Immer wieder liest man von den Verteidigern des Regisseurstheaters, dass die Musik ja auch von einem modernen Orchester gespielt wird. Eine Argumentation, die mir völlig sinnlos erscheint und von Hilflosigkeit zeugt.
Violinen sind Violinen geblieben, Flöten sind Flöten, Fagotte sind Fagotte, Harfen sind Harfen usw., auch wenn sie modernerer Bauart sind. Es handelt sich also nur um klangliche Nuancen. Und die hat es immer schon gegeben. Feine Nuancen bestehen für das empfindsame Gehör z.B. schon zwischen zwei Violinen verschiedener Bauart (z.B. Amati und Stradivari). Wer kennt – bei allen modernen Versuchen, den Originalklang wieder herzustellen, diesen Originalklang genau. Auch zur Entstehungszeit gab es zwischen den einzelnen Orchestern gewiss Nuancen. Und ein Dirigent der Neuzeit wird die Instrumente wohl so einsetzen, wie sie der Komponist in der Partitur vorgesehen hat. Oder werden von Dirigenten etwa Saxophone statt Trompeten, Hörnern oder anderer Blasinstrumente eingesetzt? Oder E-Gitarren statt der Violinen oder anderer Streicher?
Und auch bei den Stimmen gibt es diese Nuancen.
Das Wesentliche ist doch: Die Musik ist wiederzuerkennen!
Auch die Handlung ist in der Partitur von Komponisten vorgegeben. Das Regisseurstheater aber verunstaltet diese bis zur völligen Unkenntlichkeit. Da kann man doch wirklich nur von Willkür und Respektlosigkeit reden.
Einen Vergleich mit dem modernen Orchester als Argument heran zu ziehen, hinkt nicht nur, sondern ist für mich völlig daneben gegriffen.
Um auf den richtigen Vergleich zurückzukommen: Wir lehnen es ja auch durchaus nicht nicht ab, wenn die vom Komponisten vorgegebene Handlung mit den Mitteln der modernen Bühnentechnik dargestellt wird. Ich habe von vielen Opern mehrere verschiedene Inszenierungen (Nuancen) gesehen, ohne dass die Handlung entstellt worden wäre. Während in der Musik die Noten der Partitur so umgesetzt werden sollen, wie sie dort stehen, verlangt aber wohl niemand, dass die Regieanweisungen detailgenau umgesetzt werden. Aber die wesentlichen Dinge, die auch die Orte und Zeiten der echten Handlung erkennen lassen, sollten vorhanden sein. Ein arger Missbrauch des Werkes bleibt für mich, die Handlung zu verlegen oder so zu verdrehen, sogar oft ins Gegenteil zu verkehren, wie es die modischen Regisseure tun, weil sie es einem verrückten Zeitgeist schuldig zu sein glauben.
Jeder einigermaßen gebildete Zuschauer sollte doch wissen, dass z.B Julius Caesar in der Zeit vor Christus gelebt hat, und nicht im Zeitalter der Stahlhelme, Panzer,Maschinengewehre und Raketen. Und das gilt bei vielen Opern, die einen historischen Hintergrund als Handlung haben. Auch wenn man die Zeit und die Geschehnisse, die hier behandelt werden, nicht jahrgenau weiß, so weiß jeder einigermaßen Gebildete doch in etwa, wohin sie gehören und, dass sie nicht in unsere Zeit gehören. Sie in andere Zeiten zu legen ist einfach gesagt Geschichtsverfälschung und kehrt damit den Bildungauftrag, den auch die Oper hat, in sein Gegenteil um.
Was soll Rigoletto auf dem Planet der Affen oder dem im Regisseurstheater inzwischen so gern für alles Mögliche und Unmögliche angewendeten Zirkus oder Varieté? Was haben die Ratten und andere dumme Mätzchen im Lohengrin zu suchen? Was soll man überhaupt von den vielen hier schon häufiger genannten „-grins“ halten? Wie erklären sich solche groben Verirrungen wie der „Freischütz“ von Bieito oder der von Kay Voges in Hannover? Was hat Tannhäuser im Biogasbehälter zu tun? Ist Carmen eine billige Nutte, die man im Puff darstellen muss? usw.usw.
Auf diese und Hunderte ähnlicher konkreter Fragen, habe ich bisher von den Befürwortern des Regisseurstheater keine konkrete Antwort bekommen. Sie schreiben nur endlos lange, abwegige, theoretische Betrachtungen. Ich muss also annehmen, dass sie selbst nicht ohne vorherige Anleitung hinter die Mätzchen dieser Regisseure kommen und daher auf konkrete Fragen keine Antwort wissen.
Doch halt, um der Wahrheit die Ehre zu geben, auf zwei Fragen habe ich eine Antwort erhalten. Ich habe nicht die Zeit und Lust, sie hier wörtlich aufzusuchen, und kann sie daher nur sinngemäß wiedergeben:
Die erste betraf den Epilepsiegrin aus der Scala. Hier lautete die Antwort, dass Wagner Lohengrin als Schwächling angelegt habe. Das möge glauben wer will, ich nicht.
Die zweite betraf den Tannhäuser im Biogasbehälter. Hier lautete die Antwort sinngemäß: Wenn auf dem Behälter das Wort „Wartburg“ steht, dann ist das die Wartburg. Ein besonderes Zeugnis hoher „Intelligenz“!
Liebe Grüße
Gerhard