Unvergessliche Livekonzerte - ich war dabei

  • Liebe Jazzfreunde,


    Jazzplatten bzw. -CDs, toll und unverzichtbar. Plattensammeln - das war eine Religion für mich; mit den Plattencovern der großen Labels könnte viele, ich ein ganzes Zimmer tapezieren.


    Aber die Livekonzerte - das waren zum Teil unvergessliche Erlebnisse, die unter die Haut gingen und sich immer noch dort befinden; da kribbelt es auch nach Jahrzehnten noch, wenn ich daran denke.


    Ich höre aber auch mit sehr viel Freude zu, wenn andere von ihren Konzerterlebnissen erzählen. Vielleicht ergeht es einigen von Euch ja auch so. Deshalb mein Vorschlag: lasst uns doch gegenseitig erzählen, welchen unvergesslichen Konzerten wir beigewohnt haben und welche großen Jazzer wir erlebt haben (mein Vorschlag: keine aufzählenden Listen, das ist leblos und ermüdet). Vielleicht kommt ja auch die eine oder andere kurze Beschreibung dazu.


    Ich werde mir gleich ein erlebtes Konzert aussuchen und gerne beginnen.


    Schöne Grüße,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Hallo,


    in der Hoffnung, dass es ein wenig interessiert, möchte ich mit einem Konzert aus der Tonhalle Düsseldorf beginnen. Es muss vor 25 bis 30 Jahren gewesen sein. Ich sah zum ersten Mal den großen Trompeter Dizzy Gillespie (der mit dem dicken Hals, wenn er bläst). Er konzertierte mit einer Combo, ich glaube im Sextett. Außer ihm erinnere ich mich noch an den Flötisten James Moody.


    Ich habe in meiner Jugend schon viel über Dizzy Gillespie gelesen und viele Plattenaufnahmen (u.a. auf Verve) besessen. Und genauso genial, wie ich ihn mir vorgestellt hatte, war er.


    Mir war klar, dass Dizzie ein lustiger Vogel sein musste, er hat ja, auch in berühmten Orchestern, viel Blödsinn gemacht; außerdem hat er das Trompetenrohr unglaublich nach oben gebogen.


    Auch auf dem genannten Konzert versprühte er viel Humor und Lockerheit, aber auf welchem Niveau! Das war schon erste Sahne, wie kraftvoll und gleichzeitig locker er spielte. Da war nichts zu hören von abgelatschten Melodiephrasen, das waren immer wieder neue, unverkrampfte Ideen, die mühelos aus Dizzy Gillespie heraussprudelten Natürlich waren Bossa Nova-Einflüsse sehr spürbar, aber auch Jazz, wie er ihn noch zu Beginn der Bebopzeit gespielt hatte.


    Ein unvergessliches Erlebnis.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Hallo,
    unvergeßlich, aber leider traurig:
    Ich denke immer wieder an eines der letzten Konzerte, welche Michel Petrucciani gab-bei den Leverkusener Jazztagen kurz vor seinem Tod.


    Er war anscheinend mit dem Flügel nicht zufrieden, vielleicht hatte er aber auch starke Schmerzen-ich weiß es nicht.
    Er knötterte herum, war sauer und drosch dann auf das Instrument ein, daß es nicht mehr schön war.
    Ich hatte mich sehr auf seinen Auftritt gefreut, aber es war dann nur furchtbar.
    Kurz danach war er tot, es war die letzte Gelegenheit, ihn live zu hören, aber das wußte ich damals natürlich nicht.


    Ich erinnere mich auch sehr lebhaft an ein Konzert mit Stan Getz in Düsseldorf 1980.
    Er war im Gegensatz zu Gillespie ganz sicher kein lustiger Vogel(ob Gillespie das wirklich war... ?( ), schimpfte von der Bühne aus den Tonmeister an, zeigte ihm einen Vogel und ging beim Klaviersolo erstmal gut sichtbar für das Publikum betont gelangweilt eine rauchen und etwas trinken.
    Gespielt hat er toll aber, wie das nunmal ist,es sind mir vor allem diese Dinge im Gedächtnis haften geblieben.


    Noch was interessantes, was ich nicht vergesse:
    Anfang der 90er arbeitete ich nebenher in einem Tonstudio und einer unserer damaligen Jobs war eine Live-Aufnahme mit Georgie Fame beim Northsea-Jazz Festival.
    Fame kiffte hinter der Bühne und sah völlig abgehalftert aus.


    In dem Augenblick, in dem er die Bühne betrat, war er voll da, hatte enorme Ausstrahlung, war charmant und riß das Publikum unglaublich mit.
    Die damalige RTL-Big Band spielte sich die Seele aus dem Leibe.


    Er strahlte eine ungeheure Energie aus-solange er auf der Bühne war.
    In dem Moment, als er abtrat, wurde er wieder zu dem vollgekifften Wrack, welches er vorher schon war.
    Ich fasse das heute noch nicht.
    In jedem Falle sehr professionell :D
    Aber bitte nicht nachmachen :no:


    LG,
    Michael

  • Zitat

    Original von Michael Schlechtriem


    Fame kiffte hinter der Bühne und sah völlig abgehalftert aus.


    Hallo Michael und alle anderen,


    ich ging so um 1994 herum zu einem Konzert des großartigen Trompeters Freddie Hubbard, immerhin einer meiner Heroen von Plattenaufnahmen der sechziger Jahre. Der Mann war sternhagelvoll, hatte seine rechte Hand verbunden, was (so erzählte mir der Veranstalter später) von einem Sturz im Suff herrührte. Nach zwei oder drei Stücken und nicht der mindesten Chance, einen vernünftigen Ansatz an der Trompete zu finden, wankte er grußlos von der Bühne. Seine Band folgte ihm verunsichert. Lautstarker Unmut im Publikum. Dann fasste sich der Pianist Kirk Lightsey ein Herz, kehrte zurück und improvisierte unter großem Applaus zwei Solo-Stücke. Dann folgte der Rest der Band und spielte ohne den indisponierten Chef noch fast zwei Stunden ein großartiges Konzert zuende, das frenetisch bejubelt wurde. Und dann das dollste: Zum Schlussapplaus begab sich auch Hubbard wieder an die Rampe, als wäre nichts gewesen! Lightsey kündigte übrigens nach den noch zwei ausstehenden Konzerten seinen Dienst in der Combo...
    Aber wie man sieht, blieb das ein unvergesslicher Abend.


    Gruß
    B.

  • Hallo,


    ein weiteres Konzert-Highlight, das vor allem ziemlich unerwartet kam:


    1993 brachte Saxophonist Joshua Redman sein zweites Album mit den Großmeistern Charlie Haden und Pat Metheny heraus. Die Konzert-Ankündigung deutete auf eben jene Besetzung hin. Wir fuhren also nach Hamburg, waren so ziemlich die ersten Gäste in der Kampnagel-Fabrik und wunderten uns, warum ein Flügel auf der Bühne stand. Metheny spielte jetzt also Klavier? Schließlich betraten die Musiker nach einer guten Stunde die Bühne und die Überraschung war groß: Kein Haden und auch kein Metheny. Stattdessen ein Quartett recht unbekannter Twens, nämlich neben Redman noch Brad Mehldau (Piano), Chris McBride (Bass) und Brian Blade (Drums). Was die vier dort abfeuerten, bleibt mir in der Tat unvergesslich. Wenn ich bedenke, dass McBride heute einer der meistbeschäftigten Bassisten, Blade einer der aberwitzigsten und wohl musikalischste Schlagzeuger seiner Generation und Mehldau sowieso einer der herausragenden Persönlichkeiten des Jazz ist, freue ich mich, bei diesen ersten Abenden auf deutschem Boden dabei gewesen zu sein. Kein Mensch fragte nach dem Konzert nach Metheny und Haden. Fast alle, die ich traf, hatten das Gefühl, bei einem ganz besonderen Auftritt dabei gewesen zu sein.


    Zwei Jahre später sah ich die Band wieder, nur diesmal ohne Mehldau, der wegen erheblicher Drogen-Probleme in innerer Emigration weilte. Immer noch ein gutes Konzert. Aber diesmal waren die Musiker schon recht bekannt, man wusste halbwegs, was einen erwartete und der Reiz des Neuen, die Überraschung und die Überrumpelung waren verflogen.


    Gruß
    B.

  • Zitat

    Original von Barbirolli
    Zwei Jahre später sah ich die Band wieder, nur diesmal ohne Mehldau, der wegen erheblicher Drogen-Probleme in innerer Emigration weilte. Immer noch ein gutes Konzert. Aber diesmal waren die Musiker schon recht bekannt, man wusste halbwegs, was einen erwartete und der Reiz des Neuen, die Überraschung und die Überrumpelung waren verflogen.


    Ich glaube, ich habe sie erst in dem Jahr (1995) in Darmstadt gesehen. War beeindruckend. Blade feuerte ein Feuerwerk sondergleichen ab und das auf einem der kleinsten Drum-Sets, dass ich je bei einem Konzert gesehen habe. Redman spielte eine Kadenz auf Body & Soul, wie sie von Hawkins nicht besser hätte gespielt werden können. Sagenhaft.


    Richtig beeindruckt hat mich auch das Wynton Marsalis Septett. Müsste 1994 oder 1995 in Mainz, beim Klaviersommer, gewesen sein. Die spielte in einem Ziegelsteinbau, der gerade mal 200 Sitzplätze bot. Im Raum war es nach 20 Minuten gut 40 Grad warm, bei einer Luftfeuchtigkeit von 90 Prozent. Die haben dennoch fast drei Stunden gespielt. Keine Spur von Attitüden, einfach fantastischer Jazz von New Orleans bis Hard-Bop. Ein paar Monate später habe ich sie dann noch mal in der Alten Oper in Frankfurt gesehen ... gediegene Atmosphäre, der Funk sprang nur noch ein mal auf das (teilweise in Abendgarderobe erschienene) Publikum über: als Marcus Roberts ein kurzes Gastspiel am Flügel gab und einen Rag spielte. Mir blieb die Luft weg.

    Gruß,
    Gerrit

  • Marburg 1972. Eine Woche avantgardistischer Jazz. Einige gute Musiker, zum Beispiel Joachim Kühn, der aufhorchen ließ. Aber im ganzen gepflegte Langeweile. Die meisten waren gekommen, weil so ein Programm sonst nie in Marburg geboten wurde, und schienen sich damit abzufinden. Zahlreiche Gruppen waren in ein Programm gepackt, und so gegen Mitternacht war die Stadthalle nur noch gut halb gefüllt. Vielen hatten sich ins Foyer zurückgezogen und waren beim dritten oder vierten Bier angekommen. Die meisten Zuhörer wirkten erschöpft und hingen in den Sesselreihen.


    Dann kam Peter Brötzmann


    Ein Ton aus dem Bassaxophon, und alle waren hellwach. Ich hatte vorher kaum Jazz gehört. So etwas hätte ich mir nie vorstellen können. Das war eine Gewalt im Klang, dass es niemanden auf den Sesseln hielt. Die Gruppe hielt dies nicht mehr als eine Stunde durch, aber seither bin ich von dem Möglichkeiten überzeugt, die im Jazz stecken, selbst wenn es immer wieder Flauten gibt, die mehr rückwärts orientiert sind.


    Viele Grüße,


    Walter

  • Hallo,


    könnte ich eine kleine Zeitreise unternehmen, wäre es in musikalischer Hinsicht einer meiner größten Wünsche, das Quartett John Coltranes live zu erleben. Schilderungen von Augen- und Ohrenzeugen lassen auf Konzerte in New Yorker Clubs schließen, die Abend für Abend Grenzen sprengten. Wenn auch unzureichend, weil für die Platte produziert und konzipiert, so sind zumindest Ansätze dieser Konzerterlebnisse auf CD gebannt, wie etwa die Aufnahmen aus dem Village Vanguard.


    Mitglied dieser Supergruppe der Jazz-Geschichte war Schlagzeuger Elvin Jones. Der gastierte 1991 in meiner Nähe mit seinem damaligen Sextett, der sogenannten "Jazzmachine". Kurz zuvor hatte ich den ähnlich legendären Schlagzeuger Art Blakey gesehen, der leider alters- und krankheitsbedingt nur noch ein Schatten vergangener Tage war. Er starb drei Monate später. Nun also Elvin Jones, am Tag des Konzerts immerhin auch schon 64 Jahre alt. Ich stellte mich auch hier auf einen musikalisch eher ernüchternden Abend ein, wollte es mir aber nicht nehmen lassen, diesen Donnergott des Jazz wenigstens noch einmal zu erleben. Schließlich war er eines meiner großen Vorbilder am Schlagzeug.


    Schließlich betrat er leicht verspätet die Bühne. Besser: Er schlurfte gemächlich herein, in der Hand einen nicht gerade kleinen Joint. Minutenlang plauderte er Anekdoten ins Mikrofon, lachte lauthals über seine eigenen Pointen. Meine Sorge darüber, was denn um Himmels willen an Musik ertönen sollte, wurde nicht geringer.


    Dann aber rief er seine Musiker herbei, setzte sich hinter seine Bude und zählte an. Was dann losbrach, war ein dreieinhalbstündiger Sturm höchster Windstärke! Der alte Mann hatte rein gar nichts eingebüßt von seiner schier übermenschlichen Energie. Er peitschte die Gruppe durch das Geschehen wie ein nie schlapp machender Diesel-Motor, der den Dampfer noch durch den wildesten Seegang treibt.


    Zur Gruppe gehörte auch Tenorsaxofonist Ravi Coltrane, Sohn John Coltranes, der seinen Vater nie kennen gelernt hat, ihm aber wie aus der Rippe geschnitten schien. Seine Anwesenheit brachte eine ganz besondere Aura in das Konzert, auch wenn die Fußstapfen seines Vaters allzu übermächtig waren.


    Ein Freund von mir hat das Konzert damals mitgeschnitten. Trotz lausiger Tonqualität führe ich es mir immer mal wieder zu Gemüte. Man hört die Wucht der Band, die schreienden, ekstatischen Zuhörer und ab und zu auch mich, der - damals 21jährig - hin und wieder Worte wie "Wahnsinn" oder "Die machen mich fertig" in der Nähe des kleinen Mikros herumbrüllt...


    Wenn mir mein Zeitmaschinen-Wunsch auch nicht erfüllt werden wird, so hat mir der Abend 1991 zumindest eine Ahnung davon beschert, was sich so um 1964 herum abgespielt hat. Mittlerweile ist auch Elvin Jones verstorben - einer der großartigsten und stilbildendsten Schlagzeuger der Jazzgeschichte.


    Gruß
    B.

  • Ich kannte die bei ECM erschienenen Platten von Keith Jarrett und war (wie alle anderen) gespannt, "wa da live passieren würde". Es war der 13.7.1991. Die Wiener Staatsoper eröffnete mit diesem Konzert eine Reihe von Veranstaltungen unter dem Titel "off opera". Dieses Konzert lehrte mich (im ersten Teil) die Relativität der Zeit. Die Karten waren damals ziemlich teuer, und (wie ich meinte) nach 20 Minuten war der erste Teil, das erste große Klaviersolo, schon wieder zu Ende. Ich dachte: Für das kurze Solo so viel Geld? Als mehr als ein Jahr später die CD erschien, blickten mich 40 Minuten für den ersten Teil an. "Meine" Zeit erschien mir damals erheblich kürzer. Der zweite Teil war dann wirklich kürzer, und Keith Jarrett spielte auch drei Zugaben. (Die sind allerdings nicht mehr auf der CD.) Als das Publikum enthusiastisch weiter applaudierte, kam er noch einmal heraus und sagte sinngemäß auf Englisch, er hätte uns und wir hätten ihm alle Energie gegeben, jetzt sei es aus. Soviel zum "formalen" Ablauf. Keith Jarrett spielen SEHEN ist schon anders als ihn nur spielen hören (obwohl man da auch viel von dem mitbekommt, was er wohl tut während des Spielens, man denke nur an sein Stöhnen). Es fiel mir im Konzert selbst viel schwerer, mich auf diesen Kosmos der Jarrett-Musik (und es ist und bleibt für mich ein Kosmos, es ist viel mehr als Klavierspiel, es sind Welten, die sich eröffnen!) einzulassen. Dieser Mann LEBT seine Solokonzerte auch körperlich bis zur Ekstase, er zelebriert ein totales Beziehungsdrama mit dem Klavier, mit allen Höhe- und Tiefpunkten. Es war gleichzeitig faszinierend und von der Musik ablenkend, ihn "arbeiten" zu sehen. (Ich zögere, die DVD vom Tokyo Konzert 2002 zu kaufen bzw. würde sie am liebsten nur hören, nicht sehen. Auf "Radiance" gibt es ja nur Ausschnitte daraus.) Ein unvergeßlicher Abend in der Wiener Staatsoper, ein Meilenstein der Keith Jarrett-Tonträgergeschichte, und was blieb war die Gewißheit, dieses Genie was immer es macht mit staunender Faszination immer weiter HÖREN zu wollen ...


    Herzlicher Gruß
    Alexander

    Freundlicher Gruß
    Alexander

  • Hallo Alexander,


    Glückwunsch zu deinem tollen Jarrett-Erlebnis. Auf CD gehört das Vienna Concert nicht unbedingt zu meinen Favoriten unter den Solokonzerten Jarretts. Aber live war es sicherlich eine ganz andere Erfahrung.
    Ein Bekannter von mir war übrigens im Juli 1973 in Bremen live dabei. Aus diesem Konzert entstand ja bekanntlich auch eine Schallplatte, die ich höher schätze als das berühmte Köln Konzert. Mein Bekannter hat die Konzertkarte noch: Eintrittspreis 5 Mark!!


    Gruß
    B.

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  • Hallo,


    mir rutscht jetzt noch das Herz in die Hose, wenn ich mich da stehen sehe. Es muss um die Zeit sein, als Count Basie gestorben ist - kurz vorher oder nachher - egal. Ich, ein Jugendlicher, für den es hauptsächlich eine Bibel gibt, nämlich die von Joachim Ernst Berendt, steht vor der großen Philipshalle in Düsseldorf. Es ist mein erstes Konzert in einer so großen Halle.


    Ella Fitzgerald soll heute dort spielen. Die Ella, über die ich so viel gelesen habe und deren Scargesang ich so bewundere. Die so viel erlebt hat, und die einen wesentlichen Teil Jazzgeschichte geschrieben hat. Dafür habe ich mein Taschengeld gespart. Ich fahre mit der S-Bahn hin.


    Da stehen nun viele Leute vor der Halle und einer nach dem anderen geht hinein. Ich gehe zur Kasse - es gibt nur noch einige Karten - und die sind zu teuer. Oh nein. Nun, die Sache ist abgeschminkt, es ist ärgerlich, aber es ist halt so. Ich stehe noch etwas vor der Halle, nur um die Luft des großen Jazz zu atmen.


    Und dann kommt doch tatsächlich ein Mann mit einer Pfeife im Mund zu mir (ich blieb fast alleine auf dem Vorplatz übrig) und fragt mich, ob ich denn dort hinein wolle. Ich erkläre kurz - und er schenkt mir eine Karte. Seine Frau könne nicht, und außerdem müssen Jazzfreunde zusammenhalten.


    Ich spare mir die Beschreibung meiner Gefühle - endlich ging ich hinein. Und kurze Zeit später trat sie zum Orchester, zum "Count Basie Orchestra", das allerdings ohne den großen Basie spielte (ich erinnere mich nicht mehr, ob er bereits kurz vorher gestorben ist). Natürlich, es war nicht mehr die junge, quirlige Ella, die ich aus Bildern und Filmen kannte; es war eine etwas ältere Frau mit einer dicken Brille auf der Nase, sie stand etwas unbeweglich auf der Bühne und begrüßte uns, nein: mich.


    Aber: Es war die große Ella. Ich musste sie immer anschauen. Die hat mit Louis Armstrong gespielt, mit Chick Webb, mit....Und dann ging es los. Ich kannte natürlich fast alle Stücke, und ich kannte ihre Stimme und ihre Art zu singen; die Musik klangmäßig stark an das alte Basie Orchester angelehnt. Und Ella sang, scattete, welch ein Ausdruck, welch eine Technik - und wie bescheiden stand sie zwischen den Stücken da; das war keine Diva, dafür war sie zu gut...und die Zeit verflog im Nu.


    An das Musikempfinden kann ich mich gar nicht mehr so gut erinnern. Es verflog alles wie im Rausch.


    Verzeiht mir die emotionalen Beschreibung, aber genau so war es. Ein unvergessliches Erlebnis.


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Livekonzerte sind immer ein besonderes Ereignis unvergleichlichbar mit CDs.
    Ich konnte nun in den letzten Tagen gleich mehrere Konzerte hören und zwar 3Konzerte vom Vienna Artorchester inklusive tgl. Sessions von den Musikern nach den Konzerten. Spielen auch am 4., 5., 6.Juni in Graz ihr Jubiläumsprogramm.


    Und am Freitag Jan Garbarek und als Draufgabe bei der Festwocheneröffnung in Wien Joe Zawinul un d Bobby Mc Ferrin.
    Einfach eine tolle Woche!
    :D öli

  • Ich nehme auch mal den Jazzkeller als Einstiegspost :).


    Ende der 70er Jahre waren wir häufig bei den Jazzconcerten im Sendesaal von Radio Bremen.
    Es war meist eine sehr intime Atmosphäre, manchmal nur 50-100 ZUhörer und die Musiker quasi auf Armlänge.
    Besonders in Erinnerung habe ich noch Carla Bley und Michael Mantler mit dem Programmstück Escalator over the hill, eine bigbandcomposition in mehreren Teilen. Man konnte die Intensität der Musik mit jeder Faser spüren, auch wenn sie bei erstmaligen Hören nicht gleich eingängig war.


    Ich meine, daß große Stadionkonzerte diese Stimmungen nicht verbreiten können.

  • Aziza Mustafa Zadeh im Stadtsaal Fürstenfeldbruck, 25.7.2007


    Eine Pianistin, die auch singt. Da fällt die Musikgeschichte mit Weltmusik ineinander, Barock, Klassik, Jazz, aserbaidschanische Volksweisen – Keith Jarretts Kunst verschmilzt mit der von Bobby Mc Ferrin. Technisch spielt die Künstlerin mindestens so virtuos wie Friedrich Gulda seine „Variations“ spielt. Sie moderiert zwischendurch auf Englisch, was den Abend sympathisch persönlicher macht. Ihre Stücke wirken eher durchkomponiert als spontan, aber es gibt sicher auch einige improvisatorische Elemente. Wir hören Jazz-Stücke, große Balladen, sehr inspirativ, souverän virtuos, aber immer total beseelt. Es ist nie Virtuosität als Selbstzweck. Aziza Mustafa Zadeh ist vielmehr eine eigentümliche, spannende Mischung aus (damit kokettierender) Diva und Priesterin der Musik. Etwa 50 Prozent der Beiträge sind selbst begleitete Gesänge, die Künstlerin scheut sich auch nicht vor der Gräfin Almaviva und der Königin der Nacht. Es ist aber niemals plakative Zurschaustellung technischen Könnens, es ist immer beseeltes Durchwandern der Stimmungen. Eine Schamanin trifft die Les Swingle Singers, und Gershwins „Summertime“ erblüht auch völlig neu. Das ist große Kunst! Eine faszinierende Person, einerseits zart und bescheiden wirkend, andererseits mit enormer Kraft am Klavier perlend. Für ein paar Minuten stellt sie sich ans Stehmikrophon und singt zur Rahmentrommel, wie es Bobby Mc Ferrin auch gerne tut. Dabei sorgt die Tontechnik durch Echoeffekte für verstärkte Wirkungen. Ganz am Ende setzt Aziza Mustafa Zadeh die Chance des gemeinsamen Erlebens von Musik den Kriegen in der Welt entgegen. Sie hat mit ihrer Kunst das Publikum im fast ausverkauften Stadtsaal von Fürstenfeldbruck tief beeindruckt.


    Herzlicher Gruß
    Alexander

    Freundlicher Gruß
    Alexander

  • Es ist mir so ähnlich gegangen wie Uwe.
    Ich ging noch ins Gymnasium und habe mir von meinen Eltern eine Karte für ein Konzert von Ella (mit Trio - ich finde das Programm sicher noch irgendwo, wer mit ihr gespielt hat; nicht sehr gute Leute hatte sie ja nie um sich) im Wiener Konzerthaus zum Geburtstag schenken lassen. In Wien gab es damals eine Serie "Stimmen der Welt", in der auch eine eigene Jazz-Schiene lief. In der Regel waren das Konzerte, die vom legendären Norman Granz als Jazz at the Philharmonicorganisiert worden sind.
    Und an einem Abend sang SIE.
    Ich kann mich nicht mehr erinnern, welche der Evergreens von Gershwin und Co sie sang und auch nicht, welche sonstigen Komponisten an diesem Abend erklangen. Wahrscheinlich war es ein ähnliches Programm wie in Berlin, von dem es ja einen Mitschnitt gibt.
    Seit damals habe ich aber eine Vorstellung, wie Jazzgesang klingen muss. Und für mich, der ich damals schon viel in "klassische" Konzerte gegangen bin, hat sich an iesem Abend eine andere Welt eröffnet, in der jeder seine Emotionen frei zeigen kann und das Echo aus dem Publikum spontan und frei erfolgt. Das Autogramm, das ich mir nachher geholt habe, hüte ich b.is heute wie einen Schatz.
    Ich habe Ella Fitzgerald nach diesem Konzert noch drei- oder viermal hören dürfen, aber dieses erste Erlebnis wird wohl unvergessen bleiben.


    Michael 2

  • Hallo,


    ein weiteres unvergessliches Konzert möchte ich erwähnen, da ich mich gerade daran erinnere. Früher besuchte ich ziemlich häufig Jazzfestivals. Das war manchmal eine ziemlich tolle Sache, besonders bei den mehrtägigen wie z.B. Moers oder Den Haag; es gab (gibt es das heute auch noch so?) gute Möglichkeiten, mit dem Schlafsack in großen Zelten und sonstigen Plätzen zu übernachten; so konnte man viele Leute (die genauso jazzkrank waren wie ich) kennenlernen und auch nach bzw. zwischen den Konzerten schön "feiern".


    In besonderer Erinnerung ist mir also ein Konzert bei den Jazztagen in Moers vor mehr als 25 Jahren. Es begann mit dem Vienna Art Orchestra unter Mathias Rüegg; die Gruppe habe ich bei Konzerten schon mehrfach gehört. Die Konzerte waren immer völlig anders und es war sehr spannend und unterhaltsam.


    Aber so richtig konzentrieren konnte ich mich nicht, denn ich wartete innerlich auf das Konzert danach, nämlich auf Ornette Coleman. Ich kannte bis dahin lediglich seine Schallplatten und mochte den Blasstil ganz gerne. Außerdem habe ich natürlich viel über ihn gelesen; er war ja ein ganz großer.


    Als er endlich erschien und zu spielen begann, war ich über seine Erscheinung und seinen Ton enttzückt. Mit welchem Selbstbewusstsein und welcher Coolness er spielte - das hat mich sehr angesprochen. Aber so recht "mein Konzert" wurde es dann doch nicht, spielte er, bis auf das Schlagzeug, nur mit elektronischen Gitarren zusammen. So recht mitgerissen war ich von der Musik insgesamt nicht; somit konzentrierte ich mich lediglich auf seine Blastechnik, was dann nicht nur entschädigte, sondern eine tolle Erfahrung war.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Zitat

    Original von Uwe Schoof
    .... möchte ich mit einem Konzert aus der Tonhalle Düsseldorf beginnen. Es muss vor 25 bis 30 Jahren gewesen sein. Ich sah zum ersten Mal den großen Trompeter Dizzy Gillespie (der mit dem dicken Hals, wenn er bläst). Er konzertierte mit einer Combo, ich glaube im Sextett. Außer ihm erinnere ich mich noch an den Flötisten James Moody. [...]


    Auch auf dem genannten Konzert versprühte er viel Humor und Lockerheit, aber auf welchem Niveau! Das war schon erste Sahne, wie kraftvoll und gleichzeitig locker er spielte. Da war nichts zu hören von abgelatschten Melodiephrasen, das waren immer wieder neue, unverkrampfte Ideen, die mühelos aus Dizzy Gillespie heraussprudelten Natürlich waren Bossa Nova-Einflüsse sehr spürbar, aber auch Jazz, wie er ihn noch zu Beginn der Bebopzeit gespielt hatte.


    Ja, Dizzy Gillespie! Ich habe ihn 1965 in der Hamburger Musikhalle erlebt. Genau wie Du ihn beschreibst (mit Ausnahme der Bossa-Nova-Einflüsse, war damals wohl noch nicht so angesagt) erinnere ich mich an ihn. Im gleichen Konzert trat auch der mir bis dato völlig unbekannte, fantastische Orgelspieler Jimmy Smith auf, der Dizzy fast die Show stahl. Ein ungeheuer bluesiger Hardbop, extatisch gespielt, und so wie ich noch nie die Hammondorgel gehört hatte! Es war einfach mitreißend!


    ...in Erinnerung schwelgend MG

  • Zitat

    Original von Walter.T
    Dann kam Peter Brötzmann


    Hallo!


    Ein mir unvergessliches Konzerterlebnis hatte ich Ende der 80er beim New Jazz Festival in Moers. Nachdem Last Exit zehn Minuten gespielt hatte, war eine Hälfte des Publikums begeistert und die andere hatte schon das Zelt verlassen. Einen Sommer später habe ich sie nochmal in Den Haag gesehen und mein Freund Gregor und ich haben uns gefragt, ob die anderen hier wohl ahnen, was gleich auf sie zukommt. Als die vier Musiker die Bühne betraten, rief plötzlich jemand von hinten: "Keine Gefangenen!". Wir waren also nicht die einzigen, die sie kannten. ;)
    Einen Eindruck vermittelt die Live-Platte "The noise of trouble" mit dem sensationellen "Help me Mo, I'm blind", bei dem Stück ist Herbie Hancock dabei.


    Gruß, Beryllo

  • Hallo Beryllo,


    Last Exit habe ich auch zweimal live erleben können, einmal in Berlin und dann in Köln das auf CD aufgenommene Konzert mit Herbie Hancock, der sich erstaunlich gut in das für ihn doch eher ungewohnte, sehr freie Gruppengeschehen einfügte. Beide male war ich von der Intensität dieser Gruppe mit Brötzmann, Roland Shannon-Jackson, Sonny Sharrock - einer meiner Lieblingsgitarristen - und Bill Laswell schier umgehauen. Wenn man sich nach einer Weile aber an Lautstärke und hochenergetische Dauer-Power gewöhnt hatte, war es ebenso beindruckend, wie dicht, schnell und stets einfallsreich hier alle bei anhaltender Dauersteigerung noch aufeinander einzugehen vermochten. Das war viel mehr als nur die Brötzmann nachgesagte Brachialgewalt, m- E. zu unrecht nachgesagt, jedenfalls wenn sein ultrakraftvolles Spiel darauf reduziert wird.


    Auch für mich waren das schon ganz besondere Konzerterfahrungen!


    Mir sind aber noch einige weitere Konzerte mit Peter Brötzmann in besonders guter Erinnerung, vor allem zusammen mit Ken Vandermark und Mats Gustafsson, ob im Trio oder in größerer Besetzung mit seinem Tentet oder jüngst mit seinem neuen Trio Full Blast und zusätzlichen Gastmusikern. Doch davon vielleicht später mal hier.


    Jedenfalls bin ich froh, dass ich alle Last Exit LPs/CDs habe, auch wenn ich sie nicht allzu oft hören kann. Da múß ich auch schon in der richtigen Stimmung für sein und sie sehr, sehr laut hören können.


    Die klassischen Brötzmann Lps (Machine Gun, Fuck de Boere ....) sind übrigens alle als CDs bei Atavistic in Canada wiedererschienen und wieder zu bekommen.


    :hello: Matthias

  • Hallo Matthias,


    Danke für die Tipps und Du hast den Klangeindruck sehr gut beschrieben. Und: jemand hat mal behauptet nur ich könnte vier Platten von Last Exit haben. Aber leider kann ich sie auch nur selten hören, aus den gleichen Gründen und aus Rücksichtnahme auf die Mitbewohnerin, Nachbarn und den Rest im Viertel. :D


    Gruß, Beryllo

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  • Den echten Brötz habe ich leider nie live erlebt. Brötz Filius (Meyers online-Lexikon bemerkt über ihn lapidar: "Als Sohn des Free Jazz-Saxophonisten Peter Brötzmann war Caspar Brötzmann schon als Kind intensiver Beschallung ausgesetzt.") habe ich mit seiner Band "Massaker" irgendwann Anfang der 90er in Moers gehört - vor dem Zelt sitzend. Ich bin sonst großen Lautstärken nicht abgeneigt, aber DAS war wirklich nur aus einiger Entfernung rezipierbar.


    Grüße,
    Micha

  • Die Maßeinheit für Intensität + Lautstärke/Dauerfortissimo/Dauercrescendo lautet im Free Jazz ja bekanntlich 1 - x (nach oben offen) Brötz. :yes: :D


    In Oslo gibt es übrigens einen Jazz-Club mit excellentem Live-Programm, in dem sich die derzeitige Jazz-Avantgarde die Klinke in die Hand gibt, der "Brötz" heißt. (Ich habe mich schon auf eine Stelle an der Universität Oslo beworben. :D).


    Caspar Brötzmanns Band Massaker hörte ich auch einmal live mit Papa als Gast - in einem kleinen Club: Zwei Tage Dauerrauschen im Ohr war heftig: Viele, viele Brötz! Der Lärm war aber nicht übel, obwohl in seinen Grundstrukturen etwas simpel, erst durch Papa Brötzmann interessant. Peter Brötzmanns eigene Projekte sind mir aber lieber.


    Caspar Brötzmann halte ich jedoch für einen sehr interessanten, sehr guten Gitarristen, in Deutschland wahrscheinlich gegenwärtig den einfallsreichsten. Für vieles in seiner Spielweise, z.B. für die vielen Rückkopplungsschlaufen, braucht er einfach eine gewisse Lautstärke.


    Es gibt auch mindestens eine gemeinsame CD.


    :hello: Matthias

  • Irgendwann vor ein, zwei Jahren war ich in der Kölner Philharmonie bei einem Konzert mit Werken von Steve Reich und Steve Reich war auch da. Unter anderem wurde "Different trains" gespielt - unglaublich! Die Intensität war phänomenal und seitdem höre ich das Stück auch zuhause ganz anders.