Musik der Moderne - Eine Sackgasse (?)

  • Lieber Alfred, liebe Mitdiskutanten,


    ich glaube aber, dass genau das wichtig wäre, einen eigenen Thread über die Musik der Postmoderne zu starten. Dann kommen wir ein bisschen weg von Verallgemeinerungen und vielleicht auch von einer prinzipiell ablehnenden Haltung gegenüber "Modernem". Und die zeitgenössische Kunst ist ja eigentlich nicht mehr modern, sondern postmodern (es sei denn bei schon angejahrten Künstlern).
    Oder überhaupt definieren: was ist denn postmoderne Musik?

    Die kulturwissenschaftliche Erforschung der jüngsten Vergangenheit ist in meinen Augen sehr interessant, hat aber naturgemäß gewisse Grenzen: so etwa, dass man als Zeitgenossen noch subjektiver ist als sowieso schon; dass man nicht in die Zukunft blicken kann - dass man eine Entwicklung, die sich gerade vollzieht, nicht als solche erkennen kann, weil der Endpunkt nicht bekannt ist...


    Die Musik der Moderne erweist sich damit musikgeschichtlichen Sinne nicht als Sackgasse: denn Musik hat nicht aufgehört, erschaffen zu werden, noch hat sie aufgehört, sich zu verändern. Sicher, manche Strömungen sind derzeit von untergeordneter Rolle, wie Edwin schon angemerkt hat, manche vielleicht tatsächlich Sackgassen, aber nicht die moderne Musik als Ganzes.


    Eher das Gefühl der Sackgasse stellt sich für mich beim postmodernen Kunstverständnis ein, das - krakenartig! - alle Stilmerkmale umklammert, und somit tendenziell das Fortschrittsmoment der Kulturgeschichte eliminiert. Alles ist postmodern, und Postmoderne ist Alles. Andererseits: als Zeitgenossen ist es uns sowieso unmöglich, zu sehen, ob und wie es weitergeht.


    Liebe Grüße,
    Martin

  • Lieber Alfred,


    Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Dieser Thread ist (war ?) der Versuch etwas mehr "Pfeffer" ins Tamino-Forum zu bringen, das ja in gewisser Weise zu erstarren droht, was manche abstreiten wird, wenn indes in diversen Threads immer wieder geschrieben wird "Das langweilt mich." Und in der Tat kann ich das teilweise nachvollziehen - Selbst ich fühlte mich in letzter Zeit von Tamino nicht so
    [...]
    d) Ich setzte belebende Akzente, bzw ändere den Kurs


    Ich hatte mich für D entschieden


    Das begrüße ich auch nachdrücklich. Mir ist auf jeden Fall eine Kontroverse lieber, die erst einmal Standpunkte und ihre Begründung transparent macht . Ich bin für die verschiedenen Anregungen, die Du gegeben hast sehr dankbar.



    Zitat

    Leute, die meine CD-Sammlung erstmals sehen wundern sich über die ca 100 CDs "moderner" Musik - (Britten, Berg, Hindemith, Schostakowitsch, Lutoslawsky, Strawinsky, Bax, Arnold, Maxwell Davies etc) Späteres kenne ich von JPC-Schnippseln - und das reicht mir dann auch schon.
    Aber das ist mein persönlicher Geschmack und steht eigentlich nicht zur Diskussion.


    Zu Recht. Du warst damit auch nicht persönlich gemeint. Wenn Du die genannten Komponisten als modern bezeichnest (ich tue es auch), so gibt es auch Hardliner, die Dir aus dieser Reihe gerade noch Berg und nur teilweise Lutoslawsky gelten lassen werden. Es gab mal eine sehr orthodoxe (und unversöhnliche) Haltung gegenüber Komponisten, die sich nicht als seriell verstanden (Henze wurde entsprechend geschnitten), die auch historisch nicht mehr nachvollziehbar ist. Diese Haltung hat sehr viel Porzellan zerschlagen und zu einer Polarisierung beigetragen, die der Wirklichkeit der modernen Musik nicht gerecht wird. Ich hatte es schon immer mit dem (im angelsächsischen Raum erworbenen) Pragmatismus, der nach guter Musik fragt und nicht nach den Philosophien, wie sie hergestellt wird.


    Von den Komponisten, die Du nennst, kann ich magisch-schöne Werke nennen, vergnügliche, erschütternde - und auch eine Anzahl, die bei mir eher gelangweiltes Interesse auslösen.


    In einem Forum wird es auch erst einmal um persönliches Gefallen gehen. Und das sollte jeder nach seinem Geschmack äußern können. Wenn man das Urteil noch begründen kann, umso besser. Aber: begründen lässt es sich - und zu respektieren ist es allemal.


    Zitat

    Zur Diskussion stand eher die Frage inwieweit die "zeitgenössische Musik " sich durchgesetzt hat. Daß ich meine persönliche Abneigung etwas scharf - aber unter Verzicht auf jewede persönlichen Beleidigungen oder Kraftausdrücke - formuliert habe - halte ich - notabene in meinem eigenen Forum - für legitim.


    Selbstverständlich ist das legitim. Wenn man von "durchgesetzt" spricht, so wird das nicht die zeitgenössische Musik, sondern vor allem die Musik von vor 30-50 Jahren betreffen. An den von Dir genannten Komponisten kann man die Bandbreite deutlich machen:


    Britten hat sich vor allem mit seinen Opern (Billy Budd, Peter Grimes, The Turn of the Screw u.a.) und einigen seiner Orchesterwerken auch hier in Deutschland durchgesetzt. Als Vokalkomponist ist er natürlich in den englischsprechenden Ländern außerordentlich stark vertreten.


    Bergs Bedeutung steht inzwischen außer Frage, von der Klaviersonate bis zur Oper ein Werk, das im Wozzeck und im Violinkonzert die größte Zustimmung hat.


    Bei Hindemith ist für mich die Lage unklar.


    Für Schostakowitsch gilt, was für Berg gesagt wurde. Ob Oper (Lady Macbeth), Sinfonien, Konzerte oder Streichquartette - die Akzeptanz ist außerordentlich groß.


    Lutoslawski nehme ich seit einiger Zeit nicht mehr wahr. Vielleicht ist es noch zu früh, ihn abzuschreiben, aber ...


    Strawinsky hat sich als Ballettkomponist fraglos durchgesetzt, ansonsten offen.


    Bax, Arnold, Maxwell Davies sind für mich eher von regionalem Interesse, aber das letzte Wort ist da noch nicht gesagt.


    Das alles ist natürlich nur meine persönlich Meinung und ohne Gewähr ...


    Zitat

    Ich gehe davon aus, daß auch dort kein Konsens gefunden werden kann.


    Warum nicht?


    Zitat

    Die Werke der Gegenwart sind - auch wenn mir das selber nicht passt - in den populären Stilrichtungen zu suchen (etwas, daß es in dieser Ausformung in den vergangenen Jahrhunderten nicht gab)


    Was man da vor allem nennen muss, ist die Reproduzierfähigkeit der Musik, die durch die Schallplatte und später durch die CD erreicht wurde - und die statt auf Kenner- auf Konsumentengeschmack setzt.


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Was mich nur an dieser Thematik stört ist, daß "Verweigerer der Moderne" stets als Deppen oder "uniformiert" abgetan werden, als "unwichtiges Publikum", das ja sowieso entmündigt gehört......(und in einzelnen Bereichen auch schon wurde)


    Lieber Alfred,


    wer jemand anderes als Deppen bezeichnet, weil er die eigene Meinung nicht teilt (und zunächst geht es hier mE nur um Meinungen und Geschmacksäußerungen) sagt mehr über sich selbst aus, als dass er etwas aussagt. Natürlich gibt es überall Empfindlichkeiten, vor allem wenn es Wunden betrifft, die einem mal geschlagen worden sind - aber in diesem Forum sollte man Liebhaber der Musik aller Richtungen finden können.


    Mein Problem noch einmal formuliert: Die Moderne ist spätestens mit der Postmoderne zu einem Ende gekommen, vor allem der (verfehlte) Fortschrittsgedanke in der Ästhetik hat sich mE ad absurdum geführt. Zeitgenössisch heißt also nicht unbedingt "modern" - die Bandbreite des Zeitgenössischen geht über den Begriff des Modernen hinaus.


    Liebe Grüße Peter

  • Hallo Peter,
    Bax würde ich nicht unbedingt als Modernen bezeichnen, aber das nur am Rande.


    Lutoslawski ist einer meiner schmerzlichsten Punkte: Ich hatte ihm überzeitliche Bedeutung zugeschrieben und bin leider völlig falsch gelegen - obwohl allein seine Dritte Symphonie für mich zu den großen Meisterwerken der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehört.


    Hindemith ist ein Klassiker insoferne, als man seinen Namen kennt, aber seine Musik nicht (oder kaum noch) aufführt, sieht man von seinen beiden (ebenfalls langsam entschwindenden) Reißern, der "Mathis"-Symphonie und den "Metamorphosen" ab.


    Maxwell Davies hat das Problem der meisten Vielschreiber: Alles hat große Qualität, aber kein Werk ragt so heraus, daß man es als "den" Davies spielt. Der "Leuchtturm" läuft immer mit großem Erfolg, ob er aber Davies die übezeitliche Bedeutung sichert, wage ich zu bezweifeln.


    Auf jeden Fall halten wird sich Messiaen, meiner Meinung nach mit dem falschen Werk, nämlich mit der "Turangalila", aber vielleicht hält dieses Werk die Aufmerksamkeit genug aufrecht, um auch den anderen Werken ab und zu eine Chance zu geben. Was mit seiner Orgelmusik ist, kann ich nicht beurteilen, die Orgel ist ein seltsames Phänomen, auf ihr hat auch der sonst (leider) verschwundene Reger überlebt.


    Strawinskij hat übrigens kurioserweise als Ballettkomponist ohne Tanz überlebt: Seine drei frühen Ballettmusiken werden sicher im Konzertsaal öfter aufgeführt als tatsächlich getanzt. Aber Strawinskij ist sowieso kein Moderner, sondern ein Klassiker, der unter seinen vielen Gesichtern auch das eines Modernen hatte - nämlich im reihengebundenen Spätwerk.


    Aber egal - diese Komponisten sind alle relativ alt und mehr oder weniger präsent.


    Wie ich Alfred verstanden habe, hat er aber die Probleme mit den echten Avantgardisten.


    ***


    Und hier, lieber Alfred, machst Du einen Fehler. Du schreibst, Du hast Klangschnipsel gehört. Das ist ein völlig falscher Zugang.


    Ich könnte Dir wahrscheinlich aus den meisten klassischen Werken ein paar Klangschnipsel herausschneiden, die Dir nicht behagen. Aber da Du diese Schnipsel im Zusammenhang kennst, ordnest Du sie in einen Sinnzusammenhang ein, den Du dem modernen Werk nicht zugestehst.


    Nun ist mir klar, daß eine Zwangsbeglückung keine Chance hat, und ich will Dich daher auch gar nicht überreden, Dir einmal einen ganzen Nono oder Berio oder Xenakis oder Dusapin anzuhören. Es ist ok, wenn Du Dein Vorurteil pflegst und mit der vorverurteilten Musik nichts zu tun haben willst. Aber dann, lieber Alfred, beurteile sie nicht. Es ist dieser Musik gegenüber einfach nicht fair.


    Oder was würdest Du im umgekehrten Fall von mir halten, wenn ich sage: Na ja, Mozart, da hab ich ein paar Klangschnipsel gehört, aber diese ewigen Tonika-Subdominant-Dominant-Tonika-Beziehungen öden mich an, das war ein völlig phantasieloser Komponist und eigentlich sollte man ihn nicht aufführen.


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Nun ist mir klar, daß eine Zwangsbeglückung keine Chance hat, und ich will Dich daher auch gar nicht überreden, Dir einmal einen ganzen Nono oder Berio oder Xenakis oder Dusapin anzuhören. Es ist ok, wenn Du Dein Vorurteil pflegst und mit der vorverurteilten Musik nichts zu tun haben willst. Aber dann, lieber Alfred, beurteile sie nicht. Es ist dieser Musik gegenüber einfach nicht fair.
    Oder was würdest Du im umgekehrten Fall von mir halten, wenn ich sage: Na ja, Mozart, da hab ich ein paar Klangschnipsel gehört, aber diese ewigen Tonika-Subdominant-Dominant-Tonika-Beziehungen öden mich an, das war ein völlig phantasieloser Komponist und eigentlich sollte man ihn nicht aufführen.


    :jubel: :jubel: :jubel:

  • Zitat

    Original von Liebestraum, Fettdruck von mir


    Es ist eher das Problem, dass die anderen nicht akzeptieren wollen, dass wir diese Musik nicht hören wollen und da meinen, das ganze Abendland würde untergehen, wenn wir die zeitgenössische Musik nicht mit gleicher Begeisterung konsumierten...


    Da habe ich nun interessanter Weise einen gänzlich anderen Eindruck. Mir ist es ehrlich gesagt vollkommen egal, wenn jemand diese Musik nicht hören will und wenn er sie nicht mag, bin ich gerne bereit, dies zu akzeptieren.
    Was aber statt dessen passiert, ist das Folgende:


    - bei jedweder Gelegenheit wird mit großem Nachdruck - mitunter kann man auch von Aggressivität sprechen - darauf hingewiesen, dass man mit dieser Musik nichts anfangen könne.



    - es werden regelmäßig Threads zu dieser Thematik eröffnet, in denen man sich dann einer Rudelbildung Gleichgesinnter gegen die Moderne zu erfreuen hofft.



    - es wird gar unterstellt, dass es ja eigentlich nicht sein könne, dass andere diese Musik mögen. (wäre die Phalanx der Moderne solche Sensibelchen, wie gemeinhin die klassischen Musealen, müssten Sie sich hierdurch diffamiert fühlen)



    - meist hanebüchene Theorien, pseudomusiktheoretischer, ökonomischer und soziologischer Natur werden angeführt, um zu "beweisen", dass die Moderne Musik ja keinen Wert habe, ein Irrweg sei, gänzlich vom üblichen Abweiche, nicht seien dürfe - weshalb eigentlich das Wort entartet das einzig treffende zu sein scheint.



    - ein baldiges Ende dieses Spuks wird prophezeit, man provoziert mit einer ostentativ zur Schau gestellten Gelassenheit angesichts der klaren Sachlage, allerdings dann doch mit einer Vehemenz, welche die eigenen Ängste nur allzu deutlich zeigt, und das Vorhaben leider konterkariert.



    - musikgeschichtliche Tatsachen werden negiert, aktuelle Mehrheitsverhältnisse zugespitzt, und sogar ausübende, der moderne zugewandte Künstler diffamiert, ihr Einsatz zur Moderne aus Überzeugung wird verleugnet


    - mitunter amüsant wird dann ein willkürlicher Zeitpunkt innerhalb der Musikgeschichte definiert, an dem die klassische Musik aufhört, eine solche zu sein



    - es wird versucht, einen künstlichen Gegensatz zwischen Moderne und Klassik aufzubauen, Angst zu schüren vor einer Verdrängung etablierter Werte. Wohlgemerkt, kaum hat sich je jemand aus der "modernen" Ecke in diesem Forum dazu bekannt, das Ganze wird nur von der anderen Seite lanciert. Aber vielleicht schürt es ja doch Angst und zieht den einen oder anderen auf die vermeintlich richtige Seite ?




    Und als absoluter Höhepunkt stellt man sich dann selbst in die Ecke der Bedrängten und Verfolgten. :D
    Wär es nicht so ungemein nervig und ermüdend, es wäre wirklich lustig. Vor allem aber: Dieser Sachverhalt holt einen schon regelmäßig ein in Konzertkassenschlangen und Pausengesprächen, da könnte man sich doch bei Tamino wirklich ergiebigeren Themen zuwenden und das nicht noch von administrativer Seite her schüren.





    Zitat

    Edwin Baumgartner schrieb


    Ich könnte Dir wahrscheinlich aus den meisten klassischen Werken ein paar Klangschnipsel herausschneiden, die Dir nicht behagen. Aber da Du diese Schnipsel im Zusammenhang kennst, ordnest Du sie in einen Sinnzusammenhang ein, den Du dem modernen Werk nicht zugestehst.


    Das wäre eher prinzipiell einen eigenen Thread wert, gibt es doch in diesem Forum eine ganze Reihe von Experten, die nicht nur Werke sondern auch verschiedene Interpretationen anhand der einminütigen Amazon-Schnipsel hinreichend beurteilen können. Eine ganz außerordentliche begabung, wie ich finde. Sich dabei auf neue Sichtweisen einzulassen, kann natürlich naturgemäß nur glücken. :no:


    Etwas desillusioniert
    Sascha

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Bax würde ich nicht unbedingt als Modernen bezeichnen, aber das nur am Rande.


    Lieber Edwin,


    mit all den Wertungen hat es so seine spezifische Not, es ging erst mal um eine eher vorläufige Meinungsäußerung, die ihrer Präszisierung noch bedarf. Das fängt mit solchen Bezeichnungen an, wie "Moderner". Bax hat an der Moderne Teil, ist beeindruckt von Ravel, Debussy und Strawinsky, formt sein eigenes Idiom, aber vieles ist rückwärtsgewandt, im Romantischen verhaftet - und doch wieder auf die Gegenwart (wie die bedrückende Irische) unverwechselbar reagierend. Zugegeben, damit qualifiziert man sich an keiner deutschen Akademie als Moderner ...


    Zitat

    Lutoslawski ist einer meiner schmerzlichsten Punkte: Ich hatte ihm überzeitliche Bedeutung zugeschrieben und bin leider völlig falsch gelegen - obwohl allein seine Dritte Symphonie für mich zu den großen Meisterwerken der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehört.


    ... dito ...


    Zitat

    Hindemith ist ein Klassiker insoferne, als man seinen Namen kennt, aber seine Musik nicht (oder kaum noch) aufführt, sieht man von seinen beiden (ebenfalls langsam entschwindenden) Reißern, der "Mathis"-Symphonie und den "Metamorphosen" ab.


    Ich liebe den frühen, den ungebändigten Hindemith, aber scheint eh nicht mehrheitsfähig. Seine Mathis-Oper ist zwiespältig, mit seiner "Harmonie der Welt" kann ich schon nichts mehr anfangen. Gute Musik ist es ohne Zweifel, aber keine der ersten Reihe (von den vielen Instrumentalkonzerten kein einziges vom Range des Hartmannschen Violinkonzertes, geschweige denn des Violinkonzertesvon Berg ).


    Zitat

    Maxwell Davies hat das Problem der meisten Vielschreiber: Alles hat große Qualität, aber kein Werk ragt so heraus, daß man es als "den" Davies spielt. Der "Leuchtturm" läuft immer mit großem Erfolg, ob er aber Davies die übezeitliche Bedeutung sichert, wage ich zu bezweifeln.


    Maxwell Davies ist bei mir überproportional im Regal vertreten, was mehr mit dem Ausverkauf bei Collins zu tun hat. Was ich von ihm im Konzert erlebte, war gut - aber nichts blieb wirklich hängen.


    Zitat

    Auf jeden Fall halten wird sich Messiaen, meiner Meinung nach mit dem falschen Werk, nämlich mit der "Turangalila", aber vielleicht hält dieses Werk die Aufmerksamkeit genug aufrecht, um auch den anderen Werken ab und zu eine Chance zu geben. Was mit seiner orgelmusik ist, kann ich nicht beurteilen, die Orgel ist ein seltsames Phänomen, auf ihr hat auch der sonst (leider) verschwundene Reger überlebt.


    Den hatte ich nicht genannt, weil er von Alfred nicht genannt wurde. Turangalila war auch mein erstes überzeugendes Konzerterlebnis, dann lernte ich die Vingt regards kennen, seitdem hat sich das Universum Messiaens für mich Stück für Stück eröffnet. Und dann kam der Saint François, den ich unter Cambreling in Bochum kennen lernte. Er ist sicher noch zu nah, um eine endgültige Einschätzung haben zu können, aber meine persönliche Zuneigung hat er.


    Zitat

    Aber egal - diese Komponisten sind alle relativ alt und mehr oder weniger präsent.


    Wie ich Alfred verstanden habe, hat er aber die Probleme mit den echten Avantgardisten.


    Da lag mein Einspruch, dann muss man auch Avantgarde und nicht Moderne nennen. Ein Problem mit der Avantgarde zu haben, ist ja unverächtlich - es ist ja die Selbstdefinition der Avantgarde, dass sie die Probleme schafft.


    Liebe Grüße Peter

  • @Edwin, Antracis und Eponine:


    :jubel: :jubel:
    Danke, daß Ihr diese sehr guten Kommentare geschrieben habt, welche absolut meine Meinung wiedergeben!
    Mir gelingt das leider selber nicht, obwohl ich eigentlich genau dasselbe formulieren möchte.
    :hello:
    Michael


    Marc

    Zitat

    Na, aber rheinische Gelassenheit ist bei dir noch nicht angekommen, hm


    Seit wann sind Rheinländer gelassen? ?(
    Wenn es um den rheinischen Frohsinn geht:
    Der liegt immer am jeweiligen Alkoholpegel..... :untertauch:

  • Was ist das eigentlich, die Moderne? Ich denke, es ist immer schlicht die Gegenwart.


    Übrigens, in meinem Sprachempfinden hat Moderne einen Geschmack von Avantgarde, modern hingegen tendiert so ein bißchen auch in Richtung modisch. Das gibts natürlich auch in der Musik der Moderne, und Qualitätsunterschiede - geschenkt. Das kann man im Detail in endlosen Variationen diskutieren. Aber es geht ja in dem Thread ums Grundsätzliche, um die Sackgassenfrage.


    Auf die Musik angewandt, genauer die E-Musik, löst der Begriff exakt die Gegensätze aus, wie sie in diesem Thread zutage treten. Und suggeriert Abgrenzungsmöglichkeiten, die es so kaum gibt. Um der Sache auf den Grund zu kommen, müßte man auch noch mal über die 'Funktion' von Musik überhaupt reden. Wie ist das mit dem Unterhaltungswert, dem Erbauungscharakter. Volksmusik. Mozart. Schlager, Jazz, Pop. Was Mozart zur Unterhaltung schrieb, meinetwegen, nein gewiß mit göttlichem Funken, konsumieren, nein verehren wir heute als 'absolute Musik'. Irgendwann gab es diese Trennung, diesen weitergehenden Anspruch der E-Musik. Wenn wir diesen Anspruch akzeptieren, dann müssen wir erstens auch akzeptieren, daß es weiter neue Musik geben wird und zweitens, daß sie in einer immer komplexeren Wirklichkeit nebst zugehörigem Bewußtsein nicht hinter Standards, Techniken und Ausdrucksweisen zurückfallen kann, die anderen Epochen angehören.


    Guter Thread, Alfred, wenn ich das sagen darf. Wenn man nicht so Bescheid weiß, gibts hier viel Gelehrtes zu erfahren :D


    Gruß


    helmutandres

  • Zitat

    Original von pbrixius


    Bax hat an der Moderne Teil, ist beeindruckt von Ravel, Debussy und Strawinsky, formt sein eigenes Idiom, aber vieles ist rückwärtsgewandt, im Romantischen verhaftet - und doch wieder auf die Gegenwart (wie die bedrückende Irische) unverwechselbar reagierend. Zugegeben, damit qualifiziert man sich an keiner deutschen Akademie als Moderner ...


    Bezieht daraus die Avantgarde nicht einen wesentlichen Teil ihres gegenwärtigen Zuspruchs: Dass ein Teil des akademisch gebildeten Publikums das Bedürfnis hat, sich als modern zu "qualifizieren"? Schalten für diesen Qualifikationsprozess vielleicht einige Konzertgänger ihre ästhetischen Vorlieben aus - zugunsten eines teleologischen Kulturverständnisses, das sich in Vorwärts- und Rückwärtsmetaphern äußert und denkt: "Egal wohin, nur nicht stehenbleiben oder zurückgehen?"


    Ich frage mich auch, wo das Manko liegt, wenn Bax sich teilweise auch an der Romantik orientiert. Was ist besser daran, wenn ich mich als Komponist in der ersten Hälfte des 20. Jh. von Liszt oder Wagner, als wenn ich mich von Strawinsky beeinflussen lasse? Der ist zwar zeitlich näher, aber letztlich auch nur ein Fremdkomponist.


    Ich bemerke an mir selber manchmal den Zwang, für mein Musikverständnis irgendeinen Anknüpfungspunkt in zeitgenössischer Musik zu finden und höre da ziemlich krampfhaft hinein, ohne Ergebnis. Woher kommt dieser Zwang eigentlich? Daher, dass diese Musik doch letztlich mit dem Anspruch auftritt, die Gegenwart ästhetisch zu reflektieren. Ich finde mich aber in der Musik von z. B. Tschaikowsky besser wieder als in der von z. B. Rihm. Also gehöre ich nicht zur Gegenwart, gehört Rihm zu einer fernen Zukunft oder wie ist das?

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

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  • Zitat

    Original von Draugur
    Bezieht daraus die Avantgarde nicht einen wesentlichen Teil ihres gegenwärtigen Zuspruchs: Dass ein Teil des akademisch gebildeten Publikums das Bedürfnis hat, sich als modern zu "qualifizieren"? Schalten für diesen Qualifikationsprozess vielleicht einige Konzertgänger ihre ästhetischen Vorlieben aus - zugunsten eines teleologischen Kulturverständnisses, das sich in Vorwärts- und Rückwärtsmetaphern äußert und denkt: "Egal wohin, nur nicht stehenbleiben oder zurückgehen?"


    Lieber Draugur,


    Avantgarde ist für mich ein (notwendiges) Experimentierfeld. Monteverdi, Gluck, Mozart, Beethoven, Schumann, Brahms - alle waren in ihrer Eigenart avantgardistisch. Während sich früher Avantgardistisches mit Einverständlichem vermittelte, hat mit dem Begriff des Modernen in der Romantik ein zunehmender Spezialisierungsprozess entwickelt. Das Akademische war dabei weit eher Hort des Traditionellen und der Akademismus war alles andere als der Ausweis von Fortschrittlichkeit. Mit dem Hinweis auf einen Teil des akademisch gebildeten Publikums hast Du sicher Recht, aber ein Großteil verhält sich so, wie der Durchschnitt der Bevölkerung - und da ist Rock & Pop weit eher "angesagt" als Klassik - und erst Recht "Avantgarde".


    Liebe Grüße Peter

  • Aber der "Durchschnitt" verhält sich ja gerade so, dass er sich der Musik zuneigt, die gerade angesagt ist. Und meiner Ansicht nach greift dieser Gruppenzwang beim Großteil des Publikums von Tokio Hotel ebenso wie bei einem Teil des Publikums von Avantgardekomponisten (ich halte diesen Teil für den Großteil, aber das kann ich natürlich nicht beweisen, ebensowenig wie mir jemand das Gegenteil beweisen kann...): Sehen und gesehen werden, da sein, wo der Puls der Zeit schlägt, bloß nicht von gestern sein usw.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Zitat

    Original von Draugur
    Aber der "Durchschnitt" verhält sich ja gerade so, dass er sich der Musik zuneigt, die gerade angesagt ist. Und meiner Ansicht nach greift dieser Gruppenzwang beim Großteil des Publikums von Tokio Hotel ebenso wie bei einem Teil des Publikums von Avantgardekomponisten (ich halte diesen Teil für den Großteil, aber das kann ich natürlich nicht beweisen, ebensowenig wie mir jemand das Gegenteil beweisen kann...): Sehen und gesehen werden, da sein, wo der Puls der Zeit schlägt, bloß nicht von gestern sein usw.


    Dieses äußerliche Sichabhebenwollen könntest Du ebenso den gewöhnlichen Klassikhörern unterstellen. Sie wollen halt dadurch auffallen, dass sie die Gegenwart und ihren Tand mißbilligen (gemeinhin Popmusik, aber in Einzelfällen eben auch neuere Kunstmusik). Oder man kann dem Hörer von Marenzio-Madrigalen und Buxtehude-Fantasien unterstellen, er wolle sich eben von den Hörern banalen Standardkrams wie Beethoven oder Verdi distinguieren. Oder man kann dem bewußt "offenen" Hörer, der betont, alles Mögliche von der Gregorianik bis zum Free Jazz zu mögen, unterstellen, er gefalle sich in der Pose des besonders aufgeschlossenen Genießers usw.
    Mir selbst ist ein ähnlicher Vorwurf mehr oder minder offen gemacht worden, weil ich z.B. lieber Kammermusik als Opern höre. Ich kann natürlich beliebig oft behaupten, dass mir die Musik *wirklich* besser gefällt, aber wie will ich das endgültig beweisen? (Ertappte man mich beim heimlichen Puccini-Schwelgen, wäre mir vielleicht meine Unehrlichkeit nachzuweisen)

    Außer der "soziologischen" Beobachterperspektive sind das alles analoge Mechanismen.
    Ich sehe nicht ein, warum dieser Vorwurf gegenüber einer dieser Gruppen eher gerechtfertigt sein sollte als gegenüber einer anderen. Natürlich kann es sein, dass er auf einzelne Mitglieder zutrifft, aber um zu behaupten, es wäre generell der Fall braucht man schon mehr als bloße Vermutungen.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Wie kann man denn Debussy, Schönberg, Webern, Britten, Stockhausen, Richard Strauss, LlLoyd-Webber, Henze, Nino Rota, Sondheim, Zimmermann usw usw usw alle in seinen Sack mit dem Etikett Moderne stecken und dann diskutieren, als würde das Alles keiner Differenzierung und Definition bedürfen????


    Liebe Fairy Queen,


    ich kann Deinen Unwillen gut verstehen. Ich überlege mir gerade einmal, was an Lyrik alles unvertont wäre, hätte es Debussy, Hindemith, Schönberg, Webern, Britten, Strauss, Eisler und Henze nicht gegeben - ja auch BAZI mit seiner köstlichen "Frommen Helene" würde mir fehlen. Welch eine wunderbare Breite von Melodien und Harmonien, von Kompositionen, welche Reihe von Kleinodien der Liedkunst.


    Wenn ich in der Moderne nicht differenziere, dann stecke ich tatsächlich die Vertonung von "The Cats" (immerhin T.S. Eliot) in dieselbe Kiste wie die "Ernsten Gesänge" Eislers, die "Altenberg"-Lieder Bergs in denselben Sack wie Killmayrs Vertonung der Hölderlin-Lieder - und wenn ich an die spannende Celan-CD denke, die noch in meinem Regal des Hörens wartet - wer soll denn diese wunderbaren Gedichte vertonen, wenn es keine Moderne gäbe, die ihre Sprache spräche? Denn die Todesfuge als (spät-)romantisches Lied zu vertonen, wäre alles andere als adäquat.


    Wenn ich auch skeptisch einem linearen "Fortschritt-"Begriff gegenüber bin, so bin ich doch sicher, dass neue Inhalte auch neue Formen des Ausdrucks bedürfen. Jede Zeit hat sich solche geschaffen, nicht aus Mutwillen, sondern aus der Notwendigkeit heraus.


    Wenn man das Ringen zeitgenössischer Komponisten um Form und Gehalt der Werke verfolgt, so wird man allergrößte Hochachtung vor ihrem Werk haben.


    Zitat

    Ich finde das ehrlich gesagt dieses Forums etwas unwürdig!


    Nun, niemand sollte hier aus seinem Herzen eine Mördergrube machen müssen. Für mich macht es einen entscheidenden Unterschied, ob jemand sagt, dass er eine Art von Musik nicht mag, wie immer er diese Art von Musik definiert, oder ob jemand sagt, dass eine Art von Musik nichts taugt. Im ersten Fall werde ich seine Meinung respektieren, im zweiten Fall das Werturteil überprüfen. Eines kann man vom Subject auf jeden Fall sagen: Ob die Musik der Gegenwart eine Sackgasse ist oder nicht, wird man erst in der Zukunft feststellen können. "Unwürdig" kann ich es nicht finden, wenn jemand seine Meinung äußert, ob sie mir nur passt oder nicht.


    Zitat

    Man stelle sich vor, 1908 hätte ein imaginärer Forumsbetrieber eine Frage zur Bewertung der Moderne abgegeben und darunter wären dann ohne Differenzierung von Beethoven bis Richard Wagner oder Debussy oder Strawinsky alle Komponisten des 19 Jh subsummiert worden.......


    1908 kann ich mir vieles vorstellen, allerdings müsse wir hier nach Presseorganen und ihren Herausgebern suchen. Die hat es durchaus gegeben, die "Zukunftsmusik" in jeder Form ablehnten, auf die von Dir genannte Reihe komme ich am Ende: Was Beethoven angeht, so war er zu Lebzeiten mehr als umstritten. Dass "Wellingtons Schlacht" sein erfolgreichstes Werk war, sagt nun hinlänglich etwas über den Geschmack seiner Zeitgenossen aus - aber so war dann bei Arnold auch der "River Kwai"-Marsch das erfolgreichste Werk - wie sich die Bilder gleichen. Klüger scheinen wir heute nicht geworden zu sein (wobei ich den River Kwai-Marsch erträglicher als "Wellingtons Sieg" finde).


    Wagners Werk war von wütenden Angriffen begleitet, in denen man ihm Verrat an allem vorwarf, was wahre Kunst ausmacht, damals wurde "Zukunftsmusik" zum Schlagwort. Nun - und zeitgenössische Kritiken zu Debussy und zu Strawinsky brauche ich wohl nicht zu zitieren.


    Wenn ich nun alle die von Dir genannten Komponisten unter einen Hut bringen will, muss ich gestehen , dass ich mir so eine Diskussion zu den von Dir genannten Komponisten durchaus zu der genannten Zeit in Frankreich vorstellen kann, wo die Germanophobie (wie allerdings auch die -liebe) besondere Blüten trieb - und man Debussy (wie Verdi in Italien) Wagnerismus vorwarf. Aber diese Zeiten sind ja GottseiDank auf beiden Seiten des Rheines vorbei.


    Als aktiver Künstler hat man (wie ich meine: zum Glück) einen anderen Zugang zur Kunst, auch zur zeitgenössischen, als ein Konsument. Und da liegt für mich etwa die Größe von Fischer-Dieskau, der nie die Neugier und die Bereitschaft verloren hat, gerade zeitgenössische Kunst auszuloten. Und was kann es Schöneres für einen großen Künstler geben, wenn ihm ein großer Komponist ein Werk schreibt.


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von Draugur
    Aber der "Durchschnitt" verhält sich ja gerade so, dass er sich der Musik zuneigt, die gerade angesagt ist. Und meiner Ansicht nach greift dieser Gruppenzwang beim Großteil des Publikums von Tokio Hotel ebenso wie bei einem Teil des Publikums von Avantgardekomponisten (ich halte diesen Teil für den Großteil, aber das kann ich natürlich nicht beweisen, ebensowenig wie mir jemand das Gegenteil beweisen kann...): Sehen und gesehen werden, da sein, wo der Puls der Zeit schlägt, bloß nicht von gestern sein usw.



    Es ist sehr schön, die Liebhaber der Moderne auf eine Stufe mit Tokio-Hotel-Fans gestellt zu sehen. Wenn Alfred darauf hinweist, dass die Gegner der Moderne hier im Forum unter seinem besonderen Schutz stehen, sind es sicher genau solche Äußerungen, die dessen bedürfen. :pfeif:



    Ich frage mich, warum es eigentlich so schwer zu glauben oder gar nachvollziehen ist, dass sich jemand einfach aus Neugier und Freunde an der Sache mit der modernen klassischen Musik beschäftigt - ohne Hintergedanken, dadurch nun irgendeine intellektuelle Außenwirkung zu erzielen oder sonstigen elitären Gesellschaftsnormen zu genügen.


    Ich schätze beispielsweise Haydn und Wagner. Und vor allem schätze ich an den Beiden, dass sie mir beide etwas geben, dies aber auf sehr unterschiedlichen Wegen. So ist es für mich auch schlicht mit der Moderne: Anton Webern hat aus meiner Sicht großartige Musik geschrieben, wie auch W.A. Mozart. Sie sagen mir beide etwas ungemein wertvolles, aber sie sagen es auf so unterschiedliche Weise, dass ich sie beide brauche.
    Und so bin ich über viele moderne Komponisten glücklich, die ich entdecken durfte. György Ligeti beispielsweise ließ mich wundervolle Sachen hören, die ich sonst nirgendwo gehört habe. Mit Chopin ist es aber ebendso.


    Nun, so suche ich aber weiter, und es ist immer wieder spannend. Ob nun neue, mir bisher unbekannte Werke von Mozart, oder vielleicht eine neue, ganz unbekannte Spielart der Musik, die ich für mich am ehesten bei ganz alter und ganz neuer Musik finde. Beispielsweise neulich Messiaens "Catalogue d´oiseaux" - ich habe so etwas schlicht noch nie gehört, schon allein das machte mich ungemein neugierig.


    Und bei der neuesten Moderne ist es natürlich ganz klar, dass naturgemäß nur sehr wenig die Zeit überdauern wird. Das war zu Beethovens Zeiten nicht anders. Dennoch ist es ein Genuß und eine Freude, vieles zu hören, auch wenn es vielleicht nur ein Experiment Richtung Wand oder bloßes Epigonentum ist. Das sollte die "Kleinmeisterliebhaber" der Wiener Klassik aber doch eigentlich noch am ehesten verstehen. ? ;)


    Und wenn man dann eine gewisse Gelassenheit besitzt, sich nicht gleich persönlich von einem Komponisten angegriffen zu fühlen :no: , wenn einem dessen Musik mal überhaupt nichts sagt, wird das Ganze noch umso spannender. Man kann entdecken, vergleichen, verstehen, genießen, sich entwickeln, ein stetiger Fluss.


    Aber immer nur cholerisch durch die moderne Kunstlandschaft zu stapfen und alles zu verteufeln...das kann doch auf die Dauer nicht gesund für die Seele sein, oder ? :)


    Gruß
    Sascha

  • Zitat

    Ich frage mich, warum es eigentlich so schwer zu glauben oder gar nachvollziehen ist, dass sich jemand einfach aus Neugier und Freunde an der Sache mit der modernen klassischen Musik beschäftigt - ohne Hintergedanken,


    Es ist (für mich) in der Tat schwer vorstellbar.


    Aber letzlich glaube ich Euch - und deshalb sind Threads über moderne klassische Musik - sosehr ich sie auch persönlich verabscheue (nicht alles natürlich !) hier zugelassen.


    Der Schutz den die "Gegner der Moderne" hier geniessen ist natürlich kein "unendlicher" - er bezieht sich nur darauf, daß man seine Abneigung in diesem Forum - in angemessener Form - artikulieren darf - ohne verspttet oder diskriminiert zu werden - durchaus keine Selbstvertändlichkeit in der heutigen Medienlandschaft.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • "Moderne Musik"- präziser: Klassische moderne Musik - war vor ca. einem Jahr noch ein völlig rotes Tuch für mich - mit nur dem einen möglichen Reflex: angreifen und niederrennen !


    Inzwischen (in der Zeit meiner Mitgliedschaft bei Tamino) hat sich die Welt doch differenziert, "modern" ist nicht mehr unbedingt gleichzusetzen mit "furchtbar", "Ohrenplage" etc.


    Komponisten, deren Namen ich vor einem Jahr nicht kannte (Pärt, Korngold, Gorecki ...) haben das Vorurteil, nichts, was nach 1900 geschrieben worden ist, könne "gut & anhörenswert" sein, differenziert in: es gibt auch Gutes heutzutage, nicht alles ist grauenhaft, was aus der aktuellen Komponistenfeder fließt.


    Uneingeschränkt grauenhaft sind nach wie vor Schönberg, Berg, Henze und andere, die mich jederzeit dazu brächten, aus einem noch so exklusiven Konzert aufzustehen und fluchtartig den Raum zu verlassen. Aber gerade Pärt hat so viele gute Sachen geschrieben... es ist schon erstaunlich, daß es dieses Forums bedurfte, ihn kennenzulernen.

  • Lieber Peter, mir ging es vor allem darum, dass ich nicht verstanden habe und noch immer nicht verstehe, wie ein Phänomen namens "Moderne" ûberhaupt pauschal diskutiert werden kann. Das Wort "unwürdig" bezog sich einzig und allein auf den undifferenzierten und undefinierten Zusammenschluss der verschiedensten Komponisten und Stilrichtungen im Laufe dieser Diskussion und niemals auf Meinungsäusserungen einzelner Mitglieder. :no:
    Wie käme ich dazu ? Ich geniesse selbst in hohem Masse Meinungsfreiheit und ein höheres Gut kann es wohl in einem Forum kaum geben.


    Da ich darin aber ganz offensichtlich falsch verstanden worden bin, möchte ich mich bei denen, die sich davon persönlich angegriffen fühlen, entschuldigen.


    Was das Thema an sich angeht: ich kann da nur zu jedem einzelnen Komponisten oder sogar zu jedem einzelnen Werk(soweit mir bekannt) etwas sagen, niemals aber pauschal . Wenn das Violinkonzert von Berg eines meiner Lieblingswerke der Musikgeschcihte ist, ich aber glechzeitig mit Schönberg recht wenig bis gar nichts anfangen kann , wenn ich serielle Musik nciht ertrage, Messiaens Lieder grossartig finde, Cages Konzepte mich faszinieren und ich "postmorderne" Komponisten wie Rutter mit Begeisterung höre und singe- da gibt es keinen roten Faden-weder im postiven wie im negativen Sinne.
    Neugier und Offenheit sind wohl die Konstanten, aber manches lässt mich eben genauso schreiend weglaufen, wie m mueller das so plastisch beschreibt.
    Und was Carolas Argument von der kostbaren Zeit angeht, die man eben nicht auf Alles verschwenden bzw verschenken kann , was vielleicht sehr hôrenswert sein mag: o ja, in dieses Lied stimme ich auch mit ein!!!!
    Angesichts der Kostbarkeit der Hôr-Zeit ist es manchmal auch nur Zufalls-Selektion , wenn bedeutende Werke einfach hinten runterfallen, nur weil man nicht dazu kommt (selbst Beethovensymphonien ....) oder umgekehrt, z.B. durch Begegnungen mit anderen Begeisterten plötzlich ins Blickfeld geraten.


    Ich schliesse mich der Äusserung von Klingsor an , dass es nur (subjektiv) gute oder schlechte Musik gibt, egal wann sie komponiert wurde .


    Fairy Queen

  • Hallo Draugur,

    Zitat

    als wenn ich mich von Strawinsky beeinflussen lasse? Der ist zwar zeitlich näher, aber letztlich auch nur ein Fremdkomponist.


    Ich bitte um eine Erklärung, was mit "Fremdkomponist" gemeint ist.


    ***


    Hallo m-mueller,

    Zitat

    Uneingeschränkt grauenhaft sind nach wie vor Schönberg, Berg, Henze und andere, die mich jederzeit dazu brächten, aus einem noch so exklusiven Konzert aufzustehen und fluchtartig den Raum zu verlassen.


    Gehe ich recht in der Annahme, daß Du weder Schönbergs "Gurrelieder" kennst noch Bergs Altenberg-Lieder noch Henzes "Vitallino raddoppiato"...?


    Worauf ich hinauswill, ist (wieder einmal) die Differenzierung. Nicht nur ist die Ablehnung "der Moderne" Unsinn, weil die Moderne zu vielgesichtig ist, um sie undifferenziert zu verdammen, sondern es gibt auch im Schaffen einzelner Komponisten Unterschiede.
    Am Beispiel Henze, der aus unerfindlichen Gründen immer als eines der Synonyme für "unanhörbare Musik" herhalten muß: Es gibt bei ihm relativ streng zwölftönige Werke am Anfang seines Schaffens, etwa "Der Landarzt" oder "Boulevard Solitude". Obwohl diese Musik auch nicht wirklich unanhörbar ist, kann sie trocken und wenig sinnfällig wirken.
    Dann kommt eine Periode, in der sich Henze einer aus Distanz betrachteten Romantik nähert, die zwölftönigen Manipulationen schimmern mitunter mehr ("Elegie für junge Liebende", "Prinz von Homburg"), mitunter weniger ("Undine", "König Hirsch") durch, mitunter fallen sie auch nahezu ganz weg ("Der junge Lord", "Musen Siziliens").
    Danach kommt eine Phase, in der Henze wirklich "wilde" Musik schreibt, bei der man aber immer das Verlangen nach Schönheit spürt (Höhepunkte "Tristan" und "Floß der Medusa") Diese Phase führt zu jener, in der Henze seine Musik in den Dienst der (linken) Gesellschaftspolitik stellt und mit Absicht "trashig" schreibt ("Voices" - aber auch hier gibt es Momente von ausgesuchter Schönheit und Zärtlichkeit).
    Nach Abschluss dieser Schaffensphase bricht Henzes ohnedies stets vorhandener Hang zur Neoromantik völlig durch, die Melodielinien sind entfernt zwölftönig interpretierbar, die Akkorde werden hingegen oft frei gebildet und sind mit ihren Terzschichtungen ausgesprochen "schön" im konventionellen Sinn. Die etwas heftigere Neunte Symphonie ist in dieser jetzigen Phase eine Ausnahme, Siebente, Achte und Zehnte Symphonie sollten jedoch kein Ohr beleidigen, das sich an einer "Elektra" erfreuen kann.


    Soll heißen: Wenn jemand sagt, Henze nötige ihn zum Verlassen eines Konzerts, keimt in mir der Verdacht auf, er könnte Henze vielleicht nicht genug kennen um davonzulaufen. Wenn man ihn aber nicht genug kennt - wieso ist man, wenn die Gelegenheit geboten wird, nicht neugierig genug, es doch einmal zu versuchen? Weil der böse Henze noch lebt?


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Hallo m-mueller,


    Gehe ich recht in der Annahme, daß Du weder Schönbergs "Gurrelieder" kennst noch Bergs Alteberg-Lieder noch Henzes "Vitallino raddoppiato"...?


    Bleiben wir doch gleich beim genannten Arvo Pärt. In seiner Frühphase hat Pärt reichlich atonale und wenig ohrenfällge Musik geschrieben. Nach eine Phase, in der er das komponieren völlig einstellte (1968 bis 1976), fand er zu seinem neuen Tintinnabuli-Stil, dem er bis heute treu geblieben ist.


    Ich vermute stark, dass Dir (@ m-mueller) die Frühwerke wohl kaum gefallen werden, während Du Dich für seine neureren Werke offensichtlich sehr begeistert. Dies Beispiel macht deutlich, wie sehr man differenzieren muss, wenn man über Komponisten und ihre Musik spricht. Das gilt stellvertretend für viele Aussagen in diesem Thread. Ich kenne jedenfalls keinen Komponisten, bei dem mir ausnahmslos alle Werke gefallen.


    Liebe Grüße, der Thomas. :hello:

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  • :DDanke Edwin, für diese Übersicht über die Schaffensperioden bei Henze.

    Zitat

    Edwin schrieb:
    Nach Abschluss dieser Schaffensphase bricht Henzes ohnedies stets vorhandener Hang zur Neoromantik völlig durch, die Melodielinien sind entfernt zwölftönig interpretierbar, die Akkorde werden hingegen oft frei gebildet und sind mit ihren Terzschichtungen ausgesprochen "schön" im konventionellen Sinn. Die etwas heftigere Neunte Symphonie ist in dieser jetzigen Phase eine Ausnahme, Siebente, Achte und Zehnte Symphonie sollten jedoch kein Ohr beleidigen, das sich an einer "Elektra" erfreuen kann.


    Die Feststellung zu den unterschiedlichen Phasen im Schaffensverlauf Henzes lässt sich in ähnlicher Weise für andere Komponisten parallel treffen.


    Es wäre so recht kaum nachvollziehbar, dass jemand, der von sich sagt, dass er grundsätzlich Musik der Romantik liebt, Henzes achte oder zehnte Sinfonie nicht mögen könnte - jedenfalls nicht deshalb, weil die Tonsprache dieser Sinfonien pauschal "zu modern" sei.


    Ähnlich könnte man sagen: Wer Bartóks Streichquartette mag, bei dem ist nicht ausgeschlossen, dass er auch Kurtágs Musik für Streichquartett mögen könnte.


    Wer Lutoslawskis Cellokonzert als für sich anhörbar akzeptiert, wird mit einiger Wahrscheinlichkeit mit Friedrich Cerhas Cellokonzert erst recht kein Problem haben, vielleicht wird er es gar lieben und nicht von ihm lassen können in seiner Vielschichtigkeit.


    Wer Henzes zehnte Sinfonie für sich entdeckt hat, bei der erscheint es sehr wohl möglich, dass er mit einiger Wahrscheinlichkeit das Klarinettenkonzert Kalevi Ahos, die Sinfonien, sinfonischen Kompositionen, Cellokonzerte Vasks oder Rautavaaras, Kokkonens oder Dutilleux' oder Kanchelis lieben könnte. Die Zahl der sehr publikumsverständlich und -wirksam komponierenden baltischen Komponisten ist Legion ...


    Das alles belegt, wie dringlich der von Fairy Queen geäußerte Wunsch nach Differenzierung ist. Die pauschale Abscheu vieler vor allen Kompositionen, die von lebenden oder gerade verstorbenen Komponisten stammen, lässt sich eben gerade vor dem Hintergrund sehr unterschiedlicher persönlicher Vorlieben nicht so recht nachvollziehen.


    Noch einmal: es bleibt jedem unbenommen, die Entscheidung zu treffen, "für mich ist 1950 Schluss mit der Rezeption". Ich verdrücke dabei aber doch für einen jeden, der sich ohne Not selbst so beschneidet, ein Tränchen, weil ihm damit eine solche Vielfalt entgeht.


    Mein Verständnis hat indes ein jeder, der sich so entscheidet, vollauf. Die Wahrnehmung von Musik unterscheidet sich nun einmal grundlegend von derjenigen bildender Kunst oder der Literatur, etc. Gefällt mir ein Buch nicht, kann ich es jederzeit zuklappen und nie wieder in die Hand nehmen. Missfällt mir ein Gemälde, schaue ich nach einem Wimpernschlag darauf sogleich fort. Niemand wird mich zwingen können, mich weiter der als unbehaglich empfundenen Wahrnehmung auszusetzen.


    Die Chance habe ich nicht bei der Musik - wenn sie sich gerade nicht auf der abschaltbaren Konserve oder im Radio befindet. In der Konzertsituation, im Fahrstuhl, auf dem Volksfest, ..., bin ich der Beschallung gnadenlos ausgesetzt. Will ich diese Musik nicht, kann ich nicht mal eben die Ohren herunterklappen, sie auszublenden - zumal in der Konzertsituation - erfordert kaum aufzubringende Kraftanstrengung. Und dann kann es in dieser Zwangssituation sehr, sehr nervig werden ...


    Möglicherweise ist es diese potentiell unausweichbare Nervigkeit, der befürchtete Schmerz, die zu der in diesem Thread verschiedentlich diskutierten, gegenüber Literatur- und Kunstrezipienten geringeren Toleranz der Moderne gegenüber führen. Ein Wimpernschlag des Blicks auf ein nicht gefallendes Gemälde tut nicht sonderlich weh, eine halbe Stunde unausweichliche Musiknerverei gegebenfalls schon sehr.


    Bei den oben genannten Komponisten sind wir vermutlich dann im Bereich dessen, für das die Modernisten den Begriff der Postmoderne erfunden haben, um die Tatsache zu verschleiern, dass auch in der Moderne Komponisten tätig sind, denen es ein Anliegen ist, sich dem Publikum verstehbar zu machen.


    Alfred hat das Urteil des Publikums als maßgeblichen Machtfaktor bezeichnet bei der "Entscheidung", ob die einzelne Musik bleibenden Wert behält. Wie ungerecht wäre die Welt, wenn dieser Machtfaktor Komponisten wie den genannten versagt bliebe allein deshalb, weil sie am falschen Tag geboren wurden und deshalb per se erst mal nicht wahr genommen werden.


    Andererseits: Niemand hat gesagt, dass die Welt gerecht ist ... :D


    Liebe Grüße, Ulrich

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Dieses äußerliche Sichabhebenwollen könntest Du ebenso den gewöhnlichen Klassikhörern unterstellen. Sie wollen halt dadurch auffallen, dass sie die Gegenwart und ihren Tand mißbilligen (gemeinhin Popmusik, aber in Einzelfällen eben auch neuere Kunstmusik). Oder man kann dem Hörer von Marenzio-Madrigalen und Buxtehude-Fantasien unterstellen, er wolle sich eben von den Hörern banalen Standardkrams wie Beethoven oder Verdi distinguieren. Oder man kann dem bewußt "offenen" Hörer, der betont, alles Mögliche von der Gregorianik bis zum Free Jazz zu mögen, unterstellen, er gefalle sich in der Pose des besonders aufgeschlossenen Genießers usw.


    Natürlich kann man sich mit allen möglichen Arten von Musik vom "Mainstream" "abheben". Aber mir ging es auch weniger um das sich abheben als um das Bedürfnis, sich als aktuell und auf der Höhe der Zeit darzustellen. Das geht wohl mit Marenzio nicht so gut. Außerdem leben die zeitgenössischen Komponisten noch, was für Groupies ein nicht zu unterschätzender Vorteil ist :D Davon muss sich hier im Forum natürlich niemand angesprochen fühlen. Auch nicht Antracis, der sich auf eine Stufe mit Tokio Hotel gestellt sieht. Die Fans von Tokio Hotel möchte ich ebenso wenig diskriminieren wie die Hörer nicht-tonaler Gegenwartsmusik. Jedem das, was er braucht.


    Zitat

    Edwin Baumgartner:
    Hallo Draugur,


    Zitat:
    als wenn ich mich von Strawinsky beeinflussen lasse? Der ist zwar zeitlich näher, aber letztlich auch nur ein Fremdkomponist.


    Ich bitte um eine Erklärung, was mit "Fremdkomponist" gemeint ist.


    Damit wollte ich nur sagen, dass Strawinsky in Bezug auf Arnold Bax auch nur ein anderer Komponist war - ebenso wie Brahms oder noch ältere Komponisten. Das schrieb ich mit der Absicht zu hinterfragen, ob es irgendwie besser oder sinnvoller ist, sich von einem Komponisten der Gegenwart inspirieren zu lassen als von einem der Vergangenheit und ob man dann automatisch mehr über die eigenen Gegenwart aussagt usw. Wenn Bax in irgendwelchen romantischen Komponisten für seine eigenen künstlerische Persönlichkeit eine wichtigere (oder ebenso wichtige) Inspiration wie in Komponisten der Gegenwart fand, dann war es doch wohl legitim, dass er dieser Inspiration auch folgte? Ich finde es schade, wenn über solche Komponisten etwa so geurteilt wird: "Ganz nette Musik, aber Schönberg hat zwanzig Jahre vorher schon viel moderne Sachen geschrieben - Bax hinkt der Zeit hinterher".


    Modern ist in dem Fall die Auflösung der Tonalität, die unzählige Komponisten seit etwa hundert Jahren durch irgendwelche Reihen und ähnliche Konzepte zu ersetzen versuchen. Werden sich diese Versuche jemals so auswirken, dass ein Nicht-Profimusiker fähig sein wird, Musik irgendwie in Zwölfton- oder sonstige Reihen zu denken? Hat sich Schönbergs Selbstanspruch aus dem Jahre 1921 bewahrheitet, der deutschen Musik mit seiner Zwölftontechnik eine wie auch immer geartete Vorherrschaft für hundert Jahre zu sichern? Es sieht zumindest so aus, als ob er zusammen mit Adorno und ähnlichen Eiferern den nicht-tonalen Techniken die Herrschaft über das akademisch fundierte Musikschaffen in Deutschland gesichert hat. Aber ist das nicht ein bisschen wenig, gemessen an dem, was er sich vermutlich mal vorgestellt hat?


    Es wird ja immer wieder darauf hingewiesen, dass auch Beethoven und Wagner oder wer auch immer zu ihrer Zeit auf heftigen Widerspruch gestoßen sind. Ich nehme nicht an, dass breitere gesellschaftliche Schichten knapp hundert Jahre nach Entstehen der wichtigsten Werke Schönbergs in vergleichbarer Weise ein emotionales Verhältnis zu diesen gewonnen haben werden, wie das binnen derselben Frist bezogen auf die wichtigsten Werke Beethovens und Wagners m. E. unzweifelbar der Fall ist.


    Die Auflösung der Tonalität, ihre Ersetzung durch freie Atonalität, Serialität, Aleatorik und was auch immer ist m. E. in der gesellschaftlichen Realität nie angekommen. Außer als Begleitmusik zu Horrorfilmen ("The Shining" von Stanley Kubrick). Die Werke werden gespielt (Uraufführungsbonus, Anwesenheit des komponisten kommt eben gut...) - meinetwegen. Manche Zuhörer mögen es oder bleiben zumindest im Sinfoniekonzert auf ihren Plätzen (weil es z. B. nachher noch Schubert gibt), auch gut. Aber was passiert 2021, wenn die hundert Jahre von Schönbergs Vorherrschaft vorbei sind?


    :angel:

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • :hello: aus Franken...


    Ich nehm dieses Stichwort des vorvorigen Beitrags mal auf...


    solchen Unausweichlichkeiten setzte ich mich schon seit 25 Jahren zusehends weniger aus...
    ...ganz einfach weil ich
    1) Musik ... a) bei der ich KEINE Ahnung habe wie sie psychisch auf mich wirken könnte b) von der ich schon im Vorfeld stark annehme, dass sie mir psych. nicht zuträglich ist ... mir LIVE nicht mehr zumute
    2) konsequenterweise mir (mit 1einzigen Jahr Ausnahme) keinerlei Abos mehr zugelegt habe...


    Ich stelle mir mal vor, ich hätte mir in diesen 25 Jahren mehrfach Beethovens 5. oder Brahms 1.
    (um mal 2 Musiken zu nennen, die m i r alles andere als behagen) LIVE zugemutet ...............................................


    DANN hätte ich wohl mittlerweile so manchen Verdruss aufgebaut
    - und würde wohl auch dazu übergehen, mir missliebige Musik mit unschönen Adjektiven zu bewerfen......



    UND
    Es spricht ja nix gegen das Hochköcheln von (eigenen oder andrer Leute :D) Emotionen...
    Die Frage ist für mich allerdings WO...
    Ich bevorzuge dafür Tischtennis, Fussball und dergl.
    - ein Internet-Forum scheint mir da nicht der rechte Ort !



    Zurück zum Thread-Titel...


    ...wäre in meinem Sinne, ihn umzubenennen in "Klass.Musik der letzten 20/30 Jahre - noch innovativ ?"
    - DAS fände ich h a l b w e g s fassbar und WIRKLICH interessant !!


    Ich neige da übrigens (als halber Dilettant natürlich sehr sehr vorsichtig) zu der Einschätzung,
    dass etwa seit Schnittke und Ustvolskaya nichts wirklich neues mehr nachkam...
    lass mich aber natürlich gern belehren !!


    :hello: aus Franken
    Micha

  • Hallo Draugur,

    Zitat

    Wenn Bax in irgendwelchen romantischen Komponisten für seine eigenen künstlerische Persönlichkeit eine wichtigere (oder ebenso wichtige) Inspiration wie in Komponisten der Gegenwart fand, dann war es doch wohl legitim, dass er dieser Inspiration auch folgte? Ich finde es schade, wenn über solche Komponisten etwa so geurteilt wird: "Ganz nette Musik, aber Schönberg hat zwanzig Jahre vorher schon viel moderne Sachen geschrieben - Bax hinkt der Zeit hinterher".


    Ja, schon. Nur so sagt das ja niemand. Daß man die Inspiration bei älteren Komponisten holt, ist ein selbstverständlich gangbarer Weg. Das hat Strawinskij beispielhaft gezeigt


    Wenn man sich mit den neueren Komponisten (ich meine jene, deren Hauptwerk quantitativ nach 1945 geschaffen wurde) auseinandersetzt, merkt man solche vorgehensweisen immer wieder: Maxwell Davies gewinnt wesentliche Komponenten seiner Musik aus Prolations-Verfahren und Melodieentwicklungstechniken des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Birtwistle setzt sich mit Hoquetus-Techniken auseinander, Schnittke bezieht seine Inspiration teilweise bei Melodie- und Formtypen Mozarts und Haydns etc.
    Sogar Britten bezieht sich auf ältere Musik: Seine Deklamationstechnik hat mehr mit Purcell als mit allen anderen (moderneren) Vokalkomponisten zu tun.


    Nur dann kommt eben der Unterschied: Diese (und viele andere) Komponisten lassen sich von älteren Vorbildern inspirieren, ahmen sie aber nicht nach. Es geht um die Umschmelzung des Materials in die eigene Sprache: Findet diese Umschmelzung nicht statt und bleiben die Elemente nebeneinander stehen, dann hat man den typischen Eklektiker vor sich, dem man weniger vorwerfen wird, er habe sich bei älteren Komponisten bedient, als daß man ihm eher vorwerfen wird, er habe sich überhaupt bei anderen Komponisten bedient.


    Bax wäre allerdings ein unglückliches Beispiel: Er gehört zur irisch/britischen Spätromantik (ein Bekannter von mir nennt sie boshaft, aber leider nicht unzutreffend "Zuspätromantik"), die eine eigene Sprache ausgeprägt hat, in der manch Interessantes geschaffen wurde - ein lokales Phänomen, das man in angloamerikanischen Gegenden antrifft.


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Draugur
    Natürlich kann man sich mit allen möglichen Arten von Musik vom "Mainstream" "abheben". Aber mir ging es auch weniger um das sich abheben als um das Bedürfnis, sich als aktuell und auf der Höhe der Zeit darzustellen. Das geht wohl mit Marenzio nicht so gut.


    Wohl aber mit HIP ...


    Zitat

    Außerdem leben die zeitgenössischen Komponisten noch, was für Groupies ein nicht zu unterschätzender Vorteil ist.


    Der einzige, der mir dazu einfällt - aber das macht(e) wohl die räumliche Nähe aus, was Stockhausen. ansonsten sieht es mit Groupies bei Henze & Co. nicht so gut aus. Als "Generalist". als den ich mich verstehe, kann ich da ja nur vermuten, aber ich denke, dass im Moment allein schon das Bekenntnis zur Klassischen Musik ausreicht, sich vom "Mainstream" abzugrenzen. Was in früheren Zeiten (etwa noch in den 60ern) eine Minderheit war, zu der der Durchschnittsbürger gehören wollte, ist jetzt eine Minderheit, die der Durchschnittsbürger nur noch am Rande wahrnimmt. In der Allgemeinbildung ist das Wissen über Klassische Musik so geschrumpft, dass da zwischen Ries und Lachenmann kein Unterschied mehr gemacht wird - weil man beide nicht kennt. Zum Lifestyle gehört Klassische Musik eben nicht mehr.


    Zitat

    Wenn Bax in irgendwelchen romantischen Komponisten für seine eigenen künstlerische Persönlichkeit eine wichtigere (oder ebenso wichtige) Inspiration wie in Komponisten der Gegenwart fand, dann war es doch wohl legitim, dass er dieser Inspiration auch folgte? Ich finde es schade, wenn über solche Komponisten etwa so geurteilt wird: "Ganz nette Musik, aber Schönberg hat zwanzig Jahre vorher schon viel moderne Sachen geschrieben - Bax hinkt der Zeit hinterher".


    Dieser Auffassung bin ich tatsächlich des öfteren begegnet, ich teile sie nicht, allein schon, weil es schwierig wird, den Grad des "Modernen" zu bestimmen. Ist Bartók 6. Streichquartett eine Regression - oder die Entwicklung bei Arvo Pärt, die hier angesprochen wurde? Für Leute, die den unmittelbaren Zugang zur Wahrheit haben, mag das so sein - für mich simplifiziert man den schwierigen Prozess der künstlerischen Aneignung der Welt auf diese Art und Weise unzulässig. Natürlich halte ich es für legitim, etwa die "Vier letzten Lieder" von Richard Strauss mit den "Ernsten Gesängen" von Hanns Eisler zu vergleichen, abr wenn ich schon vor dem Vergleich die Antwort im Kopf habe, kann ich einen ernsthaften Vergleich unterlassen.


    Zitat

    Modern ist in dem Fall die Auflösung der Tonalität, die unzählige Komponisten seit etwa hundert Jahren durch irgendwelche Reihen und ähnliche Konzepte zu ersetzen versuchen. Werden sich diese Versuche jemals so auswirken, dass ein Nicht-Profimusiker fähig sein wird, Musik irgendwie in Zwölfton- oder sonstige Reihen zu denken? Hat sich Schönbergs Selbstanspruch aus dem Jahre 1921 bewahrheitet, der deutschen Musik mit seiner Zwölftontechnik eine wie auch immer geartete Vorherrschaft für hundert Jahre zu sichern?


    Nun ist die Zwölftontechnik ja nicht die einzige Reaktion auf die spätromantische Krise der Tonalität (die mir ehrlich gesagt das Hören der Furtwängler-Sinfonien schwerer macht als das Hören eines Stückes von Webern). Viele Künstler sind andere Wege der Atonalität, Polytonalität oder der Bitonalität gegangen. Bartók habe ich eben genannt. Der Selbstanspruch Schönbergs hat sich mE nicht bewahrheitet, Schönberg ist allerdings auch auf eine so wohlgemute Utopie nicht zu reduzieren.


    Zitat

    Es sieht zumindest so aus, als ob er zusammen mit Adorno und ähnlichen Eiferern den nicht-tonalen Techniken die Herrschaft über das akademisch fundierte Musikschaffen in Deutschland gesichert hat.



    Adorno hier als Eiferer zu bezeichnen, wird weder seiner Person, noch seiner Bedeutung gerecht. Man muss ihm ja nicht in allem folgen, aber dass er einer der bedeutendsten Musikwissenschaftler des 20. Jahrhunderts ist, der in seinem Eifer mE auch eine Reihe spektakulärer Irrtümer begangen hat, macht ihn wahrhaftig nicht zum Eiferer.


    Zitat

    Aber ist das nicht ein bisschen wenig, gemessen an dem, was er sich vermutlich mal vorgestellt hat?


    Noch ist es zu früh, um abschließend zu antworten, aber die Reihe der großen Komponisten, die die Zwölftontechnik benutzten und damit Kunstwerke unbestreitbaren Ranges geschaffen haben, ist lang genug, dass sich Schönberg seiner Prognose nicht zu schämen braucht - nur hat er damit nicht ein rein deutsches Phänomen geschaffen, seine Wirkung war und ist weltweit.


    Zitat

    Ich nehme nicht an, dass breitere gesellschaftliche Schichten knapp hundert Jahre nach Entstehen der wichtigsten Werke Schönbergs in vergleichbarer Weise ein emotionales Verhältnis zu diesen gewonnen haben werden, wie das binnen derselben Frist bezogen auf die wichtigsten Werke Beethovens und Wagners m. E. unzweifelbar der Fall ist.


    Von der "Verklärten Nacht" bis zu "A Survivor from Warsaw" gibt es eine Reihe von Werken, die unangefochten im Konzertleben geschätzt werden. Sein Schüler Berg ist für mich der bedeutendere, Webern sicher der folgenreichere. Am Werk Bergs wird man heute sicher nicht vorbei blicken können, leider hat er nur eine Oper vollendet, die zweite immerhin so weit, dass man sie ergänzen konnte. Dass bedeutende Dirigenten wie Böhm - und er musste sicher nicht dazu gezwungen werden - sie in exemplarischen Aufnahmen vorgelegt haben, dürfte doch erst einmal als Nachweis reichen.


    Zitat

    Die Auflösung der Tonalität, ihre Ersetzung durch freie Atonalität, Serialität, Aleatorik und was auch immer ist m. E. in der gesellschaftlichen Realität nie angekommen. Außer als Begleitmusik zu Horrorfilmen ("The Shining" von Stanley Kubrick).


    Na, dann ist wohl "2001" auch ein Horrorfilm - und Beethoven auch nach "Clockwork Orange" ein Horrorkomponist. Ich weiß nicht, was Du unter "gesellschaftlicher Realität" verstehst, aber zumindest "erweiterte Tonalität", "Bitonalität", "Polytonalität" sind weit umfassender "angekommen", wie hier ja schon einmal auf den Jazz hingewiesen wurde. Selbst im Rock, im Rap und in anderen Formen ist die Auflösung der Tonalität "angekommen". Man mag ja was dagegen haben, aber deshalb muss manja keine Scheuklappen anziehen. Auch die "Worldmusic", die ja nicht diatonisch ist, hat in ganz unterschiedlicher Weise auf unser Wahrnehmen von Musik eingewirkt.


    Zitat

    Aber was passiert 2021, wenn die hundert Jahre von Schönbergs Vorherrschaft vorbei sind?


    Wenn wir es beide erleben, worauf ich hoffe, können wir es ja in diesem Platz weiter diskutieren :)


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von Ulrich Kudoweh
    Die Wahrnehmung von Musik unterscheidet sich nun einmal grundlegend von derjenigen bildender Kunst oder der Literatur...


    Lieber Ulrich,


    ich möchte noch einen Gedanken zu Deinem Beitrag nachlegen.


    Du beschreibst die ungefilterte Nähe zur Kunst der Musik, um sie von anderen Künsten abzugrenzen. Das sehe ich genauso.
    Ein weiteres Unterscheidungskriterium wäre aber auch das Gegenteil:
    Die gleichzeitige persönliche Distanz des Rezipienten zu dieser Kunstform.


    Der Mensch ist nun einmal so gebaut, dass er alles zunächst auf sich bezieht.
    Liest er etwas, sieht er sich ein Bild an, fragt er sich, was ihm daran nicht gefällt.
    Unmittelbar daran schließt sich ein Vergleich mit den eigenen vorhandenen oder vermeintlichen Fähigkeiten an:


    Wie hätte ich’s besser gemacht? Oder zumindest: Das hätte ich auch gekonnt.


    Schreiben kann in unserem Kulturkreis - so ziemlich - jeder. Malen, im simpelsten Sinne, auch. Selbst ein Gebäude entwerfen (Um mit Don Justo zu sprechen: Was schön ist, das fällt auch nicht um...)
    Es fragt sich halt nur wie, doch der Selbstvergleich ist legitimiert durch das Vermögen, mit gleichen Mitteln etwas Analoges zu Stande zu bringen. (Hier ist gar keine Art von tatsächlichem Verständnis vorausgesetzt.)
    Zumal, wenn das zu vergleichende Vorbild, seien es, im Auge des Lesers oder Betrachters, scheinbar willkürlich zusammengesetzte Worte einer „modernen“ Lyrik oder anscheinend planlos zusammengewürfelte Flächen eines „modernen“ Bildes, eine scheinbar einfache oder auch willkürliche Anwendung der Mittel anbietet.
    Je weniger man, ohne entsprechende Vorbildung, einem literarischen oder bildnerischen Werk eine gewisse „Handwerkskunst“ auf den ersten Blick ansieht, desto größer ist die Verlockung des Eigenvergleichs.


    Die Musik verlangt nun aber andere Mittel, die man nicht ohne weiteres aus dem eigenen Durchschnitts-Hut zaubern kann.


    Da sind zunächst „Gerätschaften“ von Nöten, also Musikinstrumente, die nicht so einfach zugänglich sind wie etwa Papier, Feder oder Pinsel.
    Ein Orchesterapparat verlangt zudem noch weitere Menschen, die im Spiel sein müssen.


    Dann sind technische Fähigkeiten zu bewältigen, die ohne Training und Übung nicht imitiert werden können. Und wenn der Lauf auf dem Klavier noch so schräg klingt, die Finger müssen sich erst einmal entsprechend schnell bewegen, von Bläser-Ansätzen ganz zu schweigen.
    Wie überall gibt es natürlich auch hier Ausnahmen, „4’33 krieg’ ich auch noch hin“ etc.
    Am ehesten können hier noch der Badewannentenor oder der Wohnzimmerdirigent „mitreden“.


    Schließlich, wenn es nicht um Ausführung, sondern um Ausdenken geht, wollen die Ideen niedergelegt werden. Auch dieses ist nur mit speziellem Fachwissen wie Notenschrift oder Instrumentenkunde zur Gewährleistung der allgemeinen Verständlichkeit und Aufführbarkeit möglich.


    Insgesamt, denke ich, ist die Musik zwar die unmittelbarste und eindringlichste, aber auch die am schwierigsten zu reproduzierende oder auch nur zu imitierende Kunstform und somit der eigenen Nachvollziehbarkeit am entferntesten.





    Grüße,



    audiamus



    .

  • Zitat

    Original von pieter.grimes
    Ich stelle mir mal vor, ich hätte mir in diesen 25 Jahren mehrfach Beethovens 5. oder Brahms 1.
    (um mal 2 Musiken zu nennen, die m i r alles andere als behagen) LIVE zugemutet ...............................................


    DANN hätte ich wohl mittlerweile so manchen Verdruss aufgebaut
    - und würde wohl auch dazu übergehen, mir missliebige Musik mit unschönen Adjektiven zu bewerfen......


    Hallo,


    ich nehme im Gegenteil an, dass Du Beethoven 5. und Brahms 1. dann nicht nur kennen, sondern auch wertschätzen gelernt hättest. Deshalb ziehe ich ja das Kennenlernen von Musik im Konzert vor, weil mir schon oft das Vor-Urteil im Munde stecken blieb, weil die Musiker mich vom Gegenteil überzeugten. Das kann eine CD nur mit Einschränkung bei mir schaffen.


    Wenn man neuere Musik liebt, muss man eben auch erkennen, dass sie sich zur älteren nicht nur einfach verhält. Beethoven und Brahms waren immer große Inspirationen für die Moderne - und gerade Schönberg (der als Lehrer exzellent war und seine Schüler in alle möglichen Richtungen entließ) war ein großer Verehrer von Beethoven und Brahms.


    Zitat

    Zurück zum Thread-Titel...


    ...wäre in meinem Sinne, ihn umzubenennen in "Klass.Musik der letzten 20/30 Jahre - noch innovativ ?"
    - DAS fände ich h a l b w e g s fassbar und WIRKLICH interessant !!


    Ich finde den Thread-Titel schon in Ordnung, wenn Du einen anderen stiften willst, steht das Dir ja frei.


    Zitat

    Ich neige da übrigens (als halber Dilettant natürlich sehr sehr vorsichtig) zu der Einschätzung,
    dass etwa seit Schnittke und Ustvolskaya nichts wirklich neues mehr nachkam...
    lass mich aber natürlich gern belehren !!


    Aber dann eben dort und nicht hier ...


    LG Peter

  • Lieber Peter,

    Zitat

    Aber dann eben dort und nicht hier ...


    Pardon, aber das verstehe ich nicht. Alfreds These lautet, daß sich die neue Musik in einer Sackgasse befindet.
    Darüber diskutieren wir nun.
    Schnittke und Gubaidulina sind zwei Exponenten einer bestimmten Richtung der Avantgarde. Wenn pieter.grimes behauptet, nach ihnen sei nichts Neues mehr dazugekommen (nicht meine, aber eine zu respektierende Meinung), dann zielt er sehr genau auf diesen Sackgassen-Aspekt, den wir mit ihm diskutieren sollten, statt den Kern dieses Threads wieder in die Gubaidulina- bzw. Schnittke-Threads auszulagern.
    Meiner Meinung nach kann man nämlich gerade an konkreten Beispielen die Thesen festmachen.


    Deine Antwort auf Draugur, die ich insgesamt unterschreiben kann, ist bei der Zwölftonmusik ein wunderbares Beispiel: Schönberg-Berg-Webern-Eisler-Liebermann-Bernstein-Penderecki.
    Von welcher Zwölftonmusik reden wir?
    Bei Schönberg ist das Ergebnis eine expressionistische Übersteigerung des Ausdrucksgestus.
    Bei Berg herrscht der Tonfall eines bitteren Abschiednehmens vor, die Nähe zu Mahler ist deutlich spürbar.
    Webern bietet kristallklare Schönheiten, die sehr fragil sind; die Übersteigerung des Expressionismus ist weniger spürbar als leise Intensität und kontrapunktische Disziplin.
    Eisler gewinnt in den zwölftönigen Werken der Reihe eine ganz eigene, mitunter sogar fast schlagerhafte Sangbarkeit ab - der Beweis, daß zwölftönige Melodien möglich sind.
    Liebermanns reihentechnische Konstruktionen sind so gearbeitet, daß sie bi- und polytonale Bildungen evozieren. Der Klang ist französisch orientiert, er erinnert eher an die ernsten Werke Milhauds als an Schönberg oder gar Webern.
    Bernstein integriert in seine späten Werke immer wieder zwölftönige Verfahren - er gewinnt ihnen den Tonfall eines verzerrten Blues ab. Faustregel: Wenn beim späten Bernstein etwas nach Blues klingt, in der Partitur "nachzählen", es ist (fast) immer "Zwölftonmusik".
    Penderecki organisiert sein Frühwerk auf der Basis von Reihen, wobei er immer wieder einzelne Reihenabschnitte zu Clustern zusammenfaßt. Das Abschreiten der Reihe steht gleichberechtigt neben dem zwölftönigen (eventuell auch mikrotonalen) Feld.


    Und das sind nur ein paar Beispiele, die sich um weitere individuelle Ausprägungen (Strawinskij, Martin, Dallapiccola, Klenau, Henze, Carter, Dessau etc. etc.) vermehren lassen. Also: Nicht einmal, wenn man sagt "Zwölftontechnik mag ich nicht" befindet man sich im grünen Bereich der Genauigkeit. Die richtige Frage darauf würde lauten: Wessen Zwölftontechnik magst Du nicht?


    :hello:

    ...

  • Meine Lieben


    Ich bin weder willens noch in der Lage auf diesem intellektuellen Niveau mitzudiskutieren, deshalb oute ich mich mal als reaktionären Musikliebhaber:


    Meine Aufnahmekapazität wird schon von Bartock massiv strapaziert.
    Mit der Musik von 1940-1990 werde ich leider überhaupt nicht warm. Sie sagt mir nichts. Ich verstehe sie nicht. Sie erhebt mich nicht. Sie tut mit nicht gut, sie schadet mir! So ist es nun mal. Und es hat lange gedauert, bis ich mir das endlich ein- und zugestand.


    Das Verlassen der Tonalität ist für meinen Musikgeschmack der „Sündenfall“ in der Musikgeschichte. Wo die Tonalität fehlt, fühle ich mich verloren.


    Ich brauche das Gerüst verlässlicher Harmonien. Meines Erachtens braucht die Musik die Harmonie wie das Brot die Hefe. Serielle Musik ist für mich ein flacher zäher Fladen, der unverdaut im Magen gärt.


    Musik ohne harmonisches Gerüst ist für mich eigentlich keine Musik mehr, sondern organisiertes Geräusch. (was durchaus interessant, aber für mich nicht aufbauend sein kann).
    Man möge meine Sichtweise respektieren. Ich gehe davon aus, dass eine Mehrheit der MusikhörerInnen diese mit mir teilt.


    Kann es sein, dass (so wie die zeitgenössische Malerei wieder auf die Gegenständlichkeit zurückgreift) die jüngste Komponistengeneration wieder zur Tonalität gefunden hat?


    Ich denke da an Einojuhani Rautavaara, oder an die neuesten Sachen von Penderecki oder Henze, die beide ja eine extreme Stilmetamorphose vollziehen.
    Beide Komponisten waren einmal "modern": Sind sie jetzt (nach ihrem Rückgriff auf die Tonalität) „postmodern“...? Dann wäre die „ Moderne“ für mich persönlich tatsächlich eine Sackgasse gewesen.


    Mit liebem Gruss aus Bern
    Walter

  • Zitat

    Original von pbrixius
    Nun ist die Zwölftontechnik ja nicht die einzige Reaktion auf die spätromantische Krise der Tonalität (die mir ehrlich gesagt das Hören der Furtwängler-Sinfonien schwerer macht als das Hören eines Stückes von Webern).


    Ich muss zugeben, keine Werke von Furtwängler zu kennen... aber die anderen Antworten schätze ich zum großen Teil sehr, als da wäre der frz. Impressionismus, Hindemith, Strawinsky, Bartok, Britten und nicht zuletzt die von Edwin zitierenderweise so genannte "Zuspätromantik". Einen sehr wegweisenden, Musik auf urtümliche Elemente zurückführenden Ansatz sehe ich auch bei Orff. Meines Ermessens alles ansprechendere Ansätze als die ganzen Reihentechniken usw. aber mich fragt ja keiner ;)


    Zitat

    Noch ist es zu früh, um abschließend zu antworten, aber die Reihe der großen Komponisten, die die Zwölftontechnik benutzten und damit Kunstwerke unbestreitbaren Ranges geschaffen haben, ist lang genug, dass sich Schönberg seiner Prognose nicht zu schämen braucht - nur hat er damit nicht ein rein deutsches Phänomen geschaffen, seine Wirkung war und ist weltweit [...] [...] Von der "Verklärten Nacht" bis zu "A Survivor from Warsaw" gibt es eine Reihe von Werken, die unangefochten im Konzertleben geschätzt werden. [...] Dass bedeutende Dirigenten wie Böhm - und er musste sicher nicht dazu gezwungen werden - sie in exemplarischen Aufnahmen vorgelegt haben, dürfte doch erst einmal als Nachweis reichen.


    Es ging mir doch gar nicht darum, ob diese Werke gespielt werden und ich wollte auch nicht ihre künstlerische Qualität anzweifeln. Es geht mir auch weniger darum, ob diese Werke in Reclams Musikführer usw. stehen, sondern ob diese Tonsprache sich im Musikempfinden von Nicht-Profis etabliert hat und diese emotional anzusprechen vermag. Außerdem wäre Böhm, wenn er diese Musik nicht dirigiert hätte, vermutlich als unverbesserlich Konservativer oder gleich als Altnazi diffamiert worden, der diese Musik für "entartet" halte. Unter dem Gesichtspunkt besteht sehr wohl ein Zwang. Es kann natürlich genausogut sein, dass er diese Musik geschätzt hat, aber dirigieren musste er sie, um einen gewissen Ruf zu wahren.


    Zitat

    Na, dann ist wohl "2001" auch ein Horrorfilm - und Beethoven auch nach "Clockwork Orange" ein Horrorkomponist.


    Der Vergleich hinkt ein bisschen. Beethovens und Rossinis Musik wird als fröhlich-triumphaler Kontrast zum teils erschreckenden Geschehen in A. C. O. verwendet, die Werke von Ligeti und Penderecki in "Shining" sollen eher die Bedrohung untermalen, eine unangenehme Atmosphäre erzeugen. Dazu ist diese Musik ja auch durchaus imstande. 2001 kenne ich leider nur ausschnittweise...


    Zitat

    Ich weiß nicht, was Du unter "gesellschaftlicher Realität" verstehst, aber zumindest "erweiterte Tonalität", "Bitonalität", "Polytonalität" sind weit umfassender "angekommen", wie hier ja schon einmal auf den Jazz hingewiesen wurde. Selbst im Rock, im Rap und in anderen Formen ist die Auflösung der Tonalität "angekommen". Man mag ja was dagegen haben, aber deshalb muss manja keine Scheuklappen anziehen. Auch die "Worldmusic", die ja nicht diatonisch ist, hat in ganz unterschiedlicher Weise auf unser Wahrnehmen von Musik eingewirkt.


    Erweiterte, Bi- und Polytonalität sind ja auch eben Erweiterungen der Tonalität und nicht ihre Auflösung. Mir ist aber nicht klar, wo du im Rock eine Auflösung der Tonalität siehst, höchstens in extrem aggressiven Metalvarianten ("Grindcore" und "Noisecore") kann davon die Rede sein. Rap ist z. T. außen vor, insofern es stellenweise nur Sprechgesang mit Rhythmusunterlegung gibt, ansonsten gibt es da regelmäßig konventionelle durmolltonale Unterlegungen, Gesangseinlagen usw.
    Z. B. Emerson, Lake & Palmer haben sehr nette Stücke, wo man von erweiterter Tonalität sprechen könnte. Das ist zwar im Rock-Kontext auffällig schräg, aber durchaus tonal orientiert. World Music ist ja nichts anderes als internationale Folklore, die ist durchaus zum großen Teil diatonisch und verwendet ansonsten Skalen, die man hierzulande weniger kennt. Auch da m. E. keine Nicht- bzw. keine aufgelöste Tonalität.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

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