Martti Talvela: Ein sanfter Riese

  • Da nun plötzlich etwas überraschend wieder der Thread über Talvela fortgesponnen wird, möchte ich ein paar Worte über den beginn seiner Karriere anfügen. Er kam 1962 nach Berlin, nachdem er zuvor an der Königlichen Oper in Stockholm verpflichtet war. Seinen ersten Auftritt hatte er als Minister in der Premiere des Fidelio unter Karl Böhm. Die Aufführung war damals ein riesiger Erfolg - nur nicht für Talvela. Er stand ziemlich linkisch auf der Bühne herum und war so aufgeregt, dass er die Stimme überhaupt nicht in den Griff bekam. Es war zum Gott Erbarmen! Für die Opernfans des zweiten Ranges war abgemacht:Fehleinkauf. Der damals in Berlin meinungsbildende Kritiker Hans Hein Stuckenschmidt schrieb im Tagesspiegel, kurz und bündig, dass der junge Mann, der als Minister eingesetzt worden war, sich besser nach einem anderen Berufumsehen sollte! Es war ein Deaster!


    Wenige Wochen Später startete die Deutsche Oper mit Böhm zu einem Japan-Gastspiel. Talvela wurde nicht mitgenommen. Er kam aber zu Hause in der Premiere von Monteverdis "Krönung der Poppea" als Seneca zum Einsatz. Die ganze Einstudierung dieses Werkes war ziemlich lieblos und wäre längst vergessen, hätte nicht Talvela als Seneca die Opernfans schlichtweg umgehauen. Da war plötzlich eine unglaublich starke Bühnenpräsenz, eine intensive Gestaltung und vor allem diese unvergleichlich schöne Stimme. Selbst die eingefleischtesten Melomanen, die eigentlich mit Monteverdi damals gar nichts am Hut hatten, gingen in jede Reprise, nur um diesen wundervollen Bass zu hören. Zum Glück blieb er ja noch viele Jahre erstaunlich fest an die Deutsche Oper Berlin gebunden. Unvergesslich waren seine Auftritte als Sarastro, als Eremit im Freischütz, als Großinquisitor im Don Carlos, später auch als Philipp II, als Fiesco im Simon Boccanegra (Vielleicht die großartigste Produktion in der Aera Maazel: Janowitz, Tagliavini, Wixell, van Dam und Talvela waren eine Traumbestzung!), als Boris in der Schostakovitsch-Bearbeitung von Boris Godunow (unter Maazel), als Gremin, als Marke und schließlich in allen Basspartien von Wagner.


    Gut, dass er dem Rat des Kritikers nicht gefolgt ist!

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

    Einmal editiert, zuletzt von Caruso41 ()

  • Eines meiner großartigsten Bühnenerlebnisse war eine Aufführung von "Boris Godunow" in Stuttgart mit Talvela als Boris und Frick als Pimen. Was diese beiden großen Bassisten an diesem Abend leisteten, wie der eine an dem Können des anderen "wuchs" war phänomenal. Der bekannte Kritiker Kurt Honolka schrieb "Die beiden Bassisten Talvela und Frick machten die Stuttgarter "Boris Godunow"-Aufführung zu einem Ereignis von spektakulärer Bedeutung, ja zum erinnerungswürdigen Ausnahmeereignis". Das begeisterte Publikum lohnte diese Leistungen mit Beifall, wie ich ihn in Stuttgart kaum je hörte..
    Dabei war Talvela auch als äußerst bescheidener, kollegialer Künstler zu erleben, weil er dem damals bereits 71 alten Kollegen Gottlob Frick ganz sichtbar auf der Bühne Beifall und Anerkenung zollte. Wolfram Schwinger der damalige Operndirektor berichtete: " Marrti Talvela sagte, dass dies sein schönster Boris gewesen sei, weil er zusammen mit seinem großen Vorbild Gottlob Frick auftreten durfte".
    Es gibt auch einen hörenswerten Querschnitt des "Boris", in dem die beiden Bassisten zuwammenwirken. Allerdings in umgekehrter Rollenbesetzung Frick als Boris und der junge Talvela als Pimen. (Sony-BMG 88697 30648 2.)
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Hallo, Operus!


    Meinst Du vielleicht den deutsch gesungenen Querschnitt unter Lovro von Matacic? Dort wirkt auch Rudolf Schock mit. Diese Aufnahme finde ich auch durchaus hörenswert.



    Gruß Wolfgang

    W.S.

  • Da der allseits beliebte Gottlob-Frick-Thread immer noch wegen angeblicher Restaurierung geschlossen ist, erlaube ich mir, die Boris-CD hier einzustellen:



    Die Aufnahme von 1965 war 2008 als CD erschienen, scheint aber momentan schon wieder vergriffen zu sein.


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

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  • Durch die Anschaffung dieser DVD, die ich in der Vergangenheit schon mehrfach auf Classica gesehen hatte, wurde ich wieder nachhaltig an den großartigen Martti Talvela erinnert, der in dieser Live-Aufführung ganz klar sängerisch und darstellerisch die Szene beherrscht und den Osmin überragend singt und ihm selten positive, sympathische Züge verleiht. Zusammen mit Norbert Orth als Pedrillo und Reri Grist als Blondchen bildet er eine positive humorige Dreifaltigkeit, der die humorferne Dreiergruppe Bassa Selim-Konstanze-Belmonte ziemlich tatenlos gegenübersteht, wenngleich in den Personen von Edita Gruberova und Franzisco Araiza stimmlich tadellos ausgestattet.
    Aber Martti Talvela ist, wenn auch sicher unbeabsichtigt, der Star dieser Aufführung, von Karl Böhm und dem Staatsopernorchester prächtig musikalisch gestaltet und von August Everding kongenial in Szene gesetzt.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Heute will ich eine Aufnahme vorstellen (1964), die in der singulären Besetzung in den Sechziger Jahren noch im Fernsehen gezeigt wurde, und wo ich den zum Zeitpunkt der Aufnahme gerade 29 Jährigen Martti Talvela kennenglernt habe, ein Kerl wie ein Baum und in der Rolle als Großinquisitor derart überzeugend, wie ich nie einen wieder erlebt habe. Und nicht nur seinetwegen, sondern aller Beteiligten wegen halte ich diese Aufnahme heute noch für die Referenz. Und-- richtig gerechnet: wenn er zum Zeitpunkt der Aufnahme, 1964, 29 Jahre alt war, dann wäre er, der am 4. Februar 1935 in Hiitola (damals zu Russland gehörig) geboren wurde und leider schon allzu früh, mit 54 Jahren in Juva verstarb,


    heute 80 Jahre alt geworden.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Sein Tod war besonders tragisch, da er vor Aufregung bei den Vorbereitungen zur Hochzeit seiner Tochter einen Herzinfarkt bekam und daran starb. Ich höre ihn sehr gerne als Zacharias in diesem NABUCCO-Querschnitt:


    W.S.

  • Ich habe heute mit Begeisterung diesen Thread entdeckt.
    Mertti Talvela habe ich Anfang der 80er Jahre zum ersten Mal an der Deutschen Oper Berlin gehört und zähle seinen "Großinquisitor" in Verdis "Don Carlos" zu den Höhepunkten meiner Opernerfahrungen. Wie leise und doch dämonisch dominant Talvela damals sang, hat die Handlung der Musikdramas völlig motoviert und mich eerschüttert und hingerissen. Mir wurde durch ihn klar: König Philip kann nun nicht mehr anders, nachdem der Großinquisitor ihm zum Sohnesmord geraten hat: Er muss Carlos beseitigen. Talvela sang dies mit unglaublicher Intensität: Nicht durch Lautstärke, sondern durch sein piano dominierte er die Szene.


    Vor ein paar Jahren habe ich in Frankreich eine Box mit Talvela gekauft, die ich so schnell nicht recherchieren kann. Die genauerern Daten werde ich hier nachtragen.

  • Sein Tod war besonders tragisch, da er vor Aufregung bei den Vorbereitungen zur Hochzeit seiner Tochter einen Herzinfarkt bekam und daran starb.


    Lieber Wolfgang!


    Die "Aufregung bei den Vorbereitungen zur Hochzeit seiner Tochter" will ich nicht in Abrede stellen. Richtig ist jedoch, dass er am Vorabend der Hochzeit seiner ältesten Tochter beim Tanz zusammenbrach und in das nahe gelegene Juva gebracht wurde, wo sein Tod festgestellt wurde. Laut Aussage seiner Frau hatte er stark an Diabetes gelitten, seine Lebensweise aber nicht darauf eingestellt.


    Beste Grüße aus Mikkeli (unweit des Talvela'schen Bauernhofs gelegen)
    Peter

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  • Hallo, Peter!


    Schön, wieder von dir etwas zu lesen. Ich hatte und habe noch in meinem Bekanntenkreis Finnen/innen. die mich vor Jahren zweimal zur finnischen Weihnachtsfeier in Köln einluden. Dort hatte ich so von dem Tode Talvelas erfahren. Von der Diabetes war mir allerdings nichts bekannt.



    Herzliche Grüße ins schöne Finnland


    Wolfgang

    W.S.

  • Hallo,
    die Deutsche Oper Berlin hat einen deutschsprachigen Don Carlos auf DVD herausgebracht, da singt Martti Talvela den Großinquisitor (neben Greindl, King, Fischer-Dieskau und Lorengar). Es gibt auch eine Verfilmung der "Entführung" aus München und eine Zauberflöte aus Salzburg mit ihm.
    Schöne Grüße
    wega

  • die Deutsche Oper Berlin hat einen deutschsprachigen Don Carlos auf DVD herausgebracht, da singt Martti Talvela den Großinquisitor (neben Greindl

    Er singt Greindl an dier Wand! :D

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Zitat

    Stimmenliebhaber: Er singt Greindl an die Wand.


    Ich bin mir nicht sicher, aber ich meine, ich hätte diese Aufführung damals auch im Fernsehen gesehen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Zitat

    wega: Hallo, die Deutsche Oper Berlin hat einen deutschsprachigen Don Carlos auf DVD herausgebracht, da singt Martti Talvela den Großinquisitor (neben Greindl, King, Fischer-Dieskau und Lorengar).


    Diese Aufnahme besitze ich natürlich. Sie ist zwar in s/w, aber trotzdem interessant. Ich muß sie mir baldigst wieder anschauen. :yes:

    W.S.

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  • Heute ist Martti Talvelas Todestag. Er starb am 22. Juli 1989. Zu diesem Anlass habe ich aus meiner Sammlung dies ausgesucht:



    Heute ist Martti Talvelas 26. Todestag.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Am 4. Februar 2021 wäre Martti Talvela 86 Jahre alt geworden. Kurz nachdem er zum Intendanten der Finnischen Nationaloper ernannt worden war, verstarb er am 22. Juli 1989 unter tragischen Umständen: Anlässlich der Hochzeitsfeier einer seiner beiden Töchter war er beim Tanzen zusammengebrochen und in der folgenden Nacht in einem Krankenhaus in Juva verstorben. Er war nur 54 Jahre alt geworden.


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    Bayreuth 1962 (Foto : Peter Schünemann)


    1962 debütierte bei den Bayreuther Festspielen in einem von Hans Knappertsbusch geleiteten “Parsifal” ein junger Mann, dessen balsamisch weich timbriertes Material auffiel, obwohl er als greiser Titurel gar nicht aufzutreten, sondern nur hinter der Bühne zu singen hatte. Diese relativ wenigen Takte reichten aus, um in ihm ein begnadetes Talent zu erkennen. Nachzuprüfen ist dieser Eindruck in einer Schallplatteneinspielung, die wegen ihres Referenzcharakters auch auf CD überspielt wurde und noch heute zu den besten Aufnahmen dieses Werkes zählt. Inmitten eines Elite-Ensembles (Dalis, Thomas, London, Neidlinger, Hotter) konnte sich dieser junge Unbekannte so behaupten, dass er zwei Jahre später wieder eingeladen wurde – dieses Mal, um eine Hauptpartie zu singen, den Landgrafen Hermann im “Tannhäuser”, und das neben solchen Wagner-Größen wie Leonie Rysanek und Wolfgang Windgassen. Von nun an gehörte Talvela zum unverzichtbaren Inventar der Bayreuther Festspiele und brillierte bis zum Jahre 1970 in so unterschiedlichen Partien wie Fasolt, Hunding, Marke oder Daland, und wenn es nach Wolfgang Wagner gegangen wäre, der nach dem frühen Tod seines Bruders Wieland die Festspielleitung übernommen hatte, hätte Martti Talvela auch weiterhin in Bayreuth gesungen. Doch diesem erging es wie den meisten Finnen: Sie bekommen Heimweh nach dem unvergleichlich schönen Sommer in ihrer Heimat. Und so kehrte Talvela den Bayreuther Festspielen den Rücken, um wenigstens im Sommer nach Finnland zurückzukehren.


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    Mit Wieland Wagner, Bayreuth 1964 (Foto : Peter Schünemann)


    In Finnland übernahm er 1974 (von 1972 bis 1974 war er Vorsitzender des künstlerischen Komitees gewesen) die künstlerische Leitung der erst sechs Jahre zuvor wieder aufgenommenen Opernfestspiele in Savonlinna und führte diese in seiner sieben Sommer-Spielzeiten andauernden Direktion zu neuer Blüte und internationalem Renommee. Eine seiner ersten Amtshandlungen war es, den Regisseur August Everding nach Savonlinna zu verpflichten, unter dessen Regie er 1969 in Bayreuth den Daland gesungen hatte, und Everdings erste Produktion in der Burg Olavinlinna, Mozarts “Zauberflöte" (Talvela sang den Sarastro), wurde zu einem Publikumsmagneten, so dass diese Inszenierung bis 1998 auf dem Spielplan des Festivals blieb. Talvelas große Pioniertat war es auch, zeitgenössische finnische Komponsten für Savonlinna zu gewinnen. So wurden in diesen Jahren Aulis Sallinens “Der Reitersmann” und Joonas Kokkonens “Die letzten Versuchungen” mit Talvela als Protagonisten aufgeführt. Auch die Nachwuchsförderung kam nicht zu kurz: In seiner Zeit sangen auch solche Bassisten wie Matti Salminen (er hatte 1968 noch – aus dem Opernchor hervorgegangen – den 2. Gefangenen im “Fidelio” gesungen), Jaakko Ryhänen oder Heikki Toivanen (Bayreuth-Besuchern als Fasolt in Chéraus “Ring” in Erinnerung). Doch die Doppelbelastung aus künstlerischer Leitung und Singen war auf die Dauer zuviel, und so erfüllte Talvela sich zusammen mit seiner Frau Annukka einen Jugendtraum und kaufte einen im idyllischen Wald- und Seenfinnland, für viele dem schönsten Teil Finnlands, gelegenen Bauernhof, um ihn ökologisch zu bewirtschaften.


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    Bayreuth 1964 (Foto : Peter Schünemann)


    Der Kreis hatte sich geschlossen – Martti Talvela war zu seinen Wurzeln zurückgekehrt. Am 4. Februar 1935 war er als achtes von zehn Kindern einer Bauernfamilie im karelischen Hiitola geboren, das, bevor es als Folge des 2. Weltkrieges von der Sowjet-Union annektiert wurde, zu Finnland gehört hatte. In seiner Jugend war er ein bekannter Sportler gewesen (u.a. finnischer Meister im Schwergewichtsboxen). Schon als Lehrer tätig (während des Studiums lernte er seine spätere Frau kennen), begann er 1956 in Lahti mit dem Gesangsstudium, das ihn mit dem Gewinn von Gesangswettbewerben in Vaasa und Helsinki zu ersten Erfolgen führte. Als er 1961 an der Finnischen Nationaloper von Helsinki für ein Engagement vorsang, wurde er allerdings zu seiner großen Enttäuschung nicht genommen. Stattdessen ging Talvela nach Stockholm, um dort bei Carl Martin Öhman, dem Lehrer Jussi Björlings und Nicolai Geddas, weiterzustudieren. An der Königlichen Oper von Stockholm debütierte er im Herbst 1961 als Sparafucile in Verdis “Rigoletto”, wurde aber bereits ein Jahr darauf an die 1961 wiedereröffnete Deutsche Oper Berlin verpflichtet, wo er als Ensemblemitglied zwar auch in kleinen Partien eingesetzt wurde, doch mit dem Seneca in Monteverdis “Krönung der Poppea” oder dem Sarastro erste große Erfolge im ersten Bassfach hatte. In Berlin hatte jedoch ein lang gedientes Ensemblemitglied wie Josef Greindl naturgemäß ältere Rechte als der noch nicht Dreißigjährige, und so ergriff Talvela die Gelegenheit, an der Rheinoper von Düsseldorf, der er neben Berlin ab 1964 als Mitglied angehörte, Partien zu singen, die ihm in Berlin (noch) versagt blieben. Dort sang er auch zum ersten Mal den Philipp in Verdis “Don Carlos” und mit dem Zaren in Mussorgskys “Boris Godunow” eine Partie, die zu einer seiner erfolgreichsten wurde und die er an die hundert Mal in verschiedenen Sprachen sang.


    Als August Everding Intendant der Hamburgischen Staatsoper wurde, holte er auch den finnischen Sänger nach Hamburg (unvergessen die beiden Bass-Giganten Nicolai Ghiaurov und Talvela in Mussorgskys “Chowantschina”); später, als Everding nach München ging, war der finnische Sänger auch dort oftmals zu Gast.



    Parallel dazu begann eine bemerkenswerte internationale Karriere, die Martti Talvela auf die Bühnen der größten Opernhäuser der Welt brachte. Schon früh debütierte er an der Mailänder Scala, wo er als Großinquisitor Furore machte – und das neben einem Ghiaurov als Filippo! 1965 debütierte er an der Wiener Staatsoper (König Heinrich im “Lohengrin”), und bereits zwei Jahre später verpflichtete ihn Herbert von Karajan nach Salzburg, wo er neben Wagner (Fasolt, Hunding) auch Mozart sang. Außer als Osmin wird man ihn dort vor allem als idealen Sarastro in Erinnerung behalten, den er in der berühmten Ponnelle-Inszenierung unter der Leitung von James Levine verkörperte. 1968 gastierte er erstmalig an der Metropolitan Oper (neben dem Großinquisitor sang er dort auch Boris, Dosifej und Sarastro), und 1970 debütierte er an Londons Covent Garden, wo man ihn nicht nur u.a. als Gurnemanz und Dosifej, sondern auch bei einem seiner seltenen Auftritte als Hagen hören konnte. Später kam auch die Grand Opéra in Paris hinzu, und 1977 hatte er als einer der wenigen nicht-russischen Sänger, die dort gastierten, die Ehre, am Bolschoi-Theater von Moskau und am Kirow-Theater im damaligen Leningrad nicht nur Verdis Filippo zu verkörpern, sondern mit Mussorgskys Boris auch in die Domäne der russischen Bassisten vorzudringen.



    Martti Talvelas Stimme war die eines echten Basso profondo, in dessen weichem Timbre sich seine große Menschlichkeit widerspiegelte, die ihn als Person auszeichnete. Anders als die Stimmen seines finnischen Vorgängers Kim Borg oder seines Nachfolgers Matti Salminen, war sein Material wärmer, weniger knorrig – darin vergleichbar Jaakko Ryhänen, der bei aller Individualität in vielem an Talvela erinnert. Bezeichnenderweise hat er Wagners “Götterdämmerungs”-Hagen, der ihm von der Anlage der Figur fern lag und für den sein Timbre auch zu weich war, nur selten interpretiert – ebenso bezeichnenderweise errang er mit dem Boris seine größten Erfolge, weil oder obwohl er das Klischee nicht bediente, das seit Schaljapins Zeiten wie Patina auf dieser Partie lag. Der expressionistische Gestus des großen Russen war ihm fremd; er war ein auf Linie singender Boris, der in Übereinstimmung mit seiner introvertierten Persönlichkeit mehr den durch seine Gewissensqualen gepeinigten Menschen als den Herrscher darstellte und dadurch um nichts weniger beeindruckte. Zum Glück für die Nachwelt ist Martti Talvelas Stimme in vielen Aufnahmen der Schallplattenindustrie festgehalten worden, ob in Bayreuther Live-Mitschnitten (Titurel, Fasolt, Marke) oder Studio-Aufnahmen (neben vielen anderen: Boris unter Semkow, Sarastro unter Levine und Solti, Daland unter Klemperer, Fasolt und Hunding unter Karajan).


    Überall, wo man dem Künstler und dem Menschen begegnete, wurde Martti Talvela nicht nur die Bewunderung, sondern auch die Verehrung seines Publikums zuteil – dank seiner Stimme und seiner auf Menschlichkeit beruhenden Ausstrahlung. Zumindest für die an Musik interessierten Finnen ist er auch heute noch wie ein Nationalheld, der sich um sein Land und dessen Kultur verdient gemacht hat, und schon zu seinen Lebzeiten ehrte ihn die Stadt Mikkeli (sein Bauernhof, der noch heute von seiner Familie bewirtschaftet wird, liegt in der Nähe dieser Stadt), indem sie den großen Saal in ihrem Konzerthaus nach ihm benannte.


    Beste Grüße aus Mikkeli / Finnland


    Peter

  • Lieber Peter,


    danke für Deine kenntnisreiche, liebevolle und detaillierte Würdigung des (im doppelten Sinne ;) ) großen Bassisten. :thumbup:

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Die erwähnte Zauberflöte unter Levine aus Salzburg gibt es immer noch im Netz


    https://my.mail.ru/mail/tsavkilov_a/video/1008/1079.html




    Sarastro – Martti Talvela; Tamino – Peter Schreier; Sprecher - Walter Berry; Erster Priester – Peter Weber; Zweiter Priester – Horst Nitsche; Konigin der Nacht – Edita Gruberova; Pamina – Ileana Cotrubas; Erste Dame – Edda Moser; Zweite Dame – Ann Murray; Dritte Dame – Ingrid Mayr; Papageno – Christian Boesch; Papagena – Gudrun Sieber; Monostatos – Horst Hiestermann; Erster Geharnischter – William Lewis; Zweiter Geharnischter – Kurt Rydl; Sklave – Christian Spatzek; Drei Knaben – Soloists of the Tolzer Knabenchor. Konzertvereinigung Wiener

    Staatsopernchor, Wiener Philharmoniker – James Levine. 1982. Directed for Stage by Jean-Pierre Ponnelle.

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Von dieser Aufnahme gab es bei ihrem Erscheinen eine Zweitversion auf RCA mit nahezu identischer Beesetzung, also auch mit Talvela.

    Lediglich der Tamino wurde ausgetauscht. Statt Peter Schreier singt auf der CD Eric Tappy. Kein Vorteil IMO, aber vermutlich gab die DGG oder soinstwer Schreier nicht für die Aufnahme frei....


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Vielen Dank Peter Schünemann für die ausführliche Würdigung von Martti Talvela zu dessen posthumen 86. Geburtstag. In dankbarer Erinnerung ist mir der tiefe Eindruck, den sein König Marke bei mir hinterließ. Der Jubilar sang die Partie bei meinem ersten "Tristan" überhaupt. Viele Jahre mussten ins Land gehen, bis mich ein Fachkollege des großen Martti Talvela in dieser Partie ähnlich tief berührte, der wesentlich weniger prominente Heinz Klaus Ecker.

  • Vielen Dank für die freundlichen Worte zu meinem Talvela-Beitrag, den ich auf Initiative von Caruso41 vom Erinnerungsthread übernommen habe.


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    Kollegen im Gespräch : Gerd Nienstedt, Hermann Winkler, Martti Talvela. Bayreuth 1964 (Foto : Peter Schünemann)


    Gern möchte ich ihn durch einige persönliche Erinnerungen ergänzen. Bei meinem ersten Besuch des Gergiev-Festivals in Mikkeli 1995 traf ich auch auf Seppo Heikinheimo, der es 1992 als Kammermusik-Festival gegründet hatte, bevor Gergiev und sein Mariinsky-Theater es ein Jahr später übernahmen. Heikinheimo war ein anerkannter Musikwissenschaftler und - schriftsteller, aber auch ein wegen seiner scharfen Zunge gefürchteter Kritiker. Zu den Biografien, die er über Künstler verfasst hatte, gehörte auch eine über Talvela. Beim ersten Blättern in ihr fiel mir gleich auf, dass zwei Fotos, die ich von Talvela aufgenommen hatte, abgedruckt waren, und zwar die von Bayreuth 1964. Ich vermute, dass Talvela sie von mir in seiner Hamburger Zeit bekommen und an Heikinheimo weitergegeben hatte. Da ich nur Fan und kein professioneller Fotograf war, hatte ich sie natürlich nicht mit einem Copyright-Stempel versehen, und so fehlte der Name des Fotografen.


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    Martti Talvela in Berlin 1965 (Foto : Peter Schünemann)


    Entweder im selben Jahr oder 1996 fiel mir bei einem Empfang des Festivals eine Dame auf, wahrscheinlich, weil sie sich mit einer Freundin auf Deutsch unterhielt. Sie kam mir bekannt vor, und so sprach ich sie an : "Verzeihung, aber kennen wir uns?" Und sie antwortete, sie sei Frau Talvela, der ich aber nie vorher begegnet war. Es kam sofort zu einem sehr netten Gespräch, und Frau Talvela lud mich gleich am nächsten Tag ein, sie auf dem in der Nähe von Mikkeli gelegenen Bauernhof besuchen, den sie mit ihrem Mann bewirtschaftet hatte. Dort wurde unser Gespräch in einer herzlichen Weise fortgesetzt, als ob wir uns schon lange kannten.


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    Martti Talvela als Kecal, Hamburg 1986 (Foto : Peter Schünemann)


    Nach Deutschland zurückgekehrt, schickte ich ihr einige MCs mit Privat-Aufnahmen Talvelas, für die sie sich mit von ihr aus der Wolle ihrer Schafe selbst gestrickten Socken bedankte, die mir heute im finnischen Winter gute Dienste leisten. Später folgte noch ein ebenso hergestellter Pullover, bei dem sie wohl die Maße ihres Mannes im Kopf gehabt haben musste. Auch dieses Geschenk ist heute hoch willkommen und wird von mir in Ehren gehalten.


    Da meine "Tätigkeit" für das Mikkeli Music Festival darin bestand, Valery Gergiev in Sachen Programmplanung zu beraten bzw. ihm Programme vorzuschlagen, rannte ich bei ihm offene Türen ein, wenn es darum ging, Martti Talvela zu Geburts- oder Gedenktagen durch besondere Konzerte zu ehren, denn - wie Gergiev sich erinnerte - habe Talvela auch in Russland einen guten Ruf. Anna Talvela, von allen nur Annukka genannt, verstarb am 20. Juni 2016 und überlebte ihren Mann damit um 27 Jahre.


    Beste Grüße aus Finnland


    Peter

  • Siehst Du, lieber Peter Schünemann, Deine Erinnerung an Martti Talvela hat sofort andere Opernliebhaber animiert, auch ihre Erinnerungen mitzuteilen und ihre Wertschätzung auszudrücken. Das Format des Künstler-Gedenktage-Threads wäre dafür wohl ungeeignet gewesen. Und das hätte ich schade gefunden.


    Den größten Teil seiner Karriere hat Talvela ja in Berlin gewirkt. Darüber habe ich oben schon ein paar Bemerkungen gemacht: Martti Talvela: Ein sanfter Riese
    Darüber gäbe es freilich noch mehr zu berichten. Im Augenblick habe ich leider nicht die Zeit dafür. Aber ich werde ganz bestimmt noch was schreiben!


    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Hallo,

    bei einem meiner ersten Berlin-Besuche sang Martti Talvela inder DO den Kezal, umwerfend. Ich habe auch eine DVD aus der MET mit ihm in dieser Rolle, mit Teresa Stratas und Nicolai Gedda, in englisch ,aber auf jeden Fall hervorragend.

    Schöne Grüße

    wega

  • Unvergesslich waren seine Auftritte als Sarastro, als Eremit im Freischütz, als Großinquisitor im Don Carlos, später auch als Philipp II, als Fiesco im Simon Boccanegra (Vielleicht die großartigste Produktion in der Aera Maazel: Janowitz, Tagliavini, Wixell, van Dam und Talvela waren eine Traumbestzung!), als Boris in der Schostakovitsch-Bearbeitung von Boris Godunow (unter Maazel), als Gremin, als Marke und schließlich in allen Basspartien von Wagner.

    Die Fettung habe ich eingefügt, weil ich gerade Talvela in der Rolle des Gremin aus Eugen Onegin gehört habe. Es ist ein Querschnitt in deutscher Sprache aus der DG-Box mit Opern in deutscher Sprache.


    Cover für die Musiksammlung


    Martti Talvela war für mich immer einer der ganz großen Sänger. Erstaunlich, was ich da von Caruso41 über den Fidelio unter Böhm in Berlin lesen musste. In der Tat muss man froh sein, dass, wie Caruso schrieb, der Sänger nicht auf den Kritiker gehört hat.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

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