Sinn und Zweck der Musik der "Moderne" (ab ca 1930)

  • Liebe Forianer,


    Man könnte die Frage nach dem Sinn der Musik generell stellen, aber ich habe mich für eine provokantere Fragestellung entschieden, weil sie Leben ins Forum bringt:


    Es gab im Laufer der Jahthunderte verschiedene Motive Musikk zu machen, von denen ich persönlich nur ein einziges akzeptiere: Musik soll Freude machen und unterhalten (Deshab meide ich auch permanent alle Formen von Totenmususk)


    Aber damit sind wir schon beim Thema:


    Manchen bedeutet die Musik Trost
    Andere macht sie fröhlich


    Organisierte Formen jedoch waren:


    Musik zur Ehre Gottes
    (Die Kirche - hierin machen die evangelische und die katholische nur wenig Unterschied - sah sehr wohl die Heuchelei, die hinter dieser Behauptung steckt - und unternahm zeitweise alle Anstrengungen um Musik generell zu verbieten oder sie zumindesten unfreundlich klingen zu lassen.


    Musik zur Ehre des Herrschers
    Musik zur Ehre des Adels
    Musik zum Tanzen
    Kriegsmusik
    Musik welche das Bürgertum repräsentiert
    Musik zu Unterhaltung
    Liebeslieder


    Die Musik des 20. Jahrhunderts jedoch dient - von Ausnahmen mal abgesehen - KEINER dieser Aufgaben.


    Und da stellt sich die Frage ?


    Was will/soll diese Musik eigentlich bezwecken - bzw wofür ist sie gut ?


    Ich kann mir vorstellen, daß das eine spannende Diskussion wird.


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    POLITIKER wollen stets unser Bestes - ABER WIR GEBEN ES NICHT HER !!!



  • Muss Musik, muss Kunst Sinn und Zweck haben?
    Alfreds Beispiele liegen im Bereich von Funktionen der Musik, die ausserhalb des Kunstwerks liegen, und einer solchen "Legitimation" bedarf Kunst IMO nicht.

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Ich stimme Misha voll und ganz zu.


    Meiner Meinung nach muss Musik keinen "Sinn und Zweck" haben.
    Genau so wie nicht jede Form von Lyrik irgendeinen Zweck haben muss. Es ist einfach Kunst. :hello:

  • Zitat

    Was will/soll diese Musik eigentlich bezwecken - bzw wofür ist sie gut ?


    Um Alfred zu ärgern? :stumm:


    Nein, Spaß beiseite: In der Kunst manifestieren sich die geistigen Strömungen einer Zeit. Kunst ist (fast) immer der Versuch einer Kommunikation auf höherer Ebene.
    Was die Musik nach 1930 bezwecken soll, kann man bei diversen Komponisten individuell belegen, aber nicht verallgemeinern.
    Britten etwa sah die soziale Aufgabe des Musikers einfach darin, auf anspruchsvolle Weise zu unterhalten. Wobei dieses "unterhalten" Bereiche vom "zum Nachdenken bringen" bis hin zum "zum Lachen bringen" beinhaltet. Bei Schostakowitsch wird wohl auch viel Protest und Subversivität dabei gewesen sein. Und bei anderen ist wohl geistvolles Spiel die Triebkraft. Aber eine Verallgemeinerung, was Musik bezweckt, kann man wohl auch für die Zeit vor 1930 nicht treffen.

    ...

  • Ich habe schon Zweifel, ob Deine Einteilungüberhaupt sinnvoll ist, die Frage ist es definitiv nicht.


    Wie jede Kunst dient auch die moderne Musik keinem anderen Zweck als dem, daß sich die Menschen mit ihr beschäftigen, sich mit ihr auseinandersetzen, durch sie wachsen und sich entwickeln. Auch wenn Musik, zB zu liturgischen Zwecken im Gottesdienst, "gebraucht" werden kann, sie ist daneben immer noch Kunst (ähh, die Rolling Stones natürlich nicht, die sind nur zum Dudeln da).


    Der Mensch unterscheidet sich (oder sollte es zumindest, sonst existiert er nur, lebt aber nicht) dadurch vom Tier, daß er sich mit "nutzlosen Dingen" beschäftigt, zB., Kunst, Religion, Erotik. Zum täglichen Überleben sind alle nicht notwendig, aber um das Dasein erst lebenswert zu machen, sind sie unverzichtbar.

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt


    Was will/soll diese Musik eigentlich bezwecken - bzw wofür ist sie gut ?



    Ich kann mir vorstellen, was diese Musik nicht bezwecken will, nämlich als Zeichen der Verbundenheit zwischen Komponist und Publikum zu dienen. Anders war es noch zu Zeiten von Bach, Beethoven, Brahms, wo das Publikum als der Partner, an das man sich wandte, angesehen wurde, insoweit auch ein tief verwurzeltes Vertrauensverhältnis zwischen Publikum und Komponisten bestand.


    Hinsichtlich der Musik des 20. Jhdts. hat sich dies mE grundlegend geändert. Ein partnerschaftliches Vertrauensverhältnis sehe ich nicht mehr. Insoweit haben sich die Vertreter der Neuen Musik des 20. Jhdts. mehr und mehr von dem Publikum, das ja schließlich auch deren wirtschaftliche Grundlage bildet, entfremdet. Vielfach kommt es mir so vor, als wollten Komponisten der Neuen Musik das Publikum mit ihrer Musik bevormunden, diese quasi als Propagandainstrument benutzen. Die Frage, die man sich dann freilich berechtigterweise stellen kann, lautet dann aber, ob dies noch etwas mit Kunst zu tun hat.

  • Zitat

    Vielfach kommt es mir so vor, als wollten Komponisten der Neuen Musik das Publikum mit ihrer Musik bevormunden, diese quasi als Propagandainstrument benutzen. Die Frage, die man sich dann freilich berechtigterweise stellen kann, lautet dann aber, ob dies noch etwas mit Kunst zu tun hat.


    Verstehe ich nicht. Die Komponisten "bevormunden" das Publikum und benutzen es als "Propagandainstrument"? Propagandainstrument wofür? Vor allem, wenn jemand wenig Publikum hat?
    ?(

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Verstehe ich nicht. Die Komponisten "bevormunden" das Publikum und benutzen es als "Propagandainstrument"? Propagandainstrument wofür? Vor allem, wenn jemand wenig Publikum hat?
    ?(



    Nicht "es", d.h. nicht das Publikum wird als Propagandainstrument benutzt, sondern "diese", d.h. die Musik!

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Ach so, natürlich ...
    Aber die Barockmusik ist Propaganda für Kirche und König.


    ... was ja nicht schlecht ist.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Ach so, natürlich ...
    Aber die Barockmusik ist Propaganda für Kirche und König.


    Und damit gottgefällig und lobenswert. Vive le Roi! 8)


    Melichar schrieb IIRC in einer seiner Polemiken gegen Schönberg, dieser sei der erste Komponist gewesen, der das Publikum überflüssig gemacht habe. Er sei der erste, dem es nicht (mehr) auf die Zustimmung des Publikums ankam, weil es ohnehin zu doof für seine Musik sei (die meisten jedenfalls). Ich will mal dahingestellt sein lassen, ob das Melichars Bemerkung überhaupt stimmt, es dürfte für einige Komponisten nach 1945 mehr oder weniger zutreffen, aber global für die gesamte moderne Musik solche Behauptung aufzustellen, halte ich für abwegig. Ganz abgesehen davon, daß es DIE Neue Musik des 20 Jahrhunderts gar nicht gibt.


    Toms Gleichung "Kunst ist, wenn ich's verstehe und mag" ist sicher zu pauschal. Und ich frage mich, wie hoch der Prozentsatz der Bevölkerung gewesen ist, die eine Monteverdi- oder Wagneroper verstanden und gemocht haben. Oder ein Gedicht von Klopstock, ein Drama von Schiller, ein Gemälde von David, Watteau...

  • hallo,


    haben wir in gerade in den letzten wochen und tagen nicht schon in sooo vielen threads (ob es zum thema paßte oder nicht) über dieses thema gestritten? ich finde, es ist hinlänglich alles (intelligente und sehr-wenig-intelligente :stumm: ) gesagt. ich werde mich deshlab nicht mehr beteiligen, um meinen blutdruck zu schonen :wacky:


    lg an alle wackeren (windmühlen)-streiter :D


    :hello:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Zitat

    Original von Robert Stuhr


    Toms Gleichung "Kunst ist, wenn ich's verstehe und mag" ist sicher zu pauschal.



    Diese Schlußfolgerung ist freilich etwas zu kurz gegriffen. Ausgangspunkt war die Beobachtung, daß sich das Verhlätnis zwischen Komponist und Publikum geändert hat. Der moderne Musiker tritt seinem Publikum von vornherein mit Anforderungen gegenüber. Er steht mit ihm nicht mehr in Gemeinschaft, wie vielleicht Bach, Beethoven. Wer an Beethoven zweifelt, weil er an seinem Konzertpublikum das eine oder andere auszusetzen hatte, möge bedenken, daß er schlußendlich entscheidend zu einem Bestand eines öffentlichen Konzertlebens anfangs des 19. Jhdts. beigetragen hat. Diese Beziehung hat sich zu einem Zweckverhältnis umgewandelt. Der moderne Komponist sucht das Publikum - denn er ist wirtschaftlicht auf es angewiesen -, versucht aber gleichzeitig es im Sinn einer Bevormundung zu beeinflussen. Das verstehe ich im Übrigen unter Propaganda.


    Liegt nicht aber darin eine wirkliche erstaunliche Anspruchslosigkeit des modernen Komponisten? Hält es der moderne Komponist wirklich für einen Erfolg, wenn seine Propaganda funktioniert? Fehlt es nicht zusehends an einem Grundkonsens zwischen Komponisten und Konzertpublikum?

  • Zitat

    Original von Robert Stuhr
    Melichar schrieb IIRC in einer seiner Polemiken gegen Schönberg, dieser sei der erste Komponist gewesen, der das Publikum überflüssig gemacht habe. Er sei der erste, dem es nicht (mehr) auf die Zustimmung des Publikums ankam, weil es ohnehin zu doof für seine Musik sei (die meisten jedenfalls). Ich will mal dahingestellt sein lassen, ob das Melichars Bemerkung überhaupt stimmt, es dürfte für einige Komponisten nach 1945 mehr oder weniger zutreffen,


    Es dürfte auch für einige Musik vor 1900 zutreffen, etwa Beethoven, von dem im Gegensatz zu Schönberg, explizite despektierliche Äußerungen das Publikum betreffend überliefert sind. Das "intendierte Publikum" von Bachs Wohltemperiertem Klavier oder der Kunst der Fuge sind in erster Linie (angehende) Komponisten und Musiker, die diese Musik spielen oder studieren sollen. Der größte Teil der komplexen Renaissancepolyphonie dürfte sich ebenso an andere Musiker richten, als ob der durchschnittliche Gottesdienstbesucher Interesse an kontrapunktischen Finessen gehabt hätte... Noch etwas früher im Mittelalter wurde Musik als Wissenschaft betrachtet (gehört ja auch zum Quadrivium) und mit ähnlicher Berücksichtigung des Publikums betrieben wie Astronomie :D
    Das soll natürlich nicht heißen, das die meisten Komponisten nicht hofften, aufgeführt zu werden und ein Publikum zu erreichen.


    Man darf einfach nicht aus den letzten 250 Jahren Musikgeschichte in Europa ableiten, Musik sei zuallererst auf ein Publikum bezogen. Das ist zu kurz gedacht. Anthropologisch und systematisch beginnt Musik mit dem Musizieren als einer Handlung, zum Tanz oder zu Kultzwecken oder auch einfach so, als Selbstzweck, aber es muß natürlich kein Publikum außer den Musikern selbst dabei sein. Versteht man, dass Musikmachen das Primäre ist, vermeidet man auch leichter, das "Werk" zum Fetisch zu erheben; ein "Werk" ist bei prozessualen Künsten wie Theater, Tanz und Musik etwas Nachgeordnetes. Historisch sowieso, aber auch systematisch, denn ohne Performanz kann ein Werk nur schattenhaft exisitieren.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von tom


    Diese Schlußfolgerung ist freilich etwas zu kurz gegriffen. Ausgangspunkt war die Beobachtung, daß sich das Verhlätnis zwischen Komponist und Publikum geändert hat. Der moderne Musiker tritt seinem Publikum von vornherein mit Anforderungen gegenüber. Er steht mit ihm nicht mehr in Gemeinschaft, wie vielleicht Bach, Beethoven. Wer an Beethoven zweifelt, weil er an seinem Konzertpublikum das eine oder andere auszusetzen hatte, möge bedenken, daß er schlußendlich entscheidend zu einem Bestand eines öffentlichen Konzertlebens anfangs des 19. Jhdts. beigetragen hat. Diese Beziehung hat sich zu einem Zweckverhältnis umgewandelt. Der moderne Komponist sucht das Publikum - denn er ist wirtschaftlicht auf es angewiesen -, versucht aber gleichzeitig es im Sinn einer Bevormundung zu beeinflussen. Das verstehe ich im Übrigen unter Propaganda.


    Liegt nicht aber darin eine wirkliche erstaunliche Anspruchslosigkeit des modernen Komponisten? Hält es der moderne Komponist wirklich für einen Erfolg, wenn seine Propaganda funktioniert? Fehlt es nicht zusehends an einem Grundkonsens zwischen Komponisten und Konzertpublikum?


    Es wäre vielleicht nicht verkehrt, diese etwas steilen Behauptungen mit Beispielen zu belegen (und nicht mit irgendwelchen vereinzelten Provokateuren). Welche "Propaganda" genau steckt in Bartoks 3. Streichquartett, in Schönbergs Klavierkonzert oder Carters Konzert für Orchester?
    Und ebenso darzulegen, inwiefern Beethoven nicht in vielen Fällen sein Publikum sehenden Auges überforderte. Der entsprechenden Rezensionen sind zu viele, um sie zu zitieren. Ein fähiger Komponist wie Weber hielt Beethoven angeblich für reif fürs Irrenhaus, nachdem er die 7. Sinfonie gehört hatte...
    Auch Bach ist kein wirklich gutes Beispiel. Als ob die Leipziger Kirchgänger eine Wahl gehabt hätten, wenn ihnen die Kantaten nicht gefielen oder unverständlich schienen, und als junger Komponist wurde er mehrfach verwarnt, weil er beim Präludieren oder der Choralbegleitung die singende Gemeinde durch Modulationen verwirrte...
    Vom offensichtlichen Desinteresse des alten Bach an Publikum und einer gewissen Entfremdung von der Musik der Zeitgenossen gar nicht zu reden.


    viele Grüße


    JR

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  • "Kunst ist das Nutzlose Schöne"


    Kunst ist überfeinertes Handwerk, sobald Kunst Schönheit vermissen lässt - ist sie nutzlos.


    Zitat

    Muss Musik, muss Kunst Sinn und Zweck haben?


    Ja natürlich.


    Kunst sollte Freude bereiten, vom alltäglichen Banalen ablenken,
    eine verfeinerte Welt hervorbringen.


    Das ist es genau worauf ich hinauswill:


    Tausende Jahre hat Kunst genau diesen Anspruch erfüllt, Bei Musik gab es Ausanhmen, wie z.B. das Hervorbringen hypnotischer Wirkungen bei Eingeborenentänzen oder das Unterdrücken von Angst durch Militärmärsche. Ob man beides als "Kunst sehen kann - daran werden sich die Geister scheiden.


    Zitat

    Ich habe schon Zweifel, ob Deine Einteilung überhaupt sinnvoll ist, die Frage ist es definitiv nicht


    Ich finde das gelinde gesagt sehr unfreundlich formuliert - zudem stimmt es nicht. Wenn aber damit gesagt werden sollte, daß diese Frage nicht eigentlich beantwortbar sei, dann bin ich wieder d`accord,
    genau das wollte ich aufzeigen.


    Kaum jemand kann den Sinn dieser Musik definineren.
    Edwin hat die Falle erkannt - und er hat sehr zurückhaltend geantwortet.


    Zitat

    Wie jede Kunst dient auch die moderne Musik keinem anderen Zweck als dem, daß sich die Menschen mit ihr beschäftigen, sich mit ihr auseinandersetzen, durch sie wachsen und sich entwickeln


    Ich glaube nicht, daß zu diesem Zweck je Musik gemacht wurde !!


    Zitat

    Man darf einfach nicht aus den letzten 250 Jahren Musikgeschichte in Europa ableiten, Musik sei zuallererst auf ein Publikum bezogen.


    Sehr mutig. Edwin hätte sich eher die Zunge abgebissen, als sowas zu sagen..
    Denn es bringt es im Ansatz auf den Punkt: Moderne Musik ist in vielen Fällen zur Befriedigung des Komponisten selbst da.....


    Zitat

    haben wir in gerade in den letzten wochen und tagen nicht schon in sooo vielen threads (ob es zum thema paßte oder nicht) über dieses thema gestritten?


    Ich weiß natürlich nicht wohin der Thread uns führt, wenn er aber versucht die EIGENTLICHE Frage zu beantworten - dann haben wir dieses Thema noch nie gehabt....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    POLITIKER wollen stets unser Bestes - ABER WIR GEBEN ES NICHT HER !!!



  • Zitat

    Edwin hätte sich eher die Zunge abgebissen, als sowas zu sagen.


    Stimmt - denn ich bin absolut gegenteiliger Ansicht. Und ich glaube keinem Komponisten, der behauptet, er brauche kein Publikum.
    Man muss fein unterscheiden: Natürlich komponiert ein Komponist nicht primär für das Publikum in dem Sinn, dass er überlegt: Kriege ich mehr Applaus, wenn ich einen Cluster schreibe oder gibt's für C-Dur am Ende sogar Bravo-Rufe.
    Aber ich bin der festen Überzeugung, dass keine Musik ohne Publikum bestehen kann. Und ich bin der festen Überzeugung, dass kein Komponist das will.
    Wenn ein Komponist es ernst meint damit, dass er nur für sich selbst schreibt, dann möge er konsequent sein: Werke in die Schublade legen und im Testament verfügen, dass sie, ohne vorherige Anfertigung einer Kopie, ins Grab mitgegeben werden mögen.
    Jeder Komponist, der anders handelt, hat IMHO ein Publikum im Sinn.

    ...

  • Zitat

    Original von Robert Stuhr


    Und damit gottgefällig und lobenswert.


    Apropos "gottgefällig"... Paßt zwar nicht ganz hierhin (Mahler starb ja schon 1911), aber die Nachricht ist mir heute über den Weg gelaufen.


    "Lobet den Herrn"
    Mahler-Konzerte verboten


    Das tschechische Bistum Brünn hat die Werke des Komponisten Gustav Mahler (1860-1911) pauschal als "nicht Gott lobend genug" eingestuft und die seit September 2000 regelmäßig veranstalteten Mahler-Konzerte in der Kirche von Iglau verboten.

    Grund für das Verbot sei ein Vatikanerlass von 1987, nach dem nur "Gott lobende" Musik in Kirchen gespielt werden dürfe, berichtete der Prager Rundfunk am Sonntag.

    Der Stadtrat von Iglau reagierte mit Unverständnis auf die Haltung des Bistums. Kritik kam auch vom Experten für Kirchenmusik der Universität Olmütz, Frantisek Kunetek. Bei Musik von Mahler stelle sich "durchaus jenes transzendente Gefühl ein, das auch für liturgische Melodien typisch" sei, sagte er. Mahler verbrachte seine ersten 15 Lebensjahre in Iglau und gilt als berühmter Sohn der mährischen Stadt.


    (Quelle: n-tv)



    Vielleicht ist Mahler den Herren vom Bistum Brünn auch einfach zu modern... :wacky:


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Meine Kritik an der Einteilung bezieht sich darauf, daß sie unscharf ist, Tanzen ist auch Unterhaltung, Musik zur Ehre von irgendwem ist IMO eine Kategorie, wobei sich die wieder mit Tanz und Unterhaltung überschneiden kann (Musik für den Sonnenkönig, Wasser- uind Feuerwerksmusik zB).


    Es ist meines Erachtens zu unterscheiden zwischen dem Zweck, den der Komponist im Augenblick des Schaffensprozesses mit dem Werk verband, siehe zB Edwins Hinweis auf Schostakowitsch, und dem Sinn des Werkes allgemein (also als Kunstwerk, das vom Künstler unabhängig existiert, sobald es geschaffen wird). Da kann es einen ganz anderen Sinn erhalten als es der Komponist bezweckte, als er es schrieb.


    Wenn Du jetzt fragst: "Was will/soll diese Musik eigentlich bezwecken - bzw wofür ist sie gut ?" und nach Deinen Worten eine provokantere Fragestellung gewählt hast, dann muß auch eine provokantere Antwort erlaubt sein.


    In der Tat meinte ich damit, daß es eine definitive Antwort auf die Frage nicht geben kann, allerdings ist die Frage, wofür gerade die Musik des 20. Jahrhunderts gut sein soll, mit ihrer zeitlichen Beschränkung meines Erachtens tatsächlich sinnlos, weil unvollständig. Die Frage kann ebensogut lauten, wofür Barockmusik oder Beethoven gut sein sollen. Ich bin wahrhaftig kann fanatischer Anhänger der Neuen, modernen, zeitgenössischen oder wie auch immer Musik des 20.Jahrhunderts, aber warum muß sich gerade diese immer solche Fragen gefallen lassen? Kein Mensch - außer fanatischen Neutönern und professionellen Traditionsbrechern - käme auf die Idee, daß sich Beethoven, Brahms oder Bruckner in dieser Weise rechtfertigen müßten.



    Kunst ist weder das nutzlos Schöne, noch ist sie überfeinertes Handwerk. Eine reich ornamentierte Zuckergußtorte oder ein Goldlack-Bilderrahmen sind überfeinertes Handwerk. Kunst ist auch nicht nutzlos, wenn sie keine Schönheit darstellt. (Was ist überhaupt Schönheit?) . Sicher ist die Darstellung von Schönheit ein Ziel der Kunst. Aber weder erschöpft sie sich darin, noch ist umgekehrt jede Darstellung von Schönheit (ein Foto der Monroe?) gleich Kunst.


    "Kunst sollte Freude bereiten, vom alltäglichen Banalen ablenken,
    eine verfeinerte Welt hervorbringen"


    Auch der Musikantenstadl oder ein raffiniertes Pastagericht sollen Freude bereiten und vom Alltag ablenken. (Oder, wenn ich ganz zynisch wäre, auch eine Prise Kokain). Nein, lieber Alfred, was Du da schreibst, ist IMHO die Definition von Unterhaltung, aber nicht von Kunst. Kunst ist weit mehr!


    Ich bin nicht so vermessen zu glauben, daß ich Kunst definieren kann, das haben weit größere Geister als ich vergeblich versucht. Trotzdem:


    Wenn die Welt kein metaphysisches Abenteuer ist, dann ist sie nur banal.


    In diesem Sinne ist es Ziel der Kunst, das hinter der Welt Liegende sichtbar, begreiflich, fühlbar zu machen. (ich denke nur an E.T.A. Hoffmanns berühmte Formulierung!). Die Schönheit ist ein Teil davon, aber eben nur ein Teil.


    Natürlich haben nicht alle Komponisten Tag und Nacht nur an dieses Ziel gedacht, aber die Richtung stimmt. Und es scheint mir ganz persönlich auch ein Kriterium zu sein, in der zeitgenössischen Musik die Spreu vom Weizen zu trennen. Musik, die lediglich den Tabubruch bezweckt, nur eine neue Technik ausprobiert, sich in mathematischen Spielereien erschöpft, usw.usf., bleibt auf der handwerklichen Ebene stecken. Wenn sie "schön" klingt, kann man sie zur Pasta im Hintergrund laufen lassen :beatnik: , aber Kunst ist es nicht. Umgekehrt liegt Kunst vor, wenn zB moderne religiös motivierte Choralmusik vorliegt, die dem Hörer zwar nicht "schön" vorkommt, aber ihm dennoch den Blick "auf das Reich dahinter" erlaubt. Pärts Lamentate ist nicht schön verglichen mit Mozart oder Haydn, aber es ist trotzdem ein bedeutendes Kunstwerk.



    "Ich glaube nicht, daß zu diesem Zweck je Musik gemacht wurde !!"


    Musik sicher nicht (als die Schrammel-Brüder die Wirtshäuser beglückt haben, hat sicher keiner von ihnen daran gedacht) aber Kunst schon. Ebensowenig wie es stimmen wird, daß ein Komponist nicht auch mit Blick auf ein Publikum schreibt, ebensowenig kann ich glauben, daß er - wenn auch nicht mit jeder Komposition) nicht mehr bezweckt, als bloß den Alltag zu vertreiben und die Welt zu verfeinern.

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  • Das würde ja dann bedeuten, daß die Frage ob etwas Kunst ist, von der Rezeption und nicht von der Kreation her zu beantworten ist?
    Letztendlich ist Kunst also dann ein relativer, vom jew. Rezipienten abhängiger Begriff? Wenn ich mir "Shaker loops" anhöre ist es Kunst, wenn Du, Alfred (ich unterstelle mal, dass Dir Dieses Stück keine Freude bereitet, tausch den Namen ggf. gg. etwas aus Deiner schwarzen Liste ;) aus), es hören musst, ist es keine Kunst?

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Nun würde ich behaupten, dass jedes Kunstwerk, das entsteht, ganz automatisch zur Verfeinerung der Welt beiträgt.


    Und, Robert, ich glaube, dass sich neue Musik zu jeder Zeit diese Fragen anhören musste. Nur heute ziehen wir (also zumindest die meisten von uns) die Werke etwa eines Bruckner nicht mehr in Zweifel. Aber zu Lebzeiten Bruckners war das anders.


    Ich glaube, es ist das Schicksal eines lebenden Künstlers, zu welcher Zeit auch immer er lebt oder gelebt hat, dass seine Kunst zuerst in Zweifel gezogen und erst nach und nach verstanden wird. Vielleicht schätzt man nur das wirklich, was man sich mit Beharrlichkeit erkämpft.


    LG

    ...

  • Da ich ja nun zu den Ahnungslosen gehöre, frage ich einfach einmal drauflos: Was sind die Themen der "Modernen Musik"?


    Gibt es keine Liebeslieder oder Musik mit religiösen Inhalten?


    Mignon :hello:

    Maybe the nation has found peace from its sins... I. A. a. W.E.B. Du Bois

  • Edwin, Du hast da sicher recht. Aber wir könnten heute, da wir wissen, daß sich die Künstler früherer Epochen solche Fragen auch gefallen lassen mußten, mit eben diesen Fragen etwas zurückhaltender sein, sie zumindest nicht so pauschal stellen.


    Manchmal könnte man den Eindruck gewinnen (zurückhaltend formuliert), daß Kunst das ist, was gefällig klingt (wieder überspitzt formuliert).


    Genauso, wie offenbar in solchen Diskussionen die Musik des 20 Jahrhunderts immer mit laut, kalt und häßlich gleichgesetzt wird, als ob es nicht genug Künstler ab 1930 gegeben hätte, die ganz anders geschrieben haben.


    Mignon: Religiöse Musik gibt es massenweise, ich denke nur an die ganzen Briten (Howells, Finzi, RWV zB) oder Pärt. Oder Poulenc. Von Taverner mal ganz zu schweigen. Mit spirituellem Hintergrund sind auch noch Scelsi, Takemitsu oder Satoh zu erwähnen, auch einiges von Tan Dun.

  • Wie Robert sehe ich beim besten Willen nicht, warum sich die Ausgangsfrage für "Musik ab 1930" anders stellen sollte als für Kunstmusik ab sonstwann.
    Es schadete wirklich nicht, mal ein Lexikon o.ä. aufzuschlagen, anstelle Klischees aus dem Pausengespräch zu reproduzieren. Wenn im Mittelalter Musik eine der sieben freien Künste war (wie Astronomie oder Geometrie) hat diese Art Musik (es gab selbstverständlich auch populäre Tanz- etc. Musik) sehr wenig damit zu tun, einem Publikum zu gefallen. Sie war als eine Art mathematische Konstruktion von Harmonien konzipiert. Das ist ein extremer Fall (der auf kaum eine Musik des 20. Jhds. zutrifft) und ich bin auch der Ansicht, dass normalerweise jeder Musiker sich ein Publikum wünscht.
    Aber das "Publikum" kann ein sehr eingeschränktes sein, wie etwa im Mittelalter oder bei den "Lehrwerken" Bachs, die allesamt nicht für öffentliche Aufführungen nach dem Gusto irgendwelcher Zuhörer, sondern oberflächlich zur Ausbildung des Musikernachwuchses ("Dem höchsten Gott allein zu Ehren, dem Nächsten sich draus zu belehren"), eher wohl aber als eine Auslotung dessen, was musikalisch möglich ist, komponiert wurden. Und wenn das außer ein paar Profis keiner kapierte oder keinen interessierte, war das Bach sowas von egal. Ähnliches gilt für Beethoven, der dem Verleger op. 106 damit ankündigte, dass er hier eine Sonate habe, "die man in 50 Jahren spielen wird". Es hat sich, auch für schwierige Musik, noch immer ein Publikum gefunden.


    Schuberts Winterreise, die selbst im Zirkel vertrauter Freunde (wiederum nur eine halböffentliche Musik!) als "schauerlich" empfunden wurde, soll bloß Unterhaltung sein? Aber gewiß nicht!


    Ich nehme an, Robert meinte folgende Stelle bei Hoffmann:



    aus "http://www.a-vela.de/a000000etahoffmann.html"


    NB Man beachte besonders die Verteidigung gegen sowohl "den Pöbel" als auch die "Gelehrten", die "des Meisters" und "der Geweihten" Sprache nicht verstehen und daher nur ein wüstes Chaos vernehmen. Ein Glück, dass es sich um Beehoven handelt, nicht um Stockhausen... ;)


    Außerdem, das wurde noch gar nicht gesagt, gibt es selbstverständlich "ab 1930" eine große Menge Musik, die zumindest teilweise den alten funktionalen Kriterien entspricht, ob sie immer die künstlerisch beste ist, steht auf einem anderen Blatt. In einem anderen thread wurden sozialistische Huldigungskantaten erwähnt (andere Musik ist etwas weniger platt mit politischen Einstellungen verbunden), und natürlich gibt es geistliche Musik, oder - wie im Falle von Messiaen- nichtliturgische Musik, die aber einen expliziten spirituellen Hintergrund hat.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
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    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo Robert,


    danke für Deine Antwort.


    Ich habe gerade zufällig in die FAZ vom morgigen Tage im Internet reingeschaut. Dort befindet sich im Feuilleton ein Artikel über eine Aufführung der Hindemith Oper "Cardillac" (kenne ich nicht) in Bonn. Dort wird berichtet, dass Hindemith einen Text von Ferdinand Lion, der auf E.T.A. Hoffmanns Erzählung "Das Fräulein von Scuderi" fußte, zur Grundlage seiner Komposition machte.


    Das heißt, es gibt anscheinend auch "Moderne Musik" die auf klassischer Literatur aufbaut.


    Wieder etwas gelernt...


    Bonne nuit


    Mignon :hello:

    Maybe the nation has found peace from its sins... I. A. a. W.E.B. Du Bois

  • Also ich finde Musik ist die Verknüpfung zwischen höchster Abstraktionsleistung und Gefühl.
    Das heißt ein Komponist hält sich an die Gegebenen Gegebenheiten, also seinen Tonvorrat usw. und drückt da mit aus, was er ausdrücken will.
    Wenn jetzt ein Komponist die Intention hat nichts positives auszudrücken und nur missklänge dazu nutzt, dann fällt er meiner meinung nach noch in das Feld "musik als Kunst".
    Fängt man jetzt allerdings an sine Musik nach mathematischen Mustern zu erstellen geht der eigentliche Zweck in der Musik seine Intentionen auszudrücken verloren, sobald das mathematische Schema so komplex wird, das es nicht im Vorraus überschaubar und daher absehbar ist.
    Denn dann komponiert der komponist etwas, ohne zu wissen wie es eigentlich klingt. Und dann ist es für mch keine Kust mehr.
    Aber was dann?
    Ich denke das ist dann einfach eine mathematische Spielerei.
    In der MAthematik gibt es ja viele Dinge die eigentlich zu nichts gut sind, aber irgendwer forscht trotzdem daran rum.
    Das heißt für mich sind dann diese Komponisten die nicht in mein oben aufgeführtes Muster fallen nicht mehr in den Bereich des Künstlers, sondern mehr in den Bereich des Naturwissenschaftlers.
    Was ja nicht unbedingt schlechter sein muss.
    Ich finde wenn jetzt jemand stolz darauf ist, was er jetzt für ein kompliziertes Stück konstruiert hat, kann er das auch ruhig sein, denn er hat ja schließlich eine schwere Leistung erbracht.
    Sobald dann aber dieser Komponist den anspruch erheben würde, zu behaupten, sein Werk sei Kunst, und wer das nicht erkenne seie zu dumm dazu, kann ich das für mich nicht akzeptieren bzw. sehe ich das dann halt anders.

  • Ich halte es mit Edwin:


    Zitat

    Kunst ist (fast) immer der Versuch einer Kommunikation auf höherer Ebene.


    Und gehe sogar noch ein Stück weiter und lasse das fast und den Versuch weg.


    Zitat

    Kunst ist Kommunikation auf höherer Ebene.


    Die bekannten Fälle, wo Künstler für sich allein produzierten, ohne ein unmittelbares Publikum zu erwarten (z.B. Vincent van Gogh), stellen pathologische Fälle dar, die Ausnahmen von der Regel. Aber selbst wenn er nicht unmittelbar ein Publikum anspricht, teilt sich der Künstler mit. Wann und wie es dann rezipiert wird, ist im Prinzip nebensächlich.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Theophilus
    Kunst ist Kommunikation auf höherer Ebene.


    ...weswegen die Zauberflöte ein jeder versteht. Was Ihn freute, war der "stille Beifall"...

    „Wir sind nie einer Meinung!“ - „Das seh' ich anders ...“

  • jetzt beteilige ich moch doch noch 8o , aber nur kurz :D :


    theophilus, du spricht mir mal wieder aus dem herzen ... :hello:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

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