Franz Adolf Berwald (1796-1868 )
Franz Berwald wurde am 23.07.1796 in Stockholm geboren und starb dort am 03.04.1868. Sein Name taucht immer wieder im Forum auf, er wird mal begeistert, mal vorsichtig abwägend genannt, Interesse für seine Musik oder für die Qualität der einen oder anderen Einspielung seiner Werke wird geäußert, aber ob seine Musik es überhaupt wert ist, sich vertieft mit ihr zu beschäftigen, scheint unklar. Deshalb bin ich gespannt, ob sich an dieser Stelle ein Konsens – mehr oder weniger – herausbilden wird. Da besonders seine Sinfonien immer wieder das Interesse herauszufordern scheinen, sollen vor allem sie neben seinen anderen Orchesterwerken einschließlich der Konzerte Gegenstand des Threads sein.
Die Geschichte des Franz Berwald ist eine Geschichte der Zurückweisungen und Enttäuschungen. In Schweden sollte Berwalds Musik jahrzehntelang vom Publikum ungeliebt und unverstanden bleiben: seine Tonsprache war seinen Landsleuten zu fremd, zu progressiv (2) – wenig gilt der Prophet im eigenen Land. Obwohl es ihn immer wieder in seine schwedische Heimat zurückzog, blieb er doch Zeit seines Lebens unstet und sah sich über lange Zeiträume gezwungen, sein Leben im europäischen Ausland zu fristen: 1829 bis 1841 lebte er in Berlin, dann bis 1842 in Wien, wo er seine Berliner Mitarbeiterin Mathilde Scherer heiratete. 1846 bis 1849 trieb es ihn wieder aus dem Land, nach Paris, Wien, Salzburg (1847 immerhin Ehrenmitglied des Mozarteums (4)). Um überhaupt bei seiner Musik bleiben zu können, verdiente er sein Geld – wenn nicht gerade als Orchestergeiger oder -bratscher -, indem er zum Beispiel als orthopädischer Chirurg (1) in Berlin ein – allerdings einträgliches (6) - orthopädisches Institut gründete (2), später in Nordschweden eine Glashütte, dann ein Sägewerk (2) leitete.
Die Musik war Berwald in die Wiege gelegt. Vier Generationen Musiker um ihn her, sein Vater und sein Bruder – wie er - Geiger, der Bruder auch – wie er - Komponist, sein Vetter Komponist und Dirigent. Die familiären Bande trugen auch zu seinem Verhängnis bei: eben jenem Vetter Johan Fredrik Berwald war die Uraufführung von Berwalds erster Sinfonie am 2.12.1843 übertragen; was auch immer seine Gründe gewesen sein mögen, er ließ das Orchester am Königlichen Opernhaus in Stockholm viel zu wenig proben, bereitete die Aufführung mangelhaft vor (6) und legte damit einen der Grundsteine für Berwalds Misserfolg in der Heimat. Berwald nahm sich die Publikumsreaktion zu Herzen, seine erste Sinfonie blieb die einzige, die er hören sollte (6). Obwohl er mit seiner Musik im Ausland deutlich erfolgreicher war (5), wurden seine der ersten folgenden weiteren drei Sinfonien (1842 bis 45 vollendet) spät uraufgeführt: die vierte 1878, die dritte 1905, die zweite 1914. Schweden erinnerte sich spät an ihn: erst 1867 im Alter von 70 Jahren wurde er an das Stockholmer Konservatorium als Lehrer für Komposition berufen, ihm dann noch erteilte Kompositionsaufträge konnte er in der kurzen ihm bis zum April 1868 verbleibenden Zeit nicht mehr vollständig erledigen (6). Immerhin wird er von manchen heute als "individuellste und bedeutendste Musikerpersönlichkeit" angesehen, "die Schweden je hervorbrachte" (5 ).
1796–1868, also ein Zeitgenosse Schuberts (1797-1828 ), Berlioz' (1803-1869 ), Mendelssohns (1809-1847 ), Rossinis (1792-1868 ). Meines Erachtens werden Formulierungen angeblicher Parallelen zu solchen Komponisten überbetont, wie man dies stets gerne macht bei Komponisten, denen die Anerkennung zu lange verwehrt wurde. Berwald hat für meine Ohren einen sehr eigenen Weg gefunden, einen sehr persönlichen Stil entwickelt, der klanglich wie formal über seine Zeit hinaus wies und deshalb nicht verstanden wurde – Avantgarde im besten Sinne.
Berwalds Werk ist nicht eigentlich umfangreich, aber breit gestreut; der Bärenreiter-Verlag hat die Auflage einer Gesamtausgabe aller Werke unternommen (3). Beispielhaft können ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne Berücksichtigung diverser Fragmente und nicht gezählter Werke genannt werden:
4 Sinfonien
1.Sinfonie Sérieuse g-moll (1842/1843)
2.Sinfonie Capricieuse D-Dur (1842/1914)
3.Sinfonie Singulière C-Dur (1845/1905)
4.Sinfonie (Naïve) Es-Dur (1845/1878 )
diverse Ouvertüren und Tondichtungen:
Elfenspiel
Erinnerung an die norwegischen Alpen
Bajaderenfest
Konzerte
Violinkonzert cis-moll op. 2 (1821)
Klavierkonzert D-Dur (1855/1904)
Doppelkonzert für zwei Violinen
Konzertstück für Fagott
Kammermusik
Duos für Violine bzw. Cello und Klavier
fünf Klaviertrios
drei Streichquartette
Klavierquartett mit Bläsern
zwei Klavierquintette
Septett
Vokalmusik
Kantaten mit Soli, Chor, Orchester
Arien
Opern
6 Opern:
„Estrella de Soria“ (1862)
„Drottingen av Golconda“ (UA 1968 )
2 Operetten
Das Kennenlernen von Berwalds Sinfonik zu erschwinglichen Preisen wird im Augenblick leicht gemacht: EMI bietet in einem Trifer die vier Sinfonien, das Violin- und das Klavierkonzert sowie eine ganze Reihe der Tondichtungen und die Ouvertüren der beiden oben genannten Opern an. Ulf Björlin dirigiert das Royal Philharmonic Orchestra. Die Aufnahmen wurden an sieben Tagen im Januar und September 1976 im Studio erstellt, eine Produktionszeit, die in ihrem beschränken Umfang ihre Spuren in der Orchesteraufnahme hinterlässt. Björlin hingegen ist ein echter Berwaldianer, mit Schwung und Einfallsreichtum reißt er sein Orchester und den Hörer mit. Diese Aufnahme mag ich sehr. Mit ihr habe ich mich diesem Komponisten mit einiger Begeisterung wieder angenähert, nachdem die Einspielung der Jenaer Philharmonie unter David Montgomery bei Arte Nova aus 1996 mich einigermaßen eingeschläfert und von Berwald abgeschreckt hatte.
Die Alternative bietet wieder einmal Brilliant mit der Gesamteinspielung unter Dausgaard, die sicherlich schon einige kennen – deshalb würde ich gerne einen Bericht über diese Aufnahme lesen.
Ich selbst schätze nicht alle dieser Sinfonien gleichermaßen, sondern mag eine von ihnen besonders. Deshalb bin ich gespannt darauf von Euch zu hören, ob es Euch ähnlich geht, und auch, welche Aufnahmen Euch besonders gut gefallen. Haltet Ihr den alten Schweden für des Landes bedeutendste Musikerpersönlichkeit? Oder findet Ihr seine Tonsprache genauso unzugänglich, wie die alten Schweden es taten?
Liebe Grüße, Ulrich
Quellen:
(1) Franz Berwald, auf: en.wikipedia.org/wiki/Franz_Berwald, Abfragestand: 2008-05-06
(2) Franz Berwald, auf: de.wikipedia.org/wiki/Franz_Berwald, Abfragestand: 2008-05-06
(3) Bärenreiter-Verlag: Werkverzeichnis der Gesamtausgabe, auf:
baerenreiter.com/html/completeedi/gaberwald.htm, Abfragestand: 2008-05-06, und
baerenreiter.com/html/completeedi/nberweinhalt.htm, Abfragestand: 2008-05-06
(4) Das große Metzler Musiklexikon 2.0 (Systhema, München 2005), Stichwort Berwald, Franz-Adolf
(5) Lipka, Stefan, Franz Adolf Berwald – Sinfonien Nr. 1-4, 1996, in: CD-Beiheft zu Arte Nova Classics 74321 37862 2 3
(6) Fanning, David, dt. Übersetzung: Carl Ratcliff, Berwald: Werke für Orchester, 2007, in: CD-Beiheft zu EMI Classics 50999 5 00920 2 4