Es war in der ersten Phase meiner Beschäftigung mit klassischer Musik: Ich drehte das Radio auf - und hörte etwas Unglaubliches: Einen Marsch, der eben seinen Höhepunkt erreicht hatte, dann die krachenden Final-Schläge. Und dann folgten andere Sätze, die auf mich einen ungeheuren Eindruck machten: Musik, die Farbe geworden ist, Farbe die Musik geworden ist. Metallisches Leuchten.
Laut Ansage war es eine Suite "The Planets", der Komponist:
Gustav Holst.
(1874-1935)
Der Zufall wollte es, dass ich wenig später Geburtstag hatte, "The Planets" stand ganz oben auf der Liste. Aber meine Mutter nützte die Gelegenheit, dass ein Bürokollege nach England fuhr - und so bekam ich zum Geburtstag die "Planeten" und genau einen Tag später eine kleine Holst-Sammlung mit Schätzen, die damals in Österreich alle nicht zu bekommen waren:
Hymn to Jesus, Choral Symphony, Fugal Concerto, Savitri...
Die Oper kam zuerst dran, Savitri aufgelegt - mein Gesicht wurde länger und länger: Deklamation, karge Begleitung. Nichts für mich.
Also Hymn to Jesus: Das Gesicht wurde noch länger.
Choral Symphony: Äh, hoffentlich merkt's meine Mutter nicht, wie sehr ich mich nicht freue.
Fugal Concerto - ich fürchte, sie merkt's...
Was ist passiert? - Nun, ich ging mit der falschen Erwartungshaltung an die Sache heran, und rund ein Jahr später wusste ich meine Geschenke zu würdigen. Und um diesen anderen Holst, den Komponisten jenseits der Planeten, soll es hier gehen. (Die Planeten haben übrigens einen eigenen Thread - gut so, sie verdienen ihn, so viele Dauerbrenner hat die Musik des 20. Jahrhunderts schließlich nicht.)
Der andere Holst also: Eine seltsame Erscheinung. Er interessierte sich für die indische Kultur, aber nicht wie es der Bürger eines Kolonialstaates macht, also quasi als herrschender Tourist. Holst wollte wirklich in die indische Kultur eindringen und lernte deshalb sogar Sanskrit. Er komponierte Hymnen aus den Veden, oft in eigener Übersetzung. Und er schenkte uns die Oper Savitri nach einer indischen Legende. Das ist ein kurzes Stück, eine Geschichte, wie eine Frau den Tod überlistet. Die Musik ist einem Orchesterchen von drei Kolzbläsern und ein paar Solostreichern anvertraut, dazu singt ein wortloser kleiner Frauenchor. Das Werk ist von einzigartiger Schönheit, geradezu magisch in seiner Ruhe und Zärtlichkeit.
Ein einzigartiges Werk ist auch die Hymn to Jesus: Holst geht zwar nicht unter die Atonalen, aber seine Harmonik ist durch Modalität (also künstliche Tonleitern - das hat er von den Indern gelernt) und Chromatik stark erweitert, die Harmonik steckt voller Tritonusintervalle und Quarten. Dadurch erzeugt Holst den Eindruck einer gespannten Ruhe. Auch das Orchesterwerk Egdon Heath gehört zu diesen Werken, in denen scheinbar wenig und doch so viel geschieht.
Holst war auch einer der ersten, der sich für die alte englische Musik interessierte in der Überzeugung, dass ein Nationalstil nicht durch triumphale musikalische Rhetorik entsteht, sondern auf dem Boden der Tradition - und dazu gehört nicht nur die alte Musik, sondern auch das Volkslied: Und so sammelten Holst und Vaughan Williams Volkslieder und bearbeiteten sie für den Konzertgebrauch, wobei Vaughan Williams traditioneller vorging, während Holsts Bearbeitungen in ihrem Versuch, das harmonische Material aus dem melodischen zu gewinnen, im Ansatz an Bartók erinnern (freilich ohne dessen Volksliedsätze zu erreichen).
Unvollständig wäre meine kurze Präsentation Holsts, würde ich nicht das von mir heiß geliebte "Short Festval Te Deum" erwähnen: Das sind rund 5 Minuten hymnisch aufrauschender Musik - nur der Schluss "Let me never be confounded" wird vom Chor leise hingehaucht: Binnen weniger Sekunden schwenkt Holst von der Festlichkeit um zur bitteren Erkenntnis des Todes. Und mit dieser erschütternden Geste lässt er das Werk ganz leise enden.
Und nun gebe ich die Stafette weiter - welche Werke Holsts abseits der "Planeten" sind Euch untergekommen, wie groß (oder wie klein) war die Überraschung über diesen "anderen" Holst und wie kommen diese Werke jenseits der Planeten bei Euch an?