Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein kleiner Schritt - Das Phänomen Richard Wagner

  • Wotan als Diktator ist eine für mich nicht nachvollziehbare Fehldeutung, die ich im Drama überhaupt nicht gestützt finde. Wotan ist der "Herr der Verträge" (Was Du bist, bist Du nur durch Verträge) und er gerät in Probleme, weil er sich selbst nicht an die Verträge hält bzw. um den Vertrag mit den Riesen zu erfüllen und das Ende der Götter (ohne Freyas Äpfel) abzuwehren mit Hilfe Loges (der etwas außerhalb der Vertragswelt steht) Alberich mit List Ring und Gold (die ihrerseits "gestohlen" und mit dem unheilvollen Fluch auf die Liebe gewonnen wurden) abzujagen. Ein Diktator muß sich nicht an Verträge halten.


    Dieses mehrfache Unrecht führt nun zu den Verstrickungen, aus denen sich Wotan nicht mehr befreien kann, was zu seiner Resignation, Abdankung führt.
    Der Witz im Ring besteht nämlich gerade darin, daß Wotan aus dem Netz der Verträge nicht herauskommt und die Überwindung der Welt der Verträge (und damit die utopische Hoffnung auf eine Welt, die von Freiheit und Liebe bestimmt wird) nur durch den Tod Siegfrieds, das Selbstopfer Brünnhildes und den Untergang der Götter erreicht werden kann.


    Was er vor und in der Walküre plante (Siegmund mit dem Schwert sollte das Gold zurückerobern) mißlingt, wiederum weil er Fricka Siegmund wegen des Ehebruchs opfern muß, als Wanderer ist er kaum mehr aktiv, in der Götterdämmerung wartet nur noch auf das Ende. Er kann nicht mehr handeln, weil das das Netz noch enger zuziehen würde. Fürwahr ein totalitärer Übermensch. ;)
    Siegmund scheitert ebenfalls, weitgehend schuldlos. Der Bruch einer erzwungenen Ehe ist ein Grenzfall (nach Fricka Unrecht, nach Wotan vielleicht die Durchsetzung des Naturrechts), auch kein besonders strahlender Held.


    Bleibt Siegfried. Man mag hier einige Züge eines "Herrenmenschen" oder "Übermenschen" ausmachen. Zum einen scheitert aber auch er (auch wenn er wichtige Schritte zur Lösung beiträgt), zum andern ist nicht der Punkt, daß er anderen Menschen überlegen wäre, sondern daß er "freier als ich, der Gott" ist, also gewissermaßen außerhalb der Welt der Verträge steht. (das neugeschmiedete Schwert zerschlägt den Verträge wahrenden Speer) Selbst Siegfried fällt aber den Verträgen bzw. den alten Verstrickungen noch zum Opfer. Erst als Brünnhilde sich opfert, Ring und Gold dem Rhein zurückgibt, damit den ursprünglichen Raub sühnt, wird der Weg frei für das utopische Reich der Freiheit.


    Das ist alles ziemliche enge Interpretation, die weitgehend unstrittig ist. Deutungen beginnen dann damit, ob das Ende eher als eine (schopenhauer-buddhistische) Erlösung durch "Weltentsagung" oder eher in Richtung politischer Utopien zu verstehen ist. Oder noch anders.


    Bei Parsifal findet sich eine elitäre Gemeinschaft (die aber wenn ich recht sehe, nicht durch Abstammung bestimmt wird); das ist wahr. Aber die ist offensichtlich krank bis ins Mark (u.a. davon handelt das Stück...;)).
    Kundry hat, wie der Holländer, Züge des "ewigen Juden". Aber sie ist m.E. eine eher positive Figur, oder?


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber IR,


    wie Du richtig analysierst, ist es immer problematisch aus einem Gesantkunstwerk - und genau das zu erreichen war Wagners primäre Zielsetzung - einen Teil herauszulösen Musik, Text und Bild sollten immer ganzheitlich betrachtet werden. Im Theater Heilbronn gab es vor kurzem eine interessante Inszenierung: Wagners Ring ohne Musik, also nur Text und das in 2 1/2 Stunden Spieldauer. Die Regie fand ich vor allem in der Personenführung wenig gelungen. Die Schauspieler machten viel zu bewußt auf böse. Trotz dieser Einschränkungen wirkte Wagners Sprache auch ohne die sie in der Oper tragende Musik auf mich und andere Besucher, die keine Wagnerverehrer sind, äußerst beeindruckend.


    Herzlichst
    Operus :hello:

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!


  • Die RAF kann man kaum als repräsentativ für die Linke betrachten, da ist zuviel politisch - ideologisch völlig abwegig gewesen. Aber, nur ein ganz kleines OT: Antisemitismus ist eine RASSISTISCHE Ideologie, sie greift jüdische Menschen wegen ihrer Herkunft an, betrachtet sich als Untermenschen und nicht lebensberechtigt. Kritik an israelischer Politk per se ist - bitteschön - strikt davon zu trennen, manchmal auch dann, wenn diese unangemessene Formen annimmt. Die Frage, wie ich mich als Deutsche mit politisch - kritischem Blick bei unbedingter Bejahung des Staates Israel (und Palästina) hier verhalten soll, stellt mich immer wieder vor Herausforderungen.


    Übrigens: Hannah Arendt hat m. E. Recht.


    Zurück zu Wagner:


    Es bleibt weiterhin schwer zu sagen, was bei ihm lediglich dem überspannten Selbstwertgefühl entsprang oder irgendwann für ihn vorstellbare politische Realität werden sollte. Wir versuchen hier ja, uns dem in sehr differenzierender Weise in der Diskussion anzunähern.


    Unverantwortlich und widerwärtig waren solche Zündeleinen allerdings auch damals allemal, und es gab auch im 19 Jhnt. Menschen, die den antisemitischen Schrott aus tiefstem Inneren ablehnten.


    Der Mensch Wagner nahm seine innersten Motivationen und Triebfedern mit ins Grab, sein geniales Musikwerk und seine grausligen Schriften hat er uns dagelassen. Es bleibt unsere Aufgabe, den ermeuten Mißbrauch zu verhindern.


    LG


    :hello:


    Ulrica

  • Lieber Jacques Rideamus,
    die "Meistersinger" sind auf dieser Basis tatsächlich komplexer, als man es von einer Komischen Oper, die sie ja sind, erwarten würde. Man kann sie nämlich auf verschiedene Arten lesen, die sich alle an irgendeiner Textstelle festmachen lassen.
    Sachs etwa fordert im ersten Akt, das Volk solle entscheiden, wer den Preis gewinnt. Ein Schlag ins Gesicht der Zunft, die ja nur aus Gründen des Jubelempfangs vor das Volk tritt, nicht um vom Volk beurteilt zu werden.
    Wenn man diesen Gedanken zu Sachs' Schlußansprache in Bezug setzt, kann man das Stück auch so lesen, daß Sachs erstarrte Konventionen aufbrechen will. Dazu (be)nützt er Stolzing, der seinerseits seine adelige Stellung aufgibt, um sich zum Bürgertum zu bekennen.
    Es geht also auf einer Ebene um die Aufgabe von gesellschaftlichen Konventionen: Der Adelige, der zum Bürger wird, die Zunft, die ihre selbstbestimmten Regeln am Volk messen soll.
    Das widerspricht im Grunde der sich selbst definierenden, sich selbst erhöhenden Gemeinschaft, es sei denn, man nimmt als Gemeinschaft das ganze Volk. Das aber scheint mir dann eher durch die politischen Verhältnissen im Deutschland des 19. Jahrhunderts bestimmt als durch einen Übermenschen-Gedanken.


    :hello:

    ...



  • Zwei Anmerkungen:
    1. Was du über die Abwegigkeit der RAF sagst, gilt in zumindest gleichem Maße für die Nationalsozialisten. Die hatten letzten Endes auch wenig mit der herkömmlichen politischen Rechten gemein (cave: Rechts nicht gleich NPD-Rechts).
    2. Dass es keinen nicht rassistischen Antisemitismus gibt, stimmt. Ich habe mich falsch ausgedrückt. Es handelt sich vielmehr um einen linken ANTIJUDAISMUS (cave: Antisemitismus = rassisch motivierter Antijudaismus). Das ganze Israelproblem könnte man als Antiisraelismus oder auch als politischen Antijudaismus bezeichnen.


    Ende OT.


    Lg
    Georg

    Früher rasierte man sich wenn man Beethoven hören wollte. Heute hört man Beethoven wenn man sich rasiert. (Peter Bamm)

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  • Hallo.


    Eine unglaublich interessante Diskussion, allen Beteiligten vielen Dank dafür, dass man hier so etwas lesen kann, das derartig zum Nachdenken anregt.


    Über eines bin ich weiter oben gestolpert, das ich jetzt einmal aufgreifen möchte.


    Zitat

    Original von Alviano
    ...
    Es spielt also für mich keine Rolle, ob sich Wagner hätte vorstellen können, wohin seine zu Papier gebrachten Widerlichkeiten tatsächlich führen, sondern dass er sie überhaupt äussert und damit die Folgen billigend in Kauf nimmt. Wer die Tötung von Menschen fordert, die den falschen Glauben haben, darf sich nicht wundern, wenn das tatsächlich geschieht.
    ...


    Dem würde ich so allerdings nicht zustimmen. Als gelernter Jurist hänge ich mich da - vielleicht zu Unrecht - an der Wendung "billigend in Kauf nehmen" auf; das bedeutet im Rechtssinne: mit bedingtem Vorsatz handeln, und der Vorsatz umschreibt das Wissen und Wollen einer Tat. In diesem Fall also letztlich den Holocaust, und insofern geht mir dieser Gedanke denn doch zu weit.


    Nicht, dass wir uns missverstehen, ich will Wagner jetzt nicht in dem Sinne exculpieren, als ob das, was er in "Das Judentum in der Musik" verfasste, per se unbedenklich und nur so dahingeschrieben wäre. Moralisch-menschlich gesehen ist das ekelhaft und verwerflich, ganz ohne Frage.
    Ich weiß allerdings auch nicht, wo er darin die Forderung nach der Tötung von Menschen zu Papier gebracht hat. Meines Wissens gibt es in diesem Zusammenhang die extrem widerwärtige Äußerung, dass Juden in einer Aufführung des Nathan verbrennen sollen - diese allerdings ist so von Cosima Wagner in ihren Tagebüchern wiedergegeben.
    Wagners eigenhändige Äußerungen sind da zumindest verschwiemelter und kreisen meines Wissens in "Das Judentum in der Musik" um einen Begriff wie den der Selbstvernichtung, der dann wiederum mit dem der Erlösung in Bezug gesetzt wird (s. Ahasver, s. der fliegende Holländer) - wobei Wagner den Menschen an sich diesem Prozess unterwerfen wollte.


    Gruß, Ekkehard.

    "Jein".

    Fettes Brot

  • Lohengrins:


    Zitat

    die extrem widerwärtige Äußerung, dass Juden in einer Aufführung des Nathan verbrennen sollen - diese allerdings ist so von Cosima Wagner in ihren Tagebüchern wiedergegeben.


    nicht "dass Juden".... ALLE !!!
    oder "wer Mendelssohn aufführt, "bejudelt" sich....

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Lieber BBB,

    Zitat

    "wer Mendelssohn aufführt, "bejudelt" sich....


    Ja, sicher - Haß auf den allgemein beliebten Mendelssohn, Haß auf den allgemein beliebten Meyerbeer, Verallgemeinerung des Hasses, Überschäumen der Wut, Hinschmieren von Gehirnkot. Aber das ist doch, so widerlich es auch ist, kein systematisierter Antisemitismus, sondern der Mief des bürgerlichen Salons im 19. Jahrhundert.
    Ich kann den Namen nicht öffentlich nennen (Du wirst, wenn ich Deinen Hintergrund bedenke, aber wissen, wer es war), aber ich garantiere Dir, daß ich mit eigenen Ohren Aussagen hörte wie: "Der Herr Blau hat es gewagt, mich nicht aufzuführen. Dabei hätte er froh sein müssen, nicht in der Gaskammer dirigiert zu haben." Derjenige, der diese Aussage in gar nicht so großer Erregung tätigte, wurde wegen seiner Verdienste um die Rettung von Juden unter die "Gerechten" aufgenommen.
    Kann es sein, daß wir es uns mit dem Stabbrechen doch etwas zu einfach machen und bei all dem Schwarzweiß die Grauwerte übersehen?
    :hello:

    ...

  • Lieber Edwin, ich brech ja keine Stäbe über etwem, hatte aber selbst ob folgenden Bonmots um ein Haar einen Prozess an der Backe:


    "Das schönste Geschenk der Deutschen an die englische Nation war George Frederick Handel und die Engländer bedankten sich herzlich bei den Deutschen dafür, indem sie ihnen grosszügig Houston Steward Chamberlain und Winifred Wagner überliessen" !


    PS: Natürlich weiss ich, wen Du meinst und ich weiss ebenso, daß dergleichen kein Einzelfall ist !

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Hallo BBB,
    dafür haben die Deutschen den Österreichern Richard Strauss überlassen. Die österreichische Rache war furchtbar.


    :hello:


    P.S.: Selbstverständlich handelt es sich bei diesem Statement um meine persönliche Meinung.

    ...

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  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Hallo BBB,
    dafür haben die Deutschen den Österreichern Richard Strauss überlassen. Die österreichische Rache war furchtbar.


    :hello:


    P.S.: Selbstverständlich handelt es sich bei diesem Statement um meine persönliche Meinung.


    Dann warte ich wohl vergeblich auf deinen Kommentar zur Capriccio-PR ;) :D (Nicht, dass mich das wirklich überrascht, aber interessiert hätte es mich schon!)
    lg Severina :hello:

  • Lieber Edwin,


    überhaupt keine Frage, dass auch ich nicht der Auffassung bin, dass jetzt Wagner sozusagen der geistige Vater von Hitler gewesen wäre. Aber das Wagner nicht etwa durch unglückliche Äusserungen, die eventuell missverstanden wurden, in den Blickpunkt des Adolf Hitler geraten ist, sondern weil Hitler bei Wagner Gedanken gefunden hat, die er des Aufgreifens für Wert erachtete, das glaube ich schon. Dazu kommt, dass es eben nicht nur den 1883 verstorbenen Komponisten gab, sondern die Linie des Hauses Bayreuth führt über Cosima und den vielleicht wichtigsten Rassentheoretiker seiner Zeit, Chamberlain (dessen Einfluss auf die Nazis gewiss insgesamt grösser war, als der Wagners) direkt zu Hitler und wird dann mit Winifred fortgesetzt.


    Ich gehe auch nicht soweit wie Köhler, dessen Buch im Untertitel vom "Propheten und seinem Vollstrecker" in Bezug auf Wagner und Hitler spricht, aber vieles von dem, was Köhler anspricht, finde ich schon bedenkenswert.


    Ansonsten sehe ich keinen Anlass für irgendwelche Mißstimmigkeiten zwischen uns - die Gemeinsamkeiten auch bei diesem schwierigen Thema sind deutlich stärker als die Unterschiede an einigen Punkten - und das respektieren einer abweichenden Meinung ist auch für mich selbstverständlich.


    Und da wäre ich bei Thomas: ich kann Deine Argumentation gut nachvollziehen, auch wenn ich sie nicht in jedem Punkt teile - und dann muss man das auch so nebeneinander stehen lassen. Gerade bei so einem Thema, wo es letzte Antworten nicht gibt, ein völlig "normales" Gesprächsergebnis.


    Nun, lieber Ekkehard, ich bin kein Jurist, habe meine Wendung von der "Billigung" also im umgangssprachlichen, nicht im juristischen Sinn verwendet, finde aber Deine Lesart nicht unpassend, weil sie die geistige Brandstiftung beschreibt. Widersprechen würde ich Dir nur in Bezug auf den Holocaust - soetwas hat sich wohl kein Mensch wirklich vorstellen können. Aber Ghettos, Pogrome, Entrechtung, das alles war auch für einen Wagner vorstellbar.


    Ja, die Familie Wagner... Also, nach dem 2. Weltkrieg konnte man zur Überzeugung gelangen, die einzig Schuldige an der ganzen Malaise sei Winifred gewesen, jene Frau, die Hitler das Papier nach Landsberg gebracht hat, auf dem dieser mit der Niederschrift von "Mein Kampf" begonnen hat.


    Wieland und Wolfgang äusserten sich nach dem Krieg lieber gar nicht, oder auch schon mal so, dass sie eigentlich nie so richtig dafür gewesen seien, aber die Mutter, Winifred, die war die Nazi in der Familie...


    Friedelind war tatsächlich unangreifbar (sie verliess Deutschland und war auch nicht zur Rückkehr zu bewegen) und, klar, Siegfried Wagner, der starb 1930, also noch bevor das alles so richtig losging.


    Und es ist schon richtig: er mochte Hitler nicht. Die von Edwin angesprochene Figur des Räuberhauptmanns Wolf im "Flüchlein, das jeder mitbekam" ist eine böse Karrikatur des deutsch-österreichischen Faschisten Hitler. Eine richtige Gesangslinie ist kaum auszumachen, weil - hervorgerufen durch weite Intervallsprünge - der Gesang eher ein Bellen ist und damit auch die Sprechweise Hitlers imitiert wird.


    Rideamus hat etwas angesprochen, was auch mir immer wieder durch den Kopf geht: wenn man sich mit Wagners Werk näher beschäftigt, wird man auch Dinge finden, die sich mit der Nazi-Ideolgie nicht so richtig in Einklang bringen lassen, aber eine bestimmte Form der Präsentation hilft da, Feinheiten und Abstufungen, Charakterzeichnungen und Brechungen zu übertönen. Ich bin sehr froh, dass man solche Aufführungen heute kaum noch zu hören bekommt.


    Bei der Optik hat Wieland instinktiv das richtige getan: erstmal weg mit dem ganzen alten Plunder und der daran klebenden Ideolgie. War das schon für den Durschnittsnazi, der auch nach dem Krieg Bayreuth die Treue hielt, eine Zumutung, war der "Ring" von Boulez und Chéreau 1976 erst recht für Altbayreuthianer ein Provokation: plötzlich standen da Menschen auf der Bühne, keine Götter - mit allem was da so dazugehört. Und wenns auch lange dauert: Bayreuth und die Wagnerrezeption haben sich verändert, ich hoffe, unumkehrbar.

  • Zitat

    Original von Alviano


    Und da wäre ich bei Thomas: ich kann Deine Argumentation gut nachvollziehen, auch wenn ich sie nicht in jedem Punkt teile - und dann muss man das auch so nebeneinander stehen lassen. Gerade bei so einem Thema, wo es letzte Antworten nicht gibt, ein völlig "normales" Gesprächsergebnis.


    Wofür ich Dich sehr schätze, wie Du weißt. Auch ich finde es ausgesprochen bemerkenswert, wie ruhig dieses Thema hier diskutiert wird. Das habe ich schon - leider - ganz anders erlebt.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Ich bitte zu bedenken, daß Wagner nicht allein stand in seinem Urteil über die Juden. Auch war es nicht beschränkt auf eine Gruppe.
    Karl May z.B. hat in seinen Bücher mehrfach einen Jude auftreten lassen. Und immer war es das Stereotype: der Geiz, der Bettlerkönig, der Bankier, usw.


    Aber auch bei Charles Dickens finden wir diese Darstellung. Denk mal an Fagin.


    Und Victor Hugo schrieb sein berühmtes "J'accuse" auch nicht, weil die Juden in Frankreich so unbehelligt davon kamen.


    Es war also auch damals die "Zeitgeist".


    LG, Paul

  • Zitat

    Und Victor Hugo schrieb sein berühmtes "J'accuse" auch nicht,


    Lieber Paul, nur eine kleine Korrektur: es war NICHT Victor Hugo, der das berühmte "J'accuse" schrieb, sondern Émile Zola.
    Hugo war im Jahr 1898, als Zola seinen berühmten offenen Brief zur "Dreyfus-Affaire"schrieb, schon über 10 Jahre tot.


    LG :hello:

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

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  • Zitat

    Original von BigBerlinBear


    Lieber Paul, nur eine kleine Korrektur: es war NICHT Victor Hugo, der das berühmte "J'accuse" schrieb, sondern Émile Zola.
    Hugo war im Jahr 1898, als Zola seinen berühmten offenen Brief zur "Dreyfus-Affaire"schrieb, schon über 10 Jahre tot.


    Wie kan man sich soo verschreiben. Denn ich war fest davon überzeugt Zola geschrieben zu haben.
    Vermutlich weil ich in Gedanken Bücher von Dumas Sr. und Jr. und Hugo durchblätterte, um zu schauen ob es da auch ein "Prototype" gab.
    :O :O :O


    LG, Paul

  • Hallo zusammen,


    Zitat

    Original von Jacques Rideamus
    Wie Du sehe nämlich auch ich Alberich als eine der wenigen positiven, wenn auch nicht ganz von ungefähr am häufigsten missverstandenen Gestalten des Ring. Daher die etwas scherzhafte Bemerkung, dass er eigentlich nichts falsch macht, nur eben der Falsche ist. In wie weit Wagner das auch so gesehen hat, kann ich aber nur daraus ableiten, dass er den Mime weit negativer zeichnet, also wohl schon einen Unterschied machte. Um mehr wirklich nachvollziehen zu können, fehlt mir aber eingestandenermaßen die Detailkenntnis. Interessant bleibt aber schon, wie sehr Wagner dann gerade von seinen glühendsten "Anhängern" missverstanden wurde.


    soweit ich den Ring schon mitbekommen habe, muss ich doch Zweifel anmelden, was die positive Sicht auf Alberich angeht.


    Sicher - er macht eigentlich nichts verkehrt, handelt nachvollziehbar und hat dabei auch noch eine bemitleidenswerte Seite: Weil er die Liebe der Rheintöchter nicht gewinnen kann, schwört er der Liebe ab, wodurch er sich das Rheingold sichert. Um doch noch mehr oder minder an sein Ziel (Umgang mit schönen Frauen; Liebe kann man ja nicht mehr sagen) zu kommen, möchte er die Liebe gänzlich aus dem Universum tilgen und durch die Gier nach dem Gold ersetzen.
    Da der Ring ihn immer neue Schätze und Goldvorkommen finden lässt, sitzt er bei dem angestrebten Szenario an der Quelle und bei den schönen Frauen am Drücker. Ein rationaler, aber unterm Strich kein guter Plan.


    Alberich und seine Schwarzalben stehen also gegen das Prinzip der Liebe, für die sie außer vielleicht untereinander sowieso zu hässlich sind.
    Der Chef der Lichtalben Wotan ist dagegen zwar nicht durchgängig ein Sympath, hat vor Alberich jedoch den Vorzug, dass seine Schwäche für die Liebe ihn hindert zum konsequenten, rationalen Machtmenschen zu werden.


    Insofern sind die Walhall-Insassen doch deutlich die Guten, Alberich und seine Metallurgie-Spezialisten die Bösen. Dass man für beide Seiten auch Verständnis haben kann, sie nicht platt rein gut bzw. böse sind, zeugt halt von Wagners dramaturgischem Format. Sonst wären die Figuren allerdings auch trivial und es gäbe auf der Handlungsebene kaum mehr die Möglichkeit auch alternative Deutungen zu entwickeln. Erst dadurch ist auch die Ring-Handlung ein Werk, das besser ist als ihrem Autor wahrscheinlich klar war.


    Viele Grüße


    :hello:

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Bei Parsifal findet sich eine elitäre Gemeinschaft (die aber wenn ich recht sehe, nicht durch Abstammung bestimmt wird); das ist wahr. Aber die ist offensichtlich krank bis ins Mark (u.a. davon handelt das Stück...;)).
    Kundry hat, wie der Holländer, Züge des "ewigen Juden". Aber sie ist m.E. eine eher positive Figur, oder?


    viele Grüße


    JR


    Dieser Satz aus einem Posting von Johannes Roehl weiter oben hat eine abzweigende Diskussion ausgelöst, die ich wegen ihrer eigenständigen Thematik in diesen neuen Thread verlegt habe, da sie das Thema dieses Threads zu verdrängen drohte: Im Untergrund - tiefere Bedeutungsschichten im Werk Wagners und ihre Interpretation


    Nachfolgende Postings, die eher hierher gehören, habe ich hier erhalten. Ansonsten kann und sollte die hier abgebrochene Diskussion dieses Threads, die sich NIICHT mit Wagners Frauenbild und anderen Subtexten seiner Opern beschäftigt, ab sofort hier weiter geführt werden.


    Jacques Rideamus

  • Das Phänomen Richard Wagner hat heute wieder Geburtstag. Zu seinem Ehrentag habe ich heute diese Aufnahme ausgesucht:




    Heute ist Richard Wagners 202. Geburtstag.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ist hier eigentlich schon mal das Richard-Wagner-Denkmal gezeigt worden, das 2013 in Leipzig, der Geburtsstadt des Komponisten aufgestellt wurde? Ich kann mich nicht erinnern. Hier ist es:



    Wagner, der 1,66 Meter groß gewesen ist, findet sich in ungefähr diesen Körpermaßen als junger Mann dargestellt. Er steht auf dem originalen Sockel von Max Klinger, auf dem sich ursprünglich ein Denkmal erheben sollte. Die Grundsteinlegung dafür fand 1913, zum 100. Geburtstag, statt. Doch Klinger sah sich schließlich außerstande, den Auftrag zum Abschluss zu bringen. Der Würfel, den die drei Rheintöchter als Profil zieren, blieb, wurde zwischenzeitlich in einer Grünanlage geparkt und geriet faktisch in Vergessenheit. 1933 - wieder ein Wagnerjahr - wurde ein neuer Anlauf für ein Denkmal genommen, diesmal unter ganz besonderen politischen Verhältnissen. Dem Bildhauer Emil Hipp schwebten vier große, reliefartige Tafeln im neoklassizistischem Stil vor, die den Unterbau bilden sollten. Die Entwürfe haben sich erhalten. Hier eine der Seiten mit dem Thema "Schicksal":



    Hitler selbst, der die Denkmalsidee nun in die eigenen Hände nahm, reiste 1934 zur Grundsteinlegung an. Es sollte das große neudeutsche Nationaldenkmal werden, um eine gigantische Parkanlage mit Terrassen erweitert. Reste existieren noch heute. Die Pläne wurden am Ende doch nicht verwirklicht, bedingt auch durch die Hinwendung der nationalsozialistischen Machthaber nach Bayreuth als Zentrum der Wagner-Pflege und den Beginn des Zweiten Weltkrieges. Nach 1945 wurde die Denkmalsidee nicht weiter verfolgt. Erst im Vorfeld des 200. Geburtstag lebte sie wieder auf. Es gab auch Überlegungen, die Reliefs von Hipp neu gießen zu lassen. Schließlich lief es auf die Lösung hinaus, die wir heute vor uns sehen in der Nähe des nicht mehr existierenden Geburtshauses. Der Bildhauer Stephan Balkenhol stellt Wagner bunt in lockerer, zeitgemäßer Haltung dar. Im Hintergrund erhebt sich ein vier Meter hoher Schatten, der alles mögliche bedeuten soll und kann. Ich empfinde diese Lösung etwas platt. Aber immerhin gibt es jetzt ein Wagner-Denkmal.


    Und hier der Klinger-Sockel, als er noch im Leipziger Stadtpark abgestellt gewesen ist:


    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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  • Dieses Denkmal vom Bildhauer Heinrich Waderé, das Wagner im Sitzen zeigt, steht in der Grünanlage des Prinzregententheaters in München. Es wurde am 21. Mai 1913, einen Tag vor dem 100. Geburtstag Richard Wagners In Anwesenheit des Initiators Ernst von Possert und des Prinzregenten Ludwig enthüllt.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • "Im wunderschönen Monat Mai
    kroch Richard Wagner aus dem Ei;
    es wünschten viele, die ihn lieben,
    er wäre lieber drin geblieben."


    — Richard Wagner in einem Brief an Minna, 19. Mai 1855

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Die überwiegende Anzahl der in diesem Thread Beiträge geschrieben Habenden sind inzwischen mit einem gelben Schloß versehen oder posten nicht mehr.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Vermutlich ist es deswegen auch sieben Jahre her, dass der Letzte mit einem gelben Schloss hier gepostet hat. Ich darf dir versichern, lieber Horst, dass es manchmal gar nicht so einfach ist, einen Thread zu finden, in dem man eine Erinnerung posten kann. Auch der Titel dieses Threads war für eine Geburtstagserinnerung nicht gerade ideal.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Das glaube ich Dir gerne - durch Deinen Beitrag wurde ich aber (dankenswerter Weise) auf diesen sehr guten Thread aufmerksam gemacht.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ich möchte mich zweiterbass anschließen (und wie immer sehr gerne). Vor allem, was die Einstufung "sehr gut" anbelangt.
    Wirklich beeindruckend sind für mich das hohe Niveau, der Reichtum an argumentativen Aspekten, die Sachlichkeit im Vorbringen derselben und das Aufeinander-Eingehen im Diskurs zu diesem Thema.