Regietheater und künstlerische Freiheit

  • Liebe Leute -


    die künstlerische Freiheit ist, für den schöpferischen Künstler, der entscheidende Schritt über die akademischen Vorgaben hinaus. Stolzing wäre hier das Paradebeispiel - "und wie er wollt´, so konnt´ er´s". Nur ein Spezialfall ist die gern mit der künstlerischen Freiheit identifizierte poetische Lizenz - z.B. ein Böhmen, das am Meer liegt.


    Für die Romantik entscheidend ist die Abwendung von der doctrine classique und die Hinwendung zu Shakespeare, also die Gestaltung eines dramatischen Konflikts von einem nichtobjektiven Standpunkt aus. Gerade im deutschsprachlichen Bereich geht die Ausgestaltung der inneren Welt auf Kosten der äußeren. Auch der Freischütz ist ja keineswegs aus einem Guß, sondern verbindet Nummernstücke, Charakterszenen, handfeste Ensembles usw., um in der Wolfsschluchtszene mit der alledem zugrundegelegten Konvention radikal zu brechen.


    Was die Bühnenkunst von der ausnotierten Spielanweisung der Musik unterscheidet, ist ein Moment des Unberechenbaren. Bereits (das war der Sinn meines obigen Beitrags) die Dramaturgie der Oper fügt dem Handlungsverlauf ein Moment von Asymmetrie hinzu. Höhepunkte emotionaler Verdichtung treiben die Handlung nicht voran, sondern wirken sich retardierend aus. Die Lieblingsform der Oper ist der aus dem "aside"-Sprechen entwickelte Monolog. Das natürliche Element dieser Innerlichkeit ist die Musik - so sehr, daß eine forcierte musikalische Schürzung (etwa im Tristan, Schluß des zweiten Akts, nach Markes Monolog) fast zur Ausnahme wird.


    Verdi hat sich auf verschiedenen Ebenen sehr intensiv mit dem Problem der Dramaturgie beschäftigt. Bis zum aktionistischen Falstaff freilich ist es ein weiter Weg; und Schillers Bühneninstinkt im Don Carlos kann nur ausnahmsweise zu sprechtheaterähnlicher musikdramatischer Unmittelbarkeit werden (die Gartenszene zwischen Posa, Elisabetta und Eboli z.B.). Nur in den Meistersingern entwirft Wagner eine vergleichbar aktionistische Partitur, behält diese Tendenzen aber vornehmlich komischen Figuren (v.a. Beckmesser) vor.


    Die Musik, so meine These, enthält im Kern eine Tendenz zur Aufhebung der Situation, zu Innenwendung, zur Abkehr von der äußeren Handlung. Bereits hier, in der Ästhetik der Oper, wurzelt im Grunde die doppelte Optik, die dann in der Regieästhetik zu den abweichenden Bildfindungen greift.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Zitat

    Die Musik, so meine These, enthält im Kern eine Tendenz zur Aufhebung der Situation, zu Innenwendung, zur Abkehr von der äußeren Handlung. Bereits hier, in der Ästhetik der Oper, wurzelt im Grunde die doppelte Optik, die dann in der Regieästhetik zu den abweichenden Bildfindungen greift.


    Mein lieber Farinelli!


    Schön, daß Du hier so ausführlich Stellung nimmst. Aber Dir sei von mir gesagt, daß ich weder eine Oper mit "Abkehr von der äußeren Handlung", noch mit "abweichenden Bildfindungen" wünsche. Sondern so wie sie von Komponist und Librettist erwünscht waren. Und nicht mit Sängern, die mit heruntergelassenen Hosen auf Toilettenbrillen ihre Arien schmettern.



    Gruß Wolfgang

    W.S.

  • "Hei, wie sich (da) die Buben freuen"

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Aber Dir sei von mir gesagt, daß ich weder eine Oper mit "Abkehr von der äußeren Handlung", noch mit "abweichenden Bildfindungen" wünsche. Sondern so wie sie von Komponist und Librettist erwünscht waren.


    Da sei Dir ja auch völlig unbenommen.


    Zur Zeit stellt es sich mir so dar, daß es anscheinend der größte Fehler des RT aus Sicht der RTGegner ist, daß der Don Giovanni als "Don Giovanni" und nicht als "Inszenierung des Don Giovanni frei nach Mozart" angekündigt wird. Dann wäre ja auch jedem RTG klar, daß er möglicherweise mit einem furchterregenden Bagger konfrontiert wird.


    Auch die RTGs konzedieren ja grundsätzlich künstlerische Freiheit, aber bitte nicht als "Verunstaltung" des eisernen Bestandes. Aber was kann es gegen Experimente einzuwenden geben, an denen man nicht teilnehmen muß? In die man nicht unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hineingelockt wird? Wo klar ist, daß es sich nicht um das Original, sondern eine Bearbeitung handelt?


    Wenn Du also schreibst, Wolfgang, Du wünschtest keine Oper mit Abkehr oder Abweichung, kann ich das nur so deuten, daß Du nicht wünscht, eine solche Oper zu besuchen. Ich deute es nicht so, daß Du als freiheitsliebender Demokrat die grundsätzliche Existenz einer solchen Oper auszuschließen wünscht, insbesondere dann, wenn jeder Besucher weiß, daß er sich auf ein Experiment, eine "Neudeutung", einläßt.


    Sehe ich Deine Position richtig?

  • Hallo m-mueller,


    ich glaube, so sehen das die meisten RT-Gegner hier. Das Problem ist nicht das RT selbst sondern dessen Verdrängungswirkung. Ohne die wäre die Diskussion wohl kaum so wild.


    :hello:

  • Zitat

    Wenn Du also schreibst, Wolfgang, Du wünschtest keine Oper mit Abkehr oder Abweichung, kann ich das nur so deuten, daß Du nicht wünscht, eine solche Oper zu besuchen. Ich deute es nicht so, daß Du als freiheitsliebender Demokrat die grundsätzliche Existenz einer solchen Oper auszuschließen wünscht, insbesondere dann, wenn jeder Besucher weiß, daß er sich auf ein Experiment, eine "Neudeutung", einläßt.


    Sehe ich Deine Position richtig?


    Ja, richtig! Dafür sind mir Zeit und Eintrittsgeld zu schade!

    W.S.

  • Zitat

    Zitat von m-müller:Zur Zeit stellt es sich mir so dar, daß es anscheinend der größte Fehler des RT aus Sicht der RTGegner ist, daß der Don Giovanni als "Don Giovanni" und nicht als "Inszenierung des Don Giovanni frei nach Mozart" angekündigt wird. Dann wäre ja auch jedem RTG klar, daß er möglicherweise mit einem furchterregenden Bagger konfrontiert wird.

    Genauso habe ich es schon mehrmals ausgedrückt und ich glaube, dass auch Gleichgesinnte so denken.



    Zitat

    Auch die RTGs konzedieren ja grundsätzlich künstlerische Freiheit, aber bitte nicht als "Verunstaltung" des eisernen Bestandes. Aber was kann es gegen Experimente einzuwenden geben, an denen man nicht teilnehmen muß? In die man nicht unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hineingelockt wird? Wo klar ist, daß es sich nicht um das Original, sondern eine Bearbeitung handelt?

    So ist es. Aber was die RTG noch wünschen ist, dass überall auch ein entsprechender Anteil an unverfälschten Inszenierungen stattfindet, damit Opernliebhaber, die diese Experimente nicht mögen, auch wieder die Chance haben, die Oper besuchen zu können. Nicht jeder kann es sich leisten, durch die Welt zu reisen, um irgendwo vielleicht noch eine unverfälschte Inszenierung zu sehen. Und rundherum wird ja fast nur noch experimentiert und der Zuschauer mit Mogelpackungen gelockt.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ich habe es richtig genssen , vor zwei Wochen am Samstag die Aida aus Verona live auf Classica zu sehen. Tolle Sänger und vor allem eine wunderbare Inszenierung. Beim Triumphmarsch gab es sogar richtige Tiere . Und jedes Bühnenbild war anders und es gab mal kein langweiliges Einheitsbühnenbild. Nur mach ich mir darüber auch keine Illusionen, das sich so eine pompöse Inszenierung nicht in jedem Opernhaus aufführen lässt.

  • Zur Zeit stellt es sich mir so dar, daß es anscheinend der größte Fehler des RT aus Sicht der RTGegner ist, daß der Don Giovanni als "Don Giovanni" und nicht als "Inszenierung des Don Giovanni frei nach Mozart" angekündigt wird. Dann wäre ja auch jedem RTG klar, daß er möglicherweise mit einem furchterregenden Bagger konfrontiert wird.
    ?


    Der größte Fehler ist der Allmachtsanspruch des RT, sodass wir kaum mehr Alternativen haben und keine Freude mehr am Opernbesuch haben. Leider.

  • Der größte Fehler ist der Allmachtsanspruch des RT, sodass wir kaum mehr Alternativen haben und keine Freude mehr am Opernbesuch haben. Leider.


    Wie recht Du hast, mein Lieber!


    Traurig, traun ...

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

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  • Aber was die RTG noch wünschen ist, dass überall auch ein entsprechender Anteil an unverfälschten Inszenierungen stattfindet, damit Opernliebhaber, die diese Experimente nicht mögen, auch wieder die Chance haben, die Oper besuchen zu können. Nicht jeder kann es sich leisten, durch die Welt zu reisen, um irgendwo vielleicht noch eine unverfälschte Inszenierung zu sehen. Und rundherum wird ja fast nur noch experimentiert und der Zuschauer mit Mogelpackungen gelockt.

    Dann aber geht es weniger um die gar gruslichten Details des RT, sondern lediglich um eine "angemessene" Repräsentanz des "schönen" Theaters.


    Wolfram nannte nach meiner Erinnerung mal rgendwo eine Zahl von 20%, die er als RT sieht, bliebe 80% für "schön".


    Was ist Deiner Meinung nach ein adäquater Anteil ?

  • Lieber m-mueller,


    Wahrscheinlich hast du es nicht gelesen, denn man hat ja gar nicht die Zeit, alles zu verfolgen und intensiv zu lesen, was täglich im Forum berichtet wird. Ich habe den Anteil, den Wolfram fordert, gelesen, ihm gerne gegönnt und dem entgegengehalten, dass ich bereits bei 50 - 60% unverfälschter Inszenierungen zufrieden wäre, vorausgesetzt, dass man bei den anderen erfährt erfährt, dass es sich um Experimente handelt. Zwar habe ich hier im Forum und auch bei youtube bereits zur Genüge erfahren, von welchen Regisseuren (wie Konwitschny, Beiito u.a) ich die Inszenierungen in jedem Fall meiden würde, aber leider ist es doch so, dass man zur Zeit - von einzelnen Ausnahmen abgesehen (die hier auch erwähnt wurden) keiner Inszenierung mehr trauen kann, denn der Trend, Opern zu zerstören, grassiert ja immer mehr. Und - wie gesagt - ich kann es mir nicht leisten, in den hintersten Winkel der Welt zu reisen, um noch einmal eine unverfälschte Inszenierung zu sehen. Und auch das Fernsehen hat in der letzten Zeit mehr schwachsinnige Inszenierungen als normale gezeigt, aber hier hat man wenigstens die Ausschalttaste, auch wenn das auf die Dauer ebenso wenig befriedigen kann. Deshalb kämpfe ich hier weiter mit, dass dieser modische Trend sich endlich umkehrt.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • dass ich bereits bei 50 - 60% unverfälschter Inszenierungen zufrieden wäre, vorausgesetzt, dass man bei den anderen erfährt erfährt, dass es sich um Experimente handelt.


    Scheint mir eine faire Quote zu sein - also 50% Klassik, 50% RT

  • Lieber Kurzstückmeister,


    du hast ja Recht, Wien ist sicherlich keine entlegener Winkel und ist eine rühmliche Ausnahme. Dort gibt es noch anschaubare Inszenierungen, fragt sich nur, wie lange sich die Opernhäuser in Wien von der Regietheaterseuche noch teilweise freihalten können. In diesem Jahr werden meine Frau und ich uns erstmals eine Wienreise gönnen, für die meine Frau das Geld von ihren Gästen zum runden Geburtstag erhalten hat. Ich brauche also nur noch für meinen Aufenthalt sparen. Vielleicht gelingt es uns, eine unverfälschte Inszenierung zu erhaschen. Aber auch das können wir - und ich glaube auch manche andere - nicht jedes Jahr, geschweige denn mehrmals im Jahr. Wenn ich schon ab und zu eine Oper live erleben will, müsste es schon in unserer Nähe sein.
    Wir sind in Bezug auf Oper vielseitig interessiert und möchten ständig Neues kennen lernen. Die meisten Opern, die immer wieder im Repertoire sind, haben wir in unserem Leben ein- oder manchmal mehrmals gesehen. Wenn aber etwas Unbekannteres neu aufgenommen wird, wird es meist regietheatralisch verunstaltet. Unser Abonnement haben wir vor einigen Jahren gekündigt und in der vorletzten Saison haben wir nur eine einzige Oper live gesehen, bei der wir sicher sein konnten, dass Ort, Zeit und Handlung des Librettos beachtet wurden. Für die neue Saison habe ich nur noch Konzerte gebucht.


    Liebe Grüße
    Gerhard

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  • Mein lieber Gerhard!


    Da bleibt einem als Alternativlösung nur noch die konzertante Opern-Aufführung. Falls es die etwa irgendwo gibt. Anders bleibt Opernfreunden wie uns kaum noch die Möglichkeit, Opern zu genießen.



    Herzliche Grüße
    Wolfgang

    W.S.

  • Zitat

    fragt sich nur, wie lange sich die Opernhäuser in Wien von der Regietheaterseuche noch teilweise freihalten können.


    Ich glaube, es schaut ganz gut aus. Natürlich hat die Seuche Regietheater auch von Wien ebensowenig Halt gemacht wie die Pest. Aber es ist eben nur ein partielle Infekt.
    Ich habe mir oft die Frage gestellt woran das wohl liegen mag. Ich vermute, weil in Wien eine noch großteils intakte regietheaterkritsche bis regietheaterfeindliche Oberschicht im Hintergrund die Fäden zieht.
    In New York soll es ja ähnlich funktionieren....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • In New York soll es ja ähnlich funktionieren....


    Mit Sicherheit nicht!


    In New York gibt es private Sponsoren, die gewisse Vorstellungen davon haben, wofür sie ihr Geld ausgeben. Und wer soll in Wien regiemäßig Fäden ziehen? Wien hat noch einige alte, augenfreundliche Inszenierungen. Praktisch alles, was neueren Datums ist, hält den Ansprüchen der Regietheatergegner nicht stand.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Ich glaube, es schaut ganz gut aus. Natürlich hat die Seuche Regietheater auch von Wien ebensowenig Halt gemacht wie die Pest. Aber es ist eben nur ein partielle Infekt.
    Ich habe mir oft die Frage gestellt woran das wohl liegen mag. Ich vermute, weil in Wien eine noch großteils intakte regietheaterkritsche bis regietheaterfeindliche Oberschicht im Hintergrund die Fäden zieht.
    In New York soll es ja ähnlich funktionieren....


    Da bin ich aber wesentlich pessimistischer, und die Zukunft wird mir wahrscheinlich recht geben. In Wien traut sich ja niemand, energisch gegen die Regie-Metastasen anzukämpfen. Da der Operndirektor zwar klug gesetzte Worte verliert, aber gleichzeitig sich auch dieser Seuche ausliefert, fehlt mir jeder Glaube.


    Ausserdem verweise ich auf den Beitrag Nr. 48 von Theophilus.

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  • Habe mal das Internet nach Händel-Opern (auf Bluray oder youtube) abgesucht - tatsächlich überwiegen stark karge bis öde Inszenierungen, da macht Zuschauen nur wenig Spaß und man kann sich besser die CD kaufen und sich die Handlung in der Phantasie vorstellen....


    Aber es gibt auch gute RT-Inszenierungen (Semele mit der Bartoli), die scheinen aber eine eher kleine Minderheit zu sein.

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  • Lieber m-mueller,


    Ja leider werden die meisten Opern des Barock und der Frühklassik heute so verödet, dass sie nur noch Langeweile erzeugen. Sieh dir einmal folgenden Ausschnitt aus Glucks "Orpheus und Euridike an:
    http://www.youtube.com/watch?v=erT1TRGZ7Xk


    In solchen Zeitlupendrehungen und seltsamen Finger-, Hand- und Armbewegungen (soll das Tai-Chi sein?) verläuft aber die ganze Oper. Ein ausgezeichnetes Schlafmittel (reicht für drei Tage Schlaf).


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Als Neuling werde ich noch sehr lange damit beschäftigt sein, in meiner zu knappen Freizeit alles das zu sichten, was mich in diesem Forum interessiert. Heute habe ich mal ein bisschen in die Diskussionen zum Regietheater hineingeschnuppert. Dabei bin ich buchstäblich erschrocken über die Vehemenz, mit der hier viele Beiträger agieren und die mir – ich bin ja erklärtermaßen kein Opernfreund und sehe das von daher etwas aus der Distanz – den Eindruck vermittelt, es geht mehr um Emotion als um Verstand (was zwar, solange man den anderen dabei nicht verletzt, legitim, aber doch auf Dauer oft keine tragfähige Diskussionsgrundlage ist). Ich möchte dem Drang, auf so viele einzelne Äußerungen einzugehen, widerstehen, zumal ich fürchte, kaum Neues beitragen zu können. Aber es seien mir doch ein paar Anmerkungen und Fragen gestattet. Dafür erscheint mir diese Diskussion am passendsten.


    Bemerkens- und bedenkenswert erscheint mir vor allem, was Johannes Roehle geschrieben hat, zum Beispiel: »Der springende Punkt ist nach wie vor, ob man einer Aufführung eines Theater- oder Musikstücks den Rang eines in gewissen Grenzen eigenständigen Kunstwerks einräumt oder es als Ausführen eines Kochrezepts sieht.« Ich kann mir nicht vorstellen, dass ernsthafte Musikliebhaber sich mit dem Ausführen eines Kochrezepts zufrieden geben wollen, auch wenn bei manchen Argumenten dieser Eindruck entsteht.
    m-mueller schreibt (in Beitrag 34), für ihn stelle es sich so dar, »daß es anscheinend der größte Fehler des RT aus Sicht der RTGegner ist, daß der Don Giovanni als Don ›Giovanni‹ und nicht als ›Inszenierung des Don Giovanni frei nach Mozart‹ angekündigt wird«. Ich muss gestehen, dass ich auch schon in diese Richtung gedacht habe, wenn ich in anderer Umgebung gesagt habe, man müsste beispielsweise die Einspielung einer Scarlatti-Sonate auf dem modernen Flügel statt auf dem Cembalo entsprechend kennzeichnen. Und was soll man davon halten, wenn Musikliebhaber von der Inszenierung fordern, sie müsse erkennbar in der ›richtigen‹ Zeit spielen, aber klaglos Brahms auf modernen Violinen hinnehmen, obwohl der Komponist selbst wegen des anderen Klanges ausdrücklich die zu seiner Zeit noch nicht ungebräuchlichen Darmsaiten gewünscht hatte?


    Aber dies nur am Rande. Eigentlich finde ich es interessanter, dass ich einerseits nur sogenannte »HIP«-Einspielungen von Werken älterer Komponisten kaufe, dass ich aber andererseits von den wenigen Opern, die ich gesehen habe, nur diejenigen erträglich – oder besser: spannend, packend, schlüssig statt einfach nur lächerlich – fand, die eben modern inszeniert waren. Wie kann ich diesen Widerspruch auflösen?


    In diesem Zusammenhang hat mich ein Satz von Wolfram in seinem Eröffnungsbeitrag zur Diskussion über das Regietheater als etablierter Kunst angesprochen: Unabhängig davon, wie man zum Regietheater steht, wird man zugeben müssen, dass es eine eigene autarke Kunstform ist, die sich neben die Kunst des Librettisten und die Kunst des Komponisten stellt.«. Ich muss noch darüber nachdenken, ob mir das aus meinem Dilemma heraushelfen könnte ...

  • Lieber Dieter


    wenn Du kein erklärter Opernfreund bist, lohnt es sich nicht, hier noch einmal schon tausendfach ausgetragene Kämpfe zu kämpfen. Es ist schade um die Zeit. :no: Es gibt viele interessante Ecken hier.


    beste Grüsse
    lutgra

  • Deshalb auch mein »nur am Rande«. Ich hatte gehofft, dass vielleicht jemand etwas mit dem anfangen kann, was ich in den letzten beiden Absätzen geschildert habe. Das beschäftigt mich wirklich.

  • Eigentlich finde ich es interessanter, dass ich einerseits nur sogenannte »HIP«-Einspielungen von Werken älterer Komponisten kaufe, dass ich aber andererseits von den wenigen Opern, die ich gesehen habe, nur diejenigen erträglich – oder besser: spannend, packend, schlüssig statt einfach nur lächerlich – fand, die eben modern inszeniert waren. Wie kann ich diesen Widerspruch auflösen?


    Ich habe vor geraumer Zeit ein Interview mit einem der prominenten Protagonisten der historisch-informierten Praxis (leider erinnere ich nicht mehr, wer es war) gelesen, bei dem er sinngemäß gesagt hat, eine musikalische Aufführung von Barockoper wäre für ihn nur in HIP denkbar, aber für die Inszenierung könne er nur ein modernes Konzept akzeptieren. Zu dem Thema des letzten Absatzes hat hier im Forum Holger Kaletha sehr viel Kluges geschrieben. Der thread ist aber ewig lang, da brauchst Du einige Stunden für.

  • Und was soll man davon halten, wenn Musikliebhaber von der Inszenierung fordern, sie müsse erkennbar in der ›richtigen‹ Zeit spielen, aber klaglos Brahms auf modernen Violinen hinnehmen, obwohl der Komponist selbst wegen des anderen Klanges ausdrücklich die zu seiner Zeit noch nicht ungebräuchlichen Darmsaiten gewünscht hatte?

    Da wird Er sich halt gar nichts denken. Der Brahms bleibt ja immer noch der Brahms, egal auf welchen Saiten.



    In diesem Zusammenhang hat mich ein Satz von Wolfram in seinem Eröffnungsbeitrag zur Diskussion über das Regietheater als etablierter Kunst angesprochen: »Unabhängig davon, wie man zum Regietheater steht, wird man zugeben müssen, dass es eine eigene autarke Kunstform ist, die sich neben die Kunst des Librettisten und die Kunst des Komponisten stellt«

    Ja eben. Und wenn sie schon daneben steht, sollte man sie nicht in der alten Verpackung verkaufen.

  • Zitat

    Unabhängig davon, wie man zum Regietheater steht, wird man zugeben müssen, dass es eine eigene autarke Kunstform ist, die sich neben die Kunst des Librettisten und die Kunst des Komponisten stellt


    Das gebe ich nicht zu. Es ist so als, würde ich einen Architekten beauftragen für mich ein Palais im Stile des Rokoko zu errichten, wobei ich die Einzelheiten mit ihm bis ins letzte Detail ausklügle, von mir aus auch leicht idealisierend verfremdet. Der ausführende Baumeister hält sich indes nicht an die Baupläne und stellt statt dessen ein Bauwerk aus Beton, Glas und Plastik auf den Bauplatz - und behauptet dann dies sei ein Kunstwerk, das er geschaffen habe - und natürlich müsse ich den "Künstler" entsprechend bezahlen........


    Am oberen Satz ist allerdings eine Phrase absolut richtig:


    die sich neben die Kunst des Librettisten und die Kunst des Komponisten stellt
    (und zwar ungebeten vom Verbraucher - dem Publikum)


    und nicht:


    die neben der Kunst des Librettisten und der Kunst des Komponisten stellt


    Das ist nämlich ein ziemlicher Unterschied


    Etwa in der Form:
    Der Gast war eingeladen worden
    VS
    Der ungebetene Gast hatte sich eingeladen


    Die Macher des Regietheaters ignorieren die Abneigung der Mehrheit des Publikums und sind genauso schwer
    wegzubekommen wie eine hartnäckige Infektionskrankheit


    Paul Ehrlich und Sahachiro Hata haben um 1919 das Salvarsan erfunden, Alexander Fleming das Penicillin, Jonas Salk den Impstoff gegen die Kinderlähmung.


    Gegen das Regietheater muß erst ein Mittel gefunden werden - aber es wird geschehen - da bin ich mir absolut sicher.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ein Foto von der Neuinszenierung der "Turandot" am Staatstheater Nürnberg. Regisseur - na wer wohl - Calixto Bieito.


    Es lebe die Freiheit der Kunst!! :D


    Weitere Fotos auf der Homepage des Theaters.


    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

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