Liebe Alle,
ich stimme Waldi in Allem zu: Diese Aufnahme ist auch für mich ein schönes Beipiel dafür, wie unterschiedlich man die einzelnen Rollen anlegen kann. Es ist ein sehr dramatischer Zugriff auf diese Oper, der hier von allen Protagonisten und dem Dirigenten gezeigt wird.
Warren zeigt den Rigoletto in erster Linie als gequälte Existenz und stärker als bei jedem anderen, den ich bisher in dieser Rolle gehört habe, kommt zum Ausdruck, dass er Gilda als Verkörperung für alles, was ihm fehlt - Freunde, Familie, Zuhause - betrachtet: ein übermenschlicher Anspruch, den Gilda erkennt und dem sie versucht, zu entkommen.
Bidú Sayao gehört wohl in die Reihe der dramatischeren Gildas - wie Zinka Milanov und später Maria Callas. Ich mag diesen Zugriff auf die Rolle, weil er mit der Tradition bricht, Gilda als ahnungslos bleibenden Engel darzustellen. "Schmerzlich-wissend", wie Waldi schreibt, trifft es genau: Diese Gilda ist eine unbedingt Liebende, bei der man nicht den Eindruck hat, dass sie sich nur aus einem bloßen Impuls heraus opfert, sondern,dass sie ganz genau weiß, was sie tut und welches Leben ihr an der Seite des besitzergreifenden Vaters weiterhin blühen würde (was nichts daran ändert, dass ihr Verhalten ganz im Rahmen der romantischen Liebeskonzeption steht und für uns heutige schwerlich nachvollziehbar ist).
Jussi Björling passt hier als feuriger, mitreißender Duca wunderbar zu den übrigen Protagonisten - aber obwohl er ja eigentlich mein Lieblingssänger ist, höre ich diejenigen Herzöge lieber, die diese Rolle etwas leichtsinniger und verspielter anlegen: die also den lächelnden großen Jungen geben, den menschliches Leid nicht bekümmert, so lange er seinen Hedonismus voll ausleben kann; der zwar einmal zu Beginn des zweiten Aktes so etwas wie echte Gefühle verspürt, aber auch nur, so lange er glaubt, man habe ihm sein Spielzeug weggenommen.
Es gibt eine Aufnahme aus Stockholm, einen Live-Mitschnitt aus dem Jahre 1957, in der Björling einen ähnlich mitreißenden und zupackenden Duca singt wie hier (in der er allerdings nicht mehr so gut bei Stimme ist und manchmal vergröbert). Was mich in der späteren Aufnahme jedesmal "packt", ist die Ausgestaltung des zweiten "La donna è mobile". Während er das erste Mal in gewohnt kühler und spöttischer Manier aufrtritt, hört man in der zweiten Szene wirklich einmal einen müden und verträumten Duca, der zunächst noch schwärmerisch die Sterne betrachtet, dann immer "müder" und langsamer singt (Zwischenfrage meines damals 10-jährigen Sohnes, der zufällig hereinkam, als ich diese Einspielung zum ersten Mal hörte: Warum leiert der denn so?), bis ihn der Schlaf völlig übermannt. Hier blitzt (nach der Klage um die vermeintlich Geraubte im zweiten Akt) zum zweiten Mal ein Duca durch, der echte Gefühle zeigt.
Von der dramatischeren Anlage her erinnert mich der Mitschnitt von 1945 an die Live-Aufnahme von Gounods "Roméo et Juliette" von 1947 mit Björling und Sayao unter Emil Cooper. Auch eine Sternstunde der Oper, aber auch ein "knalligerer" und dramatischerer Zugriff, als man es von der französischen Oper sonst gewohnt ist.
Petra