Mit Gewitter und Sturm --- Richard Wagner: Der fliegende Holländer

  • Ich will mal ganz zögerlich und leise eine Frage stellen: Sind wir alle der Meinung, daß der Holländer dämonisch ist, also Hotters Auffassung (die das vertritt) wirklich sehr intelligent ist?
    :hello:

    ...

  • Interessanterweise stellte ich mir heute beim Hören der Aufnahme eine ähnliche Frage: Ob der Holländer denn überhaupt der Böse sei.
    Wohl eher nicht. Wenn es einen "Bösen" in der Oper gibt, ist das vielmehr noch Daland (den Hann unter Krauss - wie schon seinen Scarpia im selben Jahr - blendend bösartig verkörpert).
    Nichtsdestotrotz ist ein dämonischer Holländer natürlich ungemein packend zum Anhören.


    Da stellt sich folglich auch eine andere Frage: Welcher Sänger sang den Holländer denn absolut konträr zu Hotters (und nicht nur dessen) Rollengestaltung?


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Also als eindimensional dämonisch würde ich den Holländer mit Sicherheit nicht bezeichnen, aber eine gute Portion Dämonie gehört für mich schon dazu, das macht ihn auf einer Ebene "Larger-than-life", auf einer anderen ist er natürlich noch Mensch genug. Die Figur ist zwiespältig angelegt, also sollte es auch die Interpretation sein. Derjenige, der meiner Meinung nach in dieser Hinsicht voll ins Schwarze traf war - auch wenn da jetzt vielleicht einige aufjaulen werden - Dietrich Fischer-Dieskau. Sein hervorragend differenziert und nuanciert gesungener Holländer in der Konwitschny-Aufnahme übertrumpft in meinen Augen, oder besser gesagt: in meinen Ohren sogar den von George London.


    Best, DiO :beatnik:

  • Zitat

    Original von Diabolus in Opera
    (...) - auch wenn da jetzt vielleicht einige aufjaulen werden - (...)


    Nö, eher so: :rolleyes: . Wenn ich schon einen genuin lyrischen Bariton in der Rolle hören will, lege ich mit die Ausschnitte mit Herbert Janssen (und Kirsten Flagstadt) unter Fritz Reiner (live, Covent Garden 1937) auf den Plattenteller. FiDi ist interpretatorisch schon ganz o.k., gerät dafür aber stimmlich in schwere See, wo er das Orchester zu überschreien versucht. Das ist dann auf unfreiwillige Art mitleiderregend.


    Dämonisch im Sinne von "Verkörperung des Bösen" ist der Holländer sicher nicht. Er ist ein umherirrender Verfluchter, dessen Lebensspanne bis zur Qual ausgedehnt wurde und der trotz immer neuer Enttäuschungen doch noch auf seine Erlösung durch eine bis in den Tod treue Frau hofft. Seine Stimmungen wechseln zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, Zorn und Melancholie, Sarkasmus und Verzweiflung. All das lässt Hotter in seiner Interpretation erkennen (auch wenn Hermann Uhde manches noch schärfer und prägnanter artikuliert hat (man muss nur einmal sein "Nirgends ein Grab - niemals der Tod!" hören, das noch keiner todessehnsüchtig-verzweifelter herausgestoßen hat)).


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Ich kenne Uhde's Holländer leider noch immer nicht. Welcher Mittschnitt lohnt sich denn insgesammt mehr? Knappertsbusch, Keilberth oder gibt es gar noch mehr Aufnahmen mit ihm?


    :hello:


    Gruß
    Mr. D

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  • Zitat

    Original von GiselherHH
    Nö, eher so: :rolleyes: . Wenn ich schon einen genuin lyrischen Bariton in der Rolle hören will, lege ich mit die Ausschnitte mit Herbert Janssen (und Kirsten Flagstadt) unter Fritz Reiner (live, Covent Garden 1937) auf den Plattenteller. FiDi ist interpretatorisch schon ganz o.k., gerät dafür aber stimmlich in schwere See, wo er das Orchester zu überschreien versucht. Das ist dann auf unfreiwillige Art mitleiderregend.
    GiselherHH


    Also ich würde Dir insofern zustimmen als der Holländer mit Sicherheit keine Rolle ist, die für FiDi prädestiniert war. Deshalb hat er die Rolle meines Wissens nach ja auch nur im Studio und nicht auf der Bühne gesungen oder lieg ich da falsch? Das "Studio-Experiment" mit Konwitschny ist aber meines Erachtens nach vollkommen gelungen und ich würde FiDis Interpretation nicht missen wollen. Von "mitleiderregend" zu sprechen, das scheint mir dann doch einen Tick übertrieben zu sein. Auf der anderen Seite mag es aber ganz gut sein, wenn der Holländer bei uns Mitleid erregt :baeh01:


    Janssen würde ich mir gerne mal anhören, ebenso Uhde.


    Best, DiO :beatnik:

  • In Sachen Wagner kenn ich mich ja nicht wirklich aus. Ich fand aber, nach George London, Hotter und Uhde, deren Holländer-Aufnahmen ich in dieser Reihenfolge kennenlernte, Josef Metternich als sehr menschlich-verzweifelten und weniger dämonischen Holländer ausgesprochen faszinierend. Seine Interpretation hat mir die Figur sehr viel näher gerückt.


    Mein fünfter Holländer (und damit bin ich auch schon am Ende meiner überschaubaren Holländer-Kenntnisse) war Aldo Protti. Nicht satisfaktionsfähig; trotzdem war es für mich als eingefleischten Verdianer irgendwie befreiend, dieses Werk auf italienisch zu hören - klang plötzlich nach Oper!


    Grüße,
    Micha

  • In der Neu-Inszenierung von Tim Albery im Londoner Covent Garden singt Bryn Terfel - der sich in letzter Zeit ziemlich rar gemacht hat - die Titelrolle in einer erstklassig besetzten Aufführungsserie.


    Ostern überträgt BBC London die Aufführung - im Radio weltweit und auch über das Net-Radio. NDR Kultur bringt die Aufzeichnung zeitversetzt am 16. April.


    Die Besetzung ist erstklassig, vom Bayreuth-erfahrenen Marc Albrecht als Dirigenten bis hin zu Daland, dem Bassisten Hans Peter König von der Düsseldorfer Rheinoper. Hoch gelobt wird auch in der britischen Presse die Senta der Anja Kampe.


    Hier die gesamte Besetzung der Radiosendung:


    Donnerstag, 16. April 2009 - 20:00 Opernkonzert in NDR Kultur


    „Der fliegende Holländer“
    von Richard Wagner


    Daland: Hans Peter König, Bass
    Senta: Anja Kampe, Sopran
    Erik: Torsten Kerl, Tenor
    Mary: Clare Shearer. Mezzosopran
    Steuermann: John Tessier, Tenor
    Holländer: Bryn Terfel, Bassbariton
    Chorus and Orchestra of the Royal Opera House
    Covent Garden London
    Ltg.: Marc Albrecht


    Live-Aufzeichnung vom 11.4.2009 im Royal Opera
    House Covent Garden London



    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Danke für den Tipp, Harald! Da werde ich unbedingt reinhören, denn leider leider wurden mir in München für den Holländer mit Terfel und Kampe keine Karten zugeteilt! :motz:


    Best, DiO :beatnik:

  • Dadurch, dass „Der fliegende Holländer“ so ziemlich die einzige Oper war, die ich meinem Bruder zumuten durfte (die zweite war „Die Zauberflöte“) - hatte ich schon früh mehrere Aufnahmen:
    Als Einstieg, wie bei so manch anderen „Taminoanern" stand die Aufnahme mit Sawallisch; Crass, Silja, Greindl aus Bayreuth 1961 (damals gemeinsam mit Tannhäuser - Sawallisch 1962 und Parsifal-Knappertsbusch 1962 in einer preiswerten LP-Box von Philips) aber schon bald besaß ich mehrere andere:



    Fricsay; Metternich, Kupper, Greindl (DGG 1952), die Lieblingseinspielung meines Musiklehrers – Metternich, Greindl und Windgassen (Erik) sowie das Dirigat von Fricsay – da verzeiht man der Kupper den hysterischen Ausrutscher am Ende der Ballade



    Knappertsbusch; Uhde, Varnay, Weber (1955) – besonders das Dirigat gefiel mit besser als in der klassischen Bayreuther Einspielung mit der gleichen Besetzung unter Keilberth und



    Dorati; London, Rysanek, Tozzi (Decca 1961) – die Rysanek mit London in einem „internationalen“ Ensemble mit etwas übertriebenen Klangeffekten
    und später dann noch



    Sawallisch; London, Rysanek, Greindl (1959) – die Rysanek ist zwar nicht so unbekümmert wie die Silja bietet aber dafür ein gereifteres Rollenportrait und Greindl ist einfach besser als 1961),


    723721200756_100.jpg


    Böhm; Stewart, Jones, Ridderbusch (DGG 1971) – die Jones und Ridderbusch, das war „die“ Besetzung dieser Partien meiner Jugendzeit und unter Böhm mit dem ausgezeichneten Stewart eine geschlossene und spannende Aufführung,



    Nelsson; Estes, Balslev, Salminen (Philips 1986) – für mich die beste „moderne“ Aufnahme mit einem dämonischen Holländer einer exaltierten, hysterischen Senta und einem gewaltigen Daland unter einem präzisen, spannenden Dirigat,



    Krauss; Hotter, Ursuleac, Hann (1944) – vielleicht nicht die beste Aufnahmetechnik aber dafür ein dämonischer Holländer unter einem individuellen Dirigenten, der leider die Senta mit seiner Frau besetzte,



    und für meinen Bruder auch noch


    Klemperer; Adam, Silja, Talvela (EMI 1968), die geschlossenste Einspielung – mit dem Holländer meiner Jugend, einer nun ausgewachsenen Senta und einem ausgezeichneten Daland – dazu der „Altmeister“ Klemperer am Pult – wuchtiger, etwas schwerer Wagner - Klemperer ist bis heute mein Tip für den, der nur eine!!! Einspielung kaufen will.



    Das bleibt auch so, obwohl seit heute habe ich eine zumindest „derzeitige“ Lieblingseinspielung, die ich bis gestern als überflüssige Doublette betrachtet habe: Das Livedokument (aus dem März 1968) unter Klemperer - die Besetzung ist zum Großteil ident mit der EMI - Einspielung aber was da live möglich war - das muss jeder Liebhaber dieser Oper erst einmal gehört haben: besonders im Holländermonolog, in der Ballade der Senta oder im Duett Senta/Holländer - pure Emotion - dass mir persönlich auch noch der Erik von James King besser gefällt als der von Kozub ist auch kein Nachteil und live ist der Altmeister auch noch eine Spur spannender – Das Dokument eines großer Abends.


    Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum. (Friedrich Nietzsche)

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  • Wie ich heute eher zufällig beim Erstellen des Ludwig-Weber-Threads sah, hat Orfeo klammheimlich den Knappertsbusch-"Holländer" von 1955 Ende Juli neu herausgebracht:



    Der fliegende Holländer


    Daland: Ludwig Weber
    Senta: Astrid Varnay
    Erik: Wolfgang Windgassen
    Mary: Elisabeth Schärtel
    Steuermann: Josef Traxel
    Holländer: Hermann Uhde


    Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
    Hans Knappertsbusch


    Live-Aufnahme in Mono von den Bayreuther Festspielen
    22. Juli 1955


    Mir scheint anhand der Klangbeispiele, als wäre die Klangqualität in der Tat besser als in der bisherigen Walhall-Aufnahme (zum Glück kaufte ich mir letztere noch nicht).

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Vielleicht wurde die Aufnahme in diesem ellenlangen :D Thread schon erwähnt.


    Suitner, Bayreuth 1965: Stewart, Silja, Greindl, Winkler


    Ich kenne keinen Dirigenten, der den Holländer in diesem Tempo, mit diesem drive dirigiert.


    :hello: Gustav

  • @joseph
    Hat Klemperer sich das so ausgedacht mit dem Paukenwirbel oder wie kam das zustande?
    Klingt zumindest interessant, wer singt denn da so? Oder besser stell doch mal die Aufnahme in den Holländer-Thread.


    Also Klemperer hat sich diese Fassung mit dem Paukenwirbel am Ende der Ouvertüre und am Schluss der Oper (ohne Erlösungsthema) kaum ausgedacht. Das müsste doch die Urfassung sein, oder? Wagner überarbeitete die Oper ja noch einmal und hat das dann auch geändert.


    Soweit ich weiß, fand der alte Klemperer die noch düsterere Fassung ohne Happy End passender und spielte daher eben diese.


    In Wielands Bayreuth wurde doch sogar eine Mischfassung gespielt, wo der Paukenwirbel zwar am Ende der Ouvertüre, aber nicht am Ende der Oper kommt.


    Vielleicht kann uns jemand genauer aufklären? ;)

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    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hier noch die Aufnahme, die ich meinte:



    41HbfD9iY5L._SS400_.jpg


    Man findet sie auch komplett bei YouTube ...

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    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hoffentlich weiß jemand Näheres.
    Aber ich werde mir diese Version demnächst mal auf youtube genehmigen (die Besetzung klingt ja auch vielversprechend).

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

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  • Zitat

    Joseph: Hier noch die Aufnahme, die ich meinte...

    Lieber Joseph: Nun mein positives Feedback zu deinem Holländer-Beitrag in diesem Thread. Auf Grund deines Links habe ich mir die Klemperer-Aufnahme angehört und daraufhin sogleich bestellt. Es ist dann, so glaube ich, meine siebente Holländer-Aufnahme. Allerdings ist noch keine von Knappertsbusch dabei. Das Einzige, was ich nach wie vor von Knappertsbusch habe, ist jene Zeitlupenaufnahme von Beethovens Achter von 1962.


    Liebe Grüße


    Wille :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Auch ich habe jetzt endlich den Klemperer-Holländer auf youtube angehört...das mit dem Paukenwirbel statt des Erlösungsschlusses finde ich so gesehen (so wie ich den Holländer sehe) auch sehr passend, es passt nur Düsternis und Geisterhaftigkeit des Werkes...ich frage mich lediglich, wie das auf der Bühne am Ende gelöst werden würde, springt Senta nicht in den Tod?

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Der fliegende Holländer,
    romantische Oper in 3 Aufzügen
    von Richard Wagner.
    Text vom Komponisten.
    Uraufführung: 2.1.1843 Dresden, Königlich Sächsisches Hoftheater
    mit Wilhelmine Schröder- Devrient • Johann Michael Wächter • Therese Wächter • Carl Risse • Friedrich Traugott Reinhold • Wenzel Bielezizky,
    Dirig. R. Wagner.



    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Nachdem ich nun gesehen hatte, dass Harald 2009 auf Bryn Terfel als neuen Holländer 2009 in Covent Garden hingewiesen hatte, habe ich heute in der ersten Nachthälfte nach meinem großartigen Erlebnis des Holländers in Duisburg am letzten Donnerstag meine Neuerwerbung aus Zürich angeschaut. Damit ich überhaupt auf den Punkt kommen kann, stelle ich hier zunächst noch einmal den Link zu meinem Bericht aus Duisburg ein:


    Richard Wagner: Der Fliegende Holländer, Wiederaufnahme am 28. 1. 2016, Deutsche Oper am Rhein, Theater Duisburg


    Nun wundere ich mich doch, dass seit Haralds Hinweis auf die Bayreuther Produktion unter Woldemar Nelson, Regie Harry Kupfer, ebenso 2013 hier eingestellt, wie die Produktion in Zürich entstanden ist, niemand hier mehr etwas geschrieben hat, Es geht hier um diese Produktion:


    Regisseur ist Andreas Homoki, der aus Marl stammt, etwa 35 km von meinem Wohnort Coesfeld entfernt. Ich weiß nicht, wer ihn kennt.
    Ich hatte mir ja vorgenommen, hier nicht Partei zu ergreifen. Aber wenn auch alles auf den ersten Blick gesittet zuging, stachen mir doch von Beginn an krude Ideen des Regisseurs ins Auge. Wir befinden uns im ersten Akt nicht auf einem Segelschiff, sondern in einem Kaufmannskontor. Gewiss, Daland ist Kaufmann, und wie wir wissen, noch einer dazu, der hauptsächlich auf den eigenen Vorteil aus ist, und wenn er dafür seine eigene Tochter verkaufen muss. Aber in Duisburg (Regie Adolf Dresen) war das alles so wohltuend partiturgetreu und schlüssig, wenn auch musikalisch nicht auf absolutem Weltniveau (wie etwa in Zürich).


    Immer, wenn die Chorszenen anstanden, wie im ersten und zweiten Akt, ging das Ganze in eine heftige Parodie über, wie z. B. sich der Steuermann telefonisch den Wetterbericht durchgeben ließ oder auch über das Telefon Verbindung mit dem Schiff des Holländers aufnehmen wollte. Aber dort hatten sie wohl noch keine Telekommunikation. Krude auch die Idee, dass nicht allein der Steuermann vom anstrengenden Wachdienst in der Szene auf der Bühne einschläft, sondern gleich die ganze Mannschaft um ihn herum herniedersinkt, die Daland allerdings vorher in die Kojen geschickt hat. Aber wenn wir das Bühnenbild sehen, denkt sich der Regisseur vielleicht, dass man die Mannschaft in Ermangelung von Kojen gleich im Kontor schlafend zu Boden sinken lassen kann und gleich darauf den Holländer als "Deus ex machina" auftauchen lassen und sein Rezitativ und seine Arie "Die Frist ist um" singen lassen kann.
    Oder im zweiten Akt singt Sentas Amme, Frau Mary sinngemäß: "Ei fleißig, wie sie spinnen, will eine sich den Preis gewinnen?", und was machen die fleißigen Spinnerinnen? Sie tippen auf der Schreibmaschine.
    Wenn ich im Hinterkopf die Duisburger Aufführung habe, dann fällt mir z. B. in der Personenzeichnung auf, wie außerordentlich negativ Frau Mary in Zürich dargestellt wurde, ganz im Gegensatz zu der warmherzigen und jugendlichen Frau Mary in Duisburg. Auch das Konglomerat der "Spinnerinnen" (Tippsen) wird zu Beginn sehr negativ dargestellt. Das ändert sich schlagartig, als Senta ihre Ballade singt. Da sind sie bis auf ihre äußerliche Uniformität kaum noch von den Duisburger Spinnerinnen zu unterscheiden. Senta schlägt sie alle in ihren Bann.
    Somit kämen wir zu den Protagonisten.
    Natürlich ist klar, dass im Gegensatz zur zweiten Bundesliga aus Duisburg in Zürich die sängerische Championsligue am Start ist und aus dem Duisburger Doppel Holländer-Senta in Zürich ein Trio Holländer-Daland-Senta wird.
    Bryn Terfel ist als Holländer ein unglaublicher Vulkan, der meinen bisherigen Favoriten Dietrich Fischer Dieskau (Konwitschny) vor allem an tiefer Schwärze und an dynamischer Intensität (nicht an Dramatik) übertrifft, und Matti Salminen ist als Daland natürlich in eine Reihe zu stellen mit Gottlob Frick, wobei ich glaube, dass bei Salminen das schlitzohrige Verhalten, die "Geldgeilheit" noch überwiegt, aber genau kann man das ja nicht sagen, da es von der Dresdner Produktion ja keine Bildaufzeichnung gibt.
    Anja Kampe, die ich, ich gestehe es freimütig, bisher überhaupt nicht kannte (aber wer will es einem so langjährigen Opernenthaltsamen verdenken?), ist eine grandiose Senta, stimmlich wie darstellerisch, und gegen sie hat Erik (Marco Jentzsch), der eher den weinerlichen, saft- und kraftlosen Jäger gibt, nicht die Spur einer Chance.
    Als eine vollends unbegreifliche Idee erscheint es mir, dem Daland einen zu allem Überfluss auch noch schwarzen Diener, einen regelrechten "Underdog" an die Hand zu geben, der nach quälerischen Erniedrigungen (sie übergießen ihn immerzu mit Wein) durch die Matrosen (Büroangestellten) plötzlich explodiert und zu einem gnadenlosen Einzelkämpfer mutiert, der die Matrosen im Blutrausch fürchterlich dezimiert. Das alles wird optisch noch dadurch überhöht, dass auf der permanent vorhanden Afrikakarte ein Feuer entsteht, dass den ganzen Kontinent verschlingt.
    Und als am Ende der Holländer merkt, dass er das Opfer, dass Senta ihm bringen will, nicht annehmen kann, weil er die Liebe zu ihr entdeckt hat, da kommt der Regisseur auf die Idee, nachdem der Holländer die Flucht ergriffen hat, dass Senta, um ihre Treue bis in den Tod zu dokumentieren, sich nicht ins Wasser stürzt, sondern ihrem ehemaligen Freund Erik das Gewehr entreißt und sich den Kopf wegschießt.
    Zwei Szenen machen für mich die Oper doch sehenswert, das ist im zweiten Akt zunächst das Duett Senta-Erik, wobei das in dieser Aufführung vor allem der Leistung Anja Kampes als Senta zu verdanken ist und vor allem das grandiose Finale mit den Duetten: "Wie aus der Ferne längst vergangener Zeiten" und "Wirst du des Vaters Wahl nicht schelten?". Das ist Kammerspiel vom Allerfeinsten.
    Eine zentrale Szene der ganzen Oper, der Steuermanns-Chor, erfährt durch die seltsame Regie, die auch hier einen großen Bogen um die Partitur macht, eine völlig andere, für mich unverständliche Richtung. Hier wird die Handlung praktisch "zerbröselt".


    Zuletzt noch eine Bemerkung zu Chor, Orchester und Dirigent: grandios!


    Liebe Grüße


    Willi


    P.S. Ich werde auch mein Eindrücke zu den Aufnahmen aus Bayreuth, München und Dresden noch schildern.

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    deine Probleme mit der szenischen Seite dieser Inszenierung kann ich sehr gut nachvollziehen, die hatte ich auch, als ich das damals im Fernsehen sah (der gefühlt zigste "Indoor"-"Holländer" auch in den Außenakten), nur die Solisten (v.a. Terfel und zu diesem späten Zeitpunkt auch Salminen) fand ich nun wirklich nicht so rosig wie du. Da habe ich live eindrucksvollere erlebt.


    Bei dem konzertanten "Holländer" im September 2013, also nur wenige Monate später, in Hannover war Salminen deutlich besser, während Kampe dort auch Probleme mit der Tessitura der Partie hatte. Und Samul Youn gefiel mir da als Holländer wesentlich(!) besser als Terfel.


    Auch wenn ich inzwischen eine DVD der Züricher Fernsehaufzeichnung im Regal stehen habe, würde ich für diese Homoki-Inszenierung niemals eine Empfehlung aussprechen.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Nun habe ich heute zu meiner großen Überraschung einen Brief von den Münchener Opernfesstspielen 2016 erhalten, Inhalt eine Karte für den 19. Juli: Fliegender Holländer. Ich hatte den Vorfall schon fast vergessen, aber nachdem ich im Herbt Matti Salminen persönlich kennengelernt hatte, habe ich mal im Netz gestöbert und erfahren, dass er auf den Opernfestspielen den Daland singen würde.
    Nun habe ich nachgeschaut, und die Regie führt Peter Knowitschny, und ich weiß nicht, was mich erwartet. Ich hoffe nur, dass er nicht ins musikalische Geschehen eingreift.
    Aber Matti Salminen wird mich sicherlich für Einiges entschädigen.


    Liebe Grüße


    Will :)?(

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Nun habe ich heute zu meiner großen Überraschung einen Brief von den Münchener Opernfesstspielen 2016 erhalten, Inhalt eine Karte für den 19. Juli: Fliegender Holländer. Ich hatte den Vorfall schon fast vergessen, aber nachdem ich im Herbt Matti Salminen persönlich kennengelernt hatte, habe ich mal im Netz gestöbert und erfahren, dass er auf den Opernfestspielen den Daland singen würde.
    Nun habe ich nachgeschaut, und die Regie führt Peter Knowitschny, und ich weiß nicht, was mich erwartet. Ich hoffe nur, dass er nicht ins musikalische Geschehen eingreift.
    Aber Matti Salminen wird mich sicherlich für Einiges entschädigen.


    Liebe Grüße


    Will :)?(


    Lieber Willi,


    ich kenne die Konwitschny-Inszenierung aus München. Wenn ich sage, dass sie mir - mit einigen Abstrichen - gefallen hat, dann gibt Dir das wahrscheinlich schon zu denken :) Einen naturalistisch in Szene gesetzten "Holländer" darfst Du dort nicht erwarten, und das Ende ist auch ein musikalischer Eingriff. Mehr möchte ich dazu nicht verraten, weil damit die Überraschung verloren ginge.


    Ich überlege gerade, ob ich mir Barrie Koskys "Holländer" in Essen anschauen soll, der im März noch einmal läuft.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Zitat

    Zitat von William B.A. : Nun habe ich nachgeschaut, und die Regie führt Peter Knowitschny, und ich weiß nicht, was mich erwartet.


    Lieber Willi,


    ich will dir die Freude nicht verderben, aber in die Inszenierung darfst du sicherlich nicht mit größeren Erwartungen hineingehen. Ob er auch in die Musik eingreift, weiß ich natürlich nicht.
    Aber bei einer Freikarte kann man es ja mal wagen, wenn du bereit bist, das Geld für die Fahrt nach München auszugeben. Da kann man denn auch mal, wie ich es früher schon mal bei entgleisten Inszenierungen gemacht habe, mit geschlossenen Augen nur zuhören. Leider aber hatte ich jeweils die Karten für die Vorstellung bezahlt (Ich hatte damals ein Abonnement). Wir werden dann sicherlich von dir noch etwas über dein Erlebnis in München hören.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Nein, lieber Gerhard, es war keine Freikarte, ich habe die Bestellung getätigt, um Matti Salminen als Daland live zu erleben. Alles andere werde ich versuchen mit meiner hoffentlich genügenden Toleranz auszugleichen.


    @ Bertarido:


    Aber warum sollte man den Holländer nicht naturalistsich in Szene setzen? Ist das uncool? Ich habe gelesen, dass Konwitschny schon des öfteren zum "Regisseur des Jahres" gewählt wurde. Waren das lauter Juroren, die sich gegen Musik und Libretto entschieden haben?


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Aber warum sollte man den Holländer nicht naturalistsich in Szene setzen? Ist das uncool? Ich habe gelesen, dass Konwitschny schon des öfteren zum "Regisseur des Jahres" gewählt wurde. Waren das lauter Juroren, die sich gegen Musik und Libretto entschieden haben?


    Natürlich kann und darf man den "Holländer" naturalistisch in Szene setzen, aber man muss nicht. Und Konwitschny ist nun mal ein Regisseur, der anders inszeniert.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

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  • Waren das lauter Juroren, die sich gegen Musik und Libretto entschieden haben?


    Da fragst du noch? Wenn sie anders entschieden hätten, würde man ja denken können. sie hätten kein Verständnis für wahre Kunst!! :D

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Waren das lauter Juroren, die sich gegen Musik und Libretto entschieden haben?


    Konwitschny inszeniert nie gegen die Musik, im Gegenteil, es gibt wohl wenige Kollegen, die die Stücke musikalisch so gut kennen wie er. Er durchleuchtet die Stoffe und konzentriert sich gelegentlich auf Aspekte, die sonst nicht im Zentrum stehen, was im ersten Moment den Anschein ergibt, dass er die Stücke gegen den Strich bürstet. Dabei scheut er auch nicht optisch ausgefallene Lösungen. Generell sind seine Inszenierungen aber wohl durchdacht und fundiert, die unkonventionellen Ansätzen führen aber naturgemäß zu unterschiedlich geglückten Gesamteindrücken und man braucht schon eine gewisse Offenheit, um seinen Gedankengängen folgen zu wollen.


    Sein Holländer ist von dem rund ein Dutzend von Inszenierungen, die ich von ihm kenne, wohl im obersten Drittel einzuordnen. Mit einer guten Besetzung kann dieser Abend ein Opernfest ergeben. (Es gibt von mir irgendwo in den tiefen des Forums wohl einen Bericht von einer echten Sternstunde in Graz, in der Christiane Libor eine absolut phänomenale Leistung als Senta erbrachte.)

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Konwitschny inszeniert nie gegen die Musik, im Gegenteil, es gibt wohl wenige Kollegen, die die Stücke musikalisch so gut kennen wie er.


    Mag sein, dass er die Musik kennt, aber das bedeutet keineswegs, dass er nie gegen die Musik inszenieren würde. Beispiel: Beim Eingangschor "Nabucco" ist eine feuernde Festgesellschaft mit Skegläsern zu sehen, keine Verzweiflung, keine Angst - beides erzählt aber die Musik. Das Mittel der Ironisierung und "Verscheißerung" mag er auch sehr und setzt es häufig ein - dies ist (sogar bewusst) gegen die Aussage der Musik inszeniert.


    Und er greift auch schon mal in die Musik ein - wie auch bei seinem Münchner "Holländer" am Ende ("Bertarido" hat das schon angedeutet) - weitere solche musikalische Eingriffe (Unterbrechung der Schlussansprache in den "Meistersingern", Abbrechen der Ottavio-Arie im "Don Giovanni" zugunsten des Vorlesens eines Briefes von Vater Leopold Mozart an Sohn Wolferl) wären zu nennen.


    Im Übrigen hat sich Salminen selbst in einer Radiosendung ironisch-abfällig über diese Inszenierung geäußert, auch wenn er sie und ihren Regisseur nicht genannt hat, aber jeder "Eingeweihte" wusste, welche Inszenierung er meinte, als er von einem "Fliegenden Holländer" im Fitness-Studio sprach, wo er kürzlich wieder erst gastiert hatte.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Nun habe ich nachgeschaut, und die Regie führt Peter Knowitschny, und ich weiß nicht, was mich erwartet.


    Lieber Willi,


    ich bin bestimmt keine Anhängerin des Regietheater, fand die Inszenierung, die ich sogar zweimal gesehen habe, einmal davon mit Salminen, aber (trotz moderner Elemente) durchaus überzeugend und keinesfalls gegen die Oper....


    :untertauch: Elisabeth

  • Zitat

    Zitat von William B.A.: ich habe die Bestellung getätigt, um Matti Salminen als Daland live zu erleben.

    Lieber Willi,


    dann habe ich das falsch interpretiert. Natürlich würde ich auch gerne Matti Salminen, den wir beide in Ölbronn kennengelernt haben, und der schon von der Gestalt her eine besondere Wirkung auf mich hatte, auf der Bühne erleben. Aber den "Fliegenden Holländer" im Fitnessstudio, das wäre nichts für mein Empfinden. Sehr gut fand ich Matti Salminen als Daland in folgender Inszenierung aus den noch guten Jahren von Bayreuth:


    Das ist in meinen Augen eine gut durchdachte Deutung von Harry Kupfer, den "Fliegenden Holländer" als Wahngebilde der Phantasie Sentas zu zeigen, wobei die Handlung völlig unangetastet bleibt, mit der Ausnahme, dass Senta während der ganzen Vorstellung auf einem erhöhten Podium der Bühne die Handlung beobachtet und dann eingreift, wenn ihre Rolle in der Oper gefragt ist. Ungeheuer packend finde ich in der Aufnahme auch Simon Estes als Holländer.
    Für mich überragend ist Matti Salminen allerdings als Hagen in der Götterdämmerung.
    Ich wünsche dir auf jeden Fall, dass die Inszenierung dich nicht allzu sehr enttäuscht.

    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

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