Hallo, liebe Musikfreunde,
Ullis kurzem "Nachschlag" zum Tod von Michael Jackson möchte ich ein paar Gedanken folgen lassen.
Michael Jacksons Tod riß einen jäh aus der Gewohnheit, abends das eine oder andere schöne Stück klassischer Musik zu genießen. Er hatte in den 1980ern einen neuen Ton in die Musik gebracht und zählt neben Frank Zappa und Miles Davis zu den großen Neuerern der Musik aus den USA. Einiges sträubt sich gegen diese späte Einsicht: auf welchem "Niveau" bewegt sich seine Musik? Er zeigte, dass die Musik heute in neuer Weise gespielt werden muss und auch gespielt werden kann, wenn sie eine ähnliche Wirkung erzielen will wie die große klassische Tradition.
Mit dem Ausdruck seiner Stimme, seinen choreographischen Ideen und Visionen für die Einbettung der Musik in kleine Spielfilmsequenzen konnte er zahlreiche führende Künstler aus dem Showbusiness zur Mitarbeit begeistern (Paul McCartney, Mick Jagger, Martin Scorsese, wahrscheinlich Steven Spielberg, und all die im Hintergrund arbeitenden Ton- und Filmingenieure, deren Geschichte noch geschrieben werden muß). Bei der Produktion der LPs der 1980er wurden die aktuellsten Möglichkeiten der Computerunterstützung eingesetzt. Er kann mit vollem Recht als der Erbe der Ideen verstanden werden, wie sie etwa die "Beatles" in ihren letzten Alben angestrebt hatten.
Damit sprach er nicht nur eine neue Generation an, sondern wirkte weit in den Bereich der klassischen Musik. Wo denn sonst holen die Regisseure der neuen Operninszenierungen ihre Ideen? In seinen Videos ist alles zu sehen, was dann auch auf die Opernbühne gebracht werden sollte. In der Unterhaltungsindustrie hat er praktisch ein neues Genre geschaffen, inzwischen unzählige Male wiederholt.
Seine Stücke und ihre Wirkung zeigen, in welche Maß die klassische Musik den Anschluß an die heutige Zeit verloren hat. Aber der Trennungsschmerz gilt für beide Seiten: Unverkennbar fehlt seiner Musik etwas, und er litt darunter, als seine Musik nie wirklich das Vakuum ausfüllen konnte, in das er hineingestoßen ist. Ihm fehlte ein Komponist etwa vom Rang eines Ravel, der ihn unterstützen oder seine Ideen aufgreifen und musikalisch weiterführen konnte.
Werden seine Videos mit den zahlreichen Nachahmern verglichen, ist seine persönliche Präsenz geradezu umwerfend. Trotz der Anonymität und Künstlichkeit, in die er sich zurückgezogen hatte, löst sein Tod Trauer und Verstörung aus. Ich hoffe sehr, dass es der Musik gelingen wird, seinen künstlerischen Einfällen eine Gestalt zu geben, die ihm verwehrt geblieben ist.
Viele Grüße,
Walter