Was hat uns Beethoven heute zu sagen ?

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    ... nun seit einigen wenigen Tagen bei den Symphonien angekommen.
    Während die Sprache seiner Lieder, die Klavierkonzerte, Sonaten und Klaviertrios mir sofort verständlich waren, muss ich um die Symphonien erstmal kämpfen, denn diese grosse Form, die ich stets als unüberscihtlich und ermüdend empfinde, liegt mir recht fern.
    Nach der 4.,6., 7., und 8. Symphonie habe ich gestern abend noch die 9. Symphonie gehört und muss gestehen, dass gerade dieses so berühmte Werk mir fast gar ncihts sagt. :(
    Es kann kaum an der Aufnahme liegen, die hat Peter ausgesucht, Dirigent war Furtwängler udn ich hatte mich gerade darauf noch eigens mit einem Film "Taking sides" vorbereitet...


    Arme Fairy Queen, willst aber offenbar auch nicht hören. Dabei hattest Du extra einen Thread gestartet und nach geeigneten Aufnahmen für den EINSTIEG gefragt. Darauf hattest Du auch Antworten erhalten. Und die waren, bis der Thread dann in einen Ich-nenne-meine-Lieblingseinspielung Auflistung abgleitete, auch sehr schön auf Deine Ausgangsfrage eingegangen.


    Nochmal: Wenn Du die Beethoven Sinfonien erstmals kennenlernen willst und überdies erklärtermaßen Schwierigkeiten mit der sinfonischen Großform hast, dann solltest Du zu der Interpretation eines Dirigenten greifen, der die übergreifenden Zusammenhänge des Werkes in den Vordergrund stellt und das Werk eher "aus den Noten" als aus einer dahinter stehenden "poetischen Idee" heraus interpretiert. Als solche Dirigenten sind traditionell etwa Karajan oder Wand zu nennen. Dass Du bei Furtwängler und seiner 9. kapitulierst, wundert mich nicht. Ich hatte es im besagten Thread schon vorhergesagt. So gewaltig Furtwängler gerade den 1. Satz der 9. gestaltet, man muss den Verlauf der Musik schon recht gut kennen, um sich nicht in den von Furtwängler ausdrucksstark und bekenntnishaft gestalteten Phrasen zu verlieren. Ich finde sogar, dass Furtwängler (trotz aller großartigen Passagen) der 1. Satz zum Ende hin regelmäßig ein wenig zerfällt (aber das ist auch Ansichtssache). Wie man sich mit dem durchaus sehenswerten Film "taking sides" auf Beethoven oder gar seine 9. Sinfonie sinnvoll vorbereiten will, ist mir schleierhaft.


    Loge

  • Zitat

    Original von Loge
    Dass Du bei Furtwängler und seiner 9. kapitulierst, wundert mich nicht. Ich hatte es im besagten Thread schon vorhergesagt. So gewaltig Furtwängler gerade den 1. Satz der 9. gestaltet, man muss den Verlauf der Musik schon recht gut kennen, um sich nicht in den von Furtwängler ausdrucksstark und bekenntnishaft gestalteten Phrasen zu verlieren. Ich finde sogar, dass Furtwängler (trotz aller großartigen Passagen) der 1. Satz zum Ende hin regelmäßig ein wenig zerfällt (aber das ist auch Ansichtssache).


    Lieber Loge,


    wie immer ist man schlauer, wenn man vom Rathaus kommt. Die Furtwängler-CDs hatte ich auch erst einmal als Ergänzung zu dem Harnoncourt-Zyklus dabei gelegt. Meine erste Neunte war damals die Einspielung von Jascha Horenstein, eine Aufnahme, die ich noch heute schätze.


    Die Furtwängler-Einspielung ist ohne Zweifel eine Zumutung. Aber Beethoven ohne Zumutungen ist auch kein Beethoven. Wir werden für Fairy Queen schon die passende Neunte herausfinden (bei Bruckner hatte es übrigens mit Furtwängler bei F.Q. geklappt ...)


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Hier, für diesen Thread ergibt sich die Frage, warum Beethoven gerade heute anerkannter zu sein scheint, als seine 3 Mitstreiter in Sachen "Wiener Klassik" (In Wirklichkeit waren es ja mehr, ich weiß...)


    Ich bezweifle, dass er anerkannter ist.


    Wenn überhaupt, weil seine Motivarbeit bis zur "Liquidation" und sein aufbrechend weiterentwickelndes Spiel mit den etablierten Formen der Hochklassik besonders in Form einer "neuen revolutionären Symphonie" von Schumann und Berlioz bis zu Mahler und ersteres eventuell bis zu Debussy und Schönberg einen Großteil des 19. Jahrhunderts und das beginnende 20. Jahrhundert in Atem hielt. Das geht ja so weit, dass manche Komponisten vor einer eigenen 9. gewisse psychische Krämpfe auszustehen hatten.


    Wenn, dann ist deshalb Beethoven "anerkannter" - aber vielleicht hat das hier eh schon jemand gepostet.
    :hello:

  • liebe Fairy Queen,
    das kann ich gut nachvollziehen.


    Die Missa solemnis ist mir auch erst mit der Aufnahme mit Guilini so richtig unter die Haut gefahren und zwar nachhaltig.


    Nun habe ich mir die 9. auch mit Guilini bestellt und bin neugierig, da ich zwar viele 9. habe, sie in meiner Jugend immer Sylvester gehört habe und eigentlich fast mitsingen kann. Aber bisher hat mir keine Interpretation in allen Sätzen gefallen, d.h. ich hätte jedesmal etwas anders gemacht.


    Nun bin ich auf Guilini gespannt, denn die Missa finde ich einzigartig komplett gelungen, sie ging mir wirklich vom Herz ins Herz, was ja Beethovens Ziel war.
    Ich werde es Dir schreiben. Wir Frauen hören vielleicht manches anders als Männer (und so habe ich auch recht heftig auf die Furtwängler Aufnahmen reagiert, was zu Irritationen und männlicher, sicher berechtigter Schelte geführt hat.)


    Lieben Gruß aus Bonn :hello:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

  • Zitat

    Original von Stabia
    ...und so habe ich auch recht heftig auf die Furtwängler Aufnahmen reagiert, was zu Irritationen und männlicher, sicher berechtigter Schelte geführt hat...


    Lieben Gruß aus Bonn :hello:


    Wobei Du nicht vergessen solltest, daß es mehrere Aufnahmen der 9. unter Furtwängler gibt. Es wäre ja zu fragen, ob Fairy Queen die von Dir inkriminierte WK II Einspielung hat, oder vielleicht doch die ungleich prominentere Aufnahme, die anlässlich der Wiedereröffnung der Bayreuther Festspiele entstanden ist. Die hätte ich zwar auch nicht direkt als Einstieg in das Werk serviert, aber Peters Sympathie für diese Einspielung und für Wilhelm Furtwängler teile ich durchaus :yes: .


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

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  • Lieber Loge, hier der Rechenschaftsbericht einer ungehorsamen Tamina ;):
    ich habe erstmal ganz brav mit Harnoncourt Nummer 4,6,7 und 8 angefangen :yes: und das war ein sehr guter , weil erfolgreicher Einstieg . Mich hat diese Musik angesprochen, teilweise sogar sehr und Beethoven ist mir nun kein ganz Fremder mehr.
    Den Harnoncourt hat Peter ausgesucht und er war als Erstes bei mir -zwei sehr gute Gründe, damit zu beginnen! :]
    Da ich gerade abends zuvor den Szabo Furtwängler-Film gesehen hatte, wollte ich dann eben gleich den mitgelieferten Furtwängler probieren. Der Film war selbstverständlich weniger als Vorbereitung auf die Neunte, denn als Annäherung an den Dirigenten gedacht.
    Hätte ich natürlich auf DICH gehört....... :untertauch::D
    Hab ich aber nicht und nun ist die Neunte erstmal auf der Minusseite-ob das aber nur an der Einspielung liegt, bezweifle ich doch stark!
    Stabia und âme und auch die anderne Statements im Einspielungs- Suchthread führen etliche andere Argumente an oder zeigen zumindest Verständnis für die Sperrigkeiten.
    Schliesslich schreibt nciht der Dirigent das Werk, er interpretiert es.



    Ich habe heute übrigens noch keinen neuen Beethoven gehört sondern bin erstmal bei der 6 und 8 geblieben und besser zu verstehen, was Beethoven mir sagen kann.
    Lieber âme, ich habe das Gefühl, auf eine Reise mitgenommen zu werden, die durch sehr, manchmal zu sehr und zu schnell, wechselnde Landschaften führt. Kaum habe ich mich in eine Stimmung eingefunden, werde ich wieder herausgerissen und in die Nächste geworfen.
    Das ist recht anstrengend und erinnert mich ein bisschen an das Leben mit einem capriziösen Choleriker.
    Bei einer Symphonie wie der Sechsten kann ich mich da ein bisschen erholen, um dann umso intensiver in die Siebte und Achte einzutauchen.
    Bei der Neunten verstehe ich einfach die Landschaft noch nicht und hôre keine Linien. Das ermüdet kolossal .


    Liebe Stabia, ich empfinde Beethovens Syphonik, nun nachdem ich deinen Beitrag lese, tatsächlich als serh männlich.
    Man sagt zwar eher den Frauen dauernd wechselnde Launen nach , aber die Wechselbäder, in die Beethoven mich wirft, sind von einer ganz anderen Kraft und haben etwas Elementareres an sich.
    Irgendwie wie eine männlcihe gigantische Naturgewalt, von der man überrollt wird und mit der man zurechtkommt oder eben nicht.
    Darauf kann ich mich nicht immer einlassen, denn ich empfinde das als 100mal anstrengender als z.B. eine Haydn oder Mozart-Symphonie.
    Ob es anderen Frauen ähnlich geht und das etwas mit dem Geschlecht zu tun hat weiss ich aber nicht. ?(
    Jedenfalls ist es ein echtes Abenteuer eine so berühmte Musik ganz neu zu entdecken und ich danke sehr herzlich für den Austausch mit euch "Kennern" :jubel:


    Fairy Queen

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    ...
    Aber schon der erste Satz war mir unverständlich und sperrig, der zweite ging besser, weil ich wenigstens das Motiv gut verfolgen konnte und eindringlcih fand, den dritten fand ich im Vergleich zu den langsamen Sätzen aus den anderen Symphonien nur langweilig und das Ende-nun ja, dem kann man sich schlecht entziehen.... ;)
    ...


    Wie kann man das nur als langweilig empfinden?! Nie ist Beethoven der unendlichen Melodie näher gekommen als hier, der Satz sollte eigentlich überhaupt nicht aufhören...

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Tag,


    mit Beethoven ist's einfach wie mit Kant, beider Werke kann man studieren wie die Natur. Der Anfang ist dann auch noch mit Kant gemacht: "Der Himmel über mir und das Moralgesetz in mir! Kant!!!" - so heißt es doch in einem der Konversationshefte.


    Freundlich
    Albus

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Lieber Theophilus, es soll Leute geben, die einfach einen anderen Geschmack haben als Du und denen endliche Melodien lieber sind. :D


    Dir ist aber schon bekannt, dass die Unendliche Melodie ein Wunschziel bzw. großer Traum aller klassischen Komponisten war? Jeder hat sich daran versucht und die geglückten Beispiele sind gar nicht so zahlreich...

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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  • Zitat

    Original von Theophilus


    Dir ist aber schon bekannt, dass die Unendliche Melodie ein Wunschziel bzw. großer Traum aller klassischen Komponisten war? Jeder hat sich daran versucht und die geglückten Versuche sind gar nicht so zahlreich...


    Hey, dafür ist MIR das nicht bekannt!
    Echt? In welcher spiritistischen Sitzung hat Dir den Carl Philipp Emanuel Bach gestanden, dass er auch gerne eine unendliche Melodie geschrieben hätte?
    [hier gehört dann noch ein Smiley hin]

  • Zitat

    Original von Theophilus
    Dir ist aber schon bekannt, dass die Unendliche Melodie ein Wunschziel bzw. großer Traum aller klassischen Komponisten war?


    Lieber Gottlieb,


    da kannst Du mal Deinen sonstwas drauf verwetten, dass dem nicht so ist :D . Oder zeig mir mal den Minimalisten oder den Serialisten oder ... oder ... oder ... oder Carl Philipp Emanuel Bach, dem es auf eine unendliche Melodie ankommen würde :hahahaha:


    Mal davon abgesehen ignorierst Du hier mal schlicht, mit welchem heißen Bemühen Fairy Queen ihre Annäherung an Beethoven versucht. Das ist kein kleines Ding und fliegt nicht jedem zu! Und wenn sie gerade Furtwänglers Auffassung als langweilig empfindet ... ich kann's wirklich gut nachvollziehen! Dass es günstiger gewesen wäre, die Neunte erst mal unter jemandem zu hören, der auch wenigstens ein bisschen das Tempo und halten kann und ein wenigstens in etwa natürliches Tempogefühl hat :angel: ... sei's drum. Das kann sie ja alles noch nachholen. Aber jetzt ironisch über ihre Wahrnehmungen hinwegzugehen, hilft ihr auch nicht.


    Liebe Grüße, Ulrich

  • Hallo zusammen,


    vorab und nebenbei: "Melodie als solche" bedeutete Beethoven nicht sehr viel, in vielen seine Werke findet man nur Melodiefetzen. Viel bedeutender war ihm sicher eine Architektur, zusammengesetzt aus Themen und Motiven sowie deren Abwandlungen, wobei diese Architektur zu Ausdruck führen sollte.
    Er war aber sehr wohl Melodiker in dem Sinne, dass ihm immer Melodien zur Verfügung standen, wenn er sie brauchte. Die konnten dann winzig sein, wie z.B. die Themen der langsamen Sätze der Klaviersonaten op. 109 oder op. 111, oder eben ausladend wie das "Freudenthema" im Schlusssatz der Neunten.


    Aber zum eigentlichen Thema "Was hat uns Beethoven heute zu sagen?" finde ich persönlich, dass "ihn verstehen" fast schon impliziert, ihn nicht verstanden zu haben. Die Anziehungskraft seiner Musik liegt für mich ganz wesentlich darin, dass ich das Gefühl habe, vieles zu verstehen, diesem Werk nahe zu kommen, dass diese Musik "menschengemacht" ist, ich aber immer auch weiß, dass ich sie nicht ganz verstanden habe und wohl auch nie ganz verstehen werde - auch dies ist ein Ausdruck des "Utopischen" in dieser Kunst. Die minutiöse Analyse eines Beethoven-Satzes a la Donald Tovey oder Walter Riezler mag ja technisch sehr erhellend sein, erklärt aber gerade bei Beethovens Werk fast gar nichts: wenn Beherrschung der großen Formen und des Materials hier etwas über die Qualität der Musik aussagen würde: wieso werden dann Zeitgenossen, die das auch so gut konnten, heute weniger geschätzt? Vielleicht sogar, weil wir da die Funktionszusammenhänge, die Machart, besser verstehen?


    Also, liebe Fairy Queen: verstehen ist bei Beethoven gar nicht angesagt: diese Musik braucht gerade den Hörer, der auf dem Wege ist!


    Gruß
    Pylades

  • Zitat

    Original von Ulrich Kudoweh
    ...
    Oder zeig mir mal den Minimalisten oder den Serialisten .. dem es auf eine unendliche Melodie ankommen würde :hahahaha:


    Nein, diese beiden Gruppen habe ich tatsächlich nicht gemeint! ;)


    (War das nicht erkenntlich? :D Und, nebenbei bemerkt, die Ironie kam von Queenie, nicht von mir!)

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Lieber Theo, das war KEINE Ironie-ich ziehe tatsächlich die endlichen Melodien vor.
    Aber ich gebe es ohnehin auf, mich Dir verständlich zu machen. Mars und Venus sind wohl wirklich Lichtjahre voneinander entfernt, wobei Du diese m.E. zu symbolischen Planeten gerne durch Andere, Dir passender scheinende ersetzen kannst. Pluto und Milchstrasse z.B. Und sag jetzt bitte nciht: die Milchstrasse ist kein Planet :faint: :faint: :faint:


    Lieber Ulrich und Pylades, merci!
    Ich bleibe dran und mache weiter. Ich finde es einfach mega-spannend, etwas erst jetzt durch Tamino und einige Taminos zu entdecken, das zahlreiche Andere schon ewig als Olymp der Musik erklommen haben und das zum allseits anerkannten Kanon gehört.
    Wenn es mir gelingt, hier einen tragfähigen Zugang zu finden, glaube ich mich auch fit fur anderes bis dato vermintes Gebiet machen zu können. Und das ist dann eine echte Bewusstseinerweiterung.
    Und ich bin froh, dass es Taminos gibt, die soetwas nachvollziehen können und ernstnehmen! :jubel:
    F.Q.

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Lieber Theo, das war KEINE Ironie...


    Oh, wie konnte ich den Smiley nur mißverstehen....

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Theophilus
    Dir ist aber schon bekannt, dass die Unendliche Melodie ein Wunschziel bzw. großer Traum aller klassischen Komponisten war? Jeder hat sich daran versucht und die geglückten Versuche sind gar nicht so zahlreich...



    Der Terminus "unendliche Melodie" ist ja nun alles andere als klar definiert. Im ursprünglichen Wagner'schen Sinn ist er eher musikphilosophisch zu verstehen - nicht als ein Begriff, der konkrete musikalische Sachverhalte beschreibt:


    In Wahrheit ist die Größe des Dichters am meisten danach zu ermessen, was er verschweigt, um das Unaussprechliche selbst schweigend uns sagen zu lassen; der Musiker ist es nun, der dieses Verschwiegene zum Ertönen bringt, und die Form seines laut erklingenden Schweigens ist die unendliche Melodie. (aus "Zukunftsmusik", 1860).


    Wenn man "unendliche Melodie" in einem weiteren Sinn versteht (was natürlich legitim ist), dann kann man auf viele Punkte abheben: opernspezifisch auf die Verwischung zwischen rezitativischen und ariosen Partien, ansonsten auf die "Kunst des Übergangs", bei der einzelne thematische/melodische Phrasen nicht mehr klar voneinander abgegrenzt werden, sondern ineinander übergehen. Wenn man sich versuchsweise auf letztere Definition einigt: Das kann ich nun im Adagio von Beethovens Neunter allenfalls ansatzweise erkennen - das "Wunschziel aller großer Komponisten" ist es aber bestimmt nicht gewesen (ganz im Gegenteil!).


    Es sei denn, man würde jede weitgespannte Melodie als "unendlich" verstehen, egal wie sehr sie periodisch gegliedert und symmetrisch aufgebaut ist: dann hätte natürlich auch Bellini "unendliche Melodien" komponiert... ;)



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht


    Wenn man "unendliche Melodie" in einem weiteren Sinn versteht (was natürlich legitim ist), dann kann man auf viele Punkte abheben: opernspezifisch auf die Verwischung zwischen rezitativischen und ariosen Partien, ansonsten auf die "Kunst des Übergangs", bei der einzelne thematische/melodische Phrasen nicht mehr klar voneinander abgegrenzt werden, sondern ineinander übergehen. Wenn man sich versuchsweise auf letztere Definition einigt: Das kann ich nun im Adagio von Beethovens Neunter allenfalls ansatzweise erkennen - das "Wunschziel aller großer Komponisten" ist es aber bestimmt nicht gewesen (ganz im Gegenteil!).


    Klar.
    Gerade die Wiener Klassik ist überwiegend viel zu stark in regelmäßige Phrasen gegliedert, um das zu erlauben, was man in Anlehnung an Wagner "unendliche Melodie" nennen mag. Es gibt natürlich Stellen, wo Phrasen und Themen-Übergänge so geschickt gehandhabt werden, dass so ein Eindruck enstehen mag (z.B. Mozarts Klarinettenkonzert, 1. Satz). Fast immer sollen Zäsuren usw. aber deutlich hörbar sein, was Wagner vorschweben mag, wird überhaupt nicht angestrebt.


    Wagner behauptete angeblich, auch im Kopfsatz der Eroica "unendliche Melodie" zu finden und soll den Satz Freunden vorgesungen haben, um das zu beweisen. In diesem Fall dürfte aber eher die beständige Umgestaltung und Fortentwicklung des Materials gemeint gewesen sein. Es zeigt jedenfalls (wie auch etwas das Tristan Vorspiel), dass Wagner mit unendliche Melodie nicht unbedingt das im Auge hat, was man gemeinhin als melodisch besonders eindrücklich versteht.


    Das Adagio aus der 9. ist ein Variationensatz mit einigen Freiheiten und einer sehr langen Coda, daher vielleicht nicht sofort als solcher zu erkennen. Das zweimal (beim zweitenmal leicht variiert) auftretende 2. Thema steht in einem anderen Tempo (andante), einer anderen Tonart (einmal D, einmal G, Grundtonart ist B-Dur) und einem anderen Takt (3/4) und ist eigentlich beim ersten Hören als kontrastierende (auch wenn es stimmungsmäßig kein allzu starker Kontrast ist) Episode auszumachen.


    Zitat


    Es sei denn, man würde jede weitgespannte Melodie als "unendlich" verstehen, egal wie sehr sie periodisch gegliedert und symmetrisch aufgebaut ist: dann hätte natürlich auch Bellini "unendliche Melodien" komponiert... ;)


    Bellini soll ja ein von Wagner sehr geschätzter Komponist gewesen sein, was gewiß nicht auf alle italienischen Zeitgenossen zutreffen wird (da ich wirklich gar nichts von ihm kenne, kann ich mehr nicht sagen)


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Das Adagio aus der 9. ist ein Variationensatz mit einigen Freiheiten und einer sehr langen Coda, daher vielleicht nicht sofort als solcher zu erkennen. Das zweimal (beim zweitenmal leicht variiert) auftretende 2. Thema steht in einem anderen Tempo (andante), einer anderen Tonart (einmal D, einmal G, Grundtonart ist B-Dur) und einem anderen Takt (3/4) und ist eigentlich beim ersten Hören als kontrastierende (auch wenn es stimmungsmäßig kein allzu starker Kontrast ist) Episode auszumachen.



    Bei der ansatzweise "unendlichen Melodie" im Adagio dachte ich jetzt nicht an die Großform, sondern an das erste Thema: schon beim ersten Erscheinen werden die Anfänge und Enden der Phrasen durch die Holzbläserechos verschliffen, die Melodie selbst wird ständig weiterentwickelt und ist nicht klar symmetrisch gegliedert. Noch stärker dann in den folgenden Variationen über dieses Thema, wenn es immer stärker melismatisch aufgelöst wird - da kann schon (ein bisschen) der Eindruck eines "unendlichen" Fließens aufkommen. Überragend schöne Musik übrigens, das darf hier auch nochmal gesagt werden ;).




    Zitat


    Bellini soll ja ein von Wagner sehr geschätzter Komponist gewesen sein, was gewiß nicht auf alle italienischen Zeitgenossen zutreffen wird (da ich wirklich gar nichts von ihm kenne, kann ich mehr nicht sagen)


    Wagner stand der italienischen Tradition ja anfangs gar nicht so fern, wie etwa das "Liebesverbot" zeigt. Später gibt es so manche verächtliche Äußerung über die ganze Belcanto-Tradition, insbesondere dann, wenn Wagner mal wieder Musikpolitik betrieb (und das tat er leider ziemlich oft). Es gibt aber u.a. eine in Cosimas Tagebüchern geschilderte Szene aus Wagners letzten Lebensjahren, bei der sich in Neapel irgendein alter Bellini-Genosse (oder -Schüler) und Wagner tränenüberströmt unter begeisterten "Bellini, Bellini"-Rufen in die Arme fallen.


    Wagner hat in Bellinis weitgespannten Melodien anscheinend ein entferntes Vorbild für seine melodischen Zielsetzungen gesehen, auch wenn man das hörend nur schwer nachvollziehen kann.


    Um mal einige liebgewordenen Nationalklischees durcheinander zu bringen ;): Es war nicht der Deutsche Wagner, sondern der Franzose Berlioz, der Bellini (und die ganze Belcanto-Schule) am härtesten und gnadenlosesten verurteilt hat - und zwar gerade wegen der regelmäßigen Phrasen und der unbeirrbar durchgehaltenen Geradtaktigkeit der Melodien.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Nun, ich denke, das einzige was am Adagio der 9. unendlich ist, ist die unendliche Schönheit ;)
    Klar, der Satz ist kein flottes witziges Uhrwerk wie der 2. aus der Achten, aber langweilig? Was sind denn dann Bruckner Adagios erst?
    Hör dir den Satz einfach mal abends vorm Schlafen an, wenn du im Stress bist und ein bisschen seelische Ruhe brauchst :yes:


    Und zum ersten... vielleicht hilft einfach mal laut aufdrehen! Wenn dann beim ersten Forte das Thema reinknallt, wird man eigentlich spätestens von da ab völlig in den Bann gezogen.
    Aber ich kann nachvollziehen, dass einem die Musik nach dem ersten mal Hören nichts sagt. Es würde mich sehr überraschen, wenn jemand den späten Beethoven nach dem ersten Hören vollständig erfasst und bewundert.

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

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  • Zitat

    Original von Ulrich Kudoweh


    Und wenn sie gerade Furtwänglers Auffassung als langweilig empfindet ... ich kann's wirklich gut nachvollziehen! Dass es günstiger gewesen wäre, die Neunte erst mal unter jemandem zu hören, der auch wenigstens ein bisschen das Tempo und halten kann und ein wenigstens in etwa natürliches Tempogefühl hat :angel: ...


    Lieber Ulrich,


    die Feenkönigin hat es ja auch schon angemerkt: es wird wohl nicht nur an Furtwängler liegen. Nicht, daß ich jetzt eine pro und contra Furtwängler Debatte aufmachen möchte, aber speziell das Adagio des Bayreuther Mitschnitts habe ich mir heute, als ich aus dem Büro heimkam, aus dem Plattenschrank geholt und aufgelegt. Nun kenne ich tatsächlich von diesem Werk einige Einspielungen, von bei Fried 1928 bis Herreweghe, den ich jüngst hörte (eine Aufnahme, die mir übrigens fabelhaft gefiel) - und siedle diese Furtwängler-Aufnahme sehr weit oben an. Es mag für heutige Ohren ungewöhnlich sein, wie ausgesprochen ruhig - um nicht zu sagen langsam - er das Adagio beginnt. Und gewiss sollte man tatsächlich eine Zeit der Ruhe und der Stillle für sich finden, um dieses Deutung zu hören. Aber dann entfaltet sie einen wahren Reichtum an Seelenumarmung (mir fällt nichts besseres zur Umschreibung ein).


    Es ist ein ganz merkwürdiges Phänomen, daß gerade Beethovens Musik es verträgt, sie so zu spielen, als würde die Zeit angehalten. Knappertsbusch ist ähnliches bei seiner Fidelio-Einspielung gelungen. Um die Einspielung zu hören, muß man auch erst einmal alle Hörerwartungen beiseite legen.


    Eine gute Gebrauchsanweisung zum Hören des Adagios der 9. hat Rappy gerade gegeben. Licht aus, tief und ruhig atmen und sich einfach in das ruhige Dirigat Furtwänglers fallen lassen.


    Pace also für den hageren Mann mit dem Taktstock.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Lieber Thomas,


    nachdem ich heute nachmittag zwischen zwei Besprechungen angespannt meine Spitze von wegen des Tempohaltens und -gefühls losgelassen hatte, habe ich - Duplizität der Verhaltensweisen -, zu Hause angekommen, unwissend es Dir gleich getan - sei es als Buße für meine Frechheit, sei es aus mir nicht zuzugestehender Sehnsucht. Und genau diesen dritten Satz in der Bayreuther Aufnahme gleich noch ein zweites Mal gehört. Es wird wohl keinen schöneren und treffenderen Begriff als den von Dir mitgebrachten geben, für das was dann geschieht: Seelenumarmung.


    Und das ist ganz bestimmt Teil dessen, was Beethoven uns heute zu sagen hat!


    Allerdings heißt es einiges für mich, dieses Loslassen zuzulassen.


    Ich musste dazu erstmal alle meine Urteile und Vorurteile, mein Kritikastertum, meine Besserwisserei über Bord werfen, die sich melden, wenn ich höre, wie er an anderer Stelle unmotiviert über viele Takte massiv beschleunigt, ein unfassbares accelerando stringendo, um auf das nächste von ihm gewünschte Tempo zu kommen. Überhaupt ist permanente Tempoanpassung ein so großes Thema bei ihm - aber stopp, Du hast völlig Recht, keine Furtwängler-Debatte an dieser Stelle, worauf ich nur hinauswollte: Es war für mich ein Berg, den ich zu überwinden hatte, um überhaupt Furtwängler anhören und dabei hinhören und erleben zu können. Ich bin diesen Weg gegangen, alle diese selbst gebauten Hemmnisse abschüttelnd, und um so größer ist für mich der Seelenfrieden, den dieser dritte Satz in seiner Interpretation über mir ausbreitet, wenn ich es zulasse.


    Ach, letztlich kann ich mich nur Blamieren bei einem Versuch, für dieses im Unendlichen stattfindende wellenartige An- und Wegfluten im dritten Satz bei Furtwängler eine Beschreibung finden zu wollen, deswegen lasse ich es lieber bei den schönen Bildern, die Du dafür formuliert hast. Diesen Satz so zu erleben, wie ich es tue, ist aber für mich ein persönlicher Meilenstein in meiner Beethoven-Entdeckung. Der Meister ist für mich so etwa 47, 48 Jahre eben so nebenhergelaufen ohne mich - speziell seine Sinfonien - zu stören oder großartig zu begeistern, und urplötzlich, unvorhergesehen war alles anders für mich (deshalb auch habe ich so viel Sympathie für die vorsichtige Entdeckungstour, auf der Fairy sich gerade befindet).


    Meine persönliche Betroffenheit, meine Begeisterung, wenn ich diese Sinfonien höre, auch die Seelenumarmung während des dritten Satzes der Neunten mit Furtwängler in Bayreuth - das ist vielleicht das Profanste überhaupt, aber für mich persönlich das Wertvollste, was Beethoven mir heute zu sagen hat.


    Pace also ...


    Liebe Grüße, Ulrich

  • Auch ich bin Rappy eben gefolgt und habe noch einmal den dritten Satz der Neunten in aller Ruhe und ohne "Nebentätgikeit"(wie ja sonst leider fast immer) und in der Horizontalen angehört. Diesmal jedoch unter Harnoncourt statt unter Furtwängler.
    Ich leiste Abbitte: das ist einfach schön! Wenn gegen Ende die Bläser einsetzen und dann dieser Streicherkaskaden danach kommen- seufz! :angel:
    Leider reichte es nciht ganz bis zur Seelenumarmung,(welch schönes Wort!) denn mir kamen diese plötzlichen eruptiven Ausbrüche wieder in die Quere. Eben gewöhnte ich mich an den ruhigen Fluss des Themas und seiner Entfaltung und dann kommt schon wieder der Morgen, die Sonne geht auf ein paar laute tatatatas und Ende ist. :(


    Das ist es, was mich an Beethoven bislang stört-er ist ein so unruhiger Geist und ich werde gezwungen , in seinem Rhytmus mitzugehen und dieser Rhytmus ist mir oft zu heftig und wechselt zu rasch.


    Aber ich merke schon an dieser doppelt erfahrenen Neunten, dass die Interpretation und die Verfassung, in der man das Werk hört, eine sehr grosse Rolle spielen!
    Danke Rappy! :jubel:



    .



    F.Q.


  • ABER wir sind natürlich schon wieder vom Thema abgerutscht - Solche durchaus verständlichen - aber allzu persönlichen Fragen sollten doch lieber im Tritsch tratsch besprochen werden - oder gab s zu FQs Frage nicht ohnedies einen eigenen Thread ???
    Wir können doch nicht jetz ALLE Threads verwässern - mit Seitenthemen die den jeweiligen Thread abwürgen - bis wir in Belanglosigkeit ersticken


    Die Moderation wir in wenigen Stunden diesen thread an geegneter Stelle kappen -aber es ist immer schwierig diese Stelle genau zu erwischen - eoin "geflickter Thread" ist nun mal ein geflickter Thread - und ich trage nun mal keine gestopften Socken...!!!


    MOD 001 Alfred


    ]

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Liebe Forianer,


    ich habe vor zweieinhalb Jahren bei einer Firmenfeier ein Privatkonzert gegeben (amateurhaft aber ambitioniert:) und dabei die einzelnen Stücke mit Texten einbegleitet. Der Abend stand vor allem im Zeichen Beethovens und in meinem Text glaube ich, die vorliegende Frage mit einer Beantwortung streifen zu können. (Hoffentlich erscheint der Text nicht zu lang.)


    Zitatanfang
    ---
    Heuer führt uns die Musik etwas weiter zurück, nämlich in die Klassik, speziell in die Zeit Ludvig van Beethovens, der im heurigen Programm die Hauptrolle spielt.
    Warum Beethoven, warum die Sonaten?
    In früheren Jahren habe ich häufig die Nase gerümpft, wenn Leute sich zu klassischer Musik bekannt haben und der obligate Nachsatz auftauchte: aber bei Beethoven hört es bei mir auf. Oder in einer anderen Variante: mein Lieblingskomponist ist Beethoven. Ich selbst tue mir schwer, einen Lieblingskomponisten zu nennen. Es wäre vermutlich Franz Schubert. Doch als aktiver Musiker finde ich immer wieder zu Beethoven zurück und dann speziell zu den Klaviersonaten und zu den Bagatellen. Für mich ist das Musik pur und ich freue mich heute darüber, wenn Leute gerade über Beethoven den Einstieg in einen Bereich finden, der einem heute nicht so bereitwillig angeboten wird wie vor 100 Jahren.
    Ich zitiere Joachim Kaiser:
    ... Aber was ist das eigentlich. Eine Beethoven-Sonate? Warum werden Beethoven-Sonaten geliebt und gespielt, obwohl sie doch, laut Gulda (der sie bewunderungswürdig beherrscht), „nicht die Probleme des heutigen Menschen haben>? ...
    ... Für jeden halbwegs musikalischen Mitteleuropäer sind die Beethoven-Sonaten Mischung aus Jugendeindruck und unverwandter, sich ständig wandelnder Bewunderung, aus Reiz und Überdruß, aus musikalischem Indianerspiel mit Pathétique oder Sturm-Sonate und mystischer Sehnsucht: einmal möchte man den letzten Satz der Opus 111, die Fuge der Hammerklaviersonate, die Spiritualität der Les Adieux-Sonate ohne Rest begriffen haben, vom „Spielen-Können“ ganz zu schweigen...
    ... Die Sonaten sind ein Werkkosmos im Beethovenschen Gesamtkosmos, ein intimes Laboratorium reiner Produktivität.
    ... Beethovens geniale Unfähigkeit, sich zu wiederholen, seine nur mit Bewunderung zu konstatierende Fähigkeit, Zartes, Zärtliches, Einsilbiges, Wildes immer ganz neu zu sagen: das alles muß für ihn ein elementares Nicht-anders-Können gewesen sein.
    Nur die besten Pianisten ihrer Zeit haben Gesamteinspielungen aller Sonaten hinterlassen oder haben überhaupt ihr Programm darauf ausgelegt, alle zu spielen. Und jeder oder jede von ihnen hat bestimmte Sonaten besser als jeder andere und andere wieder nicht so exzellent gespielt. Vielleicht kann man behaupten, dass der aufgespannte Kosmos so weit ist, dass er von einem Menschen nicht in alle Weiten ausgelotet werden kann, dass er aber so viel Platz gibt, dass sich jeder darinnen finden und ausleben kann.
    Der Kern des heutigen Programms beschäftigt sich also mit Beethoven. Wie passt da nun der Rest dazu. Warum gibt es keinen Mozart? Keinen Chopin? Wenn das volle Menü bereits vier Stunden dauert, ist es leicht einzusehen, dass auch bei einem Querschnitt, wie es der heutige Abend bereitstellen soll, Beschränkungen angebracht sind. Mozart, Chopin, Schumann, Debussy ... das könnte eine andere Zusammenstellung sein. Musik zur reinen Freude ohne ethischen Anspruch, der bei Beethoven gegeben ist. Diese Variationen müssen einem späteren Termin vorbehalten bleiben.
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    Zitatende


    Das Sprengen der Grenzen und der ethische Anspruch sind für mich die Begründer der Dauerhaftigkeit von Beethoven. Ich würde mich freuen, falls es dazu Meinungen, auch Gegenmeinungen gibt.

    Eine Signatur, die ich 1990 verwendet habe:
    "Better to create than to consume"

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  • Womit wir mit Steppenhunds Beitrag wieder beim Thema sind!


    Die letzten Zeilen sind in den Beiträgen, die bisher kamen, denke ich, von allen auch so gesehen worde.


    Noch ein kleiner Nachklang zu Fairy Queen und dem Adagio der 9.


    Die schlaflose Nacht habe ich mit dem Anhören dieses Adagios von langsamen und flinken Dirigenten gehört, vielleicht7-8 mal. In jeder Version ein Geschenk, alle 9 Varianten, wenn man die Coda noch dazu zähllt, sind, wie es sonst bei Variationen bei Beethoven so nicht vorkommt, eigentlich verschiedene Formen der Instrumentierung, Themaveränderungen, Rhythmusveränderung, Verkleinerungen - eigentlich wenig bis kaum, aber diese herrlichen Harmonien, diese verschiedenen Stimmungen, eigentlich keine traurigen, die da erzeugt werden, vor allem um die 5.und 6. Variation, mit den tollen Bläsern. Ich war wieder hin und weg, wie ein Mensch so etwas nur aus der Klangvorstellung heraus erfinden kann.


    Bei Beethoven ist eben neben der glaubhaft eingebrachten menschlichen Seite alles andere auch da: Melodie, Rhythmus, Harmonik, immer neu, immer durchdacht, nicht dem Geschmack sondern der eigenen Vorstellung verpflichtet. Gut, auch cholerisch, man muß sich darauf einstellen. Vermutlich war der Typ im Leben auch so. Nobody is perfect. Mir ist das aber lieber als Mainstreem, als der Galante Stil, wo man sich an nichts zu reiben braucht. Das Leben ist wahrhaftig nicht so. Und weil Beethoven vielleicht mehr das wirkliche Leben präsentiert, wird er überall verstanden.



    Lieben Gruß aus Bonn :hello:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

  • Mich fasziniert auch immer wieder, daß Interpreten, egal, wo sie geboren wurden, das darstellen können, zuletzt bei Artur Pizarro habe ich das so empfunden.


    Nach langer Zeit mal wieder Beethoven nun mit dieser relativ neuen Aufnahme. Ich bin überrascht von Pizarro, den ich bisher noch nicht kannte (obwohl er mit Soloklavier im forum gut vertreten ist) und von Mackerras straffen Tempi. Das Scottsih Chamber wie immer auf hohem Niveau und das Label Linn (SACD) klanglich traumhaft. Die komplette Einspielung unter Mackerras (also die fehlenden 1 + 2 ) wir es vielleicht noch mit Pizarro geben, leider nicht mehr mit Sir Mackerras.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)