Regietheater - Konzepttheater - altbackene versus moderne Inszenierung

  • Nein keine Angst - dieser Thread soll nicht einer de bereits in ausreichender Menge bestehenden "Regietheaterthreads" sein, die diese Forum ja auszeichnen und seine Beliebtheit gefestigt haben :baeh01:


    Hier möchte ich vielmehr versuchen, auszuloten, was ihr persönlich bereits als unzumutbar empfindet, was aber für euch andrerseits lediglich als "Modernisierung" empfunden wird.


    Inszenierungen waren ja stets einem Wandel und Moden unterworfen. Ich möchte hier Rampentheater, da capo Arie etc ins Spiel bringen, ebenso wie Aufführungen in stilisiertem Outfit und mit Minimalrequisite,
    Kürzungen, Aktualisierungen sprachlicher Natur, Umtextungen. All das hat es schon mal gegeben.


    Was sind Eurer Meinung nach die Erkennungsmerkmalie eine "modernen Inszenierung" - bzw inwieweit sind solche überhaupt möglich.


    Sehen wir uns bei den bereits im DVD Bereich besprochenen drei Zauberflöten-Inszenierungen- die ja alle sehr unterschiedlich ausgefalllen sind - um. Ist eine der drei bereits Regietheater, bzw Konzepttheater ?


    Wie unterscheiden sie sich Eurer Meinung nach ?


    Aber es können selbstverständlich auch andere Opern und ihre Realisierungen analysiert werden.


    Ist eine "moderne" Inszenierunge - unter Auslassung des "Regietheaters" überhaupt denkbat - und wenn ja - wi sollte sowas aus Eurer Sicht aussehen ?


    Ich hoffe, daß Ihr Euch mit diesem etwas eigenwilligen Thema anfreunden werdet.....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Danke, Alfred für dieses interessante Thema :).
    Also für mich beginnt es dann problematisch zu werden, wenn das ganze in eine andere Zeit verlegt wird. Mit abstrakten oder schlichten Bühnenbildern kombiniert mit historischen Kostümen kann ich dagegen meist noch leben...
    Es gibt nur ganz ganz wenige Fälle, bei denen ich einem Regisseur die Zeitverlegung verzeihe...


    Die Zeitverlegung ist für mich so etwas wie das Erkennungsmerkmal einer modernen Inszenierung. Durch diesen Eingriff bekomme ich das Gefühl, dass sich der Regisseur nicht mehr an Libretto und Partitur gebunden fühlt.
    Von der Logik her passt dann auch meist das Gespielte nicht mehr zum Text.


    :hello:

  • Zitat

    Die Zeitverlegung ist für mich so etwas wie das Erkennungsmerkmal einer modernen Inszenierung.


    Ist es das tatsächlich ?


    Genau diese Frage habe ich mir nämlich gestellt, als ich die drei Tauberflöten, welche ich im Opern DVD Bereich besprochen habe, gesehen habe. ALLE drei sind eigentlich nicht Zeutversetzt, wobei bei der Zauberflöte eigentlich keine Zeit vorgegeben ist., ebensowenig wie ein Ort. Immerhin sind uns Bühnenbildentwürfe von Schinkel (1815) überliefert, die damals sicher beeindruckend waren, heute aber an einen "ägypten-Hollywoodschinken" erinnern.


    Die Londoner und die Pariser Inszenierung - würdet ihr die als "modern" bezeichen ? Regietheater sind si - trotz gewisser Eigenwilligkeite und Grenzüberschreitungen, meiner Meinung nach indes definitiv NICHT.


    Ich habe soeben auch 3 Versionen von Hoffmanns Erzählungen von Offenbach gesehen - Eine ist bereits beschrieben.
    Aber hier ist die Grenze noch schwieriger zu ziehen-


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Titan


    Langsam reicht es.......


    Lieber Figarooo
    Diese Diskussion wird von Alfred (TAMINO-Chef) unter einem (vermeintlich) NEUEN THREAD fast jede Woche NEU aufgewärmt....manchmal weniger aggressiv...manchmal auch mehr: SEINEM CREDO gemäß. (was sein gutes Recht ist)


    Dieses FORUM lebt aber nicht primär von Grabenkämpfen und Konfrontation...was nicht heißen soll, daß Gegensätze -- gerade in Punkto Musiktheater nicht deutlich gemacht werden sollen/ auch konfrontativ angegangen werden muessen--


    Wenn Dein Horizont das paradigmatische, metapherhafte...einfach gesagt, die Aussagekraft einer (Opern)--Geschichte NICHT in der heutigen Zeit sehen kann....dann taugt entweder das Libretto NIX....oder Du lebst vielleicht lieber in einer Traumwelt / Vergangenheit...........natürlich kann es viele Gründe für Deine Argumentation geben,


    OPER lebt nur so lange in unserer Gesellschaft WIE WIR fähig sind sie als Teil unserer gegenwaertigen Kultur/Gesellschaftsproblematik zu erkennen und uns für sie einzusetzen.


    Wir liefern "UNS" den Kulturbanausen in Politik und Gesellschaft ans Messer, wenn wir den gesellschaftlich relevanten Stellenwert der OPER als Kunstgattung nicht vertreten...................


    Es geht NICHT darum OB Du einem Regisseur >> die Zeitverlegung (eines Opernstoffes) in seltenen Fällen verzeihen kannst >> SONDERN es geht um DEINEN Horizont....und OB Deine Liebe zur Oper gesellschaftliche relevante Themen durch Musik ein wichtiger Teil Deines Lebens seien wollen.


    WIR, die wir die OPER lieben, müssen dafür kämpfen, dass diese als >>gegenwärtige, notwendige kulturelle Regulierungseinheit einen gesellschaftlich relevanten Status bekommt, an dem die Politik nicht vorbeikommt .....und folglich ihn weiter fördern muß im gesamtgesellschaftlichem Interesse.................


    Mit solidarischem Gruß----------------"Titan"
    Opernstoffe erzählen UNSERE Probleme von HEUTE, egal ob es um La Boheme, Don Carlos, Rheingold, oder Fidelio geht.........

  • Zitat

    Original von Figarooo
    Danke, Alfred für dieses interessante Thema :).
    Also für mich beginnt es dann problematisch zu werden, wenn das ganze in eine andere Zeit verlegt wird. Mit abstrakten oder schlichten Bühnenbildern kombiniert mit historischen Kostümen kann ich dagegen meist noch leben...


    Hallo figaroo,


    geht mir auch so. Wobei ich mit abstrakten Bühnenbildern und historischen Kostümen oft auch schon massive Probleme haben. Ich würde den Otto Schenk-Ring z.B. immer dem Wieland Wagner-Ring vorziehen.


    LG,


    Knuspi



    Zitat

    Original von Titan
    OPER lebt nur so lange in unserer Gesellschaft WIE WIR fähig sind sie als Teil unserer gegenwaertigen Kultur/Gesellschaftsproblematik zu erkennen und uns für sie einzusetzen.


    Diese Meinung teile ich, jedoch finde ich nicht, dass der Zweck die Mittel heiligt - sprich: Das Regietheater macht hier mehr kaputt als dass es hilft. Schon alleine dadurh, dass es die Leute vergrätzt und aus den theatern getrieben hat und treibt.

  • Langsam reicht es.......


    Offensichtlich nicht, weil es mir zwar gelungen ist, die Gegener des Regietheaters ein wenig zu mobilisieren, die Anhänger zu verärgern bit zu verängstigen, nicht aber die speziell in diesem Thread gestellten Fragen beantwortet zu bekommen.


    Zitat

    Diese Diskussion wird von Alfred (TAMINO-Chef) unter einem (vermeintlich) NEUEN THREAD fast jede Woche NEU aufgewärmt....manchmal weniger aggressiv...manchmal auch mehr: SEINEM CREDO gemäß. (was sein gutes Recht ist)


    Dieser Vorwurf stimmt nur zum kleinen Teil.


    Beginnen wir dort wo er stimmt.


    Das Thema ist letztlich DAS Schicksalsthema von Tamino hieran heben sie die Geister geschieden. GLeichzeitig ist es das Therma mit der höchsten Einschaltquote von Mitlesern, es verschafft dem Forum Mitleser - und auch neue Mitglieder. Diesen Aspekt habe ich bei meinen Threads stets im Auge. Mit Anti-Karajan und Anit-Böhm Thermen (es gab sie hier in der Vergangenheit) ist kein Blumentopf zu gewinnen - und schon gar keine Freunde in der Klassikszene.


    Zitat

    Dieses FORUM lebt aber nicht primär von Grabenkämpfen und Konfrontation...was nicht heißen soll, daß Gegensätze -- gerade in Punkto Musiktheater nicht deutlich gemacht werden sollen/ auch konfrontativ angegangen werden muessen--


    Nun - es lebt sicher von gegensätzlichen Meinungen.
    In der Klassikszene ist das ohnedies schwierig zu handhaben, weil viele schon aus dem Forum ausscheiden, wenn man ihren Lieblingsinterpreten angreift.


    Zitat

    Wenn Dein Horizont das paradigmatische, metapherhafte...einfach gesagt, die Aussagekraft einer (Opern)--Geschichte NICHT in der heutigen Zeit sehen kann....dann taugt entweder das Libretto NIX....oder Du lebst vielleicht lieber in einer Traumwelt / Vergangenheit


    Genau DAS ist der Punkt.
    Die Mehrheit jener Leute, die sich mit Kunst (im alten Sinne des Wortes) auseinandersetzt, bzw sie als Interessenschwerpunkt erkoren hat, lebt TATSÄCHLICH in einer Traumwelt
    Theater, Oper, Konzert - all das ist in erster Linie dazu da, uns in eine Traumwelt zu entführen (Wäre ein toller neuer Thread, DARÜBER zu dirskutieren,- wird aber mit ziemlicher Sicherheit beim Regietheater enden) Man kann das auch anders sehen - aber dann verkennt man die Intentionen der Mehrheit seines Publikums.



    FRanz von Schober schrieb darüber schon cor etwa 200 Jahen die Verse:


    Du holde Kunst, in wieviel grauen Stunden,
    Wo mich des Lebens wilder Kreis umstrickt,
    Hast du mein Herz zu warmer Lieb entzunden,
    Hast mich |: in eine beßre Welt entrückt! :|


    Oft hat ein Seufzer, deiner Harf' entflossen,
    Ein süßer, heiliger Akkord von dir
    Den Himmel beßrer Zeiten mir erschlossen,
    |: Du holde Kunst, ich danke dir dafür! :|


    Zitat

    OPER lebt nur so lange in unserer Gesellschaft WIE WIR fähig sind sie als Teil unserer gegenwaertigen Kultur/Gesellschaftsproblematik zu erkennen und uns für sie einzusetzen.


    DAs glaube ich nicht.
    würde DAS so stimmen, dann würden Heiligenbilder aus dem 15. Jahrhundert keine Berechtigung mehr haben, in einer Zeit, da kaum jemand an Gott, Auferstehung etc glaubt.


    Indes- der MUSEALE, HISTORISCHE Wert ist da - Manches Bild, ja manche Literatur ist lediglich deswegen erhaltenswert, weil es sich hier um Fenster zur Vergangenheit handelt.


    Zitat

    WIR, die wir die OPER lieben, müssen dafür kämpfen, dass diese als >>gegenwärtige, notwendige kulturelle Regulierungseinheit einen gesellschaftlich relevanten Status bekommt, an dem die Politik nicht vorbeikommt .....und folglich ihn weiter fördern muß im gesamtgesellschaftlichem Interesse.................


    Wie wir aus der Konzertwelt sehen, geht die entsprechende Kultur durch Ausfall der staatlichen Subventionen nicht zugrunde, lediglich derjenige, der die Subventionen gibt ist ein anderer.
    Dieser andere ist in der Regel ein Mäzen aus der Wirtschaft, oder des Adels (ja den gibt es auch noch, wenngleich er in Österreich seine Titel nicht offiziell führen Darf. Aber er ist ein Machtblock mit Geld und -Einfluss)
    Diese Mäzene sind natürlich keine Wohltäter (von Ausnahmefällen mal abgesehen) sondern wollen ihrem Kundenkreis, sagen wir mal den Käufern von Nobelkarossen oder Edlem Parfüm , anzeigen, daß ihnen Kultur ein Anliegen ist, und ihr Produkt die richtige Linie vertritt.
    Das bringt es aber (glücklicherweise ) auch mit sich, daß man auf den Publikumsgeschmack der angepeilten Zielgruppe Rücksicht zu nehmen hat. Die Opernhäuser müssen voll sein, die Akzeptanz hoch.


    Die Subventionierung von ungeliebten - ja teilweise sogar gehassten Inszenierungen - das kann sich nur der Staat keisten - oder besser gesagt : KONNTE !!


    Damit habe ich - wie ich hoffe einen Einwand gegen diesen Thread ein wenig beantwortet.


    Aber letzttlichist es nicht meine Schuld, daß meine Themen - subtil formuliert - immer wieder nur die Anhänger und die Gegner des Regietheateres mobilisieren. Wenn das so ist, dann muß mabn es eben als gegeben hinhehmen.


    Vielleicht sollte ich meine Fragern etwas anders formulieren:
    So probieren wir es also:


    Die von mir mehrfach erwähnten Inszenierungen der Zauberflöte (London und Paris) - sind die nach Eurer Meinung MODERN - oder schon Regietheater ? Bzw seht ihr sie als lediglich traditionell an ?


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Hier möchte ich vielmehr versuchen, auszuloten, was ihr persönlich bereits als unzumutbar empfindet, was aber für euch andrerseits lediglich als "Modernisierung" empfunden wird.


    Ich kann das jetzt nicht als Kampf-Aufruf verstehen.
    "Unzumutbar" ist ein hartes Wort - ich ersetze es durch "was ich nicht sehen will" - und das wären sowohl zeitliche Versetzungen als auch minimalistische Versionen. Außerdem mag ich nicht, wenn man das Empfinden hat, der Regisseur mache ein paar Späßchen, weil er den originalen Empfindungsgehalt einer Szene nicht teilen mag oder kann - das betrifft die ja ansonsten recht hübschen und akzeptablen Schenk-Inszenierungen (z.B. Rosenkavalier 2. Akt der Blödsinn mit den Paravents).
    :hello:

  • Mich stört die Überschrift dieses Threads: "Altbacken"? Ich empfinde dem Libretto verpflichtete Inszenierung nicht als altbacken. Ist es nicht eher umgekehrt? Nichts ist altbackener, verstaubter und langweiliger als eine Regietheaterinszenierung, die eine politisch korrekte Interpretation mit politisch inkorrekten Bildern illustriert. SCHNARCH!


    Eine werktreue Inszenierung wird aus sich heraus immer hochaktuell und brisant sein und bleiben, weil sie es jedem Zuschauer gestattet bzw. ihn auffordert sich des Werkes anzunehmen und eigene Parallelen zu ziehen. Dies kann mal auf die eigene Situation bezogen sein, mal auf die Politik, auf das Weltgeschehen... Das ist ja gerade das Schöne an Kunstwerken: Sie bieten jedem etwas.


    Das Regietheater zwängt das Wek in eine Schublade, versieht diese mit der Aufschrift: "Gesamtkunstwerk", heftet noch das Siegel "Unantastbare, künstlerische Freiheit" dran und erwartet, dass man vor Ehrfurcht erschauernd "Danke" sagt.


    Nein, Danke.

  • Da schließe ich mich an - Alfred propagiert hier "moderne" Inszenierungen, schließlich ist er ein Gegner eines konsequent historischen Ansatzes. Und es will ihm einfach nicht gelingen, neutral zu formulieren.
    :D

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  • Mein Gott, so lange engagiert und nicht unter der Gürtellinie diskutiert wird ist das alles doch in Ordnung. Gegensätze müssen auch pointiert herausgearbeitet werden.
    Nur eines dürfte klar sein, wenn Oper nicht mit der Zeit geht, geht sie mit der Zeit. Jede Kunstform muss sich mit der Gegenwart und der Aktualität befassen. Sie sollte gesellschaftliche Trends und Entwicklungen erfasssen. aufzeigen und kritisch und eventuell sogar unbequem aufarbeiten.
    Für mich ist das keine Frage einer tradtionellen oder modernen Inszenierung. Entscheidend ist. ob dem Regisseur eine schlüssige Deutung gelingt und er wirklich neue, weiterführende Gedanken bieten kann.
    Meine persönlichen Grenzen sind erreicht, wenn grob gegen das Werk und den Willen des Komponisten verstoßen wird, wenn der Werkinhalt auf den Kopf gestellt wird, wenn läppische Gags oder sexuelle Abartigkeiten dominieren, wenn der Regisseur die Handlung grob verändert oder weiterdichtet. Ebenso, wenn alle einem Trend hinterherhecheln, diesen aufgreifen und nachmachen. Zuletzt war das mit der Manie von Koffern oder mit dem finalen Todesschuss so. Wie uninspieriert und gerade das Gegenteil einer modern-kreativen Inszenierung.
    Um vielleicht ein Beispiel zu bringen, in einer "Parsifal"- Inszenierung, die wir um die Osterzeit erlebten, strahlte der Gral am Anfang extrem hell. Am Ende, wo er eigentlich leuchten soll war er dunkel und schmolz sogar irgendwie weg. Damit ist für mich die ganze Erlösungsidee gestorben und der Inhalt konterkariert.
    Meiner Meinung nach sollten wir hier im Forum konkrete Inszenierungen kommentieren, denn die Frage traditionell oder modern abstrakt gestellt bringt uns nicht weiter.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber Titan,
    ich habe meine Meinung zum sog. "Regietheater" zwar hier in den verschiedensten Threads schon zum Ausdruck gebracht, aber Deine
    zum Ende ´Deines Beitrages geäußerte Meinung, dass praktisch alle Opern geeignet sind, unsere eigenen, heutigen Probleme in der Jetztzeit zu behandeln, kann ich denn doch nicht unwiedersprochen lassen.
    Es passt eben nicht bei alllen Werken, bei einigen sehr wohl, dass habe ich auch immer so empfunden. Aber bei vielen Stücken sind doch die handelnden Personen mit ihrem Tun und Denken in der Zeit des Werkes, die bei seiner Entstehung festgelegt wurde, verbunden.
    Wenn dann die "heutigen" Menschen aber so weit davon entfernt sind, kann das nicht mehr stimmen. Das empfinde ich bei "zeitversetzten" Stücken häufig und gebe daher Figaroo mit seiner Meinung recht.


    Ich will nicht noch einmal die Meinung Joachim Kaisers zu solchen Modernisierungen hier nennen, aber das " Tugendsystem und die gesellschaftlichen Umstände " haben sich nun mal ganz stark verändert !
    Ich fände es gut, wenn ein Regisseur unbedingt eine Verlegung in die heutige Zeit haben möchte, dass er sich daran setzt und die Texte entsprechend verändert (wenn dadurch die Handlungsweise der Personen auch nicht wesentlich verändert wird) oder am besten er schreibt das Stück ganz neu . Das solche Veränderungen ein Stück aushalten kann, habe ich vorige Woche hier bei einer Aufführung des Bremer Shakespeare-Ensembles mit dem "Hamlet" gesehen. Es wurde "modern" inszeniert und man hat die Texte in moderne Sprache übersetzt und nur einen Teil der bekannten Monologe in der alten Übersetzung gelassen - und das hat geklappt. Wobei die Handlungsweise der Personen in diesem Stück ja auch heute noch genau passen.
    So ist es auch bei einem Teil des Opernrepertoires - da ist es problemlos möglich - aber eben nur bei einem Teil !


    Gruss G.

  • Zitat

    Original von operus
    Jede Kunstform muss sich mit der Gegenwart und der Aktualität befassen. Sie sollte gesellschaftliche Trends und Entwicklungen erfasssen. aufzeigen und kritisch und eventuell sogar unbequem aufarbeiten.


    Das sehe ich natürlich nicht so. An sich ist die Kunst ja frei und muss sich dementsprechend auch gar nicht um die Gesellschaft kümmern - das ganz generell.


    Andererseits sollte man zwischen den "schaffenden" und den "nachschaffenden" Künstlern unterscheiden. Wenn ich schon nicht der Meinung bin, dass ein Komponist sich mit gesellschaftlichen Trends beschäftigen muss, so gilt das natürlich noch viel weniger für einen Oboisten.
    :hello:

  • Zitat

    Jede Kunstform muss sich mit der Gegenwart und der Aktualität befassen. Sie sollte gesellschaftliche Trends und Entwicklungen erfasssen. aufzeigen und kritisch und eventuell sogar unbequem aufarbeiten.


    Lieber operus,
    ja, dann beleuchten wir mal die Aktualität und die Trends der Zeit...
    Im ganzen Land werden Marktplätze und Fußgängerzonen wieder mit Pflastersteinen bestückt, ganz so wie man das früher mal hatte. Allerorten scheinen Nostaltiger und Ewiggestrige am Werk zu sein...
    Also wenn wir schon die Trends bemühen...


    Aber bringen wir ein Beispiel aus dem Opernbereich:
    Am 12. Juli 1980 wurde am Mannheimer Nationaltheater - in Anwesenheit des Komponisten - die Oper DER JÜNGSTE TAG (nach einem Schauspiel von Ödön von Horvát) uraufgeführt.
    In der Handlung geht es um den Eilzug 405, der ein Signal überfahren hat...


    Seit der Uraufführung sind nun exakt 30 Jahre und zwei Tage vergangen. Wenn nun heutzutage dieser Eilzug durch einen ICE ersetzt würde und die Bahnbediensteten ihre Signale über den Computer steuerten, wäre dagegen ganz bestimmt nichts einzuwenden. - ganz sicher hätte Giselher Klebe, würde er noch leben, nichts dagegen.


    Was macht nun eine "moderne" Regie aus solch einem Stoff? Der Ort der Handlung wird nach Afghanistan verlegt und aus dem Zug wird eine Panzerkolonne...


    Mein Tipp:
    Will man das aktuelle Afghanistanproblem musikalisch aufarbeiten, denn schreibe man eine neue Oper, mit allem was so dazu gehört...
    Gleiches gilt auch für alle anderen gesellschaftlichen Probleme, aber is ist offensichtlich leichter, vorhandene gute Musik als eine Art Trojanisches Pferd zu benutzen.

  • Ich werde versuchen ein wenig den Begriff "altbacken " zu erläutern - und vielleicht auch wie es zu diesem Thread kam.


    Hier wurde ja (verständlicher- aber zugleich fälschlicherweise) vermutet ich würd hier eine neue Waffe gegen das Regietheater ins Rennen schicken- Aber das ist aus verschiedenen Gründen nicht der Fall, insbesondere da derzeit bereits dre Threads in dieser Richtung am Laufen sind, von denen aber eigentlich nur einer die "Speerspitze" darstellt.


    Dieser Thread entstand aus der Tatsache, daß ich derzeit im Begriffe bin DVD-Aufnanahmen "herkömmlicher" Inszenierungen zu kaufen, anzusehen, und zu besprechen.


    In diesem Zusammenhang konnte ich die Erfahrung machen, daß manches was wor 40 Jahren eine Spitzenaufführung einesr Oper war, heute doch ein wenig "altbacken" wirkt.
    Das hat nuicht unbedingt etwas mit der "Inszenierung" zu tun, sondern auch mit den auftretenden Künstlern.


    Die Sänger waren früher durchwegs korpulenter, die Schminktechnik war eine andere, und die Art zu sprechen - bei gleichem Text - eine andere. Wer sagt heut noch Määdchen - nein man sagt heute (übrigens sprachlich falsch : Meedchen .


    Auch die Art sich zu bewegen war anders. Selbst die verwendete Sprache spielt eine Rolle, Hoffmanns Erzählungen unter Felsenstein in Deutsch ist hervorragend gemacht, wirkt aber in Details heutzutage auf mich zu plump (wobei ich den vorzüglichen ersten Akt extra ausnahme)
    speziell, Prolog und Epilog, bzw bei jenen Zwischenstellen in Lutters Keller, die im Original gar nicht voirhanden sind.


    Die Liste liesse sich fortsetzen.


    Ich werde speziell bei meinen "Hoffmann-Besprechungen - die zweite sollte Ende dieser Woche fertig sein - besonderes Augenmerk schenken.


    Wenn Knusperhexe schreibt:


    Zitat

    Eine werktreue Inszenierung wird aus sich heraus immer hochaktuell und brisant sein und bleiben


    dann ist das zwar im Kern richtig - aber eben nicht völlig.


    Ich möchte das an zwei Beispielen zur Diskussion stelllen.


    Würde man die Felsenstein Inszenierung von Hoffmanns Erzählungen in gleicher Regie und gleicher Ausstattung mit gleichen Texten HEUTE wiederholen, so wäre das Ergebnuis ein anderes. Welches- das kann man nicht vorgersagen. Es wäre die Möglichkeit, daß der Eindruck einfach MODERNER wärer, im Sinne von "zeitgemässer" - oder aber, daß Darsteller und Ausstattung nicht mehr zusammenpassten.


    Ein interessantes Beispiel ist hier die Zefirelli - Carmen der Wiener Staatsoper von 1978, die vor einige Tagen/Wochen über den Bildschirm des ORF flimmerte. Ich war enttäuscht, obwohl ich die ursprüngliche Version 1978 unter Carlos Kleiber mit Placido Domingo, als hervorragend in Erinnerung hatte. Ich habe die alte Aufnahme auf DVD heuite erworben - und in den nächsten Wochen werde ich wissen ob die Neuauflage gelitten hat, ob ich die Inszenierung einst überschätzt habe - oder ob sich einfach mein Geschmack geändert hat.


    Damiot kein Mißverständnis aufkommt, auch die Neuauflage war jeder Konzepttheaterinszenierung in jedem Falle vorzuziehen...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Ich werde Die Sänger waren früher durchwegs korpulenter, die Schminktechnik war eine andere, und die Art zu sprechen - bei gleichem Text - eine andere. Wer sagt heut noch Määdchen - nein man sagt heute (übrigens sprachlich falsch : Meedchen .


    Alfred


    Wenn heute ein Sänger "Meedchen" singt, stehen mir die Haare zuberge........


    Entschuldingung, das ist OT

  • Ich weiß nicht, ob an irgendeiner Stelle zu dem Thema "Regietheater", das in diesem Forum ja sehr zahlreich vertreten wird, schon der Hinweis auf Folge 15 "Hat sich das Regietheater überlebt?" von Kaisers Klassik-Kunde, ansehbar und anhörbar bei "youtube", erfolgt ist. Wenn nicht, dann jetzt.


    Gruß


    tom

  • hart -


    genau meine Meinung - vor allem der letzte Absatz !
    Warum schreiben die Regisseure nicht eigene Stücke und suchen sich einen zeitgenössischen Komponisten dazu -- das würde dann passen !

  • Zitat

    Original von Titan
    Opernstoffe erzählen UNSERE Probleme von HEUTE, egal ob es um La Boheme, Don Carlos, Rheingold, oder Fidelio geht.........


    Das finde ich, ehrlich gesagt, trifft nicht unbedingt immer zu.
    Es gibt zahlreiche Opernstoffe, deren Thematik zeitlos ist und deren Geschichte vielleicht noch heute so ähnlich passieren könnte.
    Aber es gibt ebenso zahlreiche Opern, die thematisch mit heute nichts, aber auch gar nichts gemeinsam haben.
    Soll man dann wieder einmal Versuchen diese Meisterwerke, mit aller Kraft in die Gegenwart zu übertragen.
    Das führt meines Erachtens dann nur wieder dazu, dass die ganze Inszenierung auf einem sog. Regiekonzept basiert, das irgendwie an den Haaren herbeigezogen ist, oder das auf irgendwelchen Nebensächlichkeiten beruht, die irgendwo im Libretto gestreift werden und eigentlich nichts mit dem Inhalt zu tun haben.


    Egal, ob ein Opernstoff zeitlos ist oder nicht: Ist es nicht viel wichtiger, dass eine Opernaufführung das Herz eines Publikums berührt, anstelle irgendwelche angeblichen Probleme von heute zu behandeln?


    Wann lässt man endlich wieder mehr das Werk alleine sprechen, alleine die Herzen berühren, ohne die "Problemchen von heute"?
    :hello:


  • Lieber Figarooo,
    Deine Frage: >>>Wann lässt man endlich wieder mehr das Werk alleine sprechen, alleine die Herzen berühren, ohne die "Problemchen von heute"?<<<
    ............ist relativ einfach zu beantworten
    Diese Frage Kommt aus DEINEM Herzen....und deswegen halte ich sie auch für eine gute und sehr legitime Frage..........


    ICH halte diese Frage für irrerelevant, weltfremd....nicht um Dir eins "reinzuhauen" ....SONDERN weil >>meine Prioritäten << ganz andere sind.


    Die Menschheit hat zu verschiedenen Zeiten meistens sehr ähnliche Probleme...immer geht es um Beziehungen, Macht, Intrige, Liebe, Hass...etc....DAS war im RING so...und die Enkel/Urenkel Wagners leben es nach (auch wenn es manchmal es zur Schmierenkomödie avancierte)



    >> Das Werk alleine sprechen....Herzen berühren <<


    Nicht NUR DEINE Sehnsucht geht an den REALITÄTEN unserer Welt vorbei


    Die von mir genannten Stoffe der Opern La Boheme, Don Carlos, Rheingold, Fidelio...erlebst Du in unserer heutigen Welt in großer Menge und Variationsbreite. (meine Wahl hätte auch auf RING, Der Revisor, Der fliegende Holländer, Tosca, die Soldaten, Die Hochzeit des Figaro, Don Giovanni....etc fallen können)


    Gruß................."Titan"

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von Titan
    Die von mir genannten Stoffe der Opern La Boheme, Don Carlos, Rheingold, Fidelio...erlebst Du in unserer heutigen Welt in großer Menge und Variationsbreite. (meine Wahl hätte auch auf RING, Der Revisor, Der fliegende Holländer, Tosca, die Soldaten, Die Hochzeit des Figaro, Don Giovanni....etc fallen können)


    Aber wenn alles so eindeutig ist, lieber Titan, warum dann auch noch äußerlich in unsere Welt bringen? Immer wieder die Frage: Kapiert man es nicht auch so?????


    Wir sind doch mündige Bürger, die des Denkens fähig sind, oder?


    :hello: Gustav

  • Zitat

    Warum schreiben die Regisseure nicht eigene Stücke und suchen sich einen zeitgenössischen Komponisten dazu -- das würde dann passen !


    Diesen zynischen Vorschalg habe ich auch schon gemacht.


    Aber um die Frage zu beantworten:


    Weil EIN Problem nämlich schwer zu lösen sein würde:
    Und das ist das "zeitgenössische Publikum"
    Das würde nämlich keine Eintrittskarten für solche Opern kaufen.


    Daher segelt man lieber unter falscher Flagge...



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Auf Grund einiger profaner aber nichtsdestotrotz gewichter Gründe bin ich eher Opernhörer und weniger -zuschauer, dennoch lese ich diese Regietheaterthreads aber gerne, weil sie - ohne jetzt irgend jemanden auf den Schlips treten zu wollen- einen hohen Unterhaltungswert haben. Dabei fallen mir immer wieder einmal einige Ungereimtheiten in der Argumentation der Regietheatergegner auf, weswegen ich mir jetzt erlaube einige Fragen diesbezüglich zu stellen:


    Wo endet die traditionelle Inszenierung und beginnt das Regietheater?


    Und geht nicht jedwede Adaption eines Stoffes für die Bühne schon von Anfang an Richtung Regietheater?


    Beispiele:


    Don Carlos von Verdi, der im 16. Jhdt. spielt und außer den Kostümen und vielleicht noch dem Bühnenbild nichts mit dem realen 16. Jhdt. zu tun hat, sondern selbiges so darstellt, wie man es sich zu einer jetzt seit ca. 140 Jahren vergangenen Gegenwart vorgestellt hat.


    La Clemenza di Tito von Mozart oder Julius Caesar von Händel, die mit dem alten Rom auch nur noch einzig die Namen ihrer Haupthelden gemeinsam haben. Mehr noch, schaut man sich zu diesen Opern alte Bilder an, dann stellt man fest, dass diese Werke bei ihrer Uraufführung doch sehr gegenwärtig waren: Kostüme und Bühnenbild orientieren sich ganz und gar an der damaligen Mode, von ihrer Handlung ganz zu schweigen


    Märchenopern, wie Zauberflöte und Turandot, die von vorneherein schon in stilisierter Weise archetypische Situationen wiedergeben und in einer nichtexistenten Welt angesiedelt sind.


    Und dann dann die Wagneropern, allen voran der Ring des Nibelungen, der ja selbst eine absolut regietheatermäßige Umdichtung bestehender Vorlagen darstellt, abgemildert durch pseudorealistische Kostüme und Bühnenbilder, die in etwa das zum Ausdruck bringen , was sich Wilhelm Eins und Zwei unter Germania liber vorgestellt haben.


    Mit Verlaub, die Welt hat sich seit der Uraufführung dieser Werke weitergedreht und mit ihr auch die Inszenierungsmoden. D.h. ich erwarte von einer guten Inszenierung, dass sie das Werk von alten, zeitspezifischen Inszenierungsmoden befreit und es möglichst absolut, bzw. diskret modernisiert aufführt. Bunte Bilder und Spektakel um ihrer selbst Willen braucht man in der heutzutage nicht mehr in der Oper, dafür hat man jetzt ja das Kino. Sängerinnen und Sänger mit Fellhosen und Hornhelmen sind spätestens seit Asterix und Obelix genauso unangebracht wie freilaufende Karnickel auf der Bühne oder Zauberflöten, die in Schlachthöfen spielen und mit aller Gewalt aus dem Traum einen Alptraum machen wollen.


    Ich für meine Person habe eine realtiv hohe Toleranzschwelle, wird an selbiger gerüttelt, dann finde ich das meistens bloß blöd, bzw. affektiert. Schmerzhaft und ärgerlich wird es für mich erst dann, wenn man sich an der Musik und der Handlung vergreift und selbige radikal uminterpretieren will..


    Viele Grüße
    John Doe

  • Lieber John Doe,


    vielen Dank für Deinen konstruktiven Artikel !
    Ich bin ganz Deiner Meinung, dass man heute keine Aufführung mehr auf die Bühne bringen darf, die denen der Erstaufführung gleichen.
    Ganz klar, die Librettisten und Komponisten hatten "ihre" Zeit im Auge, als die Werke entstanden und nicht die Zeit, in denen sie spielten.
    Aber trotzdem bleibe ich bei meiner Meinung, dass man nicht alles in die heutige Zeit transferieren kann.
    Wenn die handelnden Personen im "heute" spielen aber der Text und die Musik die Entstehungszeit wiederspiegeln , dann passt das nicht und stört mich so, dass ich die Aufführung nicht mehr gut finde.


    Was "Regietheater" bedeutet, ist sicherlich eine Auslegungsfrage und kann sicherlich unterschiedlich interpretiert werden. Als Wieland Wagner sein "Neubayreuth" erfand, als Patrice Cherau den "Jahrhundertring" inszenierte hielt man das auch für "Regietheater" und die große Mehrheit der Besucher haben dagegen protestiert. Ein paar Jahre später waren diese Aufführungen "Kult" .
    Der Zuschauer/hörer ist halt doch auch lernfähig.


    Auch meine Toleranzgrenze ist ziemlich hoch , sie endet aber eben dort, wenn das passiert , was ich oben beschrieben habe.
    Ich "breche nicht gleich zusammen" , wenn beim "Ring" vom Schwert gesungen wird und Siegmund stattdessen eine MP im Arm hält, aber wenn Desdemona und Emilia als Damen der heutigen "Upperclass" dargestellt sind , sich aber benehmen müssen wie im 17. Jahrhundert, dann kann ich nicht mehr folgen.


    Ich hoffe nun darauf, dass sich der Pegel von den Übertreibungen der letzten Jahre zu intelligenten aber werkgetreuen Inszenierungen neigen wird, die es ja früher auch gegeben hat , siehe O.F. Schuh, Rennert, Hartmann, Everding, Ponelle , Felsenstein usw.

  • Hallo Gunter Hämel,


    du sagst:


    Zitat

    Aber trotzdem bleibe ich bei meiner Meinung, dass man nicht alles in die heutige Zeit transferieren kann.


    Dem kann ich nur beipflichten, wobei ich die Betonung auf "nicht alles" legen möchte.
    So kann ich mir nämlich durchaus einen Bajazzo vorstellen, der im 20. Jhdt. spielt, vorausgesetzt, das Milieu bleibt das gleiche, oder die ein oder andere zeitlose Buffa, wie z.B. Telemanns Pimpinone, der eigentlich überall und jederzeit funktioniert.
    Oder anders gesagt, wenn die Handlung einer Oper archetypisch genug ist, dann kann sie uneingeschränkt sowohl unter Beibehaltung ihrer Musik, als auch ihrer Sprache in jedwede Zeit transferiert werde, ohne dass sie dabei Schaden nimmt. Im Gegenteil, dadurch wird ihre Aussage ja sogar noch verstärkt.


    Othello zähle ich da jetzt grundsätzlich auch noch dazu, denn Eifersucht ist hinlänglich archetypisch und kommt in jedweder dramatischen Form auch noch heutzutage vor. Von dem her würde es mich also wenig stören, wenn der in der Gegenwart angesiedelt werden würde.
    Der Knackpunkt bei dieser Oper ist Othello selbst: Sein Spannungsverhältnis einerseits nicht richtig dazuzugehören und gleichzeitig an einer verantwortlichen Position zu stehen.
    Ich weiß jetzt nicht in wie weit das bei Shakespeare ein Hauptthema ist, bei Verdi hab ich jedenfalls den Eindruck, dass es ein Nebenthema ist.
    Und da ,meine ich nun, besteht die Gefahr,dass der ein oder andere Regisseur durch eine falsche Betonung das Stück komplett entstellen kann, wobei das aber völlig zeit- und ortsunabhängig ist.


    Dem Sigmund aber vom Schwert singen lassen und ihm dabei eine MP in die Hand zu drücken, das finde ich jetzt daneben. Diese Oper heißt ja schließlich "Die Walküre" und nicht "Der Wildschütz". Dadurch wird jetzt ein altes abstraktes Symbol, dessen Aussagekraft mehr als deutlich ist, auf etwas banales reduziert.


    Und weil ich jetzt schon bei Wagner bin und du diesen Jahrhundert-Ring angesprochen hast, möchte ich mir zu dem auch noch eine kleine Bemerkung erlauben: Hätte Patrice Cherau seinen Shaw etwas genauer gelesen, dann wäre dabei deutlich besseres im Festspielhaus und noch wilderes außerhalb desselbigen herausgekommen.


    Viele Grüße
    John Doe

  • Ach, es ist ja so vieles im Wandel begriffen.


    Gesetzt den Fall, Frau Cosima stiege vom Himmel herab (falls sie denn in den Himmel gekommen ist :stumm:) - was würde sie am meisten schockieren?


    Ich weiß nicht, ob die intelligible Sustanz, die unseren astralen Körper als Engelwesen unterfüttert, von Altersstarrsinn befreit - Cosima Wagner war zu Lebzeiten eine hochgebildete, intelligente, politisch wie künstlerisch sehr flexibel und praktisch eingestellte Dame und Mutter.


    Das Neue in Gestalt Wagners hat sie ein Leben lang gefördert. Humperdincks Märchenoper fand ihr Gefallen; Salomé dagegen schockierte sie zutiefst.


    Die Phantasmagorie des Rings würde man heute dem Fantasy-Genre zurechnen - dort gibt es ungebrochen die naive Freude an comicschlichten Helden, fliegenden Drachen, Göttern, Riesen und Zwergen. Nur in den Nebeln von Avalon darf man noch sagen:


    "Nimm, König, meinen ehrerbietigen Gruß entgegen!"


    ohne ausgelacht zu werden. Was für ein Abstieg seit Corneille! Der hohe Ton, das idealische Feuer leuchten schon bei Schiller vor einem Fond finsterster und nüchternster Staatsraison. Und Figuren, wie Wagner sie ersinnt, Brünnhilde oder Isolde, die bar aller privaten Mißlichkeiten unausgesetzt in den höchsten Nöten schweben, kippen leicht in die Neurasthenie. Denn nach und mit Schiller kam Kleist, dessen idealische Mädchen schon beunruhigend pathologische Züge aufweisen und dessen Penthesilea eine Erotik entwirft, deren sich der Tristan nicht zu schämen braucht.


    Daß die hauseigene Deutung der Isolde durch die Wagners zuletzt auf Versöhnliches hinauslief, ist vielleicht dem sittlichen Empfinden Cosimas geschuldet. Eine madonnenhafte, rein und vergeblich liebende, erlösungsbedürftige Isolde sollte es sein; wie ja alles Irdische zuletzt eitel ist. Isolde ist beileibe keine Suffragette, keine sich aus den Fesseln sexueller Unterdrückung befreiende Lady Chatterley - sonst hätte die kluge Cosima noch im Zerrbild der biblischen Königstochter Straussens Gefolgschaft erkennen können. Oder nein - in der Salomé wird bereits alles häßlich, wird aus Erotik Begierde, wird aus Hinwendung narzißtische Geltungssucht, aus Tristans Ehre ein bigotter Machtkampf und aus König Marke ein dekadenter (Stief-)Tochterschänder.


    Ja, und was das Hausbackene angeht - das ist ja nur ein Behelfswort für unser Unvermögen, die Anmut verflossener Herrlichkeiten mit den Augen der Zeitgenossen zu würdigen. Wir müssen die Regenbogenpresse bemühen, um nachzufühlen, was eine schöne Königstochter sei; während die auf einem aufgeschlagenen Fächer vor uns entfalteten Medaillons von Gartenlauben-Komtessen uns nicht mehr ansprechen mit dem Zauber von Verheißung und Sinnlichkeit.


    Arme Cosima - das Gebaren unserer Liebe mimenden Sängerinnen wird Dich abstoßen, weil es nicht mehr Dein Begriff von hoher Liebe ist, mit dem wir schwanger gehen. Über Kostüme, Philosophie und Politik läßt sich zur Not reden - schlimmer wiegt allemal, daß die Gebärden, die Du uns vormachst, die Geschlossenheit des Bühnentableaus, wie Du sie ersonnen hast, in unseren Augen auseinanderfallen, museal wirken, gestelzt, ein wenig Stummfilm-Kintopp, mit Kuhfellen und keuscher Nacktheit aus rosa Trikot wie im Berliner Hoftheater ... Oh alter Duft aus Märchenzeit.


    Ehe die Regisseure, als fatale Prinzen, sie wachzuküssen kamen, war die Romantik bereits aus dem Dornröschenschlaf entwichen. Und wir blicken rückwärts und stoßen selbst Isoldes Tor zum liebenden Weltenatem nach hinten auf ...


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Einige Male schon habe ich mich zu den Themen Regietheater bzw. moderne Inszenierung geäußert. Ich sehe mich da eindeutig auf der "Tradionalisten"-Seite. Trotzdem habe ich kürzlich und durchaus mit Interesse (viele andere hier im Forum werden es auch getan haben) den "Ring" aus Valencia gesehen.


    Ich bringe hier mal ein Zitat aus der ZEIT:


    Zitat

    Wenn die Erde demnächst untergeht, sollte man sich unbedingt einen Logenplatz im Weltraum gesichert haben. Ein grandioses Schauspiel steht uns da bevor: Langsam wird der Planet im sternfunkelnden Universum an uns vorübergleiten und feuerrot glühen, statt blau zu leuchten. (...) Dazu erklingt Musik von Richard Wagner, Walküre, zweiter Aufzug, die Stelle, an der Gott Wotan erkennt, dass die Welt nicht mehr zu retten ist: »Zusammenbreche, was ich erbaut! Auf geb ich mein Werk; nur eines will ich noch: das Ende, das Ende!«


    Die Kritik war mit "La Fura dels Baus verwandeln in Valencia die ersten beiden Teile von Wagners RING in eine Zirkusshow" übertitelt.


    Die Tetralogie habe ich mir bewußt angesehen, weil ich hoffte, mich mal wieder über moderne Inszenierungen aufregen zu können.


    Was soll ich sagen - außer, daß ich mich nicht aufgeregt habe. Oder doch, aber im gegenteiligen Sinne! Ich fand das sehr spannend, manchmal allerdings auch lächerlich (wenn ich an einige unpassende Kostüme denke), dennoch insgesamt sehenswert.


    Ich habe tagelang überlegt, ob ich nun mit meinen bisherigen Überzeugungen auf dem Rückzug bin. Wenn ich nun mit dem Abstand einiger Monate an den RING von "La Fura dels Baus" zurückdenke, sehe ich das wieder anders: Was mir zunächst spannend erschien, ist in der Rückschau plötzlich nur noch wegen der eingesetzten Technik als spannend erinnerlich. Blecherne Brüste der Walküren, Götter in römischen Tuniken, dazu moderne Schwenkkräne vor digitalen Videowänden - paßt nicht wirklich zusammen. Wagners RING in Science-Fiction-Manier gefällt mir einfach nicht.


    Ich bin wohl unverbesserlich rückständig. Sagte mein einziger klassik-liebender Freund. Dem gefiel es nicht nur stimmlich, sondern auch wegen der modernen Inszenierung...

    .


    MUSIKWANDERER

  • Zitat

    Original von Knusperhexe
    Wieso "wir"?


    Wirf mich bitte nicht in Deinen Topf. :rolleyes:


    Du warst doch nicht gemeint, Knuspi.


    Hast noch nie etwas vom "pluralis majestatis" gehört? :D :D

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Ich meine schon, dass das WIR in unserem Tamino-Forum eine bedeutende verbindende Bedeutung hat und haben soll.
    WIR sind doch alle der Musik, der Oper, der Klassik, der Kunst verbunden, das ist der Kern, der uns eint und trotz aller unterschiedlichen Individualität zu Angehörigen einer Interessensgemeinschaft macht.
    Ausgehend von diesem Grundverständnis können WIR dann auch in fairen Ausenandersetzungen diskutieren, sogar über stark differierende Ansichten und Meinungen.
    Ich, als wahrscheinlich einer der Ältesten im Forum, formuliere sehr gerne mit WIR und fühle mich mit allen Euch fachlich-kollegial und menschlich-freundschaftlich verbunden.
    Meine Bitte lautet deshalb: Entwickelt dieses WIR-GEFÜHL als Basis einer toleranten Beziehung, auf der wir wenn die Grundlage stimmt sehr fruchtbar diskutieren können.
    Gerade haben mich die Beiträge von Farinelli und Musikwanderer mit ihrem fast pholosophischen Tiefgang beindruckt, erfreut und bereichert.
    So stelle ich mir das WIR UNTER UNS VOR:
    Herzlichst
    Euer
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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