch die Musik aus eine scheinbar minderwertigen Dichtung – sie ist es nicht, weil sie genau diesen Prozess ermöglicht – ein unsterbliches Drama wird.) Warum also soll sich die Aufführung vor allem am Libretto orientieren und nicht an der Komposition? Ist es wirklich wichtiger, dass Wotan einen Speer bei sich hat und Brünnhilde einen Flügelhelm trägt, wenn sie auf dem der Regieanweisung genau nachgebildeten Pappfelsen zur Ruhe gebettet wird, als dass die für die Aufführung ein Weg gesucht wird, den Gehalt einer der inhaltlich und dramaturgisch wichtigsten Stellen des ganzen »Rings«, nämlich die orchestrale Passage zwischen »...der freier als ich der Gott« und »Der Augen leuchtendes Paar« im dritten Akt der »Walküre« so zu spielen, dass die Bedeutung und der Stellenwert dieser Stelle dem Zuschauer deutlich werden kann? Ich muss gestehen, dass ich nicht verstehe, warum das so sein soll.


    Um nicht missverstanden zu werden: Das ist ein Beispiel, und der Umgang mit einem solchen Vorgang ist eine Möglichkeit von vielen. Ich will ganz und gar nicht sagen, dass es irgendeine Verpflichtung gibt, an dieser Stelle so zu verfahren, wie ich es skizziert habe. Wenn einer etwas anderes erfindet, und das gut ist, ist es natürlich vollkommen in Ordnung. Nur weil meine Phantasie logischerweise begrenzt ist, muss ich nicht anordnen, dass auch alle anderen die ihre zu begrenzen haben.


    (Ich werde zu Tisch gerufen, vielleicht nächstens mehr.)

  • Meiner Meinung nach kann man eine Inszenierung nur verstehen, wenn man sie live im Theater sieht. Bei manchen Inszenierungen mußte ich drei mal hingehen und hab immer wieder mehr entdeckt.

  • Über Geschmack lässt sich nicht streiten.


    Bei dem Stichwort "Regietheater" sollte man deshalb nicht über den Begriff "Werktreue" diskutieren, das geht an der Sache inhaltlich vorbei.


    Richtigerweise sage ich deshalb, diese Inszenierung ist für mich ggf. komplett geschmacklos, sie wirkt auf mich nicht nur billig und provokativ, nein, sie stört mich sogar massiv beim Hören der Musik und des Gesanges.


    Was sich da der Regisseur gedacht hat, ist für mich geistiger Müll und erinnert stark an die Geschichte "Des Kaiser neue Kleider".

  • Das Brimborium das Du um Deine Aussagen machst, verdeckt nämlich nur unzureichend ihre Dürftigkeit und der unverschämte Tonfall macht die Blamage nur größer. Bei Hegel ist die Aufgabe des Theaters die äußere Exekution des dramatischen Kunstwerks, das ist eindeutig. (Herv. von mir, H.K.) Das bedeutet, dass Hegel dem Theater die Aufgabe der äußeren Exekution des dramatischen Kunstwerks zuschreibt, es also nicht unabhängig von einem solchen dramatischen Kunstwerk denken kann. Das ist unmissverständlich und nichts anderes habe ich gesagt.

    Ich bin Werner Hintze wirklich dankbar dafür, dass er diese Bemerkung gemacht hat. :hail: Sie ermöglicht es mir nämlich als ausgewiesener Fachmann in Sachen Ästhetik ihm in einem Fach-Gutachten hier und jetzt nachzuweisen, dass er tatsächlich das ist, was ich ihm in meiner Überheblichkeit als Fachmann frecher Weise unterstellt habe: ein Dilettant in Sachen philosophischer Ästhetik. ^^ Werner Hintze hat behauptet, für ihn als Künstler sei die hermeneutische Sorgfaltspflicht nicht verbindlich, also den "Vorgriff der Vollkommenheit" wolle er nicht machen. Das dürften die Wissenschaftler tun, aber für ihn als Künstler habe das keine Bedeutung. Also hat er sich auch nicht die Mühe gemacht, die Anmerkungen der Herausgeber dieses Hegel-Textes zu lesen, die man nun einmal braucht, um ihn richtig zu verstehen. Dort hätte er lesen können, dass dies Vorlesungstexte sind, die Hegel zu seinen Lebzeiten gar nicht selber publiziert hat, sondern die der Hegel-Schüler Hotho nach Hegels Tod herausgegeben hat. Deshalb stammt die Überschrift, die Hintze zitiert "Die äußere Exekution des dramatischen Kunstwerks", wohl auch nicht von Hegel, sondern von Hotho. Einen sorgfältigen Ausleger mahnt so etwas zur Vorsicht. Nicht so den in dieser Hinsicht unbedarften Hintze. ^^ Hintze hat sich von der suggestiven Kraft dieser Überschrift verleiten lassen zu der Annahme, es ginge hier um eine Betrachtung der "Aufgabe des Theaters" (Hintze, s.o.!). Das ist aber schlicht ganz eindeutig und wie es eindeutiger nicht geht falsch und ein Irrtum. Hegel geht es in diesem Kapitel um etwas ganz anderes, nämlich darum, zu zeigen, was der Dichter zu beachten hat, wenn er ein für die Aufführung bestimmtes Stück schreibt. Es handelt sich hier also - fachmännisch gesprochen - gar nicht um eine rezeptionsästhetische, sondern produktionsästhetische Betrachtung. Das kann man auch sehr schön sehen, wenn man das liest, was Hegel unmittelbar vor diesem Kapitel (die Gliederung des Textes geht wohlgemerkt auf das Konto des Herausgebers Hotho) schreibt, dass sich der Dichter an der Wahrheit und der Kunst versündigt, wenn er ein gefälliges, populäres Stück schreibt und damit den Publikumsinteressen nachgibt: "Der ähnliche, schlimmste Fall tritt ein, wenn der Dichter gar einer falschen Richtung, die im Publikum vorherrscht, der bloßen Gefälligkeit wegen in gleicher Absichtlichkeit schmeicheln will und sich damit doppelt, sowohl gegen die Wahrheit als gegen die Kunst, versündigt."


    Es gibt einen wunderbaren Satz, den Arturo Benedetti Michelangeli gesagt hat: "Die Musik ist ein Recht, aber nur für den, der sie auch verdient." Meine philosophische Übersetzung davon lautet: Die Philosophie ist ein Recht, aber nur für den, der sie auch verdient.

    Das ist auch etwas, was mir in dieser wie in allen vorangegangenen Diskussionen zum Thema auffällt: Die Gralshüter der "Werktreue" unterstellen allen Künstlern, die frecherweise diesem Dogma nicht folgen und einfach das machen, was sie für richtig halten, automatisch unlautere, niedere Motive, hier z.B. "Egomanie", "Selbstherrlichkeit", "Respektlosigkeit", fehlenden "Anstand", "falsch verstandenes Freiheitsverständnis", "Egotrips" usw., also die mehr oder weniger übliche lange Liste.

    Das kommt davon, wenn man sich als Ästhetiker in eine Diskussion mit Apologeten des Regietheaters einlässt. Ich bin es wirklich selber Schuld! Sie können nur strategisch denken im Sinne der Selbstbehauptung ihres eigenen Tuns. Wenn man zur Vorsicht mahnt, Prinzipien wie die "Werktreue" oder "Werkgerechtigkeit" nicht leichtfertig und unbedacht aufzugeben, wird man gleich zum "Gralshüter der Werktreue". RT-Apologeten geht es nämlich nicht um die Wahrheit, sondern einzig und allein um die Selbstrechtfertigung ihres Tuns. Nur dafür sind ihnen "Argumente" gut. Ästhetische Kritik empfinden sie als Majestätsbeleidigung und Einschränkung ihrer grenzenlosen künstlerischen Freiheit. Sie sind und bleiben eben fröhliche Konstruktivisten, denen schlicht alles erlaubt und nichts verboten ist. Eine lehrreiche Erfahrung für mich: Das, was ich als Wissenschaftler für unverzichtbare Verbindlichkeiten halte, der Respekt gegenüber Autoren und ihren Werken wie auch die Sorgfaltspflicht in der Auslegung von Texten, hat für sie keinerlei Verbindlichkeit. "Respekt" ist für sie so etwas wie Chinesisch, ein unverständliches Fremdwort. Deswegen werde ich mich in Zukunft auch nicht mehr auf Diskussionen mit ihnen einlassen. Das kann ich mit meinem Ethos als Philosoph und Wissenschaftler nicht vereinbaren.

    Ich finde das nicht so verwunderlich. Sie fordern doch lediglich, dass sich der Künstler respektvoll verhält (dem Dichter und Komponisten und natürlich ihnen gegenüber). Das beinhaltet ja nicht, dass sie den Künstlern Respekt entgegenbringen.

    Auch das ist bezeichnend Kampfrhetorik. Entweder bist Du Freund oder Feind: Wenn Du Respekt gegenüber Dichtern und Komponisten forderst, hast Du keinen Respekt gegenüber uns RT-Künstlern. Klar doch, denn nur das Theaterkunstwerk ist das, was einen "Wert" für Künstler hat, die keine andere Verbindlichkeit kennen als ihre eigene Freiheit, das zu tun, was sie wollen.


    Und damit verabschiede ich mich aus der Diskussion mit Werner Hintze und Christian Köhn. Wer sich für meine Überlegungen zum Regietheater interessiert, kann sie demnächst nachlesen, wenn ich darüber etwas zu veröffentlichen gedenke. Dann muss er sich nämlich den Ansprüchen und Verbindlichkeiten einer wissenschaftlichen Publikation stellen, wozu er in einer solchen Forendiskussion wie hier nicht bereit ist.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Hochverehrter Herr Doktor, geschäztester ausgewiesener Fachmann in Sachen philosophische Ästhetik,

    ich danke aus vollem Herzen für dieses ausführliche Gutachten über meine Fähigkeiten, das ich nicht erbeten habe und das mich deshalb auch nicht interessiert. Ich hoffe auf Verständnis zu stoßen, wenn ich es deshalb auch nicht lese. Beim Überfliegen meine ich immerhin wahrgenommen zu haben, dass die Frage, um die es hier geht, nach wie vor unbeantwortet ist und einer Antwort keinen Schritt näher gekommen ist. Das ist schade.


    Aber nicht verwunderlich, denn immerhin hat das Lesen des ersten Halbsatzes ausgereicht, damit ich endlich verstehe, wo hier das Problem liegt. Es sind anscheinend zwei wunde Stellen (vielleicht auch mehr, aber die reichen). Zum einen führst Du die Debatte nicht im Interesse der Sache, also mit dem Ziel eines möglichen Erkenntnisgewinns, sondern um zu siegen. Das hättest Du gleich soll’n sagen (um ein wenig zu meistersingern), den Sieg kannst Du gern haben. Bitteschön!

    Zum anderen habe ich nun endlich verstanden (es hat lange gedauert, bis der Groschen gefallen ist, das gebe ich zu, aber besser spät als nie), in welcher Disziplin Du siegen willst. Nämlich nicht in der Debatte, nicht in der philosophischen Ästhetik, sondern in dem beliebten Spiel »Wer verliert zuerst die Nerven?« Da muss ich Dich leider enttäuschen. Das Leben am Rand der thebanischen Wüste ist fast vollkommen stressfrei, weshalb ich inzwischen Nerven wie Drahtseile habe und Deine sich nun langsam überschlagenden Frechheiten mit großem Amüsement zur Kenntnis nehmen kann. Also bestenfalls kannst Du in diesem Spiel ein Remis erreichen, wie mir scheint deutet sich aber mehr und mehr an, dass es für Dich ein Desaster wird. Aber es ist Deine Entscheidung, ob Du das willst oder nicht. Es gibt auch hier keine Vorschriften. Jedenfalls nicht von mir.

  • Richtigerweise sage ich deshalb, diese Inszenierung ist für mich ggf. komplett geschmacklos, sie wirkt auf mich nicht nur billig und provokativ, nein, sie stört mich sogar massiv beim Hören der Musik und des Gesanges.


    Was sich da der Regisseur gedacht hat, ist für mich geistiger Müll und erinnert stark an die Geschichte "Des Kaiser neue Kleider".

    Ich frage mich, wo diese Aggressivität herkommt. Ich möchte Dir einfach mal sagen, wie sich das für mich, als aller Wahrscheinlichkeit nach nicht Betroffener, anfühlt .


    So eine Bemerkung wirkt auf mich komplett geschmacklos, billig und provokativ, zumal, wie ich langsam vermute, sie auf keinem anderen Erlebnis basiert, als Regietheater vom Hörensagen... ;)


    Sie zeigt nur allzu deutlich, dass Geschmack offensichtlich etwas sehr Individuelles ist. Sei versichert, dass ich das, was Du da unter Geschmack verstehst, wenn ich hier gerade eine Anwendung dieses Begriffes erfahre, garantiert nirgendwo erleben möchte, auch nicht im Theater, es sei denn es wäre gerade solches :)


    und ganz nebenbei


    nein, sie stört mich sogar massiv beim Hören der Musik und des Gesanges.


    stören mich solche geschmacklosen Ausfälle am Verfolgen der Gedanken im Thread.


    Den Künstler Stefan Mickisch, dessen von unglaublichem Wissen sprühende Wagner-Werkeinführungen in Bayreuth jahrelang geradezu legendären Status besaßen (etliche seiner charmanten, oft auch mit gut dosiertem Witz garnierten Vorträge kann man glücklicherweise nach wie vor auf CD nachhören), aufgrund einer vielleicht etwas unglücklichen Formulierung in Grund und Boden zu verdammen, geht schlicht und ergreifend entschieden zu weit. Sein tragischer Abgang, den man zumindest in Teilen öffentlich mitverfolgen konnte, machte betroffen und zeugte von der tiefen Verzweiflung angesichts einiger aus heutiger Sicht tatsächlich völlig unverhältnismäßiger Maßnahmen.

    Lieber Joseph II. Mir liegt es fern, jemanden in Grund und Boden zu verdammen. Ich meine das auch nirgendwo gelesen zu haben. Ich möchte nicht bezweifeln und kann es auch gar nicht, dass Herr Mickisch hervorragende Einführungen in Wagners Werk gegeben hat.


    Wenn ich überhaupt ein Problem mit ihm habe, besteht es in der in der Wikipedia dokumentierten Geschichtsklitterung. Ich halte Verharmlosung antisemitischer Gedanken für sehr gefährlich, was ja angesichts unserer Geschichte nicht zu sehr überraschen sollte.


    Die dort ebenfalls dokumentierte Unterstützung von Impfgegnern als Opfer einer Verschwörung hat etwas Dümmliches (Bitte nicht verwechseln mit der Person. Ich schließe nicht aus, auch hin und wieder Dümmliches von mir zu geben) und die Gleichsetzung des Protestes der Scholl-Geschwister, die dann ja Opfer der Nazi-Diktatur wurden, mit öffentlichen Protest vom Impfgegnern gegen Regelungen der Regierung hat etwas Naives und zeigt auch ein gewisses Unverständnis für die politischen Situationen zu den verschiedenen Zeiten.


    Ich kann also verstehen, dass dieser Mann nicht unproblematisch ist, ziehe da jetzt aber keine Wertung seiner Person raus.

  • Ich schrieb:

    Dieses "ich" steht nicht für meine Person, es steht allgemein für jemanden, der nicht über den Begriff "Werktreue" in eine Diskussion hineingeraten möchte, die sich auf eine für ihn unakzeptable Inszenierung bezieht.


    Und nochmals: Über Geschmack lässt sich nicht streiten!

  • Mal praktisch. Ich beschäftige mich gerade mit "Boris Godunow". Dabei habe ich mir bei YT die Urfassung angesehen, live aus dem Mariinski-Theater unter Gergievs musikalischer Leitung und Graham Vicks Inszenierung. Dabei sind mir die Augen "übergegangen". Wenn man Rimsky-Korsakows Fassung im Kopf hat, vor allem mit Karajans CD, muss man den Ur-Boris neu lernen. Ich werde noch in einem längeren Boris-Artikel darüber berichten. Hier nur soviel: Inszenierung und Bühne mixten traditionelle und moderne Elemente. Das Volk in Alltagskleidung von heute, die Bojaren im business-look, Boris ebenfalls, aber auch mit einem prächtigen Krönungskostüm wie aus alter Zeit, dazu erschien Pimen, der seine Chronik auf einem Tablet schrieb, ebenso Fjodor, der ein Tablet und Kopfhörer hatte. Die User in ihren Kommentaren waren gespalten. Neben den üblichen Jubelarien gab es eine Menge Kommentare, die diese modernen Attribute vehement verdammten. Meine Reaktion hat mich selbst erstaunt. Weil ich nach der ersten halben Stunde so begeistert war, habe ich einfach beschlossen, die RT-Elemente zu tolerieren.

    So konnte mich diese Inszenierung begeistern. Aber meine Grundüberzeugung, dass es Geschmacksfragen sind, habe ich nicht aufgegeben. Nach wie vor beurteile ich den Einzelfall; dieses Mal hat es mich nicht gestört.

    Es gab sogar ein paar aufschlussreiche Elemente. Als sich Boris mit seinem Sohn Fjodor beschäftigt (man hatte einen Jungen dafür aufgeboten, der großartig sang und noch besser spielte!), steht eine Flasche Jack-Daniels Whisky auf dem Tisch. Boris hat auch ein Glas mit Inhalt in der Hand. Als Boris nicht hinsieht, stellt der Junge die Flasche unter den Tisch, Schuisky nimmt sie dann an sich.

    Insgesamt rückt die Inszenierung ab vom "grandiosen Zaren" zu einem menschlichen. Dazu trägt auch bei, dass Boris nicht mehr von einem "Riesenbass" wie Christoff, Ghiaurov oder Talvela dargestellt und gesungen wird, sondern von einem Bass-Bariton, wobei der tiefe Bass des Pimen eine ganz neue Gewichtung.

    Davon später mehr an anderer Stelle.

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Und nochmals: Über Geschmack lässt sich nicht streiten!

    gerne, nur sollte man daraus nicht ableiten, dass sich darüber prima pöbeln lässt :(


    Ich finde es halt merkwürdig, dass viele, die hier dauernd über ihren wertvollen Geschmack sprechen, diesen leider schon im einfachsten Umgang vermissen lassen ...


    my two cents.

  • Ich finde es halt merkwürdig, dass viele, die hier dauernd über ihren wertvollen Geschmack sprechen, diesen leider schon im einfachsten Umgang vermissen lassen ...

    :thumbup::hahahaha:


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

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  • Ich darf feststellen, dass genau eine Person hier einen anderen Forumsteilnehmer direkt anpöbelt.


    Wer hat übrigens von einem "wertvollen" Geschmack gesprochen und was hat Geschmack mit Umgang zu tun?

  • Und nochmals: Über Geschmack lässt sich nicht streiten!

    In Geschmacksfragen kann es kein "gut" oder "schlecht", kein "richtig“ oder „falsch“ geben, denn niemand kann beweisen, dass sein Geschmacksempfinden das einzig richtige ist. Daher kann man gerade über Geschmacksfragen endlos streiten ohne jemals zu einem für alle gültigen Ergebnis zu kommen.

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Über Geschmack läßt sich deshalb nicht streiten, weil jeder seinen eigenen Geschmack hat und auch haben darf.


    Streit kann nur dann entstehen, wenn einer meint, sein Geschmack sei der einzig Richtige.

  • Sicher lässt sich über Geschmack streiten. Geschmack basiert auf Werten. Werte können sein: Mut, Stolz, Traditionsbewusstsein, Gefühl für Rang (Nietzsche). Oder Verzweiflung, Orientierungslosigkeit, Überheblichkeit, Narzissmus.


    Choose your fighter accordingly. Wähle deinen Regisseur entsprechend.

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • RT-Apologeten geht es nämlich nicht um die Wahrheit

    Den Satz werde ich abheften. Damit ich ihn später wiederfinde, kommt er in denselben Ordner wie "Polen klauen Autos", "Arbeitslose sind Schmarotzer" und "Frauen sind schlecht in Mathe". Der steht in meinem Regal ganz unten.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Ich finde der Satz passt nicht oder jedenfalls nicht ganz zu den anderen. »Polen klauen Autos« ist sicherlich eine ebenso dumme Aussage wie die über die »RT-Apologeten«. Aber immerhin ist klar, was Polen und Autos sind, und welche Tätigkeit mit dem Verb »klauen« bezeichnet wird. Hingegen ist keineswegs klar, was »RT« (also »Regietheater«, soviel Zeit müsste eigentlich sein) sein soll. Und mit der »Wahrheit« steht es nicht besser. Nicht einmal Jesus wusste die Frage zu beantworten, was das ist. Dieser Satz ist also nicht nur dumm, sondern auch ganz ohne Inhalt, er jongliert nur mit nicht definierten, also leeren Begriffen. Aber er soll ja auch gar nichts enthalten, zur Diffamierung derer, gegen die man kein Argument hat, ist er so ja sogar besser geeignet.

  • Diese ganze Diskussion ist hochinteressant. Wir reden übers Theater, über Werktreue (was immer das sein mag), über RT (was immer das sein mag), über Hegel und sonstwen.


    Aber dabei wird völlig außer acht gelassen, für wen Theater gemacht wird. Für Philosophen? Für Leute, die vor dem Theaterbesuch Hegel lesen? Für Leute, die tagsüber 8 oder mehr Stunden hart gearbeitet haben und abends einfach nur entspannen wollen? Oder für wen?

    Und da muß ich nochmals wiederholen, daß auch ein trauriges Ende einer Oper, eine aufwühlende Musik, die Darstellung von Unrecht auf der Bühne u.a. dazu führen kann, erhobenen Hauptes oder mit hängendem Kopf das Theater zu verlassen. Also nicht nur gut gelaunt oder schlecht gelaunt. Wenn ich in die Salome gehe, weiß ich, daß man selten lachen kann. Aber wenn Salome im Schwimmbad spielt, weiß ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll.


    Eine Hinweis noch. In Dresden sah ich vor Jahren den "Friedenstag" vom Richard Strauss, Soweit ich weiß, war einer der Hauptdiskutanten hier im Thread maßgeblich beteiligt. Als Hinweis - ich war ungeheuer beeindruckt, und zwar vom Finale mit der grandiosen Musik, der Vereinigung von Chor und Solisten zu einem tollen Ensemble, und vom Öffnen der Hinterbühne mit vielen Kreuzen für die Verstorbenen, hinter denen sich die Opfer (auch Kinder) erhoben und den Chor zur Masse machten, zum Protest gegen den Krieg. Das war RT und Anti-RT in einer Oper - und das ist ca. 20 Jahre in meinem Gedächtnis geblieben. Weil es gut und beeindruckend war. Aber das ist leider nicht jede Inszenierung. Manchmal bleibt eben nur Enttäuschung über rausgeworfenes Geld.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Aber dabei wird völlig außer acht gelassen, für wen Theater gemacht wird. Für Philosophen? Für Leute, die vor dem Theaterbesuch Hegel lesen? Für Leute, die tagsüber 8 oder mehr Stunden hart gearbeitet haben und abends einfach nur entspannen wollen? Oder für wen?

    Ich finde den Einwurf berechtigt. Allerdings wird das Publikum gemischt sein. Ich finde es absolut in Ordnung einfach in eine Opernaufführung zu gehen, weil mir das Plakat gefallen hat, obwohl ich sonst noch nichts von der Oper kenne. Es muss ja meinen ästhetischen Genuss nicht zerstören, weil ich mich mit den Grundlagen der Oper nicht auskenne.


    Es wird sehr wahrscheinlich sein, dass ich nicht alles mitkriegen werde, aber wenn einmal Feuer gefangen wurde, gehe ich vielleicht wieder rein und wenn nicht, dann eben nicht. So geht mir das mit so ziemlich jedem Kunstwerk. Mir gefallen Bilder, ich beginne mich mit der Geschichte eines Bildes zu beschäftigen, ich sehe es mir häufiger an, wenn es geht. Ich mag eine Sonate ich höre mir mehrere Interpretationen an, ich gehe in Konzerte und schaue vielleicht auch, wann sie enstanden ist und in welchem Kontext. Ich bin nicht dazu verpflichtet, das zu tun .. (siehe Enzensberger dank an ChKöhn ).


    Es kann genauso gut passieren, dass mir ein Konzert nicht gefällt .... das ist der Lauf der Dinge.


    Was ich aus alledem mittlerweile mitnehme, sind zwei wichtige Erkenntnisse für mich


    1. Bei der Oper macht es Sinn, dem Regisseur das Zepter zu geben. Die Inszenierung ist sein Produkt und die Gestaltung unterliegt seiner künstlerischen Freiheit

    a.) Er kann hingehen, sich keine oder nur böse :P Gedanken machen und sich wild überlegen, wie man das zahlende Publikum ärgern kann. Die Chancen einer zweiten Aufführung scheinen mir gering zu sein, wenn die erste nicht das Publikum faszinieren sollte und damit die bösen Absichten des Regisseurs konterkariert ..

    b) Wahrscheinlicher ist, dass er sich genau überlegt, wie er Musik (die scheint aus nachvollziehbaren Gründen Priorität zu haben) und Szenisches zu einem schlüssigen Ganzen zusammenbringen kann

    Hier gibt es jetzt eine ganze Spannbreite von Möglichkeiten von freier Assoziation bis zu sklavischen Textakribie mit den schon besprochenen Problemen. Wichtig ist, dass es die Entscheidung des Regisseurs bleibt.


    2. Schlecht scheint mir die Schublade "Regietheater" zu sein, weil sie wohl eigentlich mehr als Kampfbegriff dient und wenig zum Verständnis einer Inszenierung beiträgt.


    Die bisher gezeigten Beispiele haben Freunde aus jeder Ecke gefunden, mal mehr und mal weniger.


    Von einigen wurde gesagt, dass da mal mehr oder weniger RT drin sei, als wäre das so eine Art Toxin. Sollte die Oper aber schlüssig aufgeführt sein und gefallen haben, hat es wahrscheinlich komplexere Gründe als eine eindimensionale Verteilung eines solchen Toxins. Die Arbeit für die Kunst ist an ganz anderen Stellen eingegangen. Der Beitrag von Werner Hintze in dem er auf eine musikalische Bedeutung einer Stelle im Ring angesprochen hat, fand ich an dieser Stelle erhellend.


    Warum einem jetzt Inszenierungen gefallen und beeindrucken oder nicht scheint also wesentlich kompliziertere Parameter zu haben, die mit diesem Schubladenbegriff wohl nicht erfasst werden können.


    Hier kommt dann natürlich die Detailanalyse ....


    Was ist mit Lutz-Lohengrin oder hat den nur einer aus dem Forenpublikum gesehen?

  • Meine persönliche Haltung zum Regietheater hat Bertarido weiter vorn im Thread recht treffend zusammengefasst.


    Wenngleich es vermutlich nicht besonders wohlwollend gemeint ist, finde ich mich darin in weiten Teilen wieder:


    Zitat Bertarido:


    """""Die Position der Traditionalisten (um eine möglichst wertfreie Bezeichnung zu wählen) beruht auf einigen Prämissen, die als absolut gültig angesehen und nicht hinterfragt werden:


    1. Das Geschehen auf der Bühne hat der Handlung zu entsprechen, die im Libretto niedergelegt ist.

    2. Ort und Zeit der Handlung müssen so wie im Libretto angegeben [durch Verwendung historisch korrekter Kostüme und Kulissen] auf der Bühne erkennbar sein. (Auf den Zusatz in Klammern würden vielleicht manche Traditionalisten verzichten.)

    3. Die Inszenierung muss ästhetisch ansprechend sein. Alles Hässliche, Verstörende, Anstößige ist unzulässig. Das gilt insbesondere für die explizite Darstellungen von Gewalt und sexuellen Handlungen.


    Alles was diesen Anforderungen nicht entspricht, ist eine Verunstaltung der Oper und somit abzulehnen. Konzepte, die hinter Inszenierungen stehen, sind völlig irrelevant, wenn sie diese Anforderungen nicht erfüllen. Daher macht es auch keinen Sinn, solche hier zu verlinken und zur Diskussion darüber aufzufordern. Ohnehin sind die Traditionalisten der Meinung, dass Regisseure keine Künstler sind, die mit eigenen Ideen und Konzepten an die Produktion einer Oper herangehen sollen, sondern Handwerker, die den Willen von Komponist und Librettist umzusetzen haben. Sie sollen die Werke nicht aktualisieren, neu intepretieren oder gar neu denken, sondern bewahren. Dies ist das museale Verständnis von Opern, zu dem sich die Traditionalisten gerne explizit bekennen ("museal" ist hier natürlich positiv gemeint).


    Zitat Ende.


    Dem möchte ich nicht mehr viel hinzufügen. Für mich persönlich ist es in allererster Linie dann letztendlich doch hauptsächlich eine Frage des persönlichen Geschmacks. ( Wobei ich damit nicht behaupten möchte, mein Geschmack wäre besser als derjenige anderer Opernfreunde.)


    Ich bin zum Beispiel völlig unfähig, mich an einer sogenannten "Ästhetik des Hässlichen" zu erfreuen, Regietheater-Inszenierungen gefallen mir meist schon rein optisch einfach nicht, (auch in anderen Bereichen der Kunst gilt dies.) Ich fühle mich damit irgendwie unwohl und könnte bei Regiethteater somit auch die Musik nicht richtig genießen.


    Seid gegrüßt !

    :hello:



    >>So it is written, and so it shall be done.<<

  • Ich bin zum Beispiel völlig unfähig, mich an einer sogenannten "Ästhetik des Hässlichen" zu erfreuen, Regietheater-Inszenierungen gefallen mir meist schon rein optisch einfach nicht, (auch in anderen Bereichen der Kunst gilt dies.) Ich fühle mich damit irgendwie unwohl und könnte bei Regiethteater somit auch die Musik nicht richtig genießen.

    :thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup:

    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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  • Ich bin zum Beispiel völlig unfähig, mich an einer sogenannten "Ästhetik des Hässlichen" zu erfreuen, Regietheater-Inszenierungen gefallen mir meist schon rein optisch einfach nicht, (auch in anderen Bereichen der Kunst gilt dies.) Ich fühle mich damit irgendwie unwohl und könnte bei Regiethteater somit auch die Musik nicht richtig genießen.


    Wenn man jetzt einfach sagen würde, ich bevorzuge Inszenierungen, wo der Regisseur sich weitgehend (so absolut gesehen scheint das ja hochproblematisch zu sein (Mittelteil des Textes von Peter Brenner)) an die Vorgaben von Komponist und Librettist hält (vielleicht ohne Wagners Antisemitismus und ähnliche No-Gos) klingt das doch wie ein Schuh ... Dann sucht man sich halt solche aus und versucht vielleicht, wenn man doch neugierig ist und wissen will, was man ablehnt oder, positiv formuliert, was man verpassen könnte, einige Inszenierungen, die sich etwas vom Jetztgeschmack entfernen.


    In dieser relativen Form mache ich das selbstverständlich auch bei den Konzerten, die ich besuche ...

  • Aber dabei wird völlig außer acht gelassen, für wen Theater gemacht wird.

    Das wurde nicht außer Acht gelassen, es war nicht das Thema.


    Für wen werden Autos gebaut? Für Leute, die sich mit den Mechanismen des Motors und des Getriebes, mit den Techniken der Metallformung und mit der Polsterung usw. so gut auskennen, dass sie auch selbst ein Auto bauen können? Oder doch eher für die, die mit den nötigen Kenntnissen ausgestattet sind, um es zu fahren, und den Rest denen überlassen, deren Aufgabe es ist, das Auto zu bauen? Aber ist es falsch, wenn diese sich Gedanken über ihre Aufgabe machen, Gedanken, die die Benutzer des fertigen Produkts weder kennen noch nachvollziehen können und müssen? Wäre es besser, sie würden da irgendwas »intuitiv« zusammenhauen, was an der nächsten Straßenecke auseinanderfällt? Das glaube ich nicht.


    Eine Hinweis noch. In Dresden sah ich vor Jahren den "Friedenstag" vom Richard Strauss,

    Ein paar Worte zu dieser Produktion, die ganz und gar nicht – nicht einmal zum geringsten Teil – als ein Beispiel für eine auch nur zur Hälfte oder zu einem Zehntel »werktreue« Inszenierung geeignet ist. Das Stück ist vermutlich das am seltensten aus der verstaubten Truhe geholte, in der die Spätwerken Richard Strauss’ mit gutem Grund vor sich hinschlummern. Das liegt nicht nur an dem krausen Libretto (den drei Texten, die der wackere Theaterwissenschaftler und gute PG Joseph Gregor für Strauss verzapft hat, würden auf einer Liste der schlechtesten Libretti aller Zeiten auf jeden Fall drei der obersten Plätze zustehen, wobei der »Friedenstag« im Vergleich zu den beiden anderen noch am besten abschneidet, immerhin ist der Aufbau einigermaßen griffig, und man kann auch fast alle Sätze verstehen). Vor allem dürfte es ein inhaltliches Problem sein. Das Stück ordnet sich ziemlich stromlinienförmig der damaligen offiziellen Politik der Nazis ein, die, während die materiellen und ideellen Kriegsvorbereitungen schon in vollem Gange waren, noch auf demagogische Beschwörungen des deutschen Friedenswillens setzte. Gregors Text trug dem ideologischen Auftrag voll Rechnung, an einigen Stellen hat er es etwas übertrieben, indem durch »geschickte« Wortwahl eine unmittelbare Huldigung für die damalige Nazi-Politik hörbar wurde. Freilich mochten die Nazis so etwas in der Hochkultur nicht, die entsprechenden Stellen wurden also abgemildert, was an der Sache nicht viel änderte.


    Aber immerhin doch so viel, dass das Stück die Möglichkeit bot, die Demagogie beim Wort zu nehmen und es in absichtlicher kräftiger Verdrehung und Verrenkung gegen die Intentionen der Autoren zu einem etwas schrägen pazifistischen Manifest mit einigen nahezu mystischen Elementen umzugestalten, das man, wie wir fanden, guten Gewissens spielen kann. Nach den Kriterien der Befürworter der Werktreue war das also ein schweres Verbrechen, für das wir alle in der Hölle schmoren werden (und für den Reimeschmied Biermann wären wir heute geradezu Kriegsverbrecher).


    Wie gut dieser äußerst riskante Versuch gelungen ist, mag beurteilen, wer will. Ich kann nur sagen, »werktreu« war das ganz und gar nicht, und ganz absichtlich nicht. Ich glaube auch nicht, dass es darauf ankam. Wenn es gut war, ist es m. E. vollkommen gleichgültig, ob sich Komponist und Librettist im Grabe herumgedreht haben. Und wenn nicht, ist es eben misslungen. Das kommt in den besten Familien vor.

  • Das war RT und Anti-RT in einer Oper - und das ist ca. 20 Jahre in meinem Gedächtnis geblieben. Weil es gut und beeindruckend war.

    Ich staune, La Roche als Fürsprecher für eine Inszenierung von Peter Konwitschny! :jubel:

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Für wen werden Autos gebaut? Für Leute, die sich mit den Mechanismen des Motors und des Getriebes, mit den Techniken der Metallformung und mit der Polsterung usw. so gut auskennen, dass sie auch selbst ein Auto bauen können? Oder doch eher für die, die mit den nötigen Kenntnissen ausgestattet sind, um es zu fahren, und den Rest denen überlassen, deren Aufgabe es ist, das Auto zu bauen? Aber ist es falsch, wenn diese sich Gedanken über ihre Aufgabe machen, Gedanken, die die Benutzer des fertigen Produkts weder kennen noch nachvollziehen können und müssen? Wäre es besser, sie würden da irgendwas »intuitiv« zusammenhauen, was an der nächsten Straßenecke auseinanderfällt? Das glaube ich nicht.

    Was aber, wenn das Auto im Winter geliefert wird und es hat Schlitten (wie in Flugzeugen, die auf Schnee landen) und keine Räder?:untertauch: Und oben auf dem Dach ist eine Tuba, die die Hupe ersetzt.:pfeif: Vorne gibt es auch keine Windschutzscheibe, sondern einen Flatbildschirm, der die Bilder von Kameras auf der Haube überträgt.....:no:

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Einer meiner verehrten Lehrer, der inzwischen verstorbene Philosophieprofessor Wolfgang Janke, er ist der Gründer der internationalen Fichte-Gesellschaft, brachte uns Studenten bei, waa ein wirklich ernsthaftes und nicht nur sophistisches Streitgespräch ist. "Ihr dürft von Eurem Gegner nicht nur einen Popanz aufbauen, den ihr bequem und einfach abschießen könnt wie auf einer Schießbude, Ihr müsst, um überzeugend zu sein, ihn immer in seiner stärksten Position nehmen." In den üblichen argumentativen Schlammschlachten zum Regietheater ist genau das die Strategie: Der Gegner wird zum Popanz, den man lächerlich und verächtlich macht. Genau das geschieht durch das Argument des Antisemitismus und Faschismus. Man suggeriert, dass der Werktreue-Anhänger quasi selber zum Antisemiten und Faschisten wird, wenn er z.B. bei Wagners Ring, wo eine Gestalt auftaucht, die als Judenkarrikatur gezeichnet ist, da "Werktreue" fordert. Mit der Verächtlichkeit eines solchen Tuns, Wagners Antisemitismus zu affirmieren durch eine "werktreue" Wiedergabe der Judenkarrikatur, wird dann das Bemühen um Werktreue selber lächerlich und verächtlich gemacht. Das ist aber schlicht eine Sophisterei. Denn der Antisemitismus gehört im Falle Wagner zum Werk. Eine werkgerechte Inszenierung berücksichtigt das auch. Auch die "problematischen" Seiten gehören zum Werk. Es ist dann nur die Frage, wie eine Inszenierung damit umgeht. Sie kann natürlich nicht einfach einen hässlichen Juden auf der Bühne zeigen. Aber sie kann z.B. zeigen - und das ist "werkgerecht" - dass es von Wagner hässlich ist, einen hässlichen Juden auf der Bühne zu zeigen.


    Ebenso baut man einen argumentativen Popanz auf, wenn man behauptet, dass wenn Jemand von RT-Apologeten spricht, sei dies nur eine Schublade wie klauende Polen. Wenn der Diskussionsgegner ins Siel bringt, dass Peter Konwitschny gesagt hat: "Ich mache kein Regietheater", dann sagen sie, das könne man nicht Ernst nehmen und sei nur strategisch gegen die RT-Hasser so gesagt. In Wahrheit mache Konwitschny also natürlich RT. Dann, wenn derselbe Kontrahent in der Diskussion von "RT-Apologeten" spricht, sagt man, das sei albernes Schubladendenken und sie sagen: "Es gibt kein RT!" - also genau das Gegenteil. Das erfüllt die klassische Beschreibung des Sophisten, der sich immer herauswindet wie ein Aal und den man nie zu fassen kriegt. Oder: Das ist so wie der berühmte Pudding von Herbert Wehner, den man versucht an die Wand zu nageln. Man zeigt damit nur, dass man den Gesprächspartner lächerlich machen will und nicht Ernst nimmt. In Wahrheit ist eine Bedeutung sinnvoll nur in dem Sprachspiel, das gerade gespielt wird. (Ludwig Wittgenstein.) Im Sprachspiel Wissenschaft ist "Regietheater" problematisch, es wird aber sehr wohl zur Selbstbeschreibung etwa von Künstlern selber verwendet oder man kann es eben pragmatisch sinnvoll verwenden, um Bieito von einer klassischen Inszenierung zu unterscheiden.


    So viel nur dazu.

  • Schade! Ich dachte, es kommt nun endlich der langersehnte Hinweis darauf, warum es eine Pflicht zur Werktreue gibt. Stattdessen nur viel Trockeneis, hinter dessen Nebel die Dürftigkeit der stillschweigenden Modifikation der nach wie vor nicht begründeten Anordnung zu: »den Anweisungen des Autors ist Folge zu leisten, es sei denn Dr. Holger Kaletha ordnet etwas anderes an« versteckt werden soll. Hat nicht geklappt.

  • Seit wann denn nicht mehr? Bisher hast Du doch nichts anderes gespielt und versucht, andere zum Mitspielen zu veranlassen. Na, schön. Dann ist endlich Ruhe,


    Nur noch diese Bemerkung: Wenn es eine allgemein verbindliche Verpflichtung gibt, ist sie allgemein verbindlich, oder es gibt sie gar nicht. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Nutzanwendung: Wenn Werktreue verbindlich ist, ist sie es entweder immer oder gar nicht. Wenn es aber keine Verpflichtung zur Werktreue gibt (die Du freilich behauptest), ist es bestenfalls eine Empfehlung, die jede ganz nach Belieben befolgen kann oder nicht.


    Ein Beispiel: Ich empfehle Dir, Dich nicht weiter zu blamieren. Aber wenn Du der Empfehlung nicht folgen willst, ist das selbstverständlich kein Problem. Du kannst Dich frei entscheiden, da kann Dir niemand reinreden. Ebenso wenig wie den Theaterkünstlern bei ihrem Umgang mit einem dramatischen Kunstwerk – wenn so eines überhaupt verwendet wird, was bekanntlich nicht erforderlich ist.

  • Eine Verpflichtung achten und übernehmen heißt eben nicht, dass man das genau so übernehmen muss, was einen verpflichtet. Das hat der Philosoph Emanuel Levinas klar gemacht. "Wir sind die Geisel des Anderen." - d.h. der Andere stellt eine absolute Verpflichtung dar. D.h. aber nach Levinas nicht, dass man den Ansprüchen, die der Andere stellt, immer und in jedem Fall verpflichtet ist zu folgen. Nein. Man ist nur dazu verpflichtet, sich den Ansprüchen des Anderen zu stellen und dem nicht auszuweichen. Man ist also verpflichtet, dem Anderen eine verpflichtende und verbindliche Antwort zu geben. Darauf hat er ein Recht. Wenn die nun so aussieht, dass man seinen Ansprüchen nicht folgt, muss gerade auch das eine wirklich verbindliche und verpflichtende Antwort sein. Sonst ist das unethisch und unverbindlich. Ein solches unethisches Verhalten liegt vor, wenn man den Anderen und seine Ansprüche schlicht ignoriert. Dann realisiert man nicht, dass man immer die Geisel des Anderen ist und das auch bleibt. Wenn also Wagner als Komponist dem Regisseur verpflichtende Vorschriften macht was die Aufführung seiner "Meistersinger" angeht, sind wir mit Levinas die "Geisel" von Wagner. Dieser Verpflichtung wird der Theaterkünstler nun nicht gerecht, wenn er einfach Wagners Forderung und Aufforderung, seiner Intention unbedingt zu folgen, die ihn gleichsam in Geiselhaft und -haftung nimmt, ausweicht und sie ignoriert. Dann ist das unethisch (ja, auch in der Kunst gibt es Moral, siehe Jean-Paul Sartre), weil nämlich Wagner das Recht hat, eine verbindliche Antwort darauf zu bekommen, warum man seinem verbindlichen Anspruch hier nicht zu folgen bereit ist. Und diese Antwort haben die beteiligten RT-Künstler schlicht verweigert, sind also ausgewichen. Die Sophistik ist dann, dass man dieses Ausweichen verschleiert, indem man diese Verpflichtung einer Antwort auf den Anderen abschiebt und sich dadurch aus seiner Verantwortung und Verpflichtung herauswindet, weil man meint, keinerlei Verpflichtungen und keine Verantwortung zu einer Antwort zu haben. Emanuel Levinas ist übrigens ein jüdischer Philosoph und seine ganze Philosophie eines Humanismus des anderen Menschen ist seine Antwort auf Hitlers Nationalsozialismus. Die komplette Familie von Levinas wurde nämlich von den Nazis umgebracht.

  • Eine Verpflichtung achten und übernehmen heißt eben nicht, dass man das genau so übernehmen muss, was einen verpflichtet. Das hat der Philosoph Emanuel Levinas klar gemacht.

    Geht es nicht mal zehn Minuten ohne Namedropping und Autoritätsbeweise? Wenn eine Anordnung nur bedingt gilt, muss sie die Bedingungen enthalten, sonst wird das nichts. Wenn mir irgendwer in diesem Punkt widerspricht, widerspreche ich ihm auch, und fertig ist die Laube.


    Aber wir sind ja noch gar nicht an dem Punkt. Es lohnt sich gar nicht, über eventuelle Ausnahmen von der Verpflichtung zu sprechen, so lange nicht klar ist, ob es diese Verpflichtung überhaupt gibt. Und dazu wäre die Frage zu beantworten, wie es zu dieser Verpflichtung kommt. Die Frage ist nach wie vor ungeklärt, und Du bist ihrer Beantwortung nach wie vor keinen Millimeter näher gerückt. Die Frage nach den möglichen Einschränkungen entspricht also der nach der Haarfarbe des Sohns eines unfruchtbaren Frau, um mal eine in buddhistischen philosophischen Texten beliebte Wendung zu adaptieren.

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