Wie "rückwärtsgewandt" ist das Tamino- Klassikforum?

  • Zitat

    Original von zatopek
    Folgendes Beispiel: Glenn Gould hat mit seiner Einspielung der Goldbergvariationen auf dem Klavier Massstäbe gesetzt. Das ist sicherlich richtig. Das darf meines Erachtens jetzt aber nicht dazu führen, dass sich jede neue Aufnahme daran messen lassen muss, nach dem Motto "Klingt wie Gould - ist gut" oder "Klingt nicht wie Gould - böse". Die Entwicklung ist musikgeschichtlich, wie auch interpretatorisch - von der Aufnahmetechnik mal ganz abgesehen - weitergeschritten. Wer Gould in diesem Sinne immer noch Referenzstatus einräumt, ist meines Erachtens nicht bereit, neuen Entwicklungen vorurteilsfrei zu begegnen.


    Glenn Gould habe ich nur im Zusammenhang mit David Fray erwähnt, nicht weil ich ihm Referenzstatus einräume (das mache ich noch nicht einmal bei den Goldberg-Variationen, die m.E. Wilhelm Kempff und Tatjana Nikolajewa gültiger eingespielt haben). Junge Pianistinnen und Pianisten sollen keineswegs wie Gould klingen, im Gegenteil. Nur Gould konnte, so dermaßen eigenwillig wie er war, überzeugend wie Gould spielen. Ahmt das heute jemand nach (und diesen Eindruck habe ich gelegentlich bei David Frays Aufnahmen der Bach-Klavierkonzerte BWV 1052, 1055, 1056 und 1058 ), sage ich mir: "Warum soll ich das jetzt hören? Dann höre ich doch lieber das Original". Genau das meinte auch mein von mir etwas weiter oben zitierter Kollege, der mir sagte, er müsse nicht irgendwelche Coltrane-Klone hören, sondern er höre lieber Coltrane selbst.


    Ist man wirklich - im negativen Sinne - "rückwärtsgewandt", wenn man drei Tage hintereinander mittags vom mehrmals aufgewärmten Braten und dazu die mehrmals wieder aufgewärmten Kartoffeln isst und sich dann sagt: "Also, am ersten Tag, frisch gekocht, hat mir das Essen am besten geschmeckt"? Nein: ein solcher Mensch vergleicht das Heute mit dem Gestern und dem Vorgestern. Und er bildet sich ein Urteil. Welches durchaus lauten darf: das Vorgestern war weit besser als das Heute. Ohne Denkverbote sollte man sich dieses Urteil auch in der Musik bilden dürfen. Es gibt keinen Zwang, das Heute gut zu finden. Genauso wie es natürlich auch falsch wäre, schon aus Prinzip immer nur das Vorgestern zu verherrlichen und das Gegenwärtige mies zu machen. Sondern man sollte ehrlich vergleichen, was wir aufgrund von Tonträgern heutzutage glücklicherweise können. Und wenn Kurzstueckmeister nach diesem Vergleich zu dem Ergebnis kommt, er könne Kempff und Gould nicht ausstehen: kein Problem. Genausowenig sollte man aber als - im negativen Sinne - "rückwärtsgewandt" belächelt werden, wenn man z.B. behauptet, dass es keine im aktuellen Jahrhundert entstandene Aufnahme der Sinfonie Nr. 6 von Bruckner gibt, die auch nur annähernd an diejenige von Klemperer heranreicht. Oder wenn man z.B. behauptet, dass Harnoncourts 1970 entstandene Aufnahme der Matthäus-Passion von Bach weit besser ist als seine im Jahr 2000 entstandene neuere Aufnahme desselben Werks.

  • Wir haben jetzt viele Beispiele aus dem Bereich der Pianisten gehört, Mit den Pianistinnen verhält es sich nicht anders. Ich kenne keine Pianistin unter 50, die den Größen der Vergangenheit wie Elly Ney, Annie Fisher, Clara Haskli, Lili Kraus oder Myra Hess oder noch lebenden Größen wie Martha Argerich, Maria Joao Pires, Mitsuko Uchida oder Elisabeth Leonskaja das Wasser reichen kann.
    Ähnlich verhält es sich doch auf dem Gebiet des Gesanges.
    Die Zeiten von Janet Baker, Christa Ludwig, Kathleen Ferrier, Maureen Forrester, Maria Callas, Elisabeth Schwarzkopf, Hilde Güden, Sena Jurinac, Elisabeth Grümmer, Erna Berger u. a. sind vorbei.
    Sicher sind Sängerinnen wie Angela Gheorghiu, Anna Netrebko, Edita Gruberova, Anne Schwanewilms,
    Christiane Oelzle und Juliane Banse gut, aber haben sie (schon) den künstlerischen Rang von oben genannten?
    Ich gebe Swiatoslaw völlig Recht. Erst die jahrzehntelange Erfahrung des versierter Hörers und Konzertbesuchers, das immerwährende Vergleichen führen dazu festzustellen, dass die Weltklassesängerinnen , -sänger und -instrumentalisten, auch -dirigenten, mehr aus der Vergangenheit stammen.


    Liebe Grüße


    Willi

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber William B. A.,


    Deine Ausführungen sind richtig. Ich wies in meinem Beitrag ebenfalls darauf hin, dass eine Karriere eine gewisse Dauer und Konstanz haben muss, sonst wird das hochgepuschte "Sternchen" rasch wieder verglühen.
    Dies hat aber nichts mit rückwärtsgewandt oder altbacken zu tun. Wir erleben doch gerade, dass die drei Tenöre in diesen bleibenden Olymp der Gesangsgrößen einziehen. Es werden danach wieder weitere etablierte Künstler in diese Rangstufe hineinwachsen. Also ist das eine ganz natürliche Entwicklung, die sich auch in unseren Beiträgen im Forum widerspiegelt.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Zitat

    [i]Original von William B.A.
    Sicher sind Sängerinnen wie Angela Gheorghiu, Anna Netrebko, Edita Gruberova, Anne Schwanewilms,
    Christiane Oelzle und Juliane Banse gut, aber haben sie (schon) den künstlerischen Rang von oben genannten?
    Ich gebe Swiatoslaw völlig Recht. Erst die jahrzehntelange Erfahrung des versierter Hörers und Konzertbesuchers, das immerwährende Vergleichen führen dazu festzustellen, dass die Weltklassesängerinnen , -sänger und -instrumentalisten, auch -dirigenten, mehr aus der Vergangenheit stammen.


    Wenn das stimmt, woran liegt es?


    Sind die Künstler von heute technisch schwächer?


    Übrigens hat die Gruberova z.B. jahrzehntelange Erfahrung, Gheorghiu ist auch kein Küken mehr. Der Punkt kann es nicht unbedingt sein.


    Also, wenn es stimmt, WARUM?


    :hello: Gustav

  • Zitat

    [i]Original von William B.A.
    Sicher sind Sängerinnen wie Angela Gheorghiu, Anna Netrebko, Edita Gruberova, Anne Schwanewilms,
    Christiane Oelzle und Juliane Banse gut, aber haben sie (schon) den künstlerischen Rang von oben genannten?
    Ich gebe Swiatoslaw völlig Recht. Erst die jahrzehntelange Erfahrung des versierter Hörers und Konzertbesuchers, das immerwährende Vergleichen führen dazu festzustellen, dass die Weltklassesängerinnen , -sänger und -instrumentalisten, auch -dirigenten, mehr aus der Vergangenheit stammen.


    Das heißt also, dass individuelle künstlerische Leistung völlig irrelevant ist und es nur auf das Hör- und Erinnerungsvermögen und die Hörgewohnheiten des "Hörers und Konzertbesuchers" ankommt, der selbstherrlich entscheidet, wen er in seinen persönlichen Olymp einlässt und wen nicht?


    Na wenn das nicht rückwärtsgewandt ist, dann weiß ich nicht ...

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Original von William B.A.
    Erst die jahrzehntelange Erfahrung des versierter Hörers und Konzertbesuchers, das immerwährende Vergleichen führen dazu festzustellen, dass die Weltklassesängerinnen , -sänger und -instrumentalisten, auch -dirigenten, mehr aus der Vergangenheit stammen.


    Ich habe mich ja immer schon gegen die vielen Interpretationsvergleiche ausgesprochen.
    :D

  • Lieber Willi :



    es gibt " heute " , ja seit vielen Jahren aussergewöhnlich beeindruckende Piansitinnen .


    Da wäre ich sehr zurückhaltend mit solchen Urteilen .


    Man lese sich nur duch oder höre sich an , was etwa die Argerich über einige ihrer Kolleginnen ehrlich meinend gesagt hat .


    Was Maurizio Pollini über eine italienische Kollegin bezüglich deren Können im Vergleich zu ihm ( gemessen immerhin an seiner wohl besten Aufnahme , den Études von Chopin ) öffentlich geäussert hat .


    Der wirklich hörinteressierte Musikfreund m u s s natürlich bereits sein, das Geld auch für Aufnahmen von Pianistinnen unter der von Dir bei 50 Jahren festgemachten Altersgrenze zu kaufen und vergleichend anzuhören .


    Und man muss wohl auch dazu geboren sein, das sehr oft entbehrungsreiche Leben einer Solistin / eines Solisten erst einmal zu wagen (!) und ggf. dann ein Leben lang beizubehalten , um " gross " werden zu können , wenn die ( Rezensenten- )Götter dies so wollen .


    Es gibt ganz Grosse , die ihre Karriere ganz bewusst auf eine bestimmte Region von Anfang an beschränkt haben . ( Dies gilt auch für Sänger/innen ) .


    Und wie ist das denn mit :


    (1) den wirklich von Künstlern freigegebenen Aufnahmen bzw. deren vermarktung erst post mortem u d ihrer ( über-)grossen bedeutung ?


    (2) wie steht es dabei um die eigene e r l e b t e Wahrnehmung in Oper oder Konzertsaal , im Kammermusikabend oder dem Vortrag von Liedgut versus LP , MC / CD ?


    Selbst bei der omnipräsenten von mir so höchstgeschätzten divina assoluta , Maria Callas , gibt es neben Fiorenza Cossotto ( zu der die Callas ein immer angespannteres menschliches wie künstlerisches Verhälrtnis hatte ) oder Ivo Vinco kaum noch jemanden, der mit Maria Callas zusammengearbeitet hat und keine eigenen - vor allem ökonomischen - Interessen hat .


    Julia Myra hess hat ihren Ruf als bedeutende Piansitin ihrem Engagement im Zweiten Weltkrieg in Grossbritannien zu verdanken und einer bis heute guten Vermarktung .


    Die Grundfarge, die GUSTAV hier angesprochen hat , w a r u m
    dies bei Sängern / Sängerinnen heute so anders ist , bewegt nicht nur einige Opernfreunde hier im tamino - Forum . es gibt in Italien , in dem es nun wirklich einige s ehr gute Sängerinnen derzeit gibt , eigene breite und kenntnisreiche Interessengruppen über die Entwicklung im Operngesang . Diese Probleme werden öffentlich zum Teil und auch ergebnisoffen diskutiert . Aus k e i n e m einzige beitrag dazu war bisher herauszulesen oder zu hören , dass es ggf. auch um die Plattenkonzerne , Produzenten geht ! Im Vordergrund steht der Gesang als solcher . Das ist schon einmal sehr viel wert .


    Viele Grüsse



    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin


  • Es stimmt m.E. nicht so ohne weiteres. Nur bei Opernsängern für ein gewisses Repertoire. Was den Liedgesang betrifft, wurden meinem Eindruck nach die 1950er -1970er Jahre von ca. drei Sängern dominiert, danach kam erstmal lange nichts bzw. wurde nicht auf Platte dokumentiert. Dagegen hat man heute eine ganze Reihe hervorragender Liederinterpreten zwischen 30 und Mitte 50. Noch deutlicher bei alter Musik, Barock, teils bis hin zu Mozart und Belcanto. Gewiß gab es einzelne herausragende Interpreten, aber auch sehr viel technisch problematisches, stilistisch fragwürdiges usw.
    Beim Wagner-Gesang stimmt es, aber nicht seit 1975, sondern seit ca. 1950. Warum, keine Ahnung.
    Es sind heute eben weitgehend "kleinere", dafür wesentlich beweglichere Stimmen, was bei Musik nach Rossini gewisse Defizite lässt, der davor aber guttut.


    Bei Instrumentalisten halte ich es für völlig falsch, jedenfalls was Virtuosität betrifft. Praktisch jede/r Geiger/in, der heute überhaupt als Solist auftritt ist technisch so gut wie seinerzeit ein als Übervirtuose geltender Heifetz. Intonationsprobleme wie Menuhin kann sich niemand mehr erlauben. Von Cello, Flöte usw. gar nicht anzufangen. Orchester sind technisch besser, Chöre viel besser. Streichquartett- und andere Kammerensembles ebenfalls. Vor allem in der Breite. Wo es vor 50 Jahren ein Juilliard-Q. gab, das schwierige neuere Werke angemessen wiedergeben konnte, gibt es heute ein dutzend auf diesem Level (spiel- und ensembletechnisch).


    Es mag freilich sein, dass durch diese extreme Professionalisierung und die technische Brillanz anderes auf der Strecke bleibt.


    Aber "objektiv" gesehen, ist allenfalls beim Operngesang von Wagner bis Strauss ein "Niedergang" zu beklagen und da waren weitgehend die 1950er-70er schon ein silbernes Zeitalter gegenüber dem goldenen vorher.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Ulrich Kudoweh
    Das heißt also, dass individuelle künstlerische Leistung völlig irrelevant ist und es nur auf das Hör- und Erinnerungsvermögen und die Hörgewohnheiten des "Hörers und Konzertbesuchers" ankommt, der selbstherrlich entscheidet, wen er in seinen persönlichen Olymp einlässt und wen nicht?


    Wen eine Musikhörerin oder ein Musikhörer in seinen "persönlichen Olymp", wie Du es nennst, aufnimmt, entscheidet diese Musikhörerin oder dieser Musikhörer notwendigerweise ganz allein. Das ist nicht "selbstherrlich", sondern das geht gar nicht anders. Nur ich kann entscheiden, ob mir Räucheraal schmeckt - diese Entscheidung kann mir niemand abnehmen. Sage ich, er schmeckt mir, ist das ebensowenig "selbstherrlich" wie die gegenteilige Aussage. Und wenn ich mir die Meinung gebildet habe, Herr A ist mein Lieblingsdirigent, Herr B mein Lieblingskomponist, Frau C meine Lieblingspianistin und Frau D meine Lieblingssängerin, dann ist das ebenfalls nicht "selbstherrlich". Deswegen kann ich nicht nachvollziehen, weshalb Willi dafür angegriffen wird, dass er Angela Gheorghiu, Anna Netrebko, Edita Gruberova, Anne Schwanewilms, Christiane Oelzle und Juliane Banse zwar gut, jedoch Janet Baker, Christa Ludwig, Kathleen Ferrier, Maureen Forrester, Maria Callas, Elisabeth Schwarzkopf, Hilde Güden, Sena Jurinac, Elisabeth Grümmer und Erna Berger besser findet. Und sein Kriterium, dass sich diese Sängerinnen bei jahrzehntelangen Hörvergleichen mit anderen Sängerinnen als seine Lieblingssängerinnen herauskristallisiert haben, kann ich absolut nachvollziehen. Ich persönlich fände es eher verwunderlich, wenn er ein anderes Kriterium für die Auswahl seiner Lieblingssängerinnen hätte.


    Ich erinnere mich übrigens an ein Interview mit Boris Becker, als er noch aktiver Tennisprofi war. Er wurde gefragt, welche Musik er höre. Seine Antwort war: "Weiß ich nicht so genau. Halt das, was neu ist". Sein musikalisches Auswahlkriterium war also: "neu" muss es sein. Bloß nichts Altes. Suum cuique, möchte man sagen. Ich habe jedenfalls andere Kriterien (und Willi offenbar auch). "Neu" ist für mich kein Qualitätskriterium.

  • Zitat

    Aber "objektiv" gesehen, ist allenfalls beim Operngesang von Wagner bis Strauss ein "Niedergang" zu beklagen und da waren weitgehend die 1950er-70er schon ein silbernes Zeitalter gegenüber dem goldenen vorher.


    Mir fällt da noch Verdi ein.


    Vielleicht ist ein Problem, wenn, wie gesagt, die These überhaupt stimmt, die fehlende Persönlichkeit, die Unverkennbarkeit einzelner "Typen". Vieles wirkt doch heutzutage, was Künstler, Politiker, Sportler angeht, ziemlich gelackt. (Wobei es natürlich immer noch große Persönlichkeiten gibt.)


    Wenn es da einen Unterschied gibt, und in dem Bereich würde ich dem zustimmen, liegt es vielleicht in den Biographien der einzelnen Künstler begründet. Alle von den großen europäischen haben mindestens eine gemeinsame existenzielle Erfahrung, die des Krieges, gemacht. Viele haben dazu noch die Erfahrung von Flucht und Vertreibung, Emigration durchlitten. Das prägt Menschen und prägt natürlich auch ihre Individualität (letzlich ist jeder mit diesen Erfahrungen anders umgegangen) und damit ihr Spiel, ihren Gesang oder auch ihr politisches Denken und Handeln.


    Das Fehlen gerade dieser Erfahrung kann man natürlich niemanden der heutigen Künstler vorwerfen und wir sind ja alle froh, dass wir anders aufwachsen durften. Aber letzlich fehlt vielen wohl eine dieser Grenzerfahrungen, von denen viele der "Alten" gleich mehrere machen mussten.


    :hello: Gustav

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Interviebanner 1 Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von William B.A.
    Wir haben jetzt viele Beispiele aus dem Bereich der Pianisten gehört, Mit den Pianistinnen verhält es sich nicht anders. Ich kenne keine Pianistin unter 50, die den Größen der Vergangenheit wie Elly Ney, Annie Fisher, Clara Haskli, Lili Kraus oder Myra Hess oder noch lebenden Größen wie Martha Argerich, Maria Joao Pires, Mitsuko Uchida oder Elisabeth Leonskaja das Wasser reichen kann.
    Ähnlich verhält es sich doch auf dem Gebiet des Gesanges.


    hmm - warum kenne ich dann so viele gute junge musiker?
    ein beispiel:
    Ragna Schirmer (*1972)

  • Zitat

    hmm - warum kenne ich dann so viele gute junge musiker?


    Ich glaube, es ist eine Einstellungsfrage. Ich erinnere mich gut, daß ich in meiner Jugend Christian Zacharias als "ganz nett" fand. Aberr einen "großen Pianisten" konnte ich in ihm nicht sehen. Denn ein "großer Pianist "musste meiner Meinung nach mindestens 70 Jahre alt sein und "Musikgeschichte" geschrieben haben - beispielsweise Wilhelm Backhaus oder Claudio Arrau.


    Die von Maexl genannte Pianistin mag gut sein - ich kenne sie nur namentlich - denn da gibt es noch zu viele Klaviergrößen deren Aufnahmen ich noch meiner Sammlung einverleuiben will, da wäre noch Badura Skoda, Alfred Brendel, Claudio Arrau, Aldo Ciccolini die mir noch nicht ausreichen dukumentiert scheinen. Ja, sogar Rudolf Buchbinder ist unterrepräsentiert. Die umstrittene Elly Ney ist ebenfals noch Terra incognita......


    ES hängt also doch auch ein wenig davon ab, was ineinen Pianisten hineinprojiziert wird, und hier haben die Jungen Pianisten bei der älteren Generation von Klassikhörern - die letztlich doch den Klassikmarkt
    beherrschen - die schlechteren Karten. Lang Lang, Stadttfeld etwa sind in meiner Sammlung ebensowenig vorhanden, wie Dudamel oder Harding.


    Die jüngeren Klassikhörer werden das vermutlich anders sehen...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Zitat

    Original von Maexl
    hmm - warum kenne ich dann so viele gute junge musiker?
    ein beispiel:
    Ragna Schirmer (*1972)


    Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Ich erinnere mich gut, daß ich in meiner Jugend Christian Zacharias als "ganz nett" fand. Aberr einen "großen Pianisten" konnte ich in ihm nicht sehen. Denn ein "großer Pianist "musste meiner Meinung nach mindestens 70 Jahre alt sein und "Musikgeschichte" geschrieben haben - beispielsweise Wilhelm Backhaus oder Claudio Arrau.


    Als ich in meiner Jugend Swjatoslaw Richter das erste Mal sah, der damals in seinen frühen 60ern (also nicht "mindestens 70") war, war jedem Anwesenden im Saal klar, welch eine ungeheure Persönlichkeit, welch ein Titan vor unseren staunenden Augen Musik machte. Ich bin mir sicher, dass in den 50er Jahren (als ich noch nicht lebte) die Konzerte von William Kapell oder von Glenn Gould (als er noch auftrat) oder von Van Cliburn mit ebensolcher Wucht über die damalige Generation von Konzertbesuchern hinweggefegt sind. Von den Konzerten des jungen Vladimir Horowitz in den 20er oder 30er Jahren mal ganz zu schweigen. Ich sehe einfach - und ich besuche nun wirklich viele Konzerte, vergrabe mich keineswegs nur in Erinnerungen an frühere Jahre - bei der heutigen Pianistengeneration nicht einmal annähernd eine Persönlichkeit, die mit diesen Heroen mithalten kann. Ragna Schirmer mag gut sein, klar, aber gut sind Hunderte von Pianisten jedweder Generation gewesen. Es geht doch nicht darum, gut zu sein, sondern um die Frage: wo ist die neue Lichtgestalt mit einem Kaliber wie Richter, Gilels, Horowitz? Es gibt sie nicht. Als ich den 14-jährigen Kissin bei seinem Deutschland-Debüt (und in der Folgezeit etliche weitere Male) live sah, dachte ich: hier ist sie. Die neue Lichtgestalt. Aber er hat die Versprechungen nicht einhalten können, ist irgendwie inzwischen auch nur noch "ein ganz normaler Spitzenpianist" wie viele andere. Gut, sogar sehr gut, aber kein Phänomen.


    Bei den Geigern sehe ich schon eher eine junge Lichtgestalt heranwachsen, die nicht nur mich, sondern wohl tatsächlich sämtliche Besucher der Berliner Philharmonie bei seinem Debüt mit den Philharmonikern sprachlos machte (um mich herum im Block A herrschte Fassungslosigkeit über das soeben Gehörte): Sergey Khachatryan. Dieser Mann (der sogar noch studiert) ist eine Sensation. Hoffen wir nur, dass er mit seinen faszinierenden geigerischen Qualitäten eine Chance erhält, sich gegen diese ganzen heutzutage "gehypten" Geiger wie David Garrett oder gegen die "Schulterfrei"-Fraktion der jungen Geigerinnen mit dem Sex sells-Faktor durchzusetzen. Wenn er das schafft, glaube ich wieder an die heutige Musikwelt, die mir persönlich einfach zuviel Paul Potts, David Garrett und Lang Lang und viel zuwenig wirklich Aufregendes bietet. Wobei ich einen Musiker ausdrücklich ausnehme: Sir Simon Rattle macht einen so dermaßen guten und interessanten Job, dass es sich lohnt, 12- bis 15-mal pro Jahr mit dem ICE von Hamburg nach Berlin zu reisen, um ihn zu erleben. Und zum Glück gibt es ja nicht nur ihn, sondern auch noch die heute über 80-jährigen Recken wie Harnoncourt, Abbado, Boulez oder Blomstedt. Und im speziellen Bereich Barockmusik gibt es außerdem William Christie, Christopher Hogwood, Marc Minkowski und René Jacobs. Live sind diese Dirigenten klasse, ihre Aufnahmen sind es auch. Sooo schlecht ist die heutige Musikszene also beileibe nicht. Nur waren im Bereich Klaviermusik (und im Bereich Jazz sehe ich es ähnlich) frühere Jahrzehnte weitaus mehr mit Ausnahmemusikern gesegnet, als dies heute der Fall ist. Und im Bereich der sinfonischen Musik sehe ich heute ebenfalls nicht die Bandbreite von wirklichen Ausnahmedirigenten im Vergleich zu früheren Zeiten.

  • Zitat

    Original von Swjatoslaw
    ... Nur waren im Bereich Klaviermusik (und im Bereich Jazz sehe ich es ähnlich) frühere Jahrzehnte weitaus mehr mit Ausnahmemusikern gesegnet, als dies heute der Fall ist. ...


    Ist das so ? Ich würde dem widersprechen wollen, denn ich sehe durchaus mit einem Berezowsky oder Blechacz, von den vielleicht etwas älteren aber noch lebenden, wie Pires, Perahia oder Uchida, Künstlerperönlichkeiten, die einem Rubinstein, Horowitz oder Gilels das Wasser reichen können; aber das ist natürlich nur meine ganz persönliche Meinung.


    Man darf nicht vergessen, dass Künstler der vergangenen Epochen haben den Vorteil, dass es ausreichend Zeit und Gelegenheit gab, dass sie sich gegen das Vergessen und die Knkurrenz schon durchsetzen konnten. Wieviele Pianisten mag es gegeben haben, die hervorragend spielten, aber - aus welchen Gründen auch immer - im Orkus des Vergessens untergegangen sind ? William Kapell etwa, der viel zu früh verstorben ist, war ein solcher Ausnahmepianist, der heute leider nur noch wenigen bekannt ist. Das ist wie in der Evolution: erst nach einer gewissen Zeit zeigt sich, ob eine neue Art sich gegenüber bereits bestehenden Arten durchgesetzt hat. Ich glaube nicht, dass es "objektive" Kriterien dafür gibt, wer ein musikalisches Genie ist, oder wer nicht. Letztlich entscheidet darüber immer der tatsächliche Erfolg. Um nicht missverstanden zu werden: damit meine ich nicht den - allzuoft nur kurzlebigen - Erfolg in der Gegenwart, sondern den langfristigen.


    Ich denke - und das ist jetzt auch keine überwältigen neue, aber bei dieser Diskussion vielleicht doch vernachlässigter Gedanke - es ist für die Zeitgenossen eines Künstlers - und das gilt imo in allen Bereichen der Kunst, nicht nur in der Musik - immer schwierig, den Kunstausübenden wirklich wertzuschätzen. Auch ein Rubinstein, Horowitz oder Gould waren zu ihren Lebzeiten nicht unumstritten. Wer kann heute schon sagen, welcher Musiker in fünfzig oder noch mehr Jahren immer noch gehört wird ? Also ich traue mir das nicht zu. Vielleicht erleben wir da die eine oder andere Überraschung.


    Viele Grüße, Bernd

  • Zitat

    Original von Swjatoslaw
    Als ich in meiner Jugend Swjatoslaw Richter das erste Mal sah, der damals in seinen frühen 60ern (also nicht "mindestens 70") war, war jedem Anwesenden im Saal klar, welch eine ungeheure Persönlichkeit, welch ein Titan vor unseren staunenden Augen Musik machte.


    Ich glaube, das weist auf einen entscheidenden Faktor hin: Das Auftreten, die Ausstrahlung, die Show.


    Ich erinnere mich dunkel an die älteren Herren des Fernseh-Showbusiness. Kuhlenkampf (*1921) stellte etwas ganz anderes dar als dann Gottschalk (*1950). Das "Milchbubi-Imgage" der jüngeren Generation scheint mir ja auch Hollywood-Schauspieler zu betreffen.


    Allerdings hat dieses Auftreten nichts mit größerer oder minderer künstlerischer Potenz zu tun.


    (Das hat vielleicht auch etwas mit der Emanzipation zu tun: Wir leben in der Weichei-Epoche. Ich bin auch eins.)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Zitat

    von Alfred:
    Wie "rückwärtsgewandt" ist das Tamino- Klassikforum ?
    Eine etwas eigenartige Frage - aber wenn man die Threads verfolgt, so dominieren doch eher solche, die sich mit älteren Einspielungen, mit Interpreten der Vergangenheit befassen.


    Vordergründig könnte man die Frage mit "Ja" beantworten. Allein die Threads, die sich mit dem modernen Regietheater bzw. modernen Inszenierungen beschäftigen, könnten darauf hindeuten. Auch die Besprechungen von älteren Einspielungen fallen natürlich auf.


    Wer sich aber die Mühe macht, die Beiträge zu diesen Themen durchzulesen, wird schnell feststellen, daß sich das Für und Wider die Waage hält – ohne daß ich die einzelnen Beiträge jetzt durchnumeriert und dann abgezählt hätte.


    Insofern muß ich eher konstatieren, daß dieses Forum ein breites Spektrum der Hörgewohnheiten aufzeigt. Da ist, wie sagitt am 14. Juni richtigerweise schrieb, die Meßlatte durch ältere Aufnahmen, sei es im Bereich der Oper oder auch der Instrumentalmusik, schon sehr hoch gelegt worden; andererseits wird man, darauf hat Engelbert in seiner Replik hingewiesen, durch den technischen Fortschritt immer wieder auch auf Neueres aufmerksam gemacht.


    Zitat

    von Alfred:
    Dennoch habe ich mir die Frage gestellt, warum Neuaufnahmen verhältnismäßig selten die Gnade der Forianer gefunden haben.


    Ich weiß nicht, ob diese Schlußfolgerung zutrifft. In Abänderung eines Thread-Titels könnte man jedoch sagen, daß „alles schon musiziert worden ist, nur nicht von allen“. Tatsächlich ist das Interesse eines jeden Musikers, seine Interpretation einer Komposition der Öffentlichkeit vorzustellen, durchaus legitim. Und wenn der Betreffende eine Plattenfirma findet, die das Wagnis einer Veröffentlichung eingehen will, auch begrüßenswert. Ich gestehe aber freimütig, nicht grundsätzlich zu dieser Käuferschicht zu gehören. :untertauch: Eher sehe ich mich da in der Rolle eines "Konservativen", der eine einmal gehörte und für gut befundene Aufnahme nicht mit Neuem in Frage stellen will. Das können jetzt sicherlich viele Taminoianer/innen nicht nachvollziehen, aber ich komme aus dieser "Ecke" nicht heraus.


    Fazit: ich sehe das Forum hier durchaus nicht als "rückwärtsgewandt" an, mich selber jedoch durchaus (für viele hier vielleicht zu sehr!) als einen "Traditionalisten" (aber bitte nicht mit "Fundamentalisten" verwechseln).

    .


    MUSIKWANDERER


  • Also Sokolov wirkt nicht wie ein Milchbubi... Pogorelich und Pletnev mit Anfang 50 wohl auch nicht mehr. Es mag sein, dass die Bedingungen für Ausnahmeerscheinungen früher in mehrfacher Hinsicht günstiger gewesen sind. Grundsätzlich verschieden in der "pianistischen Potenz" (5 Euro in die Chauvi-Kasse?) gegenüber Horowitz oder Gilels sehe ich die drei genannten aber nicht, und es gibt sicher noch einige mehr.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich glaube, dass auch noch etwas anderes den Reiz bewirkte, die (heute größtenteils verstorbenen) Großmeister der Generation Horowitz etc. live auf dem Podium zu sehen: diese waren viel dichter an den Komponisten und ihren Kompositionen dran als die heute aktiven Musiker. Um beim Beispiel Horowitz zu bleiben: er war sehr eng mit Rachmaninow befreundet, hatte als Kind sogar noch Alexander Scriabin vorgespielt. Swjatoslaw Richter stand in engstem Kontakt zu Prokofiew, war Widmungsträger, Uraufführungspianist (und in einem einzigen Fall sogar Uraufführungsdirigent!) von Prokofiew-Werken. Pierre Monteux hat Strawinskys "Sacre du Printemps" und "Petruschka" uraufgeführt. Bruno Walter hat Mahlers Sinfonie Nr. 9 und "Das Lied von der Erde" uraufgeführt. Mrawinsky hat etliche der Schostakowitsch-Sinfonien uraufgeführt, wie auch z.B. Tatjana Nikolajewa diejenige Pianistin war, für die Schostakowitsch seine 24 Präludien und Fugen op. 87 komponierte. Und wieviele Werke sowjetischer Komponisten hat David Oistrach uraufgeführt! Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Wenn man noch die Gelegenheit hatte, diese Künstler live zu sehen - vielleicht sogar noch mit Werken der zu ihnen so dicht in Beziehung stehenden Komponisten -, dann hatte das einfach eine gewisse Aura (selbst wenn diese Großmeister bei ihren späten Auftritten schon etwas betagter waren). Mit einem solchen Pfund können die Interpreten der heutigen Zeit weniger wuchern. Natürlich hat z.B. Gidon Kremer eine ähnliche Beziehung zu Alfred Schnittke gehabt, so dass es heutzutage ebenso toll wäre, ihn mit einem Schnittke-Violinkonzert live zu erleben. Wenn Boulez seine eigenen "Notations" dirigiert und Aimard im selben Konzert (bevor Boulez die Orchesterfassung dirigiert) die Klavierfassung desselben Werks als Zugabe darbietet (das habe ich gerade erst Anfang Juni 2009 in der Berliner Philharmonie erlebt), dann atmet das ebenfalls Authentizität. Nur sind solche Highlights eher die Ausnahme als die Regel. Die Regel ist, dass eine Prokofiew-Komposition heutzutage von Dudamel und Strawinskys "Sacre" heutzutage von Salonen dirigiert wird. Da ist die enge Verbindung zum Komponisten weg. Was nicht bedeutet, dass das Ergebnis nicht großartig sein kann (das Beispiel Salonen habe ich bewusst gewählt, denn sein "Sacre" vom Dezember 2008 in der Hamburger Musikhalle hat mich geradezu von den Socken gerissen). Nur ist dieser Effekt "Mensch! Mrawinsky kommt mit seinen Leningradern! Und dirigiert sogar Schostakowitsch!" oder "Mensch! Bernstein kommt! Und dirigiert sein eigenes "Songfest"!" nicht mehr da. Er wäre erst wieder da, wenn wieder mehr zeitgenössische Kompositionen auf den Konzertprogrammen stünden. Im Dezember 2008 hatte ich nämlich diesen Effekt durchaus. Ich sagte mir damals nämlich: "Mensch! Salonen kommt mit Yefim Bronfman nach Hamburg! Und sie spielen die Europäische Erstaufführung von Salonens eigenem Klavierkonzert!!!".


    Edit: Ich überlege mir gerade, ob genau dies der Grund dafür ist, dass (jedenfalls nach meiner persönlichen Einschätzung) im Bereich Barockmusik keineswegs gesagt werden kann, dass die heutigen Musiker den Musikern früherer Generationen in irgendeiner Weise nachstehen. Ralph Kirkpatrick war hervorragend, Christian Zacharias ist es aber auch (wenn wir z.B. über Scarlatti reden). Es hat eben niemand, also weder die Musiker der Erich Kleiber- oder Otto Klemperer-Zeiten noch die Musiker der Christopher Hogwood- oder Harry Christophers-Zeiten, ein paar Orgelstunden bei Bach genommen oder einen Großvater in der Familie, der noch mit Händel zusammen musiziert hat und demzufolge einiges davon zu berichten weiß. Bei Alter Musik sind alle nur auf die Noten angewiesen, ohne einen (und sei es nur über Enkelschüler des Komponisten vermittelten) Wissensvorsprung.

  • Ich habe diesen Thread soeben noch einem durchgelesen, und ich glaube der Antwort auf die Frage etwas näher gekommen zu sein - vor allem in Bezug auf Singstimmen.


    Ich besitze seit einigen Wochen einen Blue Ray Player und einen äquivalenten Fernseher mit 40 Zoll Bildschirm, welcher vorzugsweise dazu gekauft wurde, konventionelle Operninszenierungen auf DVD wiederzugeben und mir quasi einen Erstz für den Opernbesuch zu bieten (Ich habe seit Jahrzehnten kein Opernhaus mehr betreten)


    Plötzlich sah (!!!) ich Sänger, die ich bis dato lediglich auf CD gehört hatte - und sie begannen Charakter zu bekommen - eine "Beziehung" zu ihnen entstand, die undenkbar wäre, hätte ich lediglich ihre Stimmen auf CD gehört. Ungleich größer wäre der Eindruck im Rahmen eines Live-Erlebnisses....


    Aber die Tonträger haben etliches verändert, man geht weniger in die Oper und hört mehr Platte (CD)


    Starruhm der Sonderklasse entsteht aber zum einen, wenn man
    die Heilsgestalt selbst SEHEN kann - und sei es im Fernsehen, zum anderen durch die BEREITSCHAFT den Künstler als ÜBERMENSCHEN zu akzeptieren. Zumindest letzteres ist heute kaum mehr der Fall.


    Bei Sängern der Vergangenhiet wird indes in vielen Fällen das Urteil vergangener Generationen einfach blind mit übernommen. Caruso ist hier ein gutes Beispiel. Die Aufanhmetechnik von 1910 erlaubt kaum noch Rückschlüsse auf seine stimmlichen Qualitäten - jedoch sein Nimbus ist ungebrochen,,,


    mfg aus Wien


    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Zitat

    Original von Swjatoslaw
    Ich sagte mir damals nämlich: "Mensch! Salonen kommt mit Yefim Bronfman nach Hamburg! Und sie spielen die Europäische Erstaufführung von Salonens eigenem Klavierkonzert!!!".


    Hm, ich bin da nicht so beeindruckt - natürlich ist es nett, wenn der Komponist da ist, wenn man in die entsprechenden Konzerte geht, hat man das aber recht oft.
    :hello:

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Banner Interviebanner 1 Gelbe Rose
  • Mein lieber Alfred!
    So pauschal kann man das nicht sehen! Sogar Schellackplatten der 40er Jahre (es waren schon elektrische Aufnahmen) erblühen mit speziellen Magnetsystemen zu neuem Leben. Da kann man schon hören, welch exzellente Gesangstechnik z.Bsp. ein Franz Völker besaß. Nicht nur in dem bekannten Liebesduett aus der "Walküre" von 1936 mit Maria Müller sondern auch in Operette und Volkslied war er er Könner. Aufnahmen mit Elisabeth Rethberg und Meta Seinemeyer zeugen von ihrem großen Können. Auch ein Michael Bohnen als Mephisto wird heute kaum übertroffen. Da braucht man nicht vom Ruhm zu leben: Man hört die Größten!


    Gruß Wolfgang

    W.S.

  • Zitat

    Sogar Schellackplatten der 40er Jahre (es waren schon elektrische Aufnahmen) erblühen mit speziellen Magnetsystemen zu neuem Leben


    Ich widerspreche in diesem Zusammenhang nicht.
    Mein Statement traf eher auf neuere Stimmen zu.


    Die von Dir genannten Stimmen waren nicht nur "eigenwilliger", sondern sie wurden auch präsenter aufgenemmen, soll heissen akustisch an die Rampe geholt, während sie heute oft im Orchesterklang untergehen.


    Zudem waren die Aufnahmen dieser Zeit mittenbetonter, die Bässe konnten die Stimmen nicht so zudecken, wie dies heute leider oft der Fall ist.....


    Das ist natürllich übertrieben formuliert, trifft aber das Problem im wesentlichen.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Zitat Alfred:


    "Plötzlich sah (!!!) ich Sänger, die ich bis dato lediglich auf CD gehört hatte - und sie begannen Charakter zu bekommen - eine "Beziehung" zu ihnen entstand, die undenkbar wäre, hätte ich lediglich ihre Stimmen auf CD gehört. Ungleich größer wäre der Eindruck im Rahmen eines Live-Erlebnisses...."


    Ich habe mich über diesen Beitrag von Alfred sehr gefreut, da ich diese Erfahrung schon vor einiger Zeit gemacht habe und Alfred dieser Art zu sehen und zu hören eher skeptisch gegenüberstand. Ich setze noch eines drauf: Beim Vergleich der Beethoven-Sinfonien und Klavierkonzerte zB. mit Bernstein WPO/Zimerman würde ich immer die DVD vorziehen, ebenfalls bei Karajan/Mutter und Carlos Kleiber. Wenn man älter wird, braucht nicht nur das Ohr sondern auch das Auge etwas. Es macht großen Spaß, anhand der wechselnden Mitglieder immer neue bei den Philharmonikern zu entdecken und am Gesicht des Dirigenten (egal wer dirigiert) bekommt man auch mit, ob er mit dem was er dirigierend hört, zufrieden ist oder nicht. Bei Carlos Kleiber ist dies besonders ausgeprägt und genau das fasziniert.


    Liebe Grüße, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Ich kann swjatoslaw durchaus verstehen. Mich hat die Rock-Pop Musik der späten 70er bis frühen 90er fasziniert. Man konnte einen beliebigen Radiosender einschalten und bekam fast täglich neue, abwechslungsreiche, frische U-Musik geliefert. Die Zeiten sind vorbei.


    Und, sollte ich mich jetzt stundenlang in diversen Nostalgie-Foren ausweinen oder, wie swjatoslaw, intelligente Texte verfassen, immer mit dem Unterton, früher war alles besser? Wie traurig muss das sein, neue Künstler immer mit seinen Titanen der Vergangenheit zu vergleichen um zu der Erkenntnis zu kommen: Da kommt keiner ran. Dieses Feld überlasse ich gerne anderen Leuten. Ich entdecke auch heute noch interessante U-Musik für mich, police, toto, simple minds werden immer mal gerne gehört sind aber definitv abgeschlossen.


    Wirklich übel finde ich die Aussage von swjatoslaw über sex sells. Pauschalisierend, abwertend. Sollen junge Frauen im grauen Sack auftreten, damit sich irgentwelche selbsternannten Moralapostel, die sich sonst von einer nackten Schulter abgelenkt fühlen, ganz auf die Musik konzentrieren können und dann doch hinterher sagen, aber die Interpretin von "Anno Tuck" war viel besser?


    Wenn ich die Kopfhörer meines I-pod aufsetze, mir Isabellea Faust `s und Alexander Melnikov`s Beethoven anhöre, zählt nur die Musik. Die brauche ich dann nicht mit einer verschräpelten Uralt-Aufnahme vergleichen, nur in der Annahme, die Interpretation wäre näher an Beethoven.


    Den Ausflug in die U-Musik möchte ich entschuldigen, er soll meine persönliche Auseinandersetzung mit Musik im allgemeinen verdeutlichen und keine Wertung darstellen.


    Viele Grüße Thomas

  • Und, sollte ich mich jetzt stundenlang in diversen Nostalgie-Foren ausweinen oder, wie swjatoslaw, intelligente Texte verfassen, immer mit dem Unterton, früher war alles besser? Wie traurig muss das sein, neue Künstler immer mit seinen Titanen der Vergangenheit zu vergleichen um zu der Erkenntnis zu kommen: Da kommt keiner ran. Dieses Feld überlasse ich gerne anderen Leuten. (...)
    Wirklich übel finde ich die Aussage von swjatoslaw über sex sells. Pauschalisierend, abwertend. Sollen junge Frauen im grauen Sack auftreten, damit sich irgentwelche selbsternannten Moralapostel, die sich sonst von einer nackten Schulter abgelenkt fühlen, ganz auf die Musik konzentrieren können und dann doch hinterher sagen, aber die Interpretin von "Anno Tuck" war viel besser?


    Danke für das Kompliment, dass Du meine Texte intelligent findest :D


    Zum zweiten Thema: ich habe vor ein paar Tagen eine Rezension über die neueste CD von Marc-André Hamelin in der Zeitung DIE WELT gelesen. Der Autor schrieb über ihn: "Er ist nicht jung, nicht schön, nicht chinesisch und keine Frau. Dieser Kanadier erfüllt eigentlich keines der Berühmtheitskriterien für Pianisten, und doch ist er längst kein Unbekannter mehr, aber wahrscheinlich der treffsicherste Tastenkönig der Welt".
    Quelle: http://www.welt.de/print/die_w…lschau-und-Exzentrik.html
    Wenn es nur nach den pianistischen Fähigkeiten ginge, müsste Marc-André Hamelin in den CD-Verkaufsstatistiken weit vor gewissen anderen Leuten rangieren, die derzeit die große Kasse machen. Dort rangiert er aber nicht. In dem Moment, in dem Hamelin mehr CDs umsetzt als jene Pianisten, die den "sex sells"-Faktor auf ihrer Seite haben, nehme ich alles zurück. Sag' mir gern Bescheid, wenn es soweit ist.

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Hallo swjatosllaw




    orientiertst du dich an diesen Dingern? Schielst du etwa mit Neid auf Lang Lang und sagst zu Dir, aber da gehört ein ganz anderer hin? Erinnert mich wieder an den Anfang der 1980er, als ein "Wettstreit" zwischen Michael Jackson und Prince stattfand :D !


    Die Frage hier im Forum muss doch sein, wie gute Interpreten gefördert werden können. Da hilft es wenig, Drei Jubel Beiträge mit großen Bildern des Covers von längst verstorbenen Interpreten zu zeigen und sich stundenlang darüber auszulassen, wie fantastisch er war.


    ich werde gleich mal nach Hamelin im Internet suchen und mir Musikbeispiele anhören. Gut, das wir in der heutigen Zeit leben: Es lebe der freie Zugang zur klassischen Musik!


    Viele Grüße Thomas


    So, nach einem kurzen Ausflug zum Interpreten... leider trägt er kein schulterfreies Kleid, also nichts für mich... :D


    (konnte ich mir einfach nicht verkneifen)


  • Hallo,
    meine Erfahrungen sind anders:
    Ich gehöre zu den Konzertbesuchern, die gerne und öfter mal die Augen schließen (das mache ich auch, wenn ich CD höre - über Kopfhörer - um mich ganz von äußeren Einflüßen abzuschotten), was beim Konzert dann eben nicht ganz gelingt - dafür habe ich denLive-Konzert-Hörgenuss.
    Wenn ich ein Werk schon kenne, dann "riskiere" ich schon mal einen oder mehrere Blicke.
    Ob mich allerdings "Karajans Sinfonie- Inszenierungen" o. ä. in meinem Musikverständnis weiterbringen? Es gibt wissenschaftliche Erkenntnisse, dass Musik im inneren Auge Farben, Bilder erzeugen kann - ob man dazu allerdings den äußeren, optischen Eindruck braucht?


    Musik ist eine Hörerlebnis, das die geistigen, psychischen , emotinalen Fähigkeiten, kurz den ganzen Menschen, voll beansprucht und ich wage die Behauptung, dass mit dem zusätzlichen äußeren, optischen Eindruck die Leistungsgrenze überschritten wird und der Höreindruck darunter leidet - "die multi-tasking-Fähigkeit" nicht ausreicht - um einen Begriff aus der Computerwelt zu benutzen.


    Wenn ich beim Hören von Musik die Augen schließe und ich in einen Zustand innerer Ruhe und völliger Entspannheit komme, dann "paßt's", dann erschließen sich auch mir unbekannte Werke - besonders wenn sie für meine eingefahrenen Hörgewohnheiten neu sind - auf eine gute Weise.


    In einem anderen Thread schrieb ich schon mal: Es lebe das Individuum!


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Mir ist nicht so recht klar, inwiefern Interpreten, die angeblich durch "sex sells" berühmt werden, die Bekanntheit Hamelins schmälern sollten. Wer ist denn mit "jung, hübsch, chinesisch gemeint"? Oder ist das nur ein Klischee, was hier gedroschen wird?
    Zum einen weiß ich, vielleicht von einigen Sängerinnen abgesehen, eigentlich keinen halbwegs ernstzunehmenden Solisten, wo "sex sells" eine entscheidende Rolle spielen würde. Natürlich werden hübsche Menschen auch auf Covern usw. entsprechend präsentiert; das ist aber nichts ganz Neues. Es scheint aber doch, dass junge Damen wie Julia Fischer, Janine Jansen u.a durchaus auch ganz ordentlich Geige spielen können.


    Hamelin ist vor 20 Jahren oder mehr dadurch bekannt geworden, dass er randständiges, hochvirtuoses Repertoire eingespielt hat. Damit hat er sich einerseits einen Namen gemacht, andererseits ist selbstverständlich das Publikum für Medtner, Sorabji, Alkan und was weiß ich noch, deutlich kleiner als für die Goldbergvariationen oder die Chopinballaden (auch wenn es davon schon genügend Aufnahmen geben mag.) Dazu kommt, dass ein Label wie hyperion nicht so aggressives und personenzentriertes Marketing betreibt, wie das die "Majors" schon damals getan haben.
    Inzwischen hat Hamelin zwar auch Chopin, Haydn usw. aufgenommen. Aber für einen nicht geringen Teil der "rückwärtsgewandten" Klassikhörer gilt vermutlich für Hamelin vs. Rubinstein, Brendel oder Kempff ebendasselbe wie für "junge hübsche Geigerin" vs. Heifetz, Stern, Oistrakh...


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • ...
    Inzwischen hat Hamelin zwar auch Chopin, Haydn usw. aufgenommen. Aber für einen nicht geringen Teil der "rückwärtsgewandten" Klassikhörer gilt vermutlich für Hamelin vs. Rubinstein, Brendel oder Kempff ebendasselbe wie für "junge hübsche Geigerin" vs. Heifetz, Stern, Oistrakh...


    Dazu kommt, dass Hamelin in seiner jetzt schon langen Karriere nicht viel eingespielt hat, was zum zentralen Pianisten-Kanon gehört. Für viele Puristen gilt immer noch, dass ein Pianist, der sich nicht ausgiebig mit Mozart, Beethoven, Schubert und Schumann auseinandersetzt, überhaupt nicht existiert...


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • DA ich hier zitiert wurde, muß ich wohl Stellung beziehen:

    Zitat

    "Plötzlich sah (!!!) ich Sänger, die ich bis dato lediglich auf CD gehört hatte - und sie begannen Charakter zu bekommen - eine "Beziehung" zu ihnen entstand, die undenkbar wäre, hätte ich lediglich ihre Stimmen auf CD gehört. Ungleich größer wäre der Eindruck im Rahmen eines Live-Erlebnisses...."

    Natürlich war hier keine "erotische Ausstrahlung " gemeint . eine solche dient ja (meist) dazu spiel - oder singtechnische Mänge zu cachieren - sondern - man lese den Text - charaktervolle Dartellung in Opern, Dazu gehören Intelligenz (wie unmodern) Humor und Schauspielkunst. Verschmelzung mit der Rolle

    Zitat

    Die Frage hier im Forum muss doch sein, wie gute Interpreten gefördert werden können.

    Ich glaube nicht, daß gute Interpreten wirklich "gefördert" werden müssen, das sollte sich vin Alleine ergeben. Ein guter Interptret wird seinen Weg alleine machen - vor allem im Live-Bereich. Wenn er jedoch Aufnahmen macht, dann wird er sich mit den Größen der Vergangenheit messen müssen, Vergleichen standhalten - oder nicht.... Jedoch sind Urteile natürlich auch generationsbedingt gefärbt. Jede Generation hat ihre eigenen Künstler. Ich selbst stand allerdings schon in meiner Jugend auf dem Standpunkt, daß "gro0e Künstler" zumindest aus der Generation vor mir stammen sollten, Altersgenossen akzeptierte ich allenfalls als "Mittelmaß"..... Heute indes scheint ein gewisses Identifikationsdenken mit den Künstlern vorzuherrrschen...... mfg aus Wien Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Banner Interviebanner 1 Gelbe Rose