Dietrich Fischer Dieskau - eine Referenz

  • Sehr hübsch und zutreffend schreibt das allseits bekannte online-Lexikon zum Begriff "maniriert": "Haltung oder Sprechweise, die als gekünstelt, geziert, pathetisch oder schwüstig empfunden wird" - Unterstreichung von mir. Es liegt im Auge des Betrachters, hier wohl richtiger "im Ohr des Hörers"...

    Lieber Udo,


    aber das ist nicht grundlos. Wo die Grenze liegt, was als "manieriert" empfunden wird, ist abhängig von einem ästhetischen Werturteil. Wenn die sogenannte "Empfindsamkeit" die natürliche, schlicht gesungene Melodie zum Maßstab erhebt, dann gerät der rhetorische Vortragsstil, der von Natur aus "übertreibt", weil sein Sinn die deklamatorische Wortverdeutlichung ist, generell in den Verdacht des Manierierten. Die Empfindsamkeit - vor allem die romantische dann auch - ist nicht zufällig rhetorikkritisch. Das Problem bei der Empfindsamkeit ist, dass sie den rhetorischen Stil nicht mehr differenziert betrachten kann. Der rhetorische Stil will auch gar nicht "natürlich" sein, er ist - wie die Barockästhetik - eine Ästhetik nicht des Natur-, sondern des Kunstschönen. Die gewisse Übertreibung, die zur rhetorischen Deklamation als einem betont artifiziellen Stil gehört, wird erst dann manieriert, wenn sie ein bestimmtes Maß übersteigt. Es gibt eine schöne Thomas Mann-Parodie von Armin Eichholz. Thomas Manns hochartifizieller Schreibstil ist immer an der Grenze zum Manierierten. Wir haben damals im germanistischen Seminar diese Parodie ("Der Sturz") besprochen. Da meinte unser Professor (Jürgen Born): An dieser Parodie sieht man die hohe Kunst von Thomas Mann. Wenn man nur eine Spur mehr übertreibt, kippt dieser Stil sofort ins Lächerliche - dann ist das nur noch Manierismus. Genau diese Grenze überschreitet Thomas Mann aber nicht, das ist seine große Kunst - Thomas Manns Stil ist artifiziell, aber nicht manieriert. Und genau das würde ich zu Fischer-Dieskau sagen. Seinen rhetorisch-deklamatorischen Gesangsstil muss man nicht mögen - wer "empfindsames" natürliches Singen mag und keine Rhetorik, der mag Fischer-Dieskau nicht. Aber genauso wenig wie Thomas Mann die Grenze zum Manierierten jemals überschreitet, überschreitet sie Fischer-Dieskau. Ich habe Fischer-Dieskau noch nie als "manieriert" empfunden. :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • Wie das?, - lieber udohasso?


    Die Erfahrung von Vergänglichkeit als etwas, das "froh" stimmt?


    Musik ist klanglich konkretisierte und strukturierte Zeit. Also solche ist sie wesenhaft vergänglich, und im Akt ihrer Rezeption kann sich eben gerade deshalb so etwas wie Beglückung einstellen.


    Lieber Helmut Hofmann ich fand es drollig, dass Du Dir die an mich gestellte Frage selbst beantwortest, und das gar nicht mal so schlecht...


    :)


    Die Heroen meiner frühen Jahre waren ausnahmslos Provinzgrößen, die den Tonträgern entgingen. Einer Konservierungsmethode, von der wir irrig annehmen, sie entzöge Musikerleben der Vergänglichkeit.


    Vermutlich erginge es mir bei einem Konzertmitschnitt aus Jugendtagen so, wie es oft mit alten Fotos geschieht. Es stellt sich kein Bezug zur Erinnerung her, oder schlimmer noch, die Aufnahme widerspricht ihr.


    Ich bin froh, dass mir diese Enttäuschung erspart bleibt.

  • Aus aktuellem Anlass möchte ich den Jahrhundertsänger Dietrich Fischer-Dieskau rühmen. Dieser hat es im Forum gerade nicht so leicht, seit hier jemand, der überhaupt nur eine einzige Gesangsschule als die einzig richtige anerkennt, diesen Sänger basht, wo er nur kann. Ich gebe aber zu, dass auch ich nicht immer mit allen hinterlassenen Interpretationen dieses Sängers glücklich bin, dass sich manchmal so etwas wie Überdruss einstellt, dass mir manchmal irgendwie die "reine Emotion" fehlt. Nicht so bei der Aufnahme die ich heute wieder einmal angehört habe: die Kantate Nr. 1 des Bachschen "Weihnachtsoratoriums" in der Aufnahme unter dem Leipziger Thomaskantor Kurt Thomas (im Eingangschor steht die Zeit manchmal geradezu still, aber das ist nicht das Thema dieses Beitrags).

    Wie Dietrich Fischer-Dieskau die wenigen Solo-Bass-Einsätze in Nummer 7 (Choral und Accompagnato-Rezitativ) und die Arie Nr. 8 singt, finde ich einfach nur anbetungswürdig, überirdisch gut. Ich möchte dieses hymnische Urteil im folgenden aber auch begründen.


    "Wer will die Liebe recht erhöh'n,

    die unser Heiland vor uns hegt?"


    Diese Frage markiert den ersten "Einwurf" des Solo-Basses, der bei Bach ja generell immer sehr hoch liegt, aus dem Bach-Bass hat sich letztlich der deutsche Bariton entwickelt (mit tieferer Lage als der italienische Bariton, aber eben höherer als der italienische Bass). Deshalb quält sich ein Bariton in einer Bass-Partie in einem Bach-Vokalwerk in der viel geforderten oberen Lage weniger als ein Bass, der oben häufig ganz schön powern muss, um diese zu erreichen.


    Während Fischer-Dieskau diese Frage singt, beantwortet er sie musikalisch schon in seinem Gesang: dieser ist von wohliger Zartheit und glänzendem Klang ganz ohne jede Kraftanstrengung. Schon das "erhöh'n" ist von solch himmlischer Beseeltheit, dass sofort klar wird, dass es himmlischer und höher gar nicht mehr geht, sodass eine Erhöhung über diese Wahrheit schlicht nicht möglich ist. Auch das "Heiland" ist zart und rein, gebrechlich, menschlich - ebenso wie das "uns" diese Zartheit und Reinheit hat. Der Heiland steht also nicht unerreichbar über uns, sondern ist einer von uns - und trotzdem zart und rein, was "uns" zu ihm erhebt. Was für eine Botschaft!


    Auch das Wort "Leid" in der zweiten Phrase dieser Partie ist besonders rein, zart, zerbrechlich, alles andere als pathetisch, eine kleine Träne schwingt mit und verweist schon auf des Heilands bevorstehendes Schicksal, aber auch hier werden die Menschen erhoben, weil "der Menschen Leid" hier ebenso licht und rein ist wie das des Heilands.


    Die dritte Phrase beginnt bei "Des höchsten Sohn" mit einem Glänzen, dass man den Sonnenstrahl, der vom Himmel scheint, bzw. den Heiligenschein förmlich hören kann.


    Auch in der vierten Phrase ist das Wort "Mensch" so zart, rein und zerbrechlich gesungen, dass hier wieder jenseits aller vordergründigen Propaganda ein Band zwischen Heiland und der Menschheit geknüpft wird.


    Diesen Ton der Reinheit und des Lächelns in der Stimme bei diesen kurzen Phrasen, die überirdische Abgeklärtheit, dieses Leuchten in der Stimme, finde ich hier ungemein beeindruckend und viel wirkungsvoller, als es jede Pathetik und Kraftmeierei sein könnten.


    Dann folgt diese bekanntermaßen doch sehr anspruchsvolle Arie Nr. 8 und hier wird FischerDieskau schon pathetischer in der Stimme, was bei dieser Nummer (mit Pauken und Trompeten, die einem König vobehalten waren) auch gar nicht anders möglich ist. Trotzdem verfällt Fischer-Dieskau auch hier nie in pure Kraftmeierei, sondern bleibt seiner Charakterisierungslinie aus dem vorangegangenen Rezitativ treu. Der "Große(r) Herr" ist kein Kraftprotz, sondern die Helligkeit der Vokalfäbung der Silbe "Groß" verweist auf seine Herkunft vom Himmel, der "liebste Heiland" wird durch den lieblichsten Klang sofort beglaubigt. Auch der Spitzenton "du" in der folgenden Phrase steht in dieser zarten Charakterisierungslinie, während das "Pracht" am Ende der Phrase dann deutlich herrischer und dunkler klingt (Fischer-Dieskau hat die Tiefe dafür, ohne die vordergründig auszustellen - und selbst diese "Erdenpracht" ist bei ihm kein vordergründig schroffer Gegensatz, sondern ein Spalt der Tür zum Himmel scheint doch offen zu stehen.

    Das folgende "Oh, wie wenig" hat so viel "Saft" und Glanz in der Stimme (nachdem es zuvor etwas pathetischer wurde), dass dieses permanente "milde Lächeln", das man mithört, die ganze Sache wieder sofort beglaubigt. Wer weiß, dass er die Wahrheit sagt, kann diese ganz entspannt vortragen - und Fischer-Dieskau singt das in einer Milde, die beglaubigt, dass er weiß, dass er die Wahrheit singt.

    Dann kommt die gefürchtete "Achtest du"-Phrase, wo es noch einen Tonschritt heraufgeht, häufig vom Interpreten nur durch besonderes Forcieren zu bewältigen, aber bei Fischer-Dieskau wird der höhere Ton leichter als der tiefere Sekundton davor - er ist wieder einen Schritt näher am Himmel dran (der Gegensatz von oben und unten in dieser Arie wird von Bach ja sehr deutlich klar gemacht und hier ist das Oben nicht das Krafmeierische, Pathetischere, sondern das Reinere, Mildere). Es gibt viele andere Interpreten, bie denn das nicht so ist. Und die Tiefe ist immer noch so leicht, dass sie nicht vordergründug verdammt. Die "harte(n) Krippen" sind bei ihm so sanft gesungen, dass man hört, die die Engel Kissen herabbringen, um den Knaben darin wich zu betten (wenigstens in übertragenem Sinne). Und welcher andere Interpret dieser Arie hat jemals das Wort "erhellt" stimmlich so sehr beglaubigt? Fischer-Dieskau macht das Licht, das der Himmel schickt, stimmlich glaubhaft - was würde besser zu der geschilderten Situation passen?

    Trotzdem verstrahlt der Sänger in der Arie auch eine triumphierende Entschlossenheit, der gloriose Trumph wird eindrucksvoll erlebbar, beides scheinbar sich Ausschließende (Bekräftigung und mildes Lächeln) findet parallel zueinander als zwei Seiten einer Medaille statt. Seine Interpretation ist überirdisch und zutiefst menschlich zugleich - und erhebt somit die Menschen bis in den Himmel hinein.


    Ich sage es nochmal: Für mich die Jahrhundertaufnahme eines Jahrhundertsängers!


    (Ich habe es auf spotify gehört, stelle es aber von Youtube ein.)



    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Eine sehr schöne Analyse, die ich gerne gelesen habe und die mich gleich dazu motiviert hat, die Aufnahme mal wieder zu hören, was nicht so einfach ist, wenn man heutige Bachinterpretationen im Ohr hat. Wenn man sich darauf einlässt, wird man aber eine in sich sehr stimmige Bach-Interpretation erleben, die uns gerade heute, wo wir den Vergleich zu ganz anderen Lesarten haben, dennoch noch etwas sagen kann.

    Eine Bemerkung möchte ich aber noch hinzufügen: Du schreibst, Fischer-Dieskau habe es hier im Forum seit einiger Zeit nicht leicht, seit ein User gegen ihn polemisiere. Es ehrt dich sehr, dass du die Aussagen dieses Users so ernst nimmst und so fachkundig und ausführlich zu entkräften versuchst. Ich persönlich finde die Abqualifizierung von Künstlern aufgrund von wenigen Pseudofachbegriffen so wenig relevant, dass man darauf eigentlich gar nicht eingehen müsste. Wenn dabei aber so etwas Lesenswertes wie die vorliegende Höranalyse herauskommt, ist doch allen gedient.

  • Lieber Stimmenliebhaber,


    danke für diese ausführliche und wie immer fachlich fundierte und lesenswerte Analyse. Auch wir haben daraufhin mit den Kindern in das Weihnachtsoratorium hineingehört und Fischer-Dieskau und Josef Traxel, bei dem ich einige Zeit privaten Gesangsunterricht hatte, genossen. Selbstverständlich müssen auch bei den anerkanntesten Gesangssolisten neben allen Stärken auch Grenzen aufgezeigt werden. Ich meine jedoch, dass gewisse Zulässigkeiten erreicht, wenn nicht gar überschritten sind, wenn "Säulenheilige" wie z. B. Birgit Nilsson und Fischer-Dieskau pauschalierend abqualifiziert werden.

    Herzlichst

    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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  • Lieber Stimmenliebhaber!

    Aus aktuellem Anlass möchte ich den Jahrhundertsänger Dietrich Fischer-Dieskau rühmen. Dieser hat es im Forum gerade nicht so leicht, seit hier jemand, der überhaupt nur eine einzige Gesangsschule als die einzig richtige anerkennt, diesen Sänger basht, wo er nur kann.

    Die ständigen Seitenhiebe und Ausfälle gegen Dietrich-Fischer Dieskau durch den wohl gemeinten Basher finde ich auch ärgerlich, weil sie kaum sachlich begründet werden. Dass Du Dir die Mühe gemacht hast, eine fundierte Wertschätzung dagegen zu setzen, finde ich sehr honorig. Ich habe Deinen Beitrag gern gelesen.


    Weihnachtliche Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Ich weiß zwar nicht, wer da gemeint gewesen ist. Ich kann es kaum gewesen sein. ;) Obwohl ich mit dem späten Dieskau auch mehr als fremdele - ist er mir in seiner Jugend und Hochzeit unersetzlich. Besagtes "Weihnachtsoratorium" habe ich auch dieser Tage gehört und höre es fort. Obwohl in meinem Bestand kein Magel an diesem Stück ist, komme ich immer wieder auf diese Thomas-Einspielung zurück. Sie bietet mir ein Maß an tiefer Erfülltheit und inniger Mitteilsamkeit, die ich in keiner, nicht in einer einzigen modernen Darbietung finde.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich weiß zwar nicht, wer da gemeint gewesen ist.

    Ich sage nur "italienische Gesangstechnik" und "im Körper singen" ^^. Ernst nimmt die Beiträge dieses Autors außer ihm selber wohl niemand hier. Im übrigen kann ich mich dieser Aussage voll und ganz anschließen:


    Ich persönlich finde die Abqualifizierung von Künstlern aufgrund von wenigen Pseudofachbegriffen so wenig relevant, dass man darauf eigentlich gar nicht eingehen müsste. Wenn dabei aber so etwas Lesenswertes wie die vorliegende Höranalyse herauskommt, ist doch allen gedient.

    :jubel:

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ich sage nur "italienische Gesangstechnik" und "im Körper singen" ^^.

    Ahnte ich es doch.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


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  • Ja, man kann Anstoß daran nehmen, dass er die "P"s der Pappeln in der Artikulation fast purzeln lässt. Manierismus kann man das nennen...

    ...Oder auch einen Hauch von Ironie. So habe ich die Stelle in Schuberts "Jüngling an der Quelle" in der Interpretation durch Fischer-Dieskau immer empfunden. Insofern hat der Sänger mir das Interpretationspektrum auf eine feine und sehr intelligente Weise erweitert, wie das nur er kann. Wie anders könnten man denn sonst mit "flispernden Pappeln" umgehen? Wenn ich dieses Lied anhöre, dann achte ich zunächst immer auf diese Stelle. Sie entscheidet mit darüber, ob mir der Vortrag gefällt oder nicht.


    Nun weiter im Zitat von Helmut:

    ... Aber wenn man das tut, hat man vom Geist dieses Schubertliedes nichts begriffen.
    Man hat nicht begriffen, dass sich sein Zauber erst dann entfaltet und nur dann davor bewahrt werden kann, in schieren Kitsch abzugleiten, wenn man die flispernden Pappeln und all das, was hier sonst noch so rieselt und nachseufzt, nicht ganz ernst nimmt.
    So wie jede Idylle nicht ernst genommen werden darf, damit sie sein kann, was sie sein will:
    Raum für die kontrafaktische Macht der künstlerischen Phantasie.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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  • Ernst nimmt die Beiträge dieses Autors außer ihm selber wohl niemand hier. Im übrigen kann ich mich dieser Aussage voll und ganz anschließen:

    Lieber Bertarido, liebe Freunde,

    bis auf einige Steckenpferde, die zu oft und zu apodiktisch geritten werden nehme ich die Beiträge des Verfassers durchaus ernst. Italienisch ist nur eine Gesangstechnik und isoliert zu allgemein ausgedrückt und das Singen aus dem Körper und stützen, stützen und nochmals stützen ist das kleine Einmaleins der Gesangstechnik. Im Grunde unterstreicht jedoch allein das Buch über "Weinbergs-Passagierin-Eine Analyse der Auschwitz-Oper" mit den sehr detaillierten Notenbeispielen die Fachkompetenz des Verfassers. Auch die Zahl der zustimmenden Rezensionen und die 2. erweiterte Auflage sprechen für das Werk. Kritiken des Verfassers, die selbst in Bayreuth- Heften nachgedruckt wurden, sind sicherlich beachtenswert.

    Auch hier im Forum lese ich die Beiträge von Lustein mit Interesse und durchaus bereichernden Nutzen. Die vorstehend bereits erwähnte Marotte mit Überbetonung bestimmter Beurteilungs-Kriterien nehme ich mit Schmunzeln in Kauf. Allerdings sollten wir auch berücksichtigen, dass der Autor sich in diese Situation manövriert hat und nun immer wieder auf den erwähnten Punkten herum gehackt wird. Ich meine kritische Diskussion ist durchaus berechtigt eine qualitative Pauschalverurteilung eines aktiv schreibenden Mitglieds des Forums meiner Meinung nach jedoch nicht.

    Herzlichst

    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • und das singen aus dem Körper und stützen, stützen und nochmals stützen ist das kleine Einmaleins der Gesangstechnik.

    Und gerade weil das "das kleine Einmaleins" professionellen Operngesangs ist, ist es völlig unredlich, die professionellen Opernsänger, die dieses kleine Einmaleins alle beherrschen und mit dem "Rechnen" schon viel weiter sind, einzuteilen in diejenigen, die dieses "kleine Einmaleins" angeblich beherrschen und damit schon die ganz großen "Rechner" sind, und diejenigen, die dieses "kleine Einmaleins" angeblich nicht beherrschen und die somit doch offenbar ihren Beruf verfehlt hätten. In der großes "Kunst des Rechnens" kommt man mit dem "kleinen Einmaleins" nur noch sehr selten zum höchsten Ziel, da werden dann noch ganz andere Dinge relevant, die mit dem "kleinen Einmaleins" nicht zu greifen sind. :yes:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Kleine Pause.

    Ich bin ein großer Fish-Dish-Fan (die Amerikaner nannten ihn so), nicht für Bach, aber für Lieder und zwei von meinen Lieblingsopern, Palestrina von Pfitzner und Mathis der Maler von Hindemith.

    In einem Interview der SZ mit Tobias Moretti, den Hauptdarsteller im neuen Beethoven-Film, erzählt dieser einen schönen FD-Witz.

    Otto Klemperer probt mit Fischer-Dieskau. Er bricht ab und fragt: "Warum singen Sie die Stelle so komisch?" Fischer-Dieskau: "Mir ist heute Nacht Bach erschienen und er hat gemeint, ich müsste das so singen." Am nächsten Tag bei der Probe singt FD die Stelle genau so. Klemperer bricht ab und sagt:" Stellen Sie sich vor, ich habe heute Nacht auch von Bach geträumt. Er hat gesagt, er kennt Sie gar nicht!"

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Zum zehnten Todestag Dietrich Fischer-Dieskaus. Ein Bekenntnis


    Die Nachricht von seinem Tod ist mir noch so gegenwärtig, als hätte ich sie heute Morgen erhalten. Sie traf mich, traf mich tief, denn dieser Mensch und Sänger prägte mein Leben. Durch ihn fand ich Zugang zum Kunstlied, das mir als musikalische Gattung zuvor wenig zu sagen hatte und nun zum maßgeblichen Inhalt meines Lebens wurde. Darin wurde er mir zum Begleiter, dies in Gestalt seiner Liedaufnahmen auf Schallplatten und CDs, seiner Bücher und seiner Liederabende, die ich besuchte wann und wo immer es mir irgend möglich war. Es war kein mit Verehrung einhergehendes Fan-Verhältnis, was da entstand und bis heute, über seinen Tod hinaus fortbesteht, es war und ist eines von hochgeschätztem Lehrmeister und dankbarem Schüler in der rezeptiven Beschäftigung mit Liedmusik und ihrer analytischen Betrachtung.


    Fischer-Dieskaus historische Bedeutung als gesanglicher Interpret von musikalischen Werken gründet nicht in den Leistungen, die er im Bereich der Opernmusik erbracht hat, sie beruht darauf, dass er als erster hat vernehmlich und erkennbar werden lassen, dass ein Kunstlied keine kleine klanglich zierliche Arie darstellt, wie die in der Regel von der Opernbühne kommende vorangehende Sänger-Generation es verstand und interpretierte.

    Es ist musikalische Lyrik, sich darin als solche erweisend, dass Melodik und Klaviersatz in ihrer spezifischen Gestalt und Struktur die sprachliche Gestalt, die Semantik und das evokative Potential der Metaphorik von lyrischem Text reflektiert.


    Die gesangliche Interpretation muss all dies erfassen und wiedergeben können, um einem Kunstlied als musikalischer Lyrik gerecht werden zu können. Fischer-Dieskau ist das auf singuläre Weise gelungen, und sein Grundkonzept von Liedinterpretation wurde maßstabgebend und Leitlinien liefernd für die nachfolgende Liedsänger-Generation.

    Ist davon noch etwas da im Bewusstsein von klassikinteressierten Kreisen der deutschen Öffentlichkeit? Es sieht nicht so aus. Unter den Fernsehanstalten brachte allein ARD-Alpha ein Interview von 2005, versehen mit der Einblendung „Zum zehnten Todestag“, kurioserweise aber – und das ist vielsagend - am Sonntag, dem 15. Mai um 22.05 Uhr. Im Rundfunk bringt WDR 3 heute um 20.05 eine Sendung mit Liedaufnahmen „Zum zehnten Todestag“.

    Das war´s dann.


    Fischer-Dieskau ahnte es. Als er in einem seiner letzten Interviews nach dem möglichen Weiterleben und –wirken seines künstlerischen Schaffens gefragt wurde, äußerte er starke Zweifel. Er müsse davon ausgehen, so meinte er, und das ohne alle Bitterkeit, dass er alsbald der Vergessenheit anheimfalle.

    Und so soll er denn hier Gelegenheit bekommen, seine so einmalige liedinterpretatorische Kunst vernehmlich werden zu lassen. Ich wähle ein Mörike-Lied.
    Vielleicht geriete er dabei, wenn er es hören könnte, ins Schmunzeln, käme dieses Ereignis in Erinnerung. Nach einem Hugo-Wolf-Liederabend trat George Szell an ihn heran und meinte:
    „So etwas dürfen Sie doch nicht singen. Das ist doch keine Musik. Das sind doch bloß Gedichte“.
    Vielleicht rief er aber auch: „Halt, diese Stelle da, Takt XY, die gefällt mir gar nicht. Die würde ich heute anders machen!“
    Denn selbstkritisch war er bis zum Äußersten.


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  • Es ist musikalische Lyrik, sich darin als solche erweisend, dass Melodik und Klaviersatz in ihrer spezifischen Gestalt und Struktur die sprachliche Gestalt, die Semantik und das evokative Potential der Metaphorik von lyrischem Text reflektiert.


    Die gesangliche Interpretation muss all dies erfassen und wiedergeben können, um einem Kunstlied als musikalischer Lyrik gerecht werden zu können. Fischer-Dieskau ist das auf singuläre Weise gelungen, und sein Grundkonzept von Liedinterpretation wurde maßstabgebend und Leitlinien liefernd für die nachfolgende Liedsänger-Generation.


    Ich kenne aus meinem eigenen Fach das Phänomen, dass wirklich große Leistungen mit der Zeit so selbstverständlich werden, dass man häufig nicht mehr versteht, wer wann zu welcher Zeit dafür hat kämpfen müssen. Das Vergessen des eigentlichen (Er)finders ist nicht selten das Indiz für die Bedeutung der Leistung :)


    Für mich als Lyrikfreund ist Dieskau nicht selten einer, dessen Gesang ich mir gerne anhöre. An schönen Stimmen an sich habe ich eigentlich kein Interesse .... Aber, wie Du schon sagst, Es scheint so zu sein, dass Dieskau im Eingang des Textverständnisses in den Liedgesang Maßstäbe gesetzt hat, die man wahrscheinlich bei jedem jüngeren Interpreten hören kann, unabhängig davon, ob er sich direkt darauf bezieht.


    Dieskaus Interpretation der Winterreise hat mir überhaupt erst den Liedgesang eröffnet. Das vergisst man nicht.

  • Die Nachricht von seinem Tod ist mir noch so gegenwärtig, als hätte ich sie heute Morgen erhalten. Sie traf mich, traf mich tief ...

    Es war auf einer Urlaubsreise im Harz, im Hotelzimmer flackerte eine wenige Sekunden währende Nachricht über den Bildschirm, das wars dann aber auch schon ...
    Zu meiner Frau sagte ich: »Eigentlich müssten jetzt in ganz Deutschland die Glocken läuten«, aber so ganz ernst gemeint war das natürlich nicht, da kennt man schließlich die Kulturlandschaft zu gut ...

  • Es sind sehr bewegende und treffende Worte anlässlich des 10. Todestages über Fischer-Dieskau gefunden worden. Ich mache mir eigentlich keine Sorgen darüber, dass er vergessen würde. Auch wenn keine Glocken läuteten bei seinem Tod. :hello:Er war ja selbst als Künstler nicht auf Masse aus, die schneller vergisst als der kleine erlesene Kreis. Die Masse bräuchte es aber, wollte einer in aller Munde bleiben. Er war nach meiner Wahnehmung als Mensch und als Künstler ein Aristrokrat, umgeben von einer gewissen Aura der Unnahbarkeit. Ich glaube nicht, dass ihn Publikumsgeschmack bei aller seiner Eitelkeit überhaupt interessierte.


    Und er erlag dem Irtrtum, es immer wieder anders und damit womöglich besser machen zu können und zu wollen, was Helmut so ausdrückte:


    Vielleicht rief er aber auch: „Halt, diese Stelle da, Takt XY, die gefällt mir gar nicht. Die würde ich heute anders machen!"
    Denn selbstkritisch war er bis zum Äußersten.

    Ich spreche nur von mir, wenn ich sage, dass diese Sehnsucht ein ganz schwieriger Prozess ist. Dabei geht die Spontanität verloren, auf die ich viel Wert lege. Fischer-Dieskau hat bekanntlich vieles immer und immer wieder gesungen - und eben auch aufgenommen. Schließlich kann sich die Nachwelt nur an die Aufnahmen halten. Je länger er sang, umso weniger erreichte er mich. Der Markt ist mit seinen Dokumenten regelrecht überschwemmt. Diese Fülle kann dem Nachruhm abträglicher sein als die Knappheit. Ach, hätte er, doch das auch noch gemacht ... Bei Dieskau kommt mir dieser Wunsch nicht auf. Je älter ich werde, umso mehr verstehe ich meine kritische Distanz zu ihm als die eigentliche Verehrung.


    Noch in diesem Jahr erscheint anlässlich des 10. Todestages

    Dietrich Fischer-Dieskau - Complete Lieder on Deutsche Grammophon


    Dazu heißt es beim Werbepartner jpc: In dieser 107 CDs umfassenden Box erscheint erstmals gesammelt Dietrich Fischer-Dieskaus gesamtes Liedschaffen bei DG, Philips und Decca. Über 50 Jahre Aufnahmegeschichte von 1949 bis 2003 bietet die Möglichkeit, die Entwicklung dieser epochalen Stimme über seine ganze, lange Karriere nachzuverfolgen – allein vier unterschiedliche "Winterreisen" gestatten einen faszinierenden Vergleich. Enthalten sind neben dem fast vollständigen Liedschaffen von Schubert, Schumann, Brahms, Wolf, Liszt und Strauss für Männerstimme auch weniger geläufiges oder zeitgenössisches Repertoire – dazu Duette, Vokalensembles, Sinfonisches, Melodramen und bisher unveröffentlichte Aufnahmen. Das Porträt wird abgerundet durch ein Audio-Dokument "Aus meinem Leben", ein ausführliches Interview auf CD und ein 240-seitiges Booklet mit Essays von Dr. Michael Wersin und Cord Garben sowie zahlreichen unveröffentlichten Fotos und Dokumenten aus Privatbesitz, der Staatsbibliothek zu Berlin und dem DG-Archiv."


    Wenn das nichts ist! Mir ist vom Umfang her keine vergleichbare Edition eines Sängers zu einem Genre bekannt.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Wie ich zu FiDi stehe wissen ja viele, seine Aufnahmen stehen bei mir nicht mehr im Regal, das Letzte was ich gehört hatte waren die Kantaten BWV 82 und 56 und danach war für mich Schluss.

    Zitat von Rheingold1876

    Er war nach meiner Wahnehmung als Mensch und als Künstler ein Aristrokrat, umgeben von einer gewissen Aura der Unnahbarkeit

    So hat er sich auch benommen!


    Zitat von Rheingold1876

    Ich glaube nicht, dass ihn Publikumsgeschmack bei aller seiner Eitelkeit überhaupt interessierte.

    Leider!

    Ich habe ihn kurz kennengelernt über einem befreundeten Pianisten, das war für mich dann leider das Tüpfelchen auf dem i!

    Ich konnte dann auch nicht mehr über meinen Schatten springen, es ist dann bei mir so, ich kann ....wenn ich eine Künstler kennengelernt habe und er mir seine ganze Überheblichkeit entgegenbringt, nicht mehr zwischen Ķünstler und Mensch trennen. Ist bestimmt ein Fehler von mir, aber ich muss ja auch nicht!

    Aber Gott sei Dank gibt es auch das Gegenteil!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Bei Fidi mache ich mir eigentlich keine Sorgen, dass er vergessen werden könnte. Selbst für die wenig Kundigen im Fach Kunstlied ist er doch der Inbegriff des deutschen Liedsängers und wird es wohl auch bleiben! :)


    Singulär:




    :)


    Schöne Grüße
    Holger

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  • sein Telramund ist m.E. auch nicht ideal geraten.

    Ich wollte gerade den Lohengrin mit Rudolf Kempe ins Feld führen - allerdings als meine persönliche Lieblingsaufnahme mit DFD. Gerade der erste Aufzug, der oft ein wenig langweilig klingt, wird von ihm und Gottlob Frick mit Leben gefüllt. Der Dialog zwischen ihm und Christa Ludwig im zweiten Aufzug ist hingegen eine absolute Perle. Frau Ludwig lässt Ortrud so irre und hasserfüllt klingen, dass Bellatrix Lestrange im Vergleich zu ihr ein Schulmädchen ist.


    Die Kritik, die hier von einigen Geäußert wurde, kann ich durchaus nachvollziehen. Die Winterreise klingt bei ihm stimmlich superb und sehr sorgfältig ausgearbeitet, allerdings wirkt er auf mich immer ein wenig distanziert. Bei Hans Hotter oder auch bei Peter Anders spüre ich, dass sie beide der Wanderer SIND, währen DFD eher so klingt, als würde er über einen Wanderer singen bzw. als würde er eine Dissertation über Schubert verfassen. Auch viele seine Opernpartien klingen für mich zu intellektuell und distanziert. Hans Sachs und Papageno waren nun einmal keine Universitätsprofessoren. Da gefällt mir z.B. der warm und derb klingende Gerhard Hüsch (unter Beecham) deutlich besser.


    Dennoch: für mich ist die Waage bei DFD eindeutig positiv. Ein fantastischer Künstler mit einem beeindruckenden Lebenswerk.

  • Die Kritik, die hier von einigen Geäußert wurde, kann ich durchaus nachvollziehen. Die Winterreise klingt bei ihm stimmlich superb und sehr sorgfältig ausgearbeitet, allerdings wirkt er auf mich immer ein wenig distanziert. Bei Hans Hotter oder auch bei Peter Anders spüre ich, dass sie beide der Wanderer SIND, währen DFD eher so klingt, als würde er über einen Wanderer singen bzw. als würde er eine Dissertation über Schubert verfassen.

    So etwas liest man immer wieder. Und ich kann das so gar nicht nachvollziehen. ^^ Ich halte das für ein großes Missverständnis, das von einer bestimmten Rezeptionshaltung herrührt und zweierlei grundverschiedenen Arten des Singens. Die Aufnahmen der "Winterreise" sowohl mit Hans Hotter als auch mit Peter Anders habe ich - sie gefallen mir ebenfalls sehr gut. Nur ist das eine ganz andere Art des Singens als Fischer-Dieskau. Wir hatten das mal im Zusammenhang mit meinem "Kitsch-Artikel" diskutiert - da war mein Aufhänger bezeichnend Peter Anders´ Vortrag von "Allerseelen":


    (K)Ein Platz für Kitsch? – „Allerseelen“-Sentimentalität


    Ich habe diese Art des Singens "Betroffenheits-Pathos" genannt in der sentimentalen Art, wie wenn der Sänger ständig zum Ausdruck bringen möchte: "Ich bin ja sooo ergriffen von dem, was ich singe!" Dieses Betroffenheits-Pathos in der Stimme überträgt sich unmittelbar auf den Hörer, so dass der auch ergriffen wird und das Gefühl der "Nähe" zum Sänger hat, so, als sei er mit ihm per "Du". Bei Fischer-Dieskau gibt es solch eine Art des stimmlich affektierten Singens, was den Hörer "anmacht", nun gar nicht. Hörer, die Liedgesang vornehmlich affektiert aufnehmen, vermissen deshalb nicht unzufällig die rührend-berührende Stimme und empfinden den Gesang entsprechend als kühl-distanziert. Dieser Eindruck des Kühlen und Distanzierten liegt aber letztlich nicht am Sänger, sondern am Hörer, der schlicht die "falsche" Einstellung hat, wie er einen solchen gänzlich unaffektierten Gesang aufnimmt. Fischer-Dieskau singt sprachdeutlich und charakteristisch, was er betreibt ist reinen Ausdrucksgesang - frei von aller sentimentalen Affektiertheit. Diese spezifische Emotionalität erschließt sich deshalb auch nicht durch den Affekt, sondern die Einfühlung in den Ausdrucksgehalt. Wer solch einen Gesang als kühl und professoral empfindet, der realisiert schlicht nicht den bis zur höchsten Intensität gesteigerten Ausdrucksgehalt in diesem Singen. Deswegen gehen die Bewertungen was Fidis Emotionalität angeht auch so auseinander - je nach Hörertyp. :D Niemand singt Mahler z.B. so tief empfunden und geradezu erschütternd wie Fischer-Dieskau. Von der Winterreise gibt es von ihm ja sehr viele Aufnahmen. Ich mag sehr seine Konzertaufnahme aus Salzburg mit dem jungen Maurizio Pollini. Besonders die trotzig-aufrührerischen Stücke realisiert Fidi da - angestachelt durch Pollini - wirklich umstürzlerisch, wogegen z.B. die ansonsten sehr schöne Studioaufnahme mit Jörg Demus da eher ein bisschen ästhetisierend glättet. :)


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    Schöne Grüße

    Holger

  • Niemand singt Mahler z.B. so tief empfunden und geradezu erschütternd wie Fischer-Dieskau.

    Vielen Dank für Deinen für mich sehr lehrreichen Artikel, Holger. Und entschuldige bitte die sehr verspätete Antwort. Die Arbeitsbombe hat in den letzten Wochen eingeschlagen, und deswegen kam ich nicht zum schreiben.


    Sein Mahler ist wirklich grandios, ich kenne ihn gut und höre ihn sehr gerne.


    Dennoch bin ich immer und immer überrascht, wie extrem schwankend insbesondere seine Operneinspielungen für mich sind. Ich hatte ja bereits geschrieben, dass ich seinen Telramund unter Kempe für großartig halte - vielleicht noch besser als den von Hermann Uhde unter Keilberth aus Bayreuth. Umso überraschender war es für mich, FiDi als Holländer unter Konwitschny zu hören. Hier fällt er im Vergleich zu Uhde (auch unter Keilberth aus Bayreuth) doch sehr deutlich ab. Ich spüre nichts von dem verzweifelten Teufel der Meere, wie ihn Uhde vermittelt. die Partie kann FiDi vielleicht gesanglich darstellen, aber in meinen Augen weder stimmlich noch interpretatorisch bewältigen. Das gleiche gilt für seinen Sachs unter Jochum. Leider ruinieren FiDi und Domingo gemeinsam diese vielversprechende Aufnahme in meinen Augen vollkommen.

  • Das gleiche gilt für seinen Sachs unter Jochum. Leider ruinieren FiDi und Domingo gemeinsam diese vielversprechende Aufnahme in meinen Augen vollkommen.

    Es ist schon ein ziemlicher Jammer, dass der mutmaßlich geborene Beckmesser (und damit meine ich ausdrücklich allein die Wagner-Rolle) dann meinte, er sei eigentlich ein Sachs. Fischer-Dieskau hätte, so mutmaße ich zumindest, der Rolle des Stadtschreibers hochinteressante Facetten hinzufügen und Interpretationsgeschichte schreiben können. Eine Witzfigur wäre sein Beckmesser bestimmt nicht geworden. Dass er davon Abstand nahm, zeigt wohl auch, dass er befürchtete, damit seinen Kritikern, die ihn in seiner allgemeinen Rollengestaltung "beckmesserisch" empfanden, eine Steilvorlage zu liefern. In besagter Jochum-Aufnahme finde ich Domingo noch entbehrlicher, weil seine deutsche Diktion zum Davonlaufen ist. Da hätte er von Fischer-Dieskau tatsächlich sehr viel lernen können.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Vielen Dank für Deinen für mich sehr lehrreichen Artikel, Holger. Und entschuldige bitte die sehr verspätete Antwort. Die Arbeitsbombe hat in den letzten Wochen eingeschlagen, und deswegen kam ich nicht zum schreiben.


    Sein Mahler ist wirklich grandios, ich kenne ihn gut und höre ihn sehr gerne.


    Dennoch bin ich immer und immer überrascht, wie extrem schwankend insbesondere seine Operneinspielungen für mich sind. Ich hatte ja bereits geschrieben, dass ich seinen Telramund unter Kempe für großartig halte - vielleicht noch besser als den von Hermann Uhde unter Keilberth aus Bayreuth. Umso überraschender war es für mich, FiDi als Holländer unter Konwitschny zu hören. Hier fällt er im Vergleich zu Uhde (auch unter Keilberth aus Bayreuth) doch sehr deutlich ab. Ich spüre nichts von dem verzweifelten Teufel der Meere, wie ihn Uhde vermittelt. die Partie kann FiDi vielleicht gesanglich darstellen, aber in meinen Augen weder stimmlich noch interpretatorisch bewältigen. Das gleiche gilt für seinen Sachs unter Jochum. Leider ruinieren FiDi und Domingo gemeinsam diese vielversprechende Aufnahme in meinen Augen vollkommen.

    Lieber Tecumseh V.,


    herzlichen Dank für die Rückmeldung! :) Das glaube ich Dir alles gerne, was Du schreibst! Die Konwitschny-Aufnahme habe ich glaube ich sogar auf DVD. Da muss ich mal schauen und nachhören. Im Moment komme ich leider kaum zum Musik hören aus diversen Gründen - Opern mit ihrer Länge haben da ganz schlechte Karten! ;( :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

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  • In besagter Jochum-Aufnahme finde ich Domingo noch entbehrlicher, weil seine deutsche Diktion zum Davonlaufen ist. Da hätte er von Fischer-Dieskau tatsächlich sehr viel lernen können.

    Ja, leider ist die Einspielung insgesamt sehr enttäuschend, trotz der großen Namen. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich sie vor vielen Jahren für damals sehr viel Geld auf CD gekauft hatte, nur um sie schnell wieder wegzulegen. Manchmal ist es so, dass das Ergebnis am Ende weniger ist, als die Summe der vielen wertvollen Einzelteile. Und so hart es auch ist: FiDi ist einer der schlechtesten Sachs-Interpreten in der Aufnahmegeschichte des Werkes.


    Sehr gut gefällt er mit hingegen als Kurwenal unter Furtwängler. Dort klingt er jugendlich und um einiges natürlicher. Auch passt die Rolle generell sehr gut zum Klangcharakter seiner Stimme.

  • Umso überraschender war es für mich, FiDi als Holländer unter Konwitschny zu hören. Hier fällt er im Vergleich zu Uhde (auch unter Keilberth aus Bayreuth) doch sehr deutlich ab. Ich spüre nichts von dem verzweifelten Teufel der Meere, wie ihn Uhde vermittelt. die Partie kann FiDi vielleicht gesanglich darstellen, aber in meinen Augen weder stimmlich noch interpretatorisch bewältigen.

    Hallo Tecumseh Valley,


    mir ist zwar bewußt, daß ich eigentlich gar nicht angesprochen bin, aber trotzdem möchte ich, was FiDi's Holländer betrifft, hier lebhaft Einspruch erheben. Den Vergleich mit Hermann Uhde kann ich leider nicht (mehr) machen, da ich den alten Keilberth-Mitschnitt von 1955 (Decca) nur auf LP hatte und nicht mehr besitze. Mir ist aber Uhdes Darstellung, obwohl seit vielen Jahren nicht gehört, in guter Erinnerung.


    Doch hier geht es ja um Fischer-Dieskau in der Konwitschny-Aufnahme von 1960, und den finde ich sowohl künstlerisch als auch gesanglich ganz großartig. Nicht etwa, weil ich alles von ihm unbesehen belobige, doch wenn auch seine Interpretation des "bleichen Seemanns" ein völlig anderen Ansatz hat als beispielsweise George London (Decca, Dorati) oder Theo Adam (EMI, Klemperer), so beeindruckt mich bei ihm seine Fähigkeit, das Gespensterhafte, das Unheimliche dieser Figur mit einer Intensität zum Ausdruck zu bringen, die mich immer wieder hinreißt. Sein Holländer ist weniger ein zu ewiger Verdammnis verurteilter Bösewicht als ein Leidender, der mit seinem Schicksal hadert und, trotz aller Zurückweisungen und Enttäuschungen, immer noch seine Erlösung herbeisehnt. Gerade diesen Aspekt der vielschichtigen Rolle rückt der damals noch junge Fischer-Dieskau in den Vordergrund seiner Darstellung, und keinen Moment weicht er von diesem Konzept ab. Ich bedauere nur immer wieder, daß ihm in Marianne Schech eine zwar robuste, aber keineswegs adäquate Partnerin zur Seite steht. Ihr Gesang ist zwar fehlerfrei, aber nirgends reißt sie den Hörer mit, und von dem psychologischen Einfühlungsvermögen und der spürbaren Betroffenheit ihres Partners ist bei ihr nichts zu bemerken.


    Trotz unserer unterschiedlichen Wahrnehmung hat es mich aber gefreut, daß hier einmal wieder, selten genug, einer alten Aufnahme aus dem "goldenen Zeitalter der Schallplatte" die gebührende Aufmerksamkeit erwiesen wird. Ich glaube, viele Opernfreunde würden sich glücklich schätzen, einen Holländer vom Format FiDi's heutzutage auf der Bühne erleben zu dürfen.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Doch hier geht es ja um Fischer-Dieskau in der Konwitschny-Aufnahme von 1960, und den finde ich sowohl künstlerisch als auch gesanglich ganz großartig. Nicht etwa, weil ich alles von ihm unbesehen belobige, doch wenn auch seine Interpretation des "bleichen Seemanns" ein völlig anderen Ansatz hat als beispielsweise George London (Decca, Dorati) oder Theo Adam (EMI, Klemperer), so beeindruckt mich bei ihm seine Fähigkeit, das Gespensterhafte, das Unheimliche dieser Figur mit einer Intensität zum Ausdruck zu bringen, die mich immer wieder hinreißt.

    Fischer-Dieskau war mein erster Platten-Holländer. Ich hörte die Aufnahme in ganz jungen Jahren am Radio und war überwältigt. Erstmals hatte ich Wagner gehört. Das prägt. Ich hatte keine Ahnung von dem, was da auf mich eingeschlagen hatte. Es war wie eine Initialzündung. Fischer-Dieskau hat daran einen ganz erheblichen Anteil. Und das bringt wohl nur ein hervorragender Sänger zustande. Später hatte die die Platten, dann die CD-Ausgabe. Bis heute hänge ich daran und unterschreibe, was nemorino mitzuteilen hat. Mit den Jahren wächst die Neugierde auf andere Interpreten. Man geht sozusagen fremd. Als ich Uhde traf, konnte ich ihm sehr viel abgewinnen, im Bayreuther Mitschnitt unter Knappertsbusch (1959) noch mehr als in der etwas nachgearbeiteten Aufnahme aus Bayreuth unter Keilberth bei Teldec und im gleichzeitigen Stero-Mitschnitt der Decca (beide 1955). Uhde vermittelt den Überdruss des Holländers, seinen Ekel vor sich und seinem Schicksal. Dafür gibt er den Schöngesang, den er nach meinem Eindruck nie hatte. Sein Kollege hingegen bleibt in meiner Wahrnehmung immer kontrolliert. Er ist ein Holländer mit Kapitäspatent. Das unterscheidet eben auch Studio vom Mitschnitt.


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    Die Konwitschny-Aufnahme habe ich glaube ich sogar auf DVD. Da muss ich mal schauen und nachhören.

    Lieber Holger, die Suche kannst Du Dir sparen. Es gibt diesen "Holländer" nicht auf DVD.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • mir ist zwar bewußt, daß ich eigentlich gar nicht angesprochen bin, aber trotzdem möchte ich, was FiDi's Holländer betrifft, hier lebhaft Einspruch erheben. Den Vergleich mit Hermann Uhde kann ich leider nicht (mehr) machen, da ich den alten Keilberth-Mitschnitt von 1955 (Decca) nur auf LP hatte und nicht mehr besitze. Mir ist aber Uhdes Darstellung, obwohl seit vielen Jahren nicht gehört, in guter Erinnerung.

    Lieber Nemorino,


    dass Du Dich da eingemischt hast, finde ich ganz wunderbar, weil man erfährt, wie unterschiedlich die Sichtweisen sein können. Man lernt viel daraus - so etwas sollte viel öfter bei Tamino stattfinden. Ich bin gespannt, was unser Neumitglied Tecumseh V. antworten wird! :)

    Lieber Holger, die Suche kannst Du Dir sparen. Es gibt diesen "Holländer" nicht auf DVD.

    Lieber Rüdiger,


    ich hatte schon bald, nachdem ich das geschrieben hatte, das Gefühl, dass ich mich vertan hatte. Gestern war ich unterwegs - heute Abend schaue ich mal, was ich da für eine DVD habe. :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • Sein Holländer ist weniger ein zu ewiger Verdammnis verurteilter Bösewicht als ein Leidender, der mit seinem Schicksal hadert und, trotz aller Zurückweisungen und Enttäuschungen, immer noch seine Erlösung herbeisehnt.


    Hallo Nemorino,


    FiDis Holländer ist natürlich sehr subtil und das Ergebnis einer sorgfältigen Charakterstudie, da gebe ich Dir gerne Recht. Dennoch bleibt für mich persönlich das Gefühl bei ihm auf der Strecke. Da ja der Holländer von Hermann Uhde bereits als Vergleich von uns herangezogen wurde: ich finde gerade, dass Uhde im Vergleich zu FiDi der vollendete Holländer ist. Er hat die Rolle und wohl auch die Geschichte des Holländers sehr detailliert studiert, singt aber gleichzeitig mit unglaublicher Hingabe und klingt für mich deswegen glaubwürdiger als FiDi. Letzterer mag ein Seemann mit Admiralstabsausbildung sein, aber Uhde ist der Getriebene und gleichzeitig der Schrecken der Meere. Für mich definitiv der beste Holländer der Gesamtaufnahmen.


    Der verurteilte Bösewicht, von dem Du sprichst, ist nach meinem Dafürhalten eher George London (unter Doráti). Er ist wirklich eher Davy Jones als Wagners Holländer.


    PS: Hast du Dir eigentlich schon einmal den Holländer-Monolog von Friedrich Schorr angehört?

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