Was ist dran an Karajan? - Versuch einer Analyse

  • Hallo Herbert,


    natürlich weiß ich das zu schätzen. Habe ja auch in anderen Threads schon geschrieben, dass ich seine Musik (insbesondere Verdi) sehr schätze (und bin dafür virtuell verkloppt worden). Hier ging es doch nur darum, darzulegen, warum ich Toscanini i.V.z. einigen anderen Dirigenten weniger als Unsympathen empfinde - eben, weil ich bei ihm schon wieder schmunzeln muss, da er fast schon eine Karikatur eines südländischen Temperamentsbündels war.
    Mit musikalischer Qualität hat Sympathie ja sowieso nur begrenzt zu tun, die gibt es auch bei unsympathischen (z.B. aus meiner Sicht Maazel) Dirigenten.
    Habe also weder versucht, über den Arturo, noch über seine Interpretationen ablästern wollen. Du hast mich da wohl missverstanden oder ich mich unglücklich ausgedrückt :angel:


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Hallo Stefan,


    in Ordnung,offensichtlich habe ich Dich mißverstanden.


    Wenn es um Verdi und Toscanini geht, bin ich anscheinend


    etwas überempfindlich.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Eine Frage an die, die von Karajan's Hinterlassenschaft so gar nichts erwähnenswert finden:
    Ist sein Grieg, Sibelius, Tschaikovsky, Strauss, Schostakowitsch (beide Aufnahmen der 10.), Bruckner denn wirklich so schlecht oder vielleicht doch nur so unsympatisch...?

    Herzliche Grüße
    Uranus

  • Zitat

    Original von Barezzi
    ...Mit musikalischer Qualität hat Sympathie ja sowieso nur begrenzt zu tun, die gibt es auch bei unsympathischen (z.B. aus meiner Sicht Maazel) Dirigenten....
    Stefan


    Das stimmt natürlich, aber ab einem gewissen Punkt der Antipathie muß die musikalische Qualität schon unglaublich gut, ja einzigartig sein, wenn ich mit dem jeweiligen Künstler noch einigermaßen froh werden soll.


    Im Fall Böhm muß man sich darüber klar sein, daß die gezielte Erniedrigung anderer Menschen etwas anderes bedeutet als gelegentliche Wutausbrüche. Für einen Orchestermusiker kann so etwas existenzvernichtend werden ( mit unerfüllbaren Pianissimo-Forderungen z.b. ist es leicht, einen Blaser an den Rand des psychsichen Zusammenbruchs zu bringen), und es existiert tatsächlich das Gerücht, ein Musiker habe sich umgebracht, nachdem ihn Böhm maßlos getrietzt und zu guter Letzt nach einem mißlungenen Solo vor die Füße gespuckt hatte. Inwieweit da was dran ist, weiß ich nicht, aber solche Gerüchte entstehen zumindestens nicht ganz grundlos. Über Bruno Walter oder Abbado habe ich jedenfalls noch nichts auch nur annähernd Vergleichbares gehört. Auch nicht über Furtwängler.


    Im Falle Karajans ist es der bewußt in Szene gesetze, wirklich pseudoreligiöse Kultus um die eigene Person ( welcher nicht zuletzt aus pekuniären Gründen so maß - und stillos provoziert wurde), der auf mich völlig unerträglich wirkt.
    Zu diesem Thema gibt es einen alten Musikerwitz:


    Bernstein und Solti sitzen in der Kneipe und streiten sich, wer der Größte ist. Bernstein meint: " Ich bin der Größte, alle Menschen jubeln mir bei meinen Auftritten zu."
    Solti ist anderer Meinung: "Ich bin der Größte. Gott selber hat es mir gesagt!"
    Da schallt es vom Nebentisch, an dem zufälligerweise Karajan Platz genommen hat: "WAS soll ich gesagt haben?"


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Uranus
    Eine Frage an die, die von Karajan's Hinterlassenschaft so gar nichts erwähnenswert finden:
    Ist sein Grieg, Sibelius, Tschaikovsky, Strauss, Schostakowitsch (beide Aufnahmen der 10.), Bruckner denn wirklich so schlecht oder vielleicht doch nur so unsympatisch...?


    Sein Tschaikovsky habe ich gekauft, und das bedeutet was :yes:
    Also nicht schlecht (finde ich, aber anderen habe ihre Meinung)


    LG, Paul

  • Hallo Bernd,


    vielen Dank für den köstlichen Witz!!!!


    Es gibt wohl eine Grenze zwischen unsympathisch und untragbar und sollte das bei Böhm wahr sein, dann hatte er die deutlich überschritten :kotz:
    Sympathie spielt natürlich immer auch eine Rolle. Wenn man eine Allergie aufgrund extremer Antipathie entwickelt hat und reflexhaftes Aufstoßen des Mittagessens kriegt, wenn entsprechende Person(en) musizieren, dann kann man die Interpretation nicht mehr genießen. Umgekehrt werden den Lieblingen doch einige interpretatorische Schwächen verziehen, da man einfach darüber hinweghört :D


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Uranus, zu deiner Frage: Nein, so schlecht ist Karajans Grieg oder Sibelius nicht. Aber eben auch nicht sonderlich aufregend. Jeder solide Kapellmeister, den man vor die Berliner Philharmoniker gestellt hätte, hätte mit diesem Klangkörper und dem richtigen Toningenieur :D ähnliche Ergbnisse wie Karajan erzielen können.


    Die Begriffe "Gut" und "schlecht" muß man bei international renommierten Künstlern immer in Relation zum Ruf und zum Marktwert sehen....


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Uranus
    Eine Frage an die, die von Karajan's Hinterlassenschaft so gar nichts erwähnenswert finden:
    Ist sein Grieg, Sibelius, Tschaikovsky, Strauss, Schostakowitsch (beide Aufnahmen der 10.), Bruckner denn wirklich so schlecht oder vielleicht doch nur so unsympatisch...?


    Hallo Uranus,


    in einem anderen Thread haben wir eine Liste erstklassiger Karajan-Aufnahmen zusammengetragen (im Sprachgebrauch dieses Threads "einige ganz gute"). Daneben gibt es noch eine ganze Reihe sehr guter Aufnahman, die den Wandel der Zeit nicht so gut überstanden haben, oder einfach noch stärkere Konkurrenz besitzen, was sie aber noch immer nicht schlecht macht (was jedoch einige Forumskollegen nicht so sehen, bei denen es nur gute und schlechte Aufnahmen zu geben scheint):


    Adam: Giselle
    Beethoven: Sinfonien (1963)
    Beethoven: Ouvertüren
    Beethoven: Triple-Konzert (ADD)
    Berg: Stücke für Orchester
    Brahms: Sinfonien
    Bizet: Carmen (Mit Leontyne Price; für Freunde der Giraud-Fassung)
    Bizet: Carmen (Verfilmung mit Grace Bumbry)
    Bruckner: 7. Sinfonie (1989)
    Bruckner: 8. Sinfonie (1988 )
    Chopin / Douglas: Les Sylphides
    Debussy: Pelléas et Mélisande
    Delibes: Coppélia-Suite
    Donizetti: Lucia di Lammermoor (mit Callas)
    Dvorak: Cello-Konzert
    Holst: The Planets
    Honegger: 2. Sinfonie
    Honegger: 3. Sinfonie
    Humperdinck: Hänsel und Gretel
    Leoncavallo: I Pagliacci
    Mahler: 9. Sinfonie
    Mascagni: Cavelleria rusticana
    Mendelssohn Bartholdy: Sinfonien
    Mozart: Le Nozze di Figaro (Mono)
    Mozart: Le Nozze di Figaro (Stereo)
    Mozart: Cosi fan tutte (Mono)
    Mussorgski: Boris Giodunow
    Offenbach: Gaité Parisienne
    Puccini: La Bohème
    Puccini: Madama Butterfly (mit Callas)
    Puccini: Madama Butterfly (mit Freni)
    Puccini: Madam Butterfly (Verfilmung mit Freni)
    Schönberg: Pelléas et Melisande op. 5
    Schönberg: Variationen für Orchester op. 31
    Schönberg: Verklärte Nacht op. 4
    Schostakowitsch: 10. Sinfonie (DDD-Aufnahme)
    Schumann: Sinfonien
    Schumann: Klavierkonzert (Lipatti)
    Sibeluis: Finlandia (1984)
    Strauss: Sinfonische Dichtungen
    Strauss: Ariadne auf Naxos
    Strauss: Elektra (Salzburg 1964 live)
    Strauss: Salome
    Strauss: Der Rosenkavalier (1957)
    Strauss: Der Rosenkavalier (1960) - DVD
    Strauß: Die Fledermaus (Mono)
    Strauß: Die Fledermaus (Stereo)
    Tschaikowskij: Sinfonien (ADD-Aufnahmen)
    Tschaikowskij: Rokoko-Variationen
    Verdi: Il Trovatore (mit Corelli, Price)
    Verdi: Il Trovatore (1. Mai 1978 WSO; DVD)
    Verdi: Don Carlo (1978 )
    Verdi: Don Carlos (Video, Salzburg 1986)
    Verdi: Aida (mit Tebaldi)
    Verdi: Aida (mit Freni)
    Verdi: Otello
    Verdi: Falstaff (mit Gobbi)
    Verdi: Falstaff (mit Taddei)
    Verdi: Falstaff (Verfilmung mit Taddei)
    Verdi: Ouvertüren und Vorspiele
    Wagner: Tristan und Isolde (Bayreuth)
    Wagner: Tristan und Isolde (Vickers)
    Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg (Bayreuth)
    Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg (Staatskapelle Dresden)
    Wagner: Der Ring des Nibelungen
    Webern: Passacaglia für Orchester op. 1
    Webern: Fünf Sätze op. 5
    Webern: Sinfonie op. 21
    Webern: Sechs Stücke für Orchester op. 6


    Ich kenne keinen anderen Dirigenten, für den eine vergleichbare Liste erstellt werden könnte, lasse mich aber gerne eines Besseren belehren.


    Bernd hat einen alten, aber guten Witz gebracht. Die Pointe dabei ist aber, dass er ihn selbst offenbar missverstanden hat. Der Clou dabei ist, dass der Witz implizit die Rangordnung zeigt, die vor ca. dreißig Jahren geherrscht hat. Karajan, Solti und Bernstein waren die dirigierenden Superstars, und zwar in dieser Reihenfolge. Was Bernd als Spitze gegen Karajan auffasste, war damals in Wirklichkeit eine Huldigung für Karajan. ;)


    Wie hier Mitglieder persönliche Befindlichkeiten gegenüber Karajan in künstlerische Bewertungen einfließen lassen, ist schon bedenklich, sagt aber eigentlich mehr über die Urteiler als über karajan aus. Welch eine Schmutzkübelkampagne aber auf reine Gerüchte gegen Böhm abläuft, ist geradezu erschreckend. Es scheint niemand, der so richtig in Fahrt gerät, die offenbaren Diskrepanzen dieser Gerüchte hinterfragen zu wollen. Nur feste druff, das Opfer kann sich ja nicht wehren!


    Peinlich!

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Theophilus
    Bernd hat einen alten, aber guten Witz gebracht. Die Pointe dabei ist aber, dass er ihn selbst offenbar missverstanden hat. Der Clou dabei ist, dass der Witz implizit die Rangordnung zeigt, die vor ca. dreißig Jahren geherrscht hat. Karajan, Solti und Bernstein waren die dirigierenden Superstars, und zwar in dieser Reihenfolge. Was Bernd als Spitze gegen Karajan auffasste, war damals in Wirklichkeit eine Huldigung für Karajan.


    Hallo Theophilus,


    Ich bin ja alt genug, um über die damalige Zeiten mitreden zu dürfen. Und ich sehe es gar nicht so wie Du es auslegst. Im Gegenteil.
    Je herrscherischer, je höher in der Folge. Um das aber eine Huldigung zu nennen. :no::rolleyes:


    LG, Paul

  • Hallo Uranus,

    Zitat

    Ist sein Grieg, Sibelius, Tschaikovsky, Strauss, Schostakowitsch (beide Aufnahmen der 10.), Bruckner denn wirklich so schlecht oder vielleicht doch nur so unsympatisch...?


    Ja, für mich sind diese Stücke mit Ausnahme von Strauss wirklich elend dirigiert.
    Ich will es versuchen zu begründen: Karajan ist ein Meister des Oberflächenglanzes, der orchestralen Brillanz, des schönen Scheins. Wenn er an einen Komponisten kommt, der oberflächliche Musik schreibt, die vor allem auf äußerliche Wirkung abzielt, findet er in HvK den perfekten Dirigenten.
    Nun ist Bruckners Musik aber keineswegs "schön", sondern sie ist eine Klangrede. HvK ist für mich nicht in der Lage, mir das zu vermitteln.
    Nicht anders ist es bei Grieg und Sibelius - beide Komponisten werden von HvK zur Lieferanten für eine Orchesterparade degradiert.
    Für mich aber der absolute Tiefstpunkt sind Tschaikowskij, Schostakowitsch und die wirklich grauenhafte "Boris Godunow"-Aufnahme, also die russischen Komponisten. Die Schönheit um ihrer selbst Willen ist auch für Tschaikowskij, der sicherlich der westlichste Russe war, nicht akzeptabel. Aber noch weniger ist sie akzeptabel für einen Komponisten wie Schostakowitsch oder Mussorgskij. In beiden Fällen ist das Gegenteil von dem, was Karajan macht, richtig: Schönheit kann ruhig Nebensache sein - Hauptsache, die Interpretation transportiert die Emotion, die Struktur etc.; kurz: alles das, was zwischen und hinter den Noten steht. Und genau das kann mir HvK nicht ansatzweise vermitteln.
    Damit ist er für mich, ich sagte es schon an anderr Stelle, ein erstklassiger Dirigent zweitklassiger Musik - und ein zweitklassiger Dirigent erstklassiger Musik.



    Hallo Theophilus,
    aus der Sicht des Karajan-Fans mag diese Liste stimmen. Aus der Sicht des Sibelius-, Debussy, Tschaikowskij-, Bruckner-, Mahler-, Schostakowitsch- und Mussorgskij-Fans kann ich nur sagen: :no: :no: :no:
    Aber eines stimmt: Adolphe Adam dirigiert er wirklich wie kein anderer... :hahahaha:


    :hello:

    ...

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  • Edwins Aussage auf den Punkt gebracht:


    Karajan war ein Schönfärber, Luxusdirigent, ein eleganter Maestro, der das Sperrige und Hässliche mancher Kompositionen BEWUSST unterdrückt hat - und das war IMO der Grund für seinen triumphalen Erfolg. - der eigentlich bis heute anhält.....


    ER konnte Werke EFFEKTVOLL interpretieren mit Glanz und Pomp servieren.


    mfg


    aus wien



    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Theophilus
    Bruckner: 7. Sinfonie (1989)
    Bruckner: 9. Sinfonie (1988 )


    Ehrlich, es wäre schön gewesen, wenn Karajan auch die 9. noch einmal aufgenommen hätte.


    Gemeint ist natürlich die 8. Ich erwähne den Schreibfehler nur deswegen, weil ich denke, daß beim "alten Karajan" im Digitalzeitalter stellenweise ein Umdenken stattgefunden hat- gerade bei Bruckner.


    Anstatt -wie bei der 3. oder 4. Sinfonie- auf "Knalleffekte", gerade bei den Blechbläsern, zu setzen, erwies sich Karajan ibs. bei der 7. Sinfonie als jemand, der sehr feinsinnig differenzieren konnte und es auch tat ;) .

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler



  • Ja, es war aber so. Es gab damals sogar ein Büchlein mit Karajan-Witzen, und das wurde von einem erklärten Karajan-Fan veröffentlicht.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo Norbert


    Zitat

    Ehrlich, es wäre schön gewesen, wenn Karajan auch die 9. noch einmal aufgenommen hätte.


    Danke für die Berichtigung. Du hast natürlich vollkommen Recht.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!



  • Wenn man sich jetzt noch vergegenwärtigt, was Alfred zum Thema "Typisch wienerisch" geschrieben hat, dann hat er Edwin musikgeschmacklich zum Deutschen honoris causa ernannt. :D

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Hallo Theophilus,
    aus der Sicht des Karajan-Fans mag diese Liste stimmen. Aus der Sicht des Sibelius-, Debussy, Tschaikowskij-, Bruckner-, Mahler-, Schostakowitsch- und Mussorgskij-Fans kann ich nur sagen: :no: :no: :no:
    :hello:


    Schon bemerkenswert, welch großer Personengruppe du deine Meinung aufzwingst. Jetzt kenne ich auch einige, die bis jetzt der Meinung waren, zur diesen Gruppen zu gehören und dennoch mit den genannten Aufnahmen sehr gut können. Müssen wir uns jetzt als musikalische Aussätzige von Edwins Gnaden betrachten, wenn wir weiter bei unserer Meinung bleiben?

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • "Was ist dran an Karajan? - Versuch einer Analyse"


    So lautet der Titel des Threads, den ich noch einmal ganz durchgelesen habe.


    Die hier zu ihm verfassten Statements könnten unterschiedlicher nicht sein.
    Er polarisiert bis heute, so viel ist sicher.
    Gerade deswegen wollte Alfred doch, dass wir den Versuch einer Analyse wagen, was das Einzigartige an Karajan war.
    Für mich bezieht sich diese Frage klar auf sein künstlerisches Wirken und zwar in eher positiver Hinsicht.
    Wie er sich in den Medien präsentierte oder sich in der Nazizeit verhielt, ist unter diesem Vorzeichen m.E. zwar interessant, aber nur am Rande.
    Ob wir ihn heute noch persönlich sympathisch finden oder nicht, kann doch vor dem Hintergrund, dass hier der "Versuch einer Analyse "gewagt werden soll, keine ernsthafte Rolle spielen.
    Zu einer Analyse gehört auch, dass man Licht und Schatten differenziert gegenüberstellt und dies mit möglichst konkreten Begründungen untermauert.
    Die Bewertung dürfte m.E. erst danach kommen.
    Pauschale Abwertungen oder gar schon vernichtende Verurteilungen wie "eintönig", öde" "nur ein Kapellmeister der sich christusähnlich selbstinszenierte" erfassen das gestellte Thema relativ unscharf, und werden einer vielseitigen Künstlerpersönlichkeit wie HvK m.E. auch nicht gerecht.


    Über Böhms Verhalten in Proben könnte man ggf. besser in einem anderen Thread diskutieren.


    Für meinen Teil finde ich Aussagen der Leute interessant, die jahrelang mit Karajan eng zusammengearbeitet haben.
    Und die beschreiben ihn als durchaus autoritäre Person mit grossem Charisma und hoher Selbstdisziplin, die er auch vom Orchester forderte.
    Aus künstlerischer Sicht bezweifelt von denen niemand, dass er zu den ganz Grossen seines Faches zählte ( jedenfalls bei den mir bekannten Aussagen, kenne natürlich nur verhältnismässig wenige)


    Immer wieder wird von den Musikern sein Klangsinn hervorgehoben.
    Auch Harnoncourt, der in früheren Jahren ja gerne von der Presse völlig unzutreffend als "Gegen-Karajan" hingestellt wurde, hat sich meines Wissens nur bewundernd geäussert.
    Als Cellist der Wiener Symphoniker hat er Karajan ja persönlich über viele Jahre hinweg gekannt und erlebt.
    Zwar haben die Wiener Musiker ihn auch gefürchtet, weil er auch Leute zum Einzelvorspiel heranzitieren konnte. Vor allem haben sie ihn aber aus künstlerischer Sicht als genialen Orchestererzieher respektiert und bewundert, so berichtet Harnoncourt.


    Theophilus
    Deinen Beiträgen kann ich nur zustimmen, und ich finde Deine Einwände berechtig.
    Kein Wunder, wer in Graz wohnt, hat ja beste Möglichkeiten seinen Geschmack immer weiter zu verfeinern =) ;) :stumm:


    Gruss
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Guten Morgen.


    Sympathisch - unsympathsch sind sicherlich keine musikwissenschafltichen Kriterien, die dazu dienen können, das Werk beispielsweise eines Dirgenten zu werten.
    Zum Glück bin ich kein Musikwissenschaftler.


    Ich bin lediglich ein Freund so genannt klassischer Musik. Und als solcher muss ich schon gestehen, dass der persönliche Eindruck eines Interpreten durchaus eine Rolle spielen kann - wenngleich nicht muss. Abbado beeindruckt mich jedes Mal, wenn ich ihn erlebe, auf einer menschlichen Ebene, und so habe ich das Gefühl, dass seine Interpretationen mich auch leichter berühren.


    Bei HvK gestaltet es sich mit dem persönlichen Eindruck naturgemäß kompliziert. Deshalb habe ich mir den Osborne-Wälzer angeschafft, um mir ein Bild von der Person machen zu können. Und nach bald 400 Seiten Lektüre weiß ich immer noch nicht so recht, wie ich ihn sehe. Dabei ist für mich auch sein Verhalten in der NS-Zeit von Belang. Nicht, um selbstgefällig zu richten; sondern, um zu verstehen. Mittlerweile vermute ich, dass er ein karriere-bedachter Künstler gewesen ist, der auch gegen die eigene Überzeugung gehen konnte, wenn er sich Nutzen davon versprach. Seine Parteimitgliedschaft hat sich nach dem mir jetzt bekanntem insofern nicht als letztlich vorteilhaft erwiesen, da er bei Hitler in Ungnade fiel (wie hier von Giselher schon ausgeführt), in Kriegszeiten dann weniger als zuvor dirigierte.


    Gleichwohl ist es ohne Frage spannend, sich zu überlegen, wie jemand, der eigentlich eigenbrötlerisch veranlagt war, es schaffte, sich im Bewusstsein seiner Zeitgenossen als multimediales Genie am Dirigentenpult zu etablieren. Und dies letztlich unabhängig von der Qualität seiner Arbeit (was jetzt gar nicht wertend gemeint ist). Es gibt ja - auch hier im Forum - nicht wenige, überaus musikkundige, die ihn als den letzten bedeutenden Dirigenten der Berliner Philharmoniker ansehen.


    Ich denke einfach, um zum Thread-Ansatz der Analyse einzuschwenken, dass sich bei keinem anderen Dirigenten das Image so verselbstständig hat. Deshalb war er zu Lebzeiten (auf eigenes Betreiben) überlebensgroß und musste nach seinem Ableben schleunigst vom Sockel geholt werden. Und dies spielt für mein Empfinden bei der Rezeption seiner Arbeiten eine Rolle. Dementsprechend umstritten ist er.


    Wobei ich für mich anfügen muss, dass er mich eben in seiner Sicht der Musik zu häufig kalt lässt. Ich werde vielfach das Gefühl nicht los, dass es bei seiner Art, Musik darzubieten, zu sehr um ihn selbst geht. Da ist viel vom Klang, von der blendenden Oberfläche zu erfahren bei HvK.


    Gruß, l.


    P.S.: Die Einschätzung, dass Karajan der letzte bedeutende Dirigent der Berliner war, teile ich übrigens nicht. Abbado möchte ich schon seiner Mahler-Einspielungen wegen nicht missen; Rattle ist schon allein deshalb von Belang, weil er dieses Orchester mehr zur Moderne geöffnet hat (und für mein Empfinden spannende Interpretationen der Romantik/Spätromantik anbietet).

    "Jein".

    Fettes Brot

  • Hallo,
    ich finde es lächerlich,Karajan vozuwerfen,er habe Bach
    "romantisch"dirigiert.Na und? Mit dieser Aufführungspraxis
    ist er aufgewachsen.Mengelberg,Klemperer,Beecham,Boult
    Furtwängler und viele andere haben es auch so gemacht.
    Hätte er plötzlich Harnoncourt oder Gardiner imitiert,wäre
    er mit Sicherheit auch kritisiert worden,und er wäre sich
    selber untreu geworden.Ich finde es toll,daß es viele
    Arten gibt,Barockmusik zu interpetieren,trotz der "musik=
    wissenschaftlichen Forschungsergebnisse".Vielleicht wird
    in 50 oder 100 Jahren Bach wieder so interpretiert,wie
    es Karajan gemacht hat.


    (Das gilt auch für die "Wiener-Klassik")


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Ich habe mehrfach über Karajan geschimpft und eher verächtlich über ihn gesprochen. Bis ich einmal draufgekommen bin, dass ich noch kaum etwas von ihn GEHÖRT habe, eher nur über ihn.


    Bei so exponierten Musikern wie es Dirigenten sind, die letztlich irgendwo auch die Verantwortung für eine Aufführung, ein Konzert tragen, kommt es unweigerlich zur Polarisierung. Ich finde, man sollte stark zwischen der tatsächlichen musikalischen Arbeit und dem, was aus der Person gemacht wird, unterscheiden. Es sind zwei Seiten einer Medaille: der unkritische Hype um eine Person, der dann alles geglaubt wird, und die absolute Verdammung. Beides nicht sehr würdig, finde ich.


    Genau deshalb werde ich in nächster Zeit NICHT gleich zurückschrecken, wenn ich wo Karajan lese - und mir das Büchlein, dass ich mal geschenkt bekommen habe, durchlesen. Und mir eventuell eine Biographie besorgen. Denn das Karajan ein wichtiger und prägender Dirigent war, kann man nicht bestreiten, auch wenn man musikalisch nicht mit ihm übereinstimmt.


    Ähnliches gilt für mich auch für Böhm, ich habe bei meinem letzten CD-Einkauf auch einen Fidelio unter Böhm mitgenommen und bin schon neugierig.

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Hallo lohengrins,


    Dein Beitrag liefert in der Tat interessante Denkanstösse, vielen Dank!


    Zitat

    Abbado beeindruckt mich jedes Mal, wenn ich ihn erlebe, auf einer menschlichen Ebene, und so habe ich das Gefühl, dass seine Interpretationen mich auch leichter berühren.


    Das kann ich gut nachvollziehen. Es ist mir oft recht ähnlich gegangen.
    Ob es mit den vielen mir bekannten Ton- und Bilddokumenten zusammenhängt, auf denen Abbado auch optisch auf mich einen überaus sympathischen Eindruck macht, kann ich nicht ganz auseinanderhalten.
    Jedenfalls halte auch ich die BP-Ära Abbados für sehr bedeutsam.


    Eure karajan-biografischen Hinweise lassen in mir den Wunsch reifen, mir das ein oder andere Buch über diesen Dirigenten zuzulegen.


    Sein mediales Wirken war in der Tat phänomenal und singulär.
    Wie viele von uns, hatte ich früher meistens mit Menschen zu tun, die nicht den blassesten Schimmer von klassischer Musik hatten. Eine Mitschülerin sagte mir:" Du hörst doch da immer was von einem Bass oder so?" Bach war gemeint...
    Aber genau diese Leute haben beim Stichwort Klassik spontan und einzig den Namen "Karajan" genannt. ..finde ich schon recht erstaunlich.


    Zitat

    Ich werde vielfach das Gefühl nicht los, dass es bei seiner Art, Musik darzubieten, zu sehr um ihn selbst geht. Da ist viel vom Klang, von der blendenden Oberfläche zu erfahren bei HvK.


    Gut, dass Du "vielfach" und nicht "immer" geschrieben hast.
    Genau die von Dir angesprochene Kritik habe ich auch schon oft von meinem Vater gehört.
    Wenn ich mir dann seine Aufnahmen angehörte, fragte ich mich, ob es zutrifft oder für dieses konkrete Stück sein Ansatz mehr ist, als nur oberflächlicher Glanz. Manchmal traf es zu, andere Male aber auch nicht, da fand ich gerade dieses Musizieren für genau dieses Werk wunderbar.
    Wie ich schon weiter oben schrieb, fand ich z.B. seinen Sibelius hervorragend ( auch Sibelius selbst soll sich ja so geäussert haben)
    Aber auch sein letztes Wiener Neujahrskonzert ist für mich ein Highlight, dass ich allen, die ihn nicht ganz und gar ablehnen, empfehlen möchte:



    @winterreisende


    Zitat


    Original von winterreisende


    Es sind zwei Seiten einer Medaille: der unkritische Hype um eine Person, der dann alles geglaubt wird, und die absolute Verdammung. Beides nicht sehr würdig, finde ich.


    Das sehe ich zu 100% auch so! :yes: :yes: :yes:
    Eine reife und ausgewogene Aussage, Respekt!


    Klangvolle Grüsse vom
    Glockenton :hello:

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Ergänzender Hinweis: In der Sommerausgabe vom Classical Record Collector finden sich gleich 3 Artikel zu Karajan, er ist auch auf dem Titelblatt abgebildet.


    Ich kann hier nicht den ganzen Inhalt wiedergeben. Ein kleiner Artikel beschäftigt sich mit seinem Verhältnis und der Rivalität zu Furtwängler (von Seiten Karajans am Ende nicht so problematisch wie evtl. angenommen), ein zweiter läßt verschiedene Musiker zu Wort kommen, die sich im Großen und Ganzen lobend über ihn äußern (gut, die Auswahl ist subjektiv). Der dritte geht auf sein musikalisches Schaffen ein (ausführlich). Im Ergebnis wollen die Autoren sein Verhalten in der NS-Zeit nicht entschuldigen, stellen aber fest, daß auch andere (Kna, Böhm) nicht moralisch sauber herausgekommen sind. Letztlich war man der Meinung, der Musiker vK müsse das letzte Wort haben. Und das Ergebnis seines Schaffens falle positiv aus. Die hier geäußerten Kritikpunkte spielen kaum eine Rolle bzw. werden nicht so negativ bewertet.


    Meine Einschätzung Karajans ändert sich nicht. Ich habe bereits dargelegt, warum ich seinen Beethoven nicht wirklich schätze, obwohl ich nach wie vor seinen Philharmonia - Zyklus auf EMI auf der Suchliste habe. Einige Opernaufnahmen und seine Metamorphosen werden definitiv in der Sammlung bleiben. Letztlich interessiert mich vK deshalb nicht sehr, weil Orchesterwerke in meiner Sammlung zunehmend in den Hintergrund treten. Karajans Repertoire ist im Regelfall nicht gerade mein Repertoire.


    Wichtigste Ausnahme bei den Orchesterwerken ist Bach, wobei der romantische Bach bei mir durch Furtwängler, Coates, Kna und Mengelberg abgedeckt ist. Bei den Orchesterwerken behagt mir dieser Stil auch nicht (ohne ihn deshalb verdammen zu wollen). HIP ist mir deutlich lieber.

  • Hallo Alfred,


    Du schreibst im Ani-Pianisten-Thread, der für mich ins Niveaulose abgeglitten ist:

    Zitat

    Auch wenn ich nicht immer über alles glücklich bin was hier geschrieben wird (Ich habe gestern einen sehr langen Beitrag zum Karajan -Thread verfasst - und noch vor Veröffentlichung entsorgt) - so möchte ich dennoch nicht immer den bösen Zensor spielen müssen - was ich - entgegen meinem Ruf - ohnedies kaum tue.

    Stimmt.
    Deinen Karajan-Beitrag hätte ich gerne gelesen. Ich weiss, wie Du zu Karajan stehst ;).


    Inzwischen könnte man eine Liste der Karajan-Gegner und Befürworter im Tamino - Forum erstellen. Nie hätte ich gedacht das Karajan so abgewertet werden kann. Das hat bei mir schon zu einer gewissen Enttäuschung geführt, sodaß ich in diesem Thread einfach nichts mehr schreiben möchte.
    Die Karajan-Gegner sind aber auch so festgefahren.


    :P Meine Meinung zu Karajan hat das jedenfalls nicht beeinflußt - denn ich weiß welche CD-Schätze ich mit ihm habe.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo Theophilus,

    Zitat

    Schon bemerkenswert, welch großer Personengruppe du deine Meinung aufzwingst.


    Was, das schaffe ich wirklich? Und ich dachte immer, man kann nur mit Argumenten überzeugen.
    Letzteres klappt mitunter auch bei sehr großen Personengruppen. :rolleyes:
    Umgekehrt könnte ich argumentieren, daß Du der ebenfalls sehr großen Personengruppe, die Karajan nicht mag, Deinen Willen pro Karajan aufzwingst. Aber solche Demagogie versage ich mir. ;)


    Womit ich zu meiner Argumentation komme. Du schreibst:

    Zitat

    Ich kenne keinen anderen Dirigenten, für den eine vergleichbare Liste erstellt werden könnte, lasse mich aber gerne eines Besseren belehren.


    Natürlich kann ich Dir jederzeit eine so lange Liste erstellen, ich brauche dazu nur einen Dirigenten, der annähernd so viele Einspielungen gemacht hat wie HvK und manche Werke doppelt bis dreifach aufgenommen hat (bei drei Versuchen wird einer doch klappen... :D).
    Damit bietet sich nur Bernstein an, der aber als typischer Konzertdirigent mit Operneinspielungen relativ gekargt hat - und das aus gutem Grund.
    Jetzt könnte ich also eine Bernstein-Liste anführen, in der die Mahler-Sinfonien vorkämen, die Sibelius-Sinfonien, Nielsen, dazu Roy Harris, William Schuman, ein paar Beethoven-Sinfonien, zum Drüberstreuen etwas Schumann, eine Prise Ives, natürlich Strawinskij und und und.


    Die ganze Liste hätte nur absolut denselben Nachteil wie Deine Karajan-Liste: Sie entbehrt jeglicher Objektivität, sie ist keine letzte Wahrheit, sondern sie ist auf der Basis des rein subjektiven Geschmacks erstellt und nicht objektivierbar. Sozusagen kommt es auf das Gleiche hinaus, ob ich sage, daß Karajans Tschaikowskij nichts taugt oder ob Du sagst, daß Bernsteins Brahms nichts taugt.


    Ich greife aus Deiner Liste aber ein Beispiel heraus, von dem es mich besonders seltsam berührt, daß Du diese Aufnahme anführst: "Boris Godunow". Ich will auch gleich dazusagen, daß ich diese Einspielung für inferior halte, für eine Denunzierung eines Meisterwerks als Rußland-Kitsch.
    Es beginnt mit der Fassung: Natürlich nimmt Karajan die Rimskij-Korsakow-Version - und zwar ohne den politischen Druck, der sowjetischen Dirigenten diese geglättete Version aufgezwungen hat. Ich frage mich nun: Warum?
    Nichts gewußt vom Original? - Das wäre dann ein etwas fahrlässiger Umgang mit einem Werk, das immerhin ein Meilenstein der Musikgeschichte ist.
    Vom Original gewußt, aber bewußt für Rimskij-Korsakow entschieden? - Das wäre eben typisch für einen Dirigenten, der den äußeren Schein über die Wahrheit stellt.
    Wie man's dreht und wendet...


    Aber lassen wir die Fassungs-Diskussion einmal beiseite. Aufgrund des politischen Drucks haben, wie gesagt, russische Dirigenten mehrfach die Rismkij-Korsakow-Version in Aufnahmen vorgelegt. Und jetzt rate ich zu einem Hörvergleich mit Golowanow und mit Melik-Paschajew.
    Sowohl Golowanow als auch Melik-Paschajew rücken die Rimskij-Korsakow-Version soweit es geht an das Original heran - das geschieht wahrscheinlich unbewußt, es ist eine Empfindungssache, daß etwa gleich am Anfang des ersten Bildes die Sechzehntel-Figur der Streicher bei Golowanow und Melik-Paschajew nach Druck, nach Ausweglosigkeit klingt, bei Karajan aber wunderschön ausformuliert wird und einen tänzelnd-leichten Gestus bekommt.
    Das ist nur ein kleines Beispiel - aber so geht es weiter. Von Details wie den schönen, aber zu weichen Sforzati bei den Glockenschlägen (so weich schlagen nicht einmal westliche Glocken an - und russische schon gar nicht!) und den falsch interpretierten Tremoli (bei russischen Komponisten sind seit Glinka Tremoli immer Spannungserzeuger, nicht ätherische Weichspüler) bis hin zum Großaufbau, etwa der Pimen-Szene, die bei Karajan maßlos langweilig wird, weil er sie offenbar als Recitativo accompagnato auffaßt statt als Erzählung und somit als russischen Verwandten der Gurnemanz-Erzählung im ersten Akt "Parsifal".


    Wenn dieser "Boris" also typisch für Karajans Interpretationskunst sein soll, kommt mir das sehr entgegen - und zwar als Argument gegen Karajan.
    Damit Du aber nicht schon wieder irgendwelche Zwänge bemühen mußt, die ich auf riesige Personengruppen ausüben soll, gebe ich sofort zu, daß auch dieses "Boris"-Statement weit entfernt von jeglicher Objektivität ist. Das Gute ist, daß jeder, ganz ohne Zwang meinerseits, die freie "Boris"-Wahl hat zwischen Golowanow, Melik-Paschajew und Karajan. Ich kann für mich nur sagen: Der Vergleich macht sicher...


    :hello:

    ...

  • Hallo teleton,


    BRAVO,entscheidend ist der eigene Geschmack,


    und die eigenen Hörerlebnisse.Auch wenn Edwin


    denken wird,man habe einen schlechten Geschmack,


    und schlechte Ohren. :D


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Also,
    zunächst mal möchte ich zu Edwins "Verteidigung" (ich weiß, Edwin, hättest Du gar nicht nötig) sagen, dass ich bei seinen Argumentationen gerade angenehm finde, dass er sie niemandem aufzwingt, sondern lediglich entschieden vertritt - finde ich völlig in Ordnung.
    Ich konstatiere Dir, Edwin, auch ohne weiteres, dass Du musiktheoretisch mir weitaus überlegen bist - ich kann mangels dieser theoretischen Kenntnisse Musik und deren Aufführung immer nur danach beurteilen, ob sie mir gefällt und ob ich eventuell andere, bessere oder schlechtere Aufnahmen kenne.
    Zu diesem Deinem Statement

    Zitat

    Für mich aber der absolute Tiefstpunkt sind Tschaikowskij, Schostakowitsch und die wirklich grauenhafte "Boris Godunow"-Aufnahme, also die russischen Komponisten.


    fällt mir dann aber doch ein, dass ich mehrfach gelesen habe, dass sich Schostakowitsch selbst überaus positiv über Karajans Aufführung (ich meine, er war live dabei) der 10. Symphonie geäußert hat - vielleicht war er aber natürlich auch nur sehr höflich... :D
    Ich habe Karajans Aufnahmen mit denen von Haitink und Barshai (dessen Gesamtaufnahme ich sehr gut finde) verglichen und mir hat seine Aufnahme sehr viel besser gefallen, für mich ist dies eine Aufnahme, die mich ganz besonders intensiv berührt, wie das sonst noch keine Schostakowitsch-Aufnahme bei mir geschafft hat..

    Herzliche Grüße
    Uranus

  • Zitat

    Original von Norbert


    Ehrlich, es wäre schön gewesen, wenn Karajan auch die 9. noch einmal aufgenommen hätte.


    Ich meine gelesen zu haben, daß da noch ein hervorragender Mitschnitt (Salzburger Festspiele mit den Wiener Philharmonikern) von Bruckners Neunter aus den späten Achtzigern in den Archiven schlummert. Vielleicht bekommen wir ja doch noch irgendwann die ersehnte Aufnahme.
    Kann meine vage Erinnerung jemand bestätigen?

  • Hallo Uranus,
    Schostakowitsch hat prinzipiell bei allen West-Interpreten gesagt, wie wunderbar ihre Aufführungen sind.Er hat im Westen auch die Vorzüge des Kommunismus verkündet. Er hat auch, wenn man Wolkow glaubt, gesagt, Mrawinskij würde seine Werke nicht verstehen.
    Soll heißen: Schostakowitsch hat, wie viele Komponisten, ebenfalls sehr aus dem Bauch heraus geurteilt.
    Die Nachwelt hat nun das Problem, damit zurecht zu kommen (bei Britten ist es noch schlimmer). Ich kann für mich nur sagen, daß er für meinen Geschmack sowohl Karajan als auch Mrawinskij falsch einschätzt.


    Nun, die 10. Schostakowitsch: Ich weiß, daß die Karajan-Aufnahme Vorzüge hat: Sie ist perfekt im Klang, sie hat einen wunderbaren Streicher-Sound, die Bläser leuchten.
    Ich verstehe sehr gut, wenn jemandem das gefällt.
    Ich gebe aber nur zu bedenken, daß man sich diese 10. auch unter Mrawinskij, Kondraschin und Roschdestwenskij anhören sollte.


    Du führst als Vergleich Haitink an und Barschai. Nun: Haitink ist bei Schostakowitsch ein Langweiler sonder gleichen. Er bietet auch Oberflächenglanz, aber ohne die Brillanz, durch die Karajan besticht. Barschai wiederum ist als Ganzes nicht ganz mein Fall, ich gebe es zu, wohl wissend, daß er als herausragender Schostakowitsch-Exeget gilt. Ich finde, daß sein kompletter Zyklus ein fulminantes Preis-Leistungsverhältnis bietet und daß viele Symphonien wirklich fabelhaft interpretiert sind. Aber das Orchester läßt doch die letzte Durchschlagskraft vermissen - bei Karajan ist sie zweifellos vorhanden.
    Wenn man aber Karajan mit Kondraschin vergleicht, hat man einerseits die orchestrale Perfektion und Durchschlagskraft auch beim Russen, andererseits bringt Kondraschin in diese Musik einen Ton der Verzweiflung und der Resignation, den ich bei Karajan nicht finde.
    Ich sage es jetzt in boshafter Überspitzung: Karajan dirigiert Schostakowitsch wie Tschaikowskij, was nicht so schlimm wäre,würde er Tschaikowskij nicht so dirigieren, wie er es macht.


    Damit nochmals mein Hauptargument gegen Karajan: Wunderschöne Aufnahmen, aber die meisten davon glatt und nur von äußerlichem Klangzauber.


    Wenn man das mag, ist man bei Karajan sicherlich gut bedient und wird auch von Aufnahmen begeistert sein, die IMO völlig am Stil eines Komponisten vorbeizielen ("Pelléas", die Russen, Mahler - für mich besonders schlimm die IX.).
    Mir steht auch sein Bach und sein Mozart fern - nicht, weil es zu "romantisch" zuginge. Aber wenn ich Mozart "auf die alte Art" hören will, stehen mir Krips und Böhm näher, wenn ich Bach "auf die alte Art" hören will, dann lieber doch Klemperer, Knappertsbusch, Mengelberg - weil ich bei diesen Dirigenten nicht das Gefühl habe, daß sie nur schönen, sondern daß sie auf ihre Weise unbedingt nach Ausdruck und damit nach Wahrheit streben.


    Ich gebe aber gerne zu, daß Karajan ein paar Werke wirklich so dirigiert hat, daß auch ich (ohne Leidenschaft zwar, aber doch) zustimmen kann, etwa:
    Beethoven: Welligtons Sieg
    Bizet: "Arlesienne"-Suiten
    Brahms: Ungarische Tänze
    Holst: "Planets"
    Honegger: 3. Symphonie ("Liturgique")
    Liszt: Les Preludes
    Prokofjew: "Peter und der Wolf" (Romy Schneider!)
    Strauss: "Don Juan"


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Damit nochmals mein Hauptargument gegen Karajan: Wunderschöne Aufnahmen, aber die meisten davon glatt und nur von äußerlichem Klangzauber.


    Ersetze "die meisten" durch "viele" oder "etliche", dann kann ich damit leben... ;)


    Im Ernst: Ich freue mich, daß die letzten Beiträge zur Wieder-Versachlichung der Diskussion beigetragen haben, nachdem der Thread gestern "hart am kippen" war.


    Es geht hier imo nicht um recht haben, sondern um die Darstellung des eigenen Geschmacks bzw. um eigene Höreindrücke. So lange eine Zustimmung oder Ablehnung verdeutlicht wird, darf man gerne unterschiedliche Auffassungen besitzen.


    In der Musik gibt es selten "richtig" oder "falsch", es gibt imo mehrere Möglichkeiten, sich einem Werk zu nähern und es entsprechend zu interpretieren, so daß faszinierende Beispiele entstehen.


    Um auf die öfter erwähnte 7. Sinfonie von Bruckner zurück zu kommen: Ich liebe die Vielfalt der imo sehr guten Interpretationen sowohl der Herren Gielen, Wand (NDR), Walter, Harnoncourt und Klemperer, die -wie Edwin einmal schrieb- sich Bruckner "intellektuell" nähern als auch die Herren Böhm, Karajan, Abbado und Giulini, die es gerne etwas "weihevoller" mögen.


    Ist Wands Bruckner "richtiger" als der Karajans? Ich persönlich glaube nicht...


    Nachtrag zu Markus' Aussage

    Zitat

    Ich meine gelesen zu haben, daß da noch ein hervorragender Mitschnitt (Salzburger Festspiele mit den Wiener Philharmonikern) von Bruckners Neunter aus den späten Achtzigern in den Archiven schlummert. Vielleicht bekommen wir ja doch noch irgendwann die ersehnte Aufnahme.
    Kann meine vage Erinnerung jemand bestätigen?


    Die Antwort würde mich brennend interessieren...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hallo Edwin,


    ist ja toll,daß Du einige Werke unter dem Dirigat Karajans


    akzeptierst.Da wird er sich aber freuen,im Elysium.


    Du hast aber doch die Strauß-Walzer und die


    Preußischen Märsche vergessen. :D


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

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