Sieg der Moral - Wolfgang Amadeus Mozart: Don Giovanni

  • Eine wirklich überaus gelungene Aufnahme ist die von Harnoncourt, finde ich zumindest. Es klingt schon sehr nach HIP, aber keinesfalls im negativen Sinne.


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Florian,


    ich besitze diese Aufnahme.


    Liebevoll restauriert von alten Bändern, zeugt sie von einer musikalischen und darstellerischen Sternstunde in Covent Garden, bei der Bühne, Graben und Publikum gleichermaßen Freude hatten!


    Es gibt leider einige kleine Lücken, wo Bandstellen fehlten oder nicht restauriert werden konnten, aber die stören nicht wirklich. Die Tonqualität ist anständig.


    Anhörenswert!



    LG, Elisabeth

  • Liebe Elisabeth,


    besten Dank für die schnelle Antwort! :) Wie würdest Du Böhms Dirigat beurteilen? Ich würde nämlich gerne einen "Don Giovanni" mit Elisabeth Grümmer haben, weiß aber nicht, ob ich die Furtwängler-Aufnahme oder diese hier nehmen soll ?( Furtwängler soll ja seeeeeeeehr gemächlich unterwegs sein ... Böhm ist ja meistens flott bei der Sache (zumindest bei Wagner) ...
    Mit einem Libretto darf man bei Archipel wohl nicht rechnen, oder?


    Beste Grüße, Florian

  • Lieber Florian,


    ich hab die Aufnahme länger nicht gehört - Böhm habe ich als schwungvoll, aber nicht als (zu) flott in Erinnerung.


    Der Aufnahme liegt kein Libretto bei, das findest Du aber hier auf italienisch und auf deutsch.



    LG, Elisabeth

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  • Lieber Florian,


    der Einfachheit halber die vollständige Besetzung:


    Don Giovanni -- George London
    Donna Anna -- Elisabeth Grümmer
    Donna Elvira -- Sena Jurinac
    Leporello -- Erich Kunz
    Don Ottavio -- Leopold Simoneau
    Zerlina -- Emmy Loose
    Masetto -- Harald Pröglhoff
    Commendatore -- Ludwig Weber


    Chor und Orchester der Wiener Staatsoper
    Karl Böhm


    Liveaufnahme vom 15.09.1954
    Gastspiel der Wiener Staatsoper in Covent Garden.



    LG, Elisabeth



  • Danke für deine Eindrücke, Walter. Wie du bereits im Keenlyside-thread geschrieben hast weichen unsere Eindrücke über diesen Don Giovanni voneinander ab.
    Von deiner Sichtweise aus kann ich deine Einwände sogar verstehen. Das Geschehen wird nicht dämonisch und hintergründig dargestellt, stattdessen wird alles viel greifbarer. Alles scheint etwas übertrieben, aber gerade das macht für mich den Reiz dieser Aufführung aus. Es gibt sehr viel Aktion, die Sänger sind wirklich gefordert zu spielen und es beeindruckt schon wie gut sich Keenlyside und manch andere Sänger auch darstellerisch einbringen.
    Das ist kein statisch aufgeführter Don Giovanni wie man ihn oft zu sehen bekommt und das psychologische Drama kommt hier vielleicht etwas kurz, aber dafür ist der Unterhaltungswert enorm. Für mich ist das eine völlig neue Variante. Daß sie nicht jedem gefällt ist klar.
    Ich habe ihn ja mit vielen Leuten am Wiener Rathausplatz gesehen und ich habe noch nie soviel Lachen während eines Don Giovanni's gehört. Gerade auch das ältere Publikum schien Gefallen an der Aufführung zu finden, denn eine Dame hinter mir sagte, dieser Don Giovanni war es wert bis halb zwölf in der Nacht auf dem Platz zu bleiben.


    Bechtolf zeigt einen verspielten Don Giovanni. Seinem Helden geht es primär gar nicht um die Verführung sondern um den Spaß an der Jagd nach seinen Auserwählten. Mir scheint dieser Don Giovanni macht das eher aus Langeweile denn aus Triebhaftigkeit. Daß dieser Don Giovanni viele an James Bond erinnert liegt wohl auch an Keenlyside's Aussehen, seiner Athletik und an seinem eleganten Outfit, und wenn er mit dem Martini-Glas in der Hand die Champagner-Arie singt liegt der Vergleich irgendwie auf der Hand.


    Natürlich gibt es einige Dinge die ich nicht verstehe. Ich habe mir sagen lassen, daß die Geschenke, die die anderen von Giovanni nach seiner Höllenfahrt von ihm erhalten, etwas die Langeweile vertreiben sollen, die sie in ihrem Leben haben werden, wenn Giovanni mal nicht mehr da ist.


    Warum der Komtur als Voodoo-Statue wiederkehrt und wer die schwarze Frau sein soll die gelegentlich den Protagonisten konfrontiert kann ich nicht sagen. Dies und einiges mehr sind erklärungsbedürftig. Aber vielleicht gibt mehrmaliges Ansehen Aufschluß über die eine oder andere Frage.


    Die Sängerleistungen sind sehr gut und die Interpreten besitzen vorwiegend leichtere Stimmen, was ich bei Mozart sehr schätze.
    Keenlyside singt sehr gut und spielt einfach fantastisch. Ich habe noch nie einen derart guten Schauspieler auf der Opernbühne gesehen. Seine Mimik und Gestik sind einfach köstlich.
    Die Serenade singt er einfach traumhaft und hier kommen ihm seine Fähigkeiten als Liedsänger sehr zugute. Ebenfalls auf sehr hohem Niveau singt Martina Jankova die Zerlina, die ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht kannte. Sie hat ein schönes helles Timbre, brilliert in ihren Arien mit tollem Mozartgesang und ist eigentlich die beste der Damen. Obwohl auch Eva Mei als Donna Anna und Malin Hartelius als Donna Elvira stimmlich überzeugen können.
    Problematisch ist der Don Ottavio des Piotr Beczala, der mir einfach zu laut singt, gerade bei Il mio tesoro. Stimmlich ist er eigentlich ganz gut, aber ganz nach Mozart klingt das für mich nicht. Ausstrahlung hat er überhaupt keine und er agiert ziemlich steif.
    Anton Scharinger singt einen passablen Leporello ohne Glanzpunkte zu setzen. Alfred Muff bleibt als Komtur eher blaß.


    Eine absolut sehenswerte Aufführung, bei der einem vor allem von Keenlyside gutes Schauspiel geboten wird, der immer wieder zu Lachern verführt.


    Gregor

  • Meine Lieben,


    Einen recht interessanten "Don Giovanni" von 1950 gibt es derzeit in mehreren Ausgaben bei JPC, leider haben gerade die von meiner Edition kein Bild zur Verfügung; ich stelle also die anderen herein:





    Nr.1 ist von Pre, Nr.2 von Cantus Line, Nr.3 eine Box mit 5 Mozartopern von Centurion Classics, die auch diesen "Don Giovanni" enthält, der 2005 aber auch separat als 3er-Box unter demselben Label erschienen ist - um diese geht es hier.


    Die Tonqualität ist eigentlich recht gut, nur wenn alle zugleich singen, dann schafft das die Technik von damals nicht völlig. Mehr stört, daß die Übergänge zwischen den einzelnen Platten kleine Löcher lassen, die man natürlich deutlich hört. Dort gehen auch hier und da ein paar Noten verloren.


    Dirigent und Orchester sind das beste: Hans Swarowsky und die Wiener Symphoniker. Eine klare, gut ausbalancierte und in sich perfekt stimmige Interpretation, die deutlich macht, warum Swarowsky ein so bedeutender Lehrer war, und die in ihrer spannungsvollen und doch strengen Auffassung an Fricsay und dgl. denken läßt. Swarowskys Schüler Josef Wallnig hat in einem Aufsatz darauf hingewiesen, daß Swarowsky hier ein relativer "Proportionist" ist, der sich immer wieder um einen gleichen "Pulsschlag" bemüht, davon aber auch bewußt abweicht, wenn es ihm notwendig scheint. Seine Tempi sind oft verhältnismäßig zügig, wirken aber absolut richtig und spannend.


    Das zur Verfügung stehende Ensemble hört sich im Durchschnitt recht gut an, aber es fällt auf, daß der dramatische Ausdruck hinter der vokalen Schönheit meist zurückbleibt (kein Wunder, daß das Publikum bei dieser Oper vor allem für George London oder Cesare Siepi oder Graziella Sciutti schwärmte). Mariano Stabile in der Titelrolle singt gepflegt, verströmt aber kaum Ausstrahlungskraft - ein korrekter, angenehmer Herr, dem man weder das Dämonische noch das Verführerische glauben will. Die anderen Mitwirkenden sind sehr bemüht, korrekt italienisch zu singen (und die Artikulation Alois Pernerstorfers als Leporello ist angenehm deutlich) - trotzdem merkt man des öfteren, daß da einige Schwierigkeiten bestehen. Pernerstorfer gefällt mir übrigens besser als Stabile, ist blendend bei Stimme und wird im Verlauf der Oper auch in dramatischer Hinsicht etwas besser als am Anfang, wo er in dieser Hinsicht noch nicht überzeugt. Eine ausgesprochen schöne Ottavio-Stimme besitzt Herbert Handt (ein Cousin Otto Ackermanns, später selbst als Dirigent tätig), ausgerechnet das "Il mio tesoro" gelingt ihm aber nicht ganz zufriedenstellend.
    Gertrud Grob-Prandls Donna Anna eignet eine wirklich schön klingende und tragende Stimme, aber nicht ganz die erforderliche Geschmeidigkeit, sie bleibt ein wenig im Wagner-Stil. Trotzdem hörenswert. Sehr gut ist die Donna Elvira Hilde Konetznis, sehr gut auch Alfred Poell als Masetto, ebenso Oskar Czerwenkas Commendatore, der aber noch eine Spur bedrohlicher wirken könnte. Der schwächste, wenn auch kein schwacher Punkt bleibt die Zerline, die Hedda Heusser singt (übrigens die Mutter des Koloratursoprans Barbara Fuchs) - ihre Gestaltung bleibt zu sehr im Ansatz stecken.


    Diese Centurion-Aufnahme wird übrigens derzeit noch in Wien am Graben sehr günstig angeboten, wie ich gestern gesehen habe! Allerdings liegt nicht einmal eine Besetzungsliste bei. Irgendwo müssen die ja sparen.


    LG


    Waldi


  • Habe in diese Aufnahme nun etwas genauer reingehört und würde mich Harald Krals Urteil insgesamt anschließen: Das ist eine recht verzichtbare Aufnahme - an Böhm liegt's aber nicht.
    Milnes ist schwach, und ein "Don Giovanni" ohne guten Hauptakteur ist für mich schon inakzeptabel. Komischerweise habe ich Milnes aus einer späteren MET-Einspielung besser in Erinnerung. War vielleicht nicht sein Tag.
    Wenn Böhm, dann die Studio-Aufnahme von 1967, die auch klanglich besser ist. Fischer-Dieskau ist ein viel besserer Don Giovanni, wenn auch ein untypischer; Talvela als Komtur wohl mit einer der besten überhaupt. Frau Nilssons Mozart-Abenteuer würde ich als "gar nicht so übel" bezeichnen. Den Schreier bekommt man auch in der Studio-Einspielung geboten. Wermutstropfen: Berry fehlt.

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    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • schon in anderen beiträgen ist mir aufgefallen, wie DiFiDi in opernrollen kritisiert worden ist.fatal wirkt es, wenn gerade in einer seiner glanzpartien, dem don giovanni, ihm eine gekünstelte aufgesetztheit unterstellt wird.in der schule hatten wir 1962 einen musiklehrer, der selbst bariton an einer nicht kleinen bühne gewesen war,aber dennoch die laufbahn eines studienrats einer doch unsicheren sängerkarriere vorgezogen hatte. seiner ansicht war die musikalische gerstaltung des don giovanni durch difidi eine singuäre leistung und zusammen mit fricsays dirigat stellte einen glücksfall der schallplattengeschichte dar.dann kam die eröffnungsvorstellung der dt.oper berlin mit don giovanni eben wieder mit difidi und firicsay, die wir im fernsehen miterlebten.
    bei der umstrittenen prager aufnahme mit karl böhm gab es , ich sah es im fernsehen- applaus des orchesters für difidi nach der einmalug gesungenen champagner-arie.

    friedrichsfelde

  • Zitat

    Original von Fahrenberg
    schon in anderen beiträgen ist mir aufgefallen, wie DiFiDi in opernrollen kritisiert worden ist.fatal wirkt es, wenn gerade in einer seiner glanzpartien, dem don giovanni, ihm eine gekünstelte aufgesetztheit unterstellt wird.in der schule hatten wir 1962 einen musiklehrer, der selbst bariton an einer nicht kleinen bühne gewesen war,aber dennoch die laufbahn eines studienrats einer doch unsicheren sängerkarriere vorgezogen hatte. seiner ansicht war die musikalische gerstaltung des don giovanni durch difidi eine singuäre leistung und zusammen mit fricsays dirigat stellte einen glücksfall der schallplattengeschichte dar.dann kam die eröffnungsvorstellung der dt.oper berlin mit don giovanni eben wieder mit difidi und firicsay, die wir im fernsehen miterlebten.
    bei der umstrittenen prager aufnahme mit karl böhm gab es , ich sah es im fernsehen- applaus des orchesters für difidi nach der einmalug gesungenen champagner-arie.


    :jubel: :jubel: :jubel:
    Würde ich 100%ig zustimmen!


    Ich kenne alle drei von Dir genannten Aufnahmen. Stimmlich ist er unter Fricsay noch besser als unter Böhm, aber selbst da sehr gut. Und auch die dt.sprachige Aufnahme bei der Eröffnung der Deutschen Oper Berlin ist eine Sternstunde gewesen.


    Fischer-Dieskau ist bis heute mein liebster Don Giovanni geblieben.

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    – Luís de Camões

  • Salzburg 1953


    Wenn auch diese Verfilmung einer Aufführung aus der Felsenreitschule, schon einige Jahre auf "dem Buckel" hat,


    so ist immer wieder Cesare Siepis Don Giovanni, Elisabeth Grümmers Donna Anna und Lisa della Casa, die ja fast immerin Salzburg diese Partie sang, zu bewundern und hoch einzuschätzen,


    dasss Erna Berger mit der Zerlina Abschied von der Bühne nahm, merkt man ihrer Stimme nicht an, jedoch ist sie im Aussehen nicht als jugendliche Bäuerin zu sehen, Walter Berry, als Masetto, könnte ihr Sohn sein.


    Aber eine solche Sternstunde des Wiener Mozart-Ensembles, wo ja auch Gäste ,wie Grümmer und Berger dabei waren, kommt nie wieder.


    :jubel: :jubel: :jubel:


    Liebe morgendliche Grüße von Peter aus Wien. :hello: :hello: :hello:

  • Ich bin am 206. Jahrestag der Uraufführung von Mozarts Opus, also am 29. Oktober 1993, geboren. Ist eine besondere Affinität zu dieser Oper also vorprogrammiert? Mit Sicherheit. Vier Einspielungen besitze ich bereits, sieben sind geplant, neun werden es wohl werden. Warum? Es ist die Motivation, die wohl jeden Sammler treibt: Wie klingen die ersten Takte von "Or sai chi l'onore"? Wie gestaltet der Sänger des Leporello die Stelle "Ma passion predominante e la giovin principiante"? Wie lacht der Don, wie schreit er? Und, ganz verrückt: Wie ist das Wort "amoreggiar" in der Champagnerarie übersetzt?


    Doch nicht nur das macht das Faszinosum aus. Das dramma liegt für mich in den Nummern, das giocoso in den Rezitativen- vor allem in den köstlichen Dialogen zwischen Leporello und dem Don ("Mi pare sentir l'odor di femmina!"-"Cospetto! Che odorato perfetto!", "E vero: e che ragioni forti!" und meine absolute Lieblingsstelle "Madama... veramente... In questo mondo conciossia cosa quando fosse che il quadro non è tondo..."). Das dramma überwiegt jedoch.


    Ein großer Teil der Magie dieser Oper geht mit Sicherheit auch von der Hauptfigur aus. Bei allen anderen Charakteren können wir uns einen groben Lebenslauf vorstellen- nur bei Giovanni ist das unmöglich. Woher kommt er? Wer- oder was- ist er? Das sind Fragen, die sich nicht beantworten lassen. Fischer-Dieskau schrieb treffend, in dieser Figur verberge sich "ein gerüttelt Maß an Tragik". Tatsächlich ist er für mich nicht nur der Lebemann, sondern auch jemand, der spätestens nach Leporellos Schreckensschrei an der Tür und allerspätestens nach dem Anblick des Komturs allzu genau um sein Schicksal weiß. Auch musikalisch ist er ein Getriebener, vor allem in der nahezu unsingbaren Champagnerarie. Vom vokalen Standpunkt aus ist die Partie relativ einfach. Aber es fehlt ein komplettes Porträt dieser Figur. Was ihn motiviert, ist meiner Meinung nach das Streben nach Glück. Er treibt's mit jeder, aber nicht nur aus Sucht, sondern auch aus Angst, aus Trauer darüber, ewig rastlos sein zu müssen. Er hat bestimmt nicht nur Spaß.
    Die anderen Charaktere sind wesentlich schärfer gezeichnet, Ottavio gerade deshalb der vielleicht uninteressanteste Typ der Operngeschichte (ich bin ja nach wie vor der Meinung, man könnte ihn einfach weglassen und wäre dann bloß um zwei schöne Arien ärmer). Anton Dermota, der "singende Fleischermeister" (bzw. "Graf Tenorak von Schreckenstein" in der furchtbaren Salzburger Inszenierung), ist der männlichste Don Ottavio. Viel Farbe verleiht er der Figur dennoch nicht.


    Musikalisch ist diese Oper nahezu visionär. Nicht nur, dass schon etwas wie ein Leitmotiv auftaucht (Ouvertüre vs. Komturszene), sondern auch der prägende und nie wiedergekehrte Stil. Das ist nicht der Mozart, wie man ihn kennt, in keinem Takt. Das ist eleganter als Beethoven, aber dramatischer, aber auch nicht so agil wie der "sonstige" Mozart. Es ist ein Werk, das in keine Schublade passt- weder musikalisch-stilistisch noch szenisch-stilistisch. Ihm ist nicht damit Genüge getan, es "traditionell" zu inszenieren. Denn "Don Giovanni" geschieht überall und nirgends, ständig und doch nie. Um auf den Threadtitel zu kommen: Hier siegt nicht die Moral. Hier siegt nichts und niemand. In diesem aussichtslosen Kampf, in dem jeder sein eigenes Schicksal in Händen hält, oft, ohne es zu wissen, kommt niemand davon. "Don Giovanni" ist nicht lustig, weil es seine Protagonisten nicht sind (was auch für Leporello gilt, der eher den Galgenhumor pflegt und um den Ernst und die Ausweglosigkeit der Lage weiß). Diese Oper hat keine Handlung um der Handlung Willen. Sie ist nicht zu fassen- und das ist es, was mich immer wieder treibt, mich mit dieser meiner absoluten Lieblingsoper zu beschäftigen: die vollkommene Unmöglichkeit, sie zu verstehen.


    :hello:

  • Zitat

    Original von Basti
    Hier siegt nichts und niemand.


    Hm. Doch. Mozart und da Ponte über Dich :D

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

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  • Liebe Taminos,


    mir ist gestern abends beim Stöbern ein Artikel von Richard Bletschacher in Sachen Don Giovanni in die Hände gefallen, hier ein kurzer Ausschnitt :


    Von Luigi Bassi (D.G. der Uraufführung) ist aus späteren Jahren ein Ausspruch überliefert, der sich auf die Bankett-Szene im 2. Akt bezieht und heutige Puristen ein wenig erschrecken mag.

    "Dies alles ist nichts" soll er nach einer Vorstellung gesagt haben, "es fehlen die Lebendigkeit, die Freiheit wie es haben wollte der große Meister in dieser Szene. Wir haben bei Guardasoni (dem Prager Impressario und Regisseur der Uraufführung) in dieser Nummer nicht in zwei Vorstellungen gesungen dasselbe, wir haben nicht so strenge gehalten Takt, sondern haben gemacht Witz, jedesmal neue, und nur auf das Orchester gehalten Acht, alles parlando und beinahe improvisiert, so hat es gewollt Mozart."


    Hier kommt etwas zum Vorschein vom kreativen Ambiente dieser Jahre. in der Zauberflöte ist uns eine Spur davon erhalten geblieben. im Don Giovanni ist die Form zu klassischer Strenge gefroren.


    Interessant zu lesen ist auch das Buch "Don Giovanni" von Alfons Rosenberg, Prestel Verlag, München.


    Liebe Grüße vom
    Operngernhörer :hello:

  • Zitat

    Original von Operngernhörer
    "Dies alles ist nichts" soll er nach einer Vorstellung gesagt haben, "es fehlen die Lebendigkeit, die Freiheit wie es haben wollte der große Meister in dieser Szene. Wir haben bei Guardasoni (dem Prager Impressario und Regisseur der Uraufführung) in dieser Nummer nicht in zwei Vorstellungen gesungen dasselbe, wir haben nicht so strenge gehalten Takt, sondern haben gemacht Witz, jedesmal neue, und nur auf das Orchester gehalten Acht, alles parlando und beinahe improvisiert, so hat es gewollt Mozart."


    Hier kommt etwas zum Vorschein vom kreativen Ambiente dieser Jahre. in der Zauberflöte ist uns eine Spur davon erhalten geblieben. im Don Giovanni ist die Form zu klassischer Strenge gefroren.


    Ich dachte zunächst, daß es sich dabei um einen Ausschnitt aus Lorenzo da Pontes Autobiografie handelte - konnte aber dort nichts dergl. finden. Egal. Jedenfalls ist der Aspekt sehr interessant, alldieweil Mozart selbst ganz ähnliches bereits 1780 anlässlich seines Idomeneo schrieb:


    [...] als wenn man in einem quartetto nicht viel mehr reden als singen sollte - dergleichen sachen versteht er gar nicht. [27.12.1780]


    oder


    wegen den Quartetten etc will [ich] gar nichts sagen, dazu gehört Declamation und Action und keine große Singkunst oder das ewige Spianar la Voce. da gehört Handlung und reden her. [Brief vom 29.12.1780]


    Und ich finde auch, daß entsprechende Stellen z.B. in der Östman-Einspielung [des DG] entsprechend gut herauskommen, weshalb ich sie so schätze: da wird mehr schnell geplappert, als bedächtig gesungen. Das hat zur Folge, daß die Handlung authentischer wirkt und hier und jetzt stattfindet. Ähnliches findet man auch in der Entführung ['drum beym Barte des Propheten...'] oder im Figaro [Fensterszene, bei der z.B. NH/Salzburg völlig ins Klo greift...].


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Mir war bisher mehr oder weniger nur eine Furtwängler-Aufnahme des "Don Giovanni" bekannt: Jenes berühmte Video von 1954. Bei genauerer Durchsicht der Diskographie fiel mir auf, daß es sogar vier Aufnahmen gibt:



    31st Jul. & 4,18th Aug. 1950, Festspielhaus, Salzburg(at Salzburg Festival)



    27th Jul. 1953, Felsenreitschule, Salzburg(at Salzburg Festival)



    6th Aug. 1954, Felsenreitschule, Salzburg(at Salzburg Festival, by Austrian Radio)



    Aug. 1954, Salzburg(without audiences)


    Die heute auf DVD erhältliche Aufnahme ist also eine Quasi-Studioaufnahme!


    Kennt jemand eine, mehrere oder gar alle Aufnahmen? Eine kurze Recherche förderte zutage, daß offenbar die 1953er Aufnahme den beiden von 1954 vorgezogen wird (besserer Komtur). Die Aufnahme mit Gobbi fällt scheinbar eher ab.


    LG
    Joseph
    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Liebe Forianer,


    endlich gibt es eine Neuauflage der damals für die Decca produzierten Gesamtaufnahme des "Don Govanni" unter Erich Leinsdorf. Am 7. Juli 2011 erscheint diese Aufnahme nun unter dem Label "Urania". Ich weiß, dass viele hier im Forum schon lange auf eine Wiederveröffentlichung warten. Deshalb auch diese Information.



    :hello: LT

  • Das ist ja mal eine gute Nachricht!
    Ich habe die Gesamtaufnahme nur als Vinyl-Box von Decca. Auf CD habe ich lediglich einen Querschnitt.


    Allerdings - so ganz vom Markt war die Aufnahme ja nie - sie lebt bis heute fort auf dieser DVD, die ein echter Renner ist:



    mit dem Salzburger Marionettentheater.
    Allerdings gekürtzt - und mit den nervenden Zwischentexten von Peter Ustinov.


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

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  • Die neue DG Giovanni-Aufnahme als Auftakt einer neuen Mozart-Reihe, deren Mittelpunkt Rolando Villazon ist (beim Figaro wird er es da aber schwer haben).


    Von den Filmchen her und den Musikschnipsel, die einem so im Internet geboten werden, hört sich das recht vielversprechend an...Hat die CD schon jemand? Schon mal gehört? Oder gar selbst dabeigewesen bei den Aufführungen bei denen mitgeschnitten wurde?


    Ganz nebenbei, den vo Harald erwähnten Marionetten-Don habe ich auch mal im TV gesehen (mit Ustinov-Kommentaren) und er hat mir großen Spaß gemacht (bis eben auf Ustinovs Kommentare).

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Allerdings - so ganz vom Markt war die Aufnahme ja nie - sie lebt bis heute fort auf dieser DVD, die ein echter Renner ist: mit dem Salzburger Marionettentheater. Allerdings gekürtzt - und mit den nervenden Zwischentexten von Peter Ustinov.

    Da spricht mir einer aus dem Herzen. Diese Aufnahmenserie, die ja auch noch die "Entführung", den "Figaro", die "Così" und die "Zauberflöte" enthält, wäre ohne Ustinovs Texte genießbarer. So sehr ich den Schauspieler auch mochte, hier gefällt er mir überhaupt nicht!


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Von den Filmchen her und den Musikschnipsel, die einem so im Internet geboten werden, hört sich das recht vielversprechend an...Hat die CD schon jemand? Schon mal gehört? Oder gar selbst dabeigewesen bei den Aufführungen bei denen mitgeschnitten wurde?

    Ich war selbst in Baden Baden und habe auch die CD. Das Positive vorweg: Sie ist sehr gut. Das Negative: Sie ist nicht annähernd so gut wie die Aufführung in Baden Baden. Die Tontechniker der DG haben sie so glatt gebügelt, dass von den vielen Impulsen des Dirigats, von der Atmosphäre nichts übrig geblieben ist.

  • Eine kleine Randnotiz hierzu:


    heute vor 225 Jahren ging die Uraufführung des Don Giovanni am Nationaltheater Prag über die Bühne.



    So zumindest lehrte mich der Deutschlandfunk in seinem 'Kalenderblatt' heute morgen...

  • Nicht Nationaltheater - sondern Ständetheater Prag!

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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  • Nicht Nationatheater - sondern Ständetheater Prag!


    Zitat aus Wikipedia:

    Zitat

    Das Ständetheater (tschechisch Stavovské divadlo) ist ein Theater in Prag. Es liegt am Ovocný trh (Obstmarkt) in der Prager Altstadt. Es war auch als Gräflich Nostitzsches Nationaltheater (Hraběcí Nosticovo národní divadlo) nach seinem Erbauer bekannt. Das Theater ist durch die Uraufführung zweier Opern von Wolfgang Amadeus Mozart in die Musikgeschichte eingegangen.

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)


  • Das kommt jetzt vielleicht ein bißchen spät, aber was sind schon fünf Jahre bei einer 230 Jahre alten Oper? :P Jedenfalls fand ich vorhin zufällig bei YouTube eine Don Giovanni-Aufnahme mit Wilhelm Furtwängler, über die ich zunächst wegen der Aufzeichnung in Farbe höchst erstaunt war! Immerhin gibt es von Furtwängler m. W. nur eine einzige Aufnahme in Stereo, da hätte ich mit Farbfilm nicht gerechnet.



    Nach einem kurzen Studium dieses Threads vermute ich allerdings stark, daß es sich dabei um dieselbe Aufnahme handelt, die auch auf der von Dir gezeigten DVD zu finden ist. Evtl. nützt sie ja Dir - oder anderen - noch, um einen Einblick zu gewinnen. :)