Das Regietheater, eine etablierte Kunstform - wie geht es weiter?

  • Lieber Cunctator, Dein Beitrag hat mir sehr gut gefallen, auch wenn ich teils anderer Meinung bin als Du.

    Zu Wagner möchte ich anmerken, dass ich noch niemanden getroffen habe, der widersprochen hätte, wenn jemand die Texte als kitsch pur, wenn nicht gar albern bezeichnet hätte.

    Wagners Texte finde ich gar nicht so kitschig oder gar albern. Über manche Passagen ließe sich trefflich streiten. Aber dann komme ich immer wieder auf Stellen, die mir wie am ersten Tag unter die Haut gehen. Den "Tannhäuser"-Text weiß ich besonders zu schätzen. Nun, da der Herbst einzieht, geht mir Wolfram nicht aus dem Sinn: "Schon fällt das Laub, die Heimkehr steht bevor." Auch die "Meistersinger" sind voller Poesie.

    Aber in Kombination mit der Musik ist es einfach richtig ich habe leider kein besseres Wort dafür.

    Das sehe auch ich so. Wagner wollte bekanntlich etwas schaffen, was es noch nie gab vor ihm. Die Verse in ihren sehr individuellen Formen entstanden, um vertont zu werden. Sie bedingen die Musik. Ich weiß jetzt nicht, ob Du Dir auch historische Tonaufnamen anhörst von Sängern mit Bayreuth-Erfahrung, die zeitlich näher an Wagner und seinen Vorstellungen sind. Sie vermitteln nach meinem Eindruck am besten, was Wagner vorschwebte. Seine Stücke müssen vor deutlich vorgetragen werden. Wenn sich heutzutage manche Interpreten auf Bühnen in Alltagskleidung und in Alltagskulissen durch die Aufführungen radebrechen, dann wirkt es in der Tat albern - zumindest auf mich.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Bei Wagners Texten denke ich nicht an "Kitsch pur" und "albern". Womöglich entsteht aber dieser Eindruck tatsächlich angesichts der heutigen Inszenierungen seiner Opern, derer ich genügend über mich habe ergehen lassen, um allein der Musik zu huldigen. Man ist meilenweit weg von dem, was Wagner intendierte. Sehr augenscheinlich ist das bei den belanglos-profanen Produktionen in aller Welt; aber wie Rheingold1876 zurecht schreibt, ist dies auch hinsichtlich des Vortrages der Sänger nicht zu leugnen. Bayreuth-Erfahrung bedeutete seinerzeit noch wirklich etwas. Was sollte man heutzutage bitte schön in Bayreuth - abgesehen von der Lokalität - Sinnhaftes mitnehmen? Dort wird seit Jahren, eigentlich seit Jahrzehnten nicht besser gesungen als andernorts. Dort wird genauso absurd inszeniert wie anderswo. Und dort treten auch keine begnadeteren Dirigenten mehr auf als woanders. Bleibt die tolle Kulisse des Grünen Hügels. Das reicht aber nicht.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Was sollte man heutzutage bitte schön in Bayreuth - abgesehen von der Lokalität - Sinnhaftes mitnehmen? Dort wird seit Jahren, eigentlich seit Jahrzehnten nicht besser gesungen als andernorts. Dort wird genauso absurd inszeniert wie anderswo. Und dort treten auch keine begnadeteren Dirigenten mehr auf als woanders. Bleibt die tolle Kulisse des Grünen Hügels. Das reicht aber nicht.

    :thumbup::thumbup::thumbup:

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Wagners Texte finde ich gar nicht so kitschig oder gar albern. Über manche Passagen ließe sich trefflich streiten. Aber dann komme ich immer wieder auf Stellen, die mir wie am ersten Tag unter die Haut gehen. Den "Tannhäuser"-Text weiß ich besonders zu schätzen. Nun, da der Herbst einzieht, geht mir Wolfram nicht aus dem Sinn: "Schon fällt das Laub, die Heimkehr steht bevor." Auch die "Meistersinger" sind voller Poesie.

    Dem schließe ich mich an. Ergänzend sei gesagt, dass ich noch nie jemanden getroffen habe, der Wagner als "Kitsch pur" bezeichnete. Manches mag auf uns heute wohl ein bisschen befremdlich wirken aber ich finde Wagners Libretti generell poetisch und nicht nur die Meistersinger. Das betrifft seine frühen Werke (denken wir zb an "Allmächt´ger Vater blick herab" aus dem Rienzi) wie den Parsifal "Amfortas, die Wunde" am besten vorgetragen durch Jess Thomas (ich kenne nichts was mich so berührt wie diese Passage - leider bei JPC nicht gefunden deshalb hier der Link zum nachhören auf youtube

    )

    „Puccini ist der Verdi des kleinen Mannes, und Lehár ist dem kleinen Mann sein Puccini.“

  • Hallo Rheingold,

    vielen Dank für den Zuspruch. Vielleicht ist kitsch tatsächlich nicht der richtige Begriff. Versuchen wir es mit Pathos. Wagner hat sehr viel davon. Was es für mich aber bisweilen kitschig wirken lässt sind vor allem die Stellen, an denen nur die eine Hälfte in der poetisch-mittelalterlichen Sprache gehalten sind. Ein Beispiel wäre die Gerichtsszene aus Lohengrin: "Bewahre uns des Himmels Huld, / dass klar wir sehen, wer hier schuld." Wenn man einmal voll drin ist in dieser Art von Sprache wirkt es, wie Du ganz richtig sagst, unfassbar episch und berührend. Bei "Leb wohl, Du kühnes, herrliches Kind!" Kommen mir jedes Mal Gänsehaut und ein paar Tränchen. Aber ich finde gerade, wenn man nur den Text hat, gelingt es Wagner nicht immer dieses Gefühl aufrecht zu erhalten. Der abwertende Begriff Kitsch mag vielleicht verständlicher werden wenn man bedenkt, dass mein komplettes Umfeld mehr oder weniger radikal "Anti-Wagner" eingestellt ist. Kitsch finde ich noch einen weit erträglicheren und berechtigteren Kritikpunkt als "unmelodisch kreischender Sprechgesang", was in der Regel das erste ist, was ich zu hören bekomme, wenn ich Bewunderung für Wagner auszudrücken versuche.

    Ich weiß jetzt nicht, ob Du Dir auch historische Tonaufnamen anhörst von Sängern mit Bayreuth-Erfahrung, die zeitlich näher an Wagner und seinen Vorstellungen sind. Sie vermitteln nach meinem Eindruck am besten, was Wagner vorschwebte.

    Das Älteste, was ich bisher gehört habe, war der Furtwänglerring aus der Scala mit Flagstad aus 1950. Nachdem ich mich auch hier im Forum zu Herrn Furtwängler, Frau Flagstad und Ringgesamtaufnahmen im Allgemeinen informiert hatte, war ich der Hoffnung, hier recht nah an die Vorstellung eines klassisch eingestellten Wagnerianers heranzukommen. Auf meiner Anhörliste ist auch noch eine Ringaufnahme von Knapperstbusch und eine von Thielemann, wobei letzterer wohl nicht als ältere Aufnahme durchgeht (Aber als Bayreuth-Veteran, denke ich). Ich bin bei allen Komponisten noch am Lernen und neu entdecken von daher will ich mich so breit informieren und einhören wie möglich. Wenn ich mir in zwanzig oder dreißig Jahren einen guten Geschmack erarbeitet habe, bin ich vielleicht wählerischer, aber vorerst bin ich für (fast) jede Schandtat zu haben. Solange ich mir den Wagner nicht auf Italienisch anhören soll und ich eine Stimme bzw. ein Orchester im Gerausche ausmachen kann, höre ich es mir gerne an.


    Beste Grüße,

    Niklas

  • Ich denke, dass hier nicht gewürdigt wird, welche fatale Rolle der Stabreim spielt. Er ist einer der Gründe, warum man bei Wagner so oft denkt, dass "vom Erhabenen zum Lächerlichen nur ein Schritt ist". Auf parodistische Stabreime verzichte ich hier.

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Ich denke, dass hier nicht gewürdigt wird, welche fatale Rolle der Stabreim spielt. Er ist einer der Gründe, warum man bei Wagner so oft denkt, dass "vom Erhabenen zum Lächerlichen nur ein Schritt ist.

    Dann nehmen wir doch mal ein markantes Beispiel, Alberichs Fluch aus dem "Rheingold", und prüfen es lesend und hörend:


    ALBERICH

    Bin ich nun frei?

    Wirklich frei?

    So grüß euch denn

    meiner Freiheit erster Gruß! -

    Wie durch Fluch er mir geriet,

    verflucht sei dieser Ring!

    Gab sein Gold

    mir Macht ohne Maß,

    nun zeug' sein Zauber

    Tod dem, der ihn trägt!

    Kein Froher soll

    seiner sich freun,

    keinem Glücklichen lache

    sein lichter Glanz!

    Wer ihn besitzt,

    den sehre die Sorge,

    und wer ihn nicht hat,

    den nage der Neid!

    Jeder giere

    nach seinem Gut,

    doch keiner genieße

    mit Nutzen sein!

    Ohne Wucher hüt ihn sein Herr;

    doch den Würger zieh er ihm zu!

    Dem Tode verfallen,

    feßle den Feigen die Furcht:

    so lang er lebt,

    sterb er lechzend dahin,

    des Ringes Herr

    als des Ringes Knecht: -

    bis in meiner Hand

    den geraubten wieder ich halte! -

    So segnet

    in höchster Not

    der Nibelung seinen Ring: -

    behalt ihn nun,

    hüte ihn wohl!

    Meinem Fluch fliehest du nicht!



    Die wichtige Szene in der Gestaltung durch Gustav Neidlinger macht für mich mehr als deutlich, dass der Gebrauch des Stabreimes eines exzellenten Sängers bedarf, der dieses ganz besondere Stilmittel in der praktischen Umsetzung auch beherrscht. Der Vortrag wird dadurch viel eindringlicher. Der Vortragende ist faktisch zur absoluten Deutlichkeit verurteilt. Das dürfte auch in Wagners Absicht gelegen haben. Der Sinn des Stabreims erschließt sich auch für mich nur hörend - und nicht lesend.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich bin ein großer Freund von konzertanten Aufführungen. Die sind spannender und bringen mir mehr, da man sich dort ganz auf den Gesang und die Interaktion der Sänger konzentrieren kann, wenn diese nicht steif vom Notenblatt ablesen. Auch Musicals können anspruchsvoll sein wie mein Lieblingsmusical Les Miserables. Dieses hab ich viele Male in Duisburg und London gesehen.

  • Der abwertende Begriff Kitsch mag vielleicht verständlicher werden wenn man bedenkt, dass mein komplettes Umfeld mehr oder weniger radikal "Anti-Wagner" eingestellt ist.

    Nichts für ungut, lieber Cunctator, aber nach meiner Erfahrung kommt das Bashing vornehmlich von Menschen, die mit Wagners Musik so oder so wenig anfangen können. Dass diese dann auch mit seinen Texten nichts anfangen können, nimmt nicht wunder. Es mag zudem auch eine Rolle spielen, dass Wagner gerne ins extreme rechte Eck gestellt wird (auch wenn er sich mit seiner anarchistischen Ader ähnlich gut von den Linken vereinnahmen lässt) und man schon von daher gegen ihn und sein Schaffen eingestellt sein muss, um als "hip" zu gelten.

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    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Nichts für ungut, lieber Cunctator, aber nach meiner Erfahrung kommt das Bashing vornehmlich von Menschen, die mit Wagners Musik so oder so wenig anfangen können. Dass diese dann auch mit seinen Texten nichts anfangen können, nimmt nicht wunder.

    Weiß ich nicht, ob das so ist - sicher nicht grundsätzlich! Mich selber hat die Musik schon als "zarter" Teenager überzeugt, während ich die Texte höchstens abseitig fand. Ein gewisses Verständnis für das sogenannte Gesamtkunstwerk kam dann deutlich später.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

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  • Bei Wagner-Texten ist meine Bereitschaft zum Verständnis gespalten. Die Musik ist vorbehaltlos meine Lieblingsmusik in der Oper, parallel und gleichrangig mit der von Richard Strauss.

    In der Textqualität sehe ich aber viele Unterschiede. Während wohl fast alle Texte der Straussopern auch ohne Musik auf der Bühne bestehen könnten (wie Teile des Salometextes das ja auch bewiesen haben), besonders in der Zusammenarbeit mit Hoffmannsthal in allen Opern (Wahnsinn die Texte der alternden Marschallin, die mich immer wieder erschauern lassen ob ihrer Wahrheit und Direktheit, aber genauso direkt und aussagekräftig auch manche Textpassagen in der "Elektra" ), aber auch mit Stefan Zweig (in dessen Partitur zur "schweigsamen Frau" sich poetische Schätze verbergen, nicht nur im Schlußauftritt des ehrenwerten und veralberten Sir Morosus), möchte ich Wagners Texte in einigen Opern nicht als Schauspiel erleben. Beim Strauss´schen Richard ist der Priorität zwischen Text und Musik sogar ein Großteil seiner Oper "Capriccio" gewidmet. Hier wirkt vieles erst zusammen mit der genialen Musik. Und selbst in der weniger erfolgreichen Oper "Intermezzo" gibt es sehr hochwertige Textpassagen, die durchaus Schauspielqualität haben!

    Im Beitrag #127 stellt Alberichs Fluch einen verdammt guten Gleichklang zwischen Text und Musik dar, der nur zusammen seine Wirkung entfalten und mit einer passenden Gesangsstimme Gänsehaut erzeugen kann. Es gibt noch viele Beispiele, z.B in den Meistersingern der "Fliedermonolog" oder die Schlußansprache von Hans Sachs. Aber genauso könnte man Beispiele hier anbringen, die nicht mehr in das Heute passen, wie z.B die Flügelhelme der Walküren und der Text des Walkürenrittes. Aber nur ein paar Szenen weiter erzeugt Wotans Abschied wieder Gänsehaut, wie auch Siegfried beim ersten Zusammentreffen mit einer Frau. Natürlich wird seine Zaghaftigkeit und Unerfahrenheit bei der Jugend heute nicht nur Verständnis hervorrufen.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Ich denke, bei der literarischen Qualität der Opern-Libretti gibt es große Unterschiede. Die Strauss-Opern sind sicherlich positive Beispiele, weil der Komponist hier entweder ein für das Sprechtheater geschriebenes Drama vertont hat (Salome) oder mit Hofmannsthal und Zweig Librettisten hatte, die Schriftsteller ersten Ranges waren. Es gibt aber auch unzählige Beispiele für Libretti, die von minderer literarischer Qualität sind und die kein Mensch ohne die Oper lesen würde.


    Bei Wagner, insbesondere dem "Ring", bin ich hin- und hergerissen. Es gibt Textstellen von hoher sprachlicher Qualität, die auch unabhängig von der Musik bestehen können. Das gilt auch für den "Ring". Aber gerade dort gibt es auch Textstellen, die gesprochen nun wirklich höchst albern sind. Das "Weia! Waga! / Woge, du Welle / walle zur Wiege!" ist ein oft zitiertes Beispiel, und "Garstig glatter glitschriger Glimmer! / Wie gleit ich aus! / Mit Händen und Füßen / nicht fasse noch halt ich /das schlecke Geschlüpfer!" ist auch nicht besser. Es kann mir keiner weismachen, dass das große Literatur ist. Gesungen funktioniert es dann aber (nun ja, jedenfalls das "Weia! Waga!").

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Das "Weia! Waga! Woge, du Welle, walle zur Wiege!" ist ein oft zitiertes Beispiel, und "Garstig glatter glitschriger Glimmer! / Wie gleit ich aus! / Mit Händen und Füßen nicht fasse noch halt ich /das schlecke Geschlüpfer!" ist auch nicht besser. Es kann mir keiner weismachen, dass das große Literatur ist.

    Ich versuche es trotzdem, denn sogenannte Große Literatur zeichnet sich ja nicht alleine durch die Sprache bzw. die verwendeten Worte aus, sondern bei einem wirklich großen Werk spielt ja auch der Plot, die Geschichte, die gesamte (dramaturgische) Konstruktion eine Rolle. Ein schlechter Autor kann die beste Geschichte auch einfach schlecht erzählen! Wenn ich mir dann vor allem Wagners Ring des Nibelungen anschaue, so taugt das ganze m.E. durchaus auch als fulminantes literarisches Werk angefangen von kammerspielartigen Szenen bis hin zu den großen dramatischen Momenten. Nehmen wir etwa Fricka und Wotan, so haben wir doch nicht nur die Szenen einer Ehe Bergmans, sondern auch die Loriots. Das Vater-Tochter-Verhältnis zwischen Brünnhilde und wieder Wotan finde ich bis zum Heulen tragisch. Oder Brünnhilde und Siegfried: zweimal coming of age in jeweils ganz verschiedenen Facetten. Und das ist noch lange nicht alles ... Zur sprachlichen Ausformung - wobei man nicht übersehen sollte, dass der Text zum Teil ja lange vor der Musik dagewesen ist und auch als solcher ohne Musik (sicher in kleinem Kreis) von Wahgner "aufgeführt " wurde - wäre ebenfalls anzumerken, dass Wagner hier ja nicht nur den reinen Inhalt, sondern mehr vermittelt, d.h. beispielsweise der von Dir zitierte Text funktioniert über den Sinn hinaus zusätzlich lautmalerisch, so dass ich verstehe, was da passiert ohne die Sprache wirklich zu verstehen. Das ist ein wenig so, wie Ovids Quamquam sunt sub aqua, sub aqua maledicere temptant. Auch, wenn man kein Latein kann, muss man es nur hören und weiß sofort, welches Tier hier beschrieben wird.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • (Ich habe das Gefühl, ich bin hier im falschen Forum. Gibt es keines zu Wagners Sprache?)

    Es ist mir jedenfalls ein Bedürfnis, denen, die zu Recht skeptisch sind, was die sprachliche Qualität in Wagners Musikdramen betrifft, dieses Buch ans Herz zu legen (das ich mir übrigens zulegte auf Empfehlung in einem anderen Thread), das einige Skeptiker ein wenig umstimmen könnte:



    Ich stieß mich ohnehin nie an der Sprache, vielleicht weil ich beim ersten Kennenlernen der Opern während des Hörens in Kurt Pahlens kommentierten Textbüchern mitlas, oder weil ich das meiste während des Hörens von Anfang an als stimmig empfand, wie hier auch schon manche meinten. Aber nach oben genanntem Buch weiß ich - der Laie - nun auch, dass die Operntexte Wagners - selbst als reine Texte - nicht einfach nur seltsam oder selbsterfunden sind.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Von Relnhart Meyer-Kalkus erfährt man mehr über Richard Wagners Theorie der Wort-Tonsprache in Oper und Drama und Der Ring des Nibelungen (43 Seiten) über diesen Link.


    https://d-nb.info/1181463890/34

    Lieber Orfeo ich bin ganz begeistert von Deinem Link, vielmehr vom sich dahinter verbergenden Text. Ich bin überrascht, mit welcher Akribie Wagner der Sache nachgegangen ist, und wie sehr das in die sogenannte Sprachwissenschaft des 19. jahrhunderts passt. Ich habe den Eindruck, dass viele Erkenntnisse der damaligen Zeit ein fantasievoller Ausdruck romantischen Willens waren. Ich bin aber gespannt, wie andere das sehen.


    Mit der Idee, dass die Sprache mit der Zeit an Poesie verliert, trifft er natürlich bei einigen einen Nerv. Trotzdem glaube ich, dass Wagner überrascht wäre, würde er die ersten sprachlichen Äußerungen des Homo sapiens wahrnehmen. Ich würde auch bezweifeln, dass diese "Sprache" sich für seine Musikvorstellungen eignen würde. Aber auch hier lasse ich mich gern überrraschen.


    BTW es gibt konsonatische Musik, habe gerade eben etwas in der Art gehört ...


    Exit E für Klaviertrio von Michael Maierhof aus dem Jahre 2011. Eine Aufnahme aus dem Jahr 2020


  • Exit!!

    Mal eine ketzerische Frage: angenommen, zwei verschiedene Trios haben diese Musik aufgenommen. Wärest du in der Lage, zu entscheiden, welche die bessere Aufnahme ist?

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  • Exit!!

    Mal eine ketzerische Frage: angenommen, zwei verschiedene Trios haben diese Musik aufgenommen. Wärest du in der Lage, zu entscheiden, welche die bessere Aufnahme ist?

    Lieber Dr. Pingel


    ich finde die Frage nicht ketzerisch. Ich habe ja nun tatsächlich zwei Einspileungen dieses Trios ....



    Diese vom Werbepartner mit dem Elole Trio und dann die obige Liveeinspielung.


    Um nun zu antworten: Ich müsste das Stück ein wenig besser kennen, also noch zwei oder dreimal in Ruhe hören. Dann nähme man Unterschiede der Interpretation war. Es würden sich mit dem Stück verschiedene Assoziationen verbinden. Vielleicht würde man in der einen das Stuck sinnfälliger finden, als in der anderen ... ich muss hier notgedrungen spekulieren, aber die Prozesse kenne ich natürlich von anderen Stücken. Um etwas besser zu finden reicht mir als Kriterium das Interesse das Stück in dieser Interpretation noch einmal zu hören.


    Um etwas als die bessere Interpretation zu bezeichnen, muss man ja eine innere Vorstellung von dem Stück haben. Dann ist das auch wieder einfach. Für mich stellt sich aber die Frage, ob eine solche "klare" Vorstellung mir Gewinn bringt .... Ich bin da nicht so sicher. Einfachere Stücke fangen dann an, mich zu langweilen. Wenn es mir so klar ist, wie die klingen müssen, brauche ich entweder keine Interpretation mehr oder genau die eine und dann höre ich den Kram meistens nicht mehr ...


    Musik muss mich unterhalten! Das ist gar nicht so einfach wie es sich ausspricht ...


    Sollte es Dich interessieren, welche der beiden Einspielungen von mir präferiert wird, halte ich Dich gerne auf dem Laufenden.

  • Sollte es Dich interessieren, welche der beiden Einspielungen von mir präferiert wird, halte ich Dich gerne auf dem Laufenden.

    Das muss jetzt nicht sein, da ich die Stücke nicht kenne und auch nicht kennenlernen möchte. Trotzdem halte ich deine Antwort für sehr schlüssig und bedenkenswert, vor allem, was auch das vielmalige Hören betrifft. Ich kann mich erinnern, dass es mir bei meiner musikalischen Sozialisation auch so erging, als ich anfing, Janacek zu hören. Jenufa und Füchslein sind ja relativ einfach zu hören (was aber auch mindestens 20x erfordert hat). "Die Sache Makropulos" und besonders das "Totenhaus" waren aber doch ziemliche Brocken, und ich habe für beide je ein halbes Jahr gebraucht. "Das Totenhaus" gehört heute zu meinen Top 5.

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  • Ich versuche es trotzdem, denn sogenannte Große Literatur zeichnet sich ja nicht alleine durch die Sprache bzw. die verwendeten Worte aus, sondern bei einem wirklich großen Werk spielt ja auch der Plot, die Geschichte, die gesamte (dramaturgische) Konstruktion eine Rolle. Ein schlechter Autor kann die beste Geschichte auch einfach schlecht erzählen! Wenn ich mir dann vor allem Wagners Ring des Nibelungen anschaue, so taugt das ganze m.E. durchaus auch als fulminantes literarisches Werk angefangen von kammerspielartigen Szenen bis hin zu den großen dramatischen Momenten. Nehmen wir etwa Fricka und Wotan, so haben wir doch nicht nur die Szenen einer Ehe Bergmans, sondern auch die Loriots.

    Lieber Michael,


    das ist finde ich ein sehr trefflicher Hinweis! :)


    Schöne Grüße

    Holger

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  • In einem Versuch wieder eine Brücke zum Thema des Threads zurückzuschlagen möchte ich die Hypothese aufstellen: eine gute Regietheater Inszenierung beginnt mit Worten. Nicht mit Wagnerschen Gedichten, sondern idealerweise, damit, dass die Handlung auf die kürzeste noch verständliche Form heruntergebrochen wird. Die Handlung und die Handelnden sollten auf einen oder zwei Sätze heruntergebrochen werden, aus dieser Essenz kann dann ein Konzept entwickelt werden. Die große Falle ist allerdings, dass zwei Menschen die Handlung nicht unbedingt gleich verstehen. Umgekehrt ist es dem Regietheater damit möglich, sehr iel präziser zu operieren. Aber zumindest können diese Inszenierungen zum Nachdenken anregen.

    Beste Grüße,

    Niklas

  • Guten Morgen Niklas, sähest Du Dich in der Lage, Deine Hypothese an einem Beispiel, idealerweiss an einen Oper zu konkretisieren?

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • "Weia! Waga! / Woge, du Welle / walle zur Wiege!"

    Es kann mir keiner weismachen, dass das große Literatur ist.

    Im Kontext des Rheingolds als Stück ist es wahrlich groß. Im Vorspiel, ausgehend vom Es-Dur-Akkord, entsteht die Welt des Rings wie eine Art Schöpfungsakt der Natur. Der Einsatz der seltsamen Wörter bildet dabei ein Bindeglied zwischen sprachloser, unbewusster Natur und den Kreaturen des Rings, die hier gleichsam ihre Sprache finden. Man wird Zeuge, wie die Welt des Rings sich entfaltet, von Grund auf. Sehr faszinierend.


    Gutes Hören

    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Ausgerechnet Wagner, kann ich nur immer wieder sagen. ^^ Für Wagner selbst war Theater etwas, was ausschließlich für das Hier und Jetzt geschaffen ist. Er selbst - ich habe das hier schon oft zitiert - schreibt, dass man ein Stück im Grunde nur einmal aufführen könne, weil das Leben, die Welt, das Publikum sich ständig ändert wie auch der Künstler. Um zeitgenössisch zu sein, müssten eigentlich für jede Zeit immer neue Kunstwerke geschaffen werden. So Wagners radikaler Historismus in Sachen Theateraufführungen. Da ist doch das Regietheater genau eine mögliche Lösung für das Problem, was Wagner skizziert hat. Aber Diskussionen darüber sind hier sowieso sinnlos. Also führe ich sie auch gar nicht (mehr). :D :hello:

  • Zitat von Dr. Holger Kaletha

    Aber Diskussionen darüber sind hier sowieso sinnlos.

    Dafür lieber Holger gibt es :thumbup::jubel:,Danke! Ja, da kommen doch immer wieder die gleichen Sprüche!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Hallo Rheingold1876,


    natürlich kann und will ich das zumindest versuchen.


    La Traviata:


    Eine junge, doch lebenserfahrene Frau, erlaubt sich zum ersten Mal in ihrem Leben der Welt und einem anderen Menschen gegenüber verwundbar zu sein und wird für diese Selbstöffnung von der Welt sowohl physisch als auch emotional zerstört.


    Lohengrin:


    Eine Frau wird aus großer Not gerettet und findet höchstes Glück, weil sie dies allerdings nicht akzeptiert sondern Angstvoll hinterfragt und zu halten versucht verliert Sie es wieder.


    Hier ein Beispiel wie man das ganze aus mehreren Perspektiven sehen kann. Wenn man Lohengrin als die wichtigste Person des Stückes betiteln möchte müsste das Ganze meiner Meinung nach etwa so aussehen:


    Ein Mensch versucht um seiner Taten und Anwesenheit willen geliebt zu werden, scheitert aber, weil dies niemandem genügt.



    Natürlich sind all dies Interpretationen. Aber das sind für mich jeweils die zentralen Konflikte der Handlung. Die gilt es darzustellen. Und natürlich gibt es Stücke die sich schwer auf diese Weise zusammenfassen lassen. (Mit Tosca hätte ich beispielsweise Schwierigkeiten.)


    Beste Grüße,


    Niklas

  • La Traviata:


    Eine junge, doch lebenserfahrene Frau, erlaubt sich zum ersten Mal in ihrem Leben der Welt und einem anderen Menschen gegenüber verwundbar zu sein und wird für diese Selbstöffnung von der Welt sowohl physisch als auch emotional zerstört.

    Hallo Niklas, jetzt erst komme ich zu einer Antwort, da verreist. Dein Ansatz für eine "Traviata"-Insznenierung ist sehr zeitgemäß. Ich habe einige Schwierigkeiten damit. Warum? Violetta ist eine Kurtisane. Darauf baut die Geschichte auf. Das darf nach meiner Auffassung nicht außer acht gelassen werden. Insofern macht es für mich keinen Sinn, die Handlung in diue Gegenwart zu verlegen und aus Violette ein Partygirl zu machen, wie schon geschen. Das erste Bild spielt in ihrem prächtigen Salon, in dem sich die Pariser Gesellschaft trifft. Musikalisch ist die ausladende Szene wunderbar gezeichnet. Ihr glanzvoller Lebensstil, der von ihrem jeweiligen Gönner finanziert wird, sieht nicht vor, dass sie sich unsterblich in einen jungen Mann verliebt und für ihn ihr bisheriges Leben hinter sich lässt. Gefühle dürfen also nicht sein. Deshalb scheitert sie. Die Gesellschaft will sie als Kurtisane und nicht als liebende sittsame Ehefrau auf dem Lande. Mitleid - selbst durch den alten Germont - gewinnt sie nur angesichts ihres drohenden Endes. Sie muss also tot sein, um auch als Mensch wahrgenommen zu werden. Das ist furchtbar gnadenlos. Insofern liegen wir nicht weit auseinander.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Und wieder gibt es eine Wortmeldung von einem sehr namhaften Sänger, der aber auch erst im Alter von 75 bereit war, seine Einstellung zum heutigen Opernbetrieb und zum RT öffentlich zu machen: Kurt Rydl. Ich habe ihn oft in Dresden erleben dürfen, in verschiedenen Rollen, und war von seinem tiefschwarzen Baß immer beeindruckt.


    Wiener Staatsoper muss menschlich geführt werden - Kurt Rydl - What's Opera Doc - YouTube


    Es freut mich besonders, daß er den Theaterdirektor La Roche erwähnt.

    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Ich finde den Begriff vergewaltigen deplatziert im Zusammenhang mit RT. Und ein Opernbetrieb muß nicht nur auf bekannte Sänger setzen. Es ist grade interessant die Entwicklung von jungen Sängern zu beobachten. Mich würde interessieren, ob Herr Rydl während seiner Karriere sich bei den Regisseuren beschwert hat, mit denen er zusammengearbeitet hat, wenn eine Inszenierung zu modern war

  • Sich an einem Wort aufhängen, führt doch zu nichts.


    Ein großartiges Plädoyer vom Wiener Urgestein Kurt Rydl, ungemein authentisch und sympathisch. Der Herr Kammersänger ist eine echte Erscheinung, wie sie langsam ausstirbt. Seine bezwingende Bühnenwirkung habe ich glücklicherweise selbst erleben dürfen. Er spricht aus, was Fakt ist und sich viele denken.


    "Oba I muass an 'Parsifal' net beginnen am Pissoir." :D:hahahaha::thumbup:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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