Was macht Bach einzigartig?

  • Ich möchte dieses Thema mit einer Frage an die Runde mal wieder aktivieren.


    Bei den Bach´schen Stücken endet fast alles in Dur, egal ob fröhlich oder tieftraurig, zerknirscht. Vor allem bei letzterem finde ich das unlogisch, nicht bis zum Ende gebracht und vor allem unpassend zum Affekt des Stückes. Man nehme als Beispiel den Eingangschor der Matthäuspassion, oder die beiden ersten Chöre der Kantate Nr. 21 Ich hatte viel Bekümmernis. Beispiele gibt´s Zuhauf. Das ganze Stück lang herrschen Verzweiflung, tiefe Traurigkeit oder ähnliches vor und plötzlich geht der Schlußakkord nach Dur, vollkommen aus dem Nichts heraus.


    Warum macht Bach das?


    Hat jemand hier eine Idee? ?(


    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Lieber Thomas, diese "Dur-Schlüsse" bei Bach haben weniger einen
    musikalischen, sondern eher einen "theologischen" Hintergrund.


    In der protestantischen Theologie des 18. Jahrhunderts hätte kein geistliches Musikstück in "pessimistischem" Moll ausklingen dürfen. Bei Bachs Vorgängern im Amte, Knüpfer,Schelle und Kuhnau, war man da noch ein wenig liberaler, jedoch spätestens mit dem Aufkommen und der Einflussnahme des Pietismus war es in der Hinsicht "Schluss mit Lustig", das orthodoxe Luthertum hatte diesbezüglich rigide Vorgaben !


    "Ich hatte viel Bekümmernis" führte Bach für seine Bewerbung als Organist an St. Jacobi selbst in Hamburg auf und die mühlradhalskrausetragende Geistlichkeit Hamburgs galt als besonders konservativ. Noch Jahrzente später hatte z.b.Telemann unter dem Hauptpastor Götze zu leiden, der sich immer wieder inkompetent in kirchenmusikalische Angelegenheiten einmischte.


    Mich nervt z.b. auch der Dur-Schluss bei "Jesu, meine Freude" aber mit diesen Dingen,wo eben selbst ein Bach NICHT am Zeitgeist vorbeikommt, muss man eben leben ! Hast du Deine Erkältung gut überstanden ? Alles Gute ;BBB

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Hi BigBerlinBear,


    erstmal herzlichen Dank für die Erklärung. Mit meiner Seuche ist´s leider noch nicht vorbei... :( aber es wird langsam besser.


    Zitat

    ...kein geistliches Musikstück in "pessimistischem" Dur ausklingen...


    Kann es sein, dass es richtig moll heißen müßte?


    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
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    - H. Heine -

  • LOl, klar, ganz korrekt:


    "pessimistisches Dur" gibts nur bei Mozart, Schütz und Sebastian Knüpfer :D

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)



  • Salut,


    ja, das ist wirklich interessant, auch die Erklärung von BBB. Im umgekehrten Falle jedoch, wenn ich an das Doppelkonzert BWV 1060 [egal in welcher Formation] denke: es steht beispielsweise in moll und ist dennoch sehr fröhlich, also in keinster weise melancholisch oder traurig, wie das etwa bei Mozart der Falle gewesen wäre.


    Zitat

    Original von BBB
    LOl, klar, ganz korrekt:


    "pessimistisches Dur" gibts nur bei Mozart, Schütz und Sebastian Knüpfer :D


    Wozu das smilie :D ? Was Mozart betrifft, so kann ich das wirklich voll unterstreichen. Die Jupiter-Sinfonie hat für mich überhaupt gar nichts optimistisches an sich, ebensowenig das Konzert KV 595. Wenn es auch eigentlich lustig klingt, so doch eher wehmütig.


    Aber bleiben wir bei Bach.


    LG
    Ulli

    Als Pumuckl sich zum Frühstück noch ein Bier reingeorgelt hat, war die Welt noch in Ordnung.
    (unbekannt)

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  • Lieber Ulli, der Smiley kam nur aus dem Grunde, weil es bei Schütz nur ganz selten übetrhaupt eideutiges Dur oder Moll gibt, denn er bewegt sich noch ganz im modalen Denken der Kirchentonarten. Er kennt zwar Dur und Moll, aber die Kirchentonarten mit ihren vielen Möglichkeiten speziell in der Polyphonie lassen ihm offenbar mehr schöpferische Freiheit.


    Knüpfer dagegen, der nur 4 Jahre nach Schütz verstarb (1676), ist der erste in der Reihe nicht weniger bedeutender Komponisten, die quasi das Dur/moll-Modell auf den Kopf stellen. Sein geniales Geistliches Konzert aus 1667 "Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn", steht überwiegend in c.moll, wird allerdings u.a. mit Pauken und Tompeten besetzt, also einer Kombination, die sonst immer mit glänzenden, festlichen Ereignissen in Verbindung gebracht wird.


    Bachs Instrumentalwerke, also auch die Violinkonzerte und die Brandenburgischen, entstanden allesamt in einer Zeit, BEVOR er Thomaskantor wurrde. In Weimar brauchte er, wegen Borniertheit des Fürsten, der ihn z.b. für 4 Wochen ins Gefängnis steckte, weil er seine Demission erzwingen wollte, keine Rücksichten nehmen und später in Köthen auch nicht, weil wiederum da der Fürst selber ausübender Musiker war und Bach in seinem Bestreben unterstüzte !


    Das moll-lastige Dur und das dur-lastige Moll bei Mozart jedoch schenit andere, wohl eher in der Psyche des Komponisten zu begründende Ursachen zu haben, doch das werden uns die Spezialisten, wie z. B. du, sicher bald ausführlich erklären :D

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Hallo Thomas,
    Zitat:
    Bei den Bach´schen Stücken endet fast alles in Dur, egal ob fröhlich oder tieftraurig, zerknirscht.
    -------------------------------------------------------------------


    Wie BB schon richtig erläutert hat, möchte ich noch an einem Beispiel der Kantate BWV 48. 1723 in
    Leipzig komponiert, "Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen", dieses Thema zu vertiefen versuchen.


    Sie beginnt mit einer Klage in in g-moll, einem Chor, der als langsames Menuett angelegt ist.
    Es ist davon auszugehen, daß Bach die Beziehung zwischen dem leidenden Gläubigen und dem Gelähmten im Matthäus-Evangelium ein düsteres, von den Streichern begleitetes Rezitativ Nr.2 für Alt mit instabilen chromatischen Harmonien moduliert über eine Folge von Molltonarten von e-moll nach b-moll,
    erreicht dann Durtonarten durch enharmonische Verwechslung und kehrt schließlich zu b-dur zurück.


    Diese plötzliche Umstrukturierung von Erhöhungszeichen, die in Luthers Symbolik das Kreuz darstellen,
    in einer Kantate, in der alle sieben Sätze Tonartverzeichnungen mit Erniedrigungszeichen haben,
    ist überwältigend komponiert.
    Vor allem dann, wenn E-Dur genau an der Stelle erscheint, im 2. Mittel-Satz , Alt-Recitativ: "wenn, allein die Seele fühlet den stärksten Gift, damit sie angestecket", erfährt der Hörer diese unnachamliche
    Kompositionsform.


    E-Dur ist eine Tonart, die in Bachs Kirchenmusik gemeinhin mit heiterer Gelassenheit und Erlösung
    assoziert wird, doch hier, wo der Text eine verzweiflungsvolle und ganz tödliche Traurigkeit besitzt,
    entspricht sie der Charakterisierung.



    Grüsse
    reklov29

    Bach ist so vielfältig, sein Schatten ist ziemlich lang. Er inspirierte Musiker von Mozart bis Strawinsky. Er ist universal ,ich glaube Bach ist der Komponist der Zukunft.
    Zitat: J.E.G.

  • Hallo reklov29,


    erstmal danke für die Erklärung. Allerdings ging es mir nicht um das, was du schilderst. Das Bach in der Wahl seiner Tonarten sehr geschickt vorgeht und auch symbolisch bedeutungsschwer, das ist mir volkommen bewußt. Mir ging es allein um den mir und offenbar auch BigBerlinBear unsinnig erscheinenden Sprung in einen Dur-Schluß, der wirklich erst auf dem Schlußakkord einsetzt (bzw. meist mit Vorhalt). Das was du beschrieben hast, ist sinnvolle Textausdeutung.


    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Salut,


    sorry, wenn ich zunächst etwas verallgemeinere:


    Das Phänomen scheint ja ausschliesslich moll-Werke zu betreffen, jedenfalls ist mir kein Dur-Werk bekannt, welches in moll endet. Mir fallen insgesamt vier Varianten auf, wie sich die Schlußakkorde von moll-Werken gestalten:


    1 - moll-Dreiklang
    2 - Dur-Dreiklang
    3 - geschlechtslos, einfache Tonika [auch bei Dur-Werken häufig]
    4 - geschlechtslos, Quinte [T-D]


    Da 2) [im übertragenen Sinne] und 4) offensichtlich ausschliesslich bei moll-Werken vorkommen, halte ich die "Geschlechtswandlung" als eine Auflösung des Knotens, so z.B. in der Maurerischen Trauermusik W. A. Mozarts, das Requiem-Kyrie hingegen endet geschlechtslos [4]. Zudem Phänomen kommt [bei Mozart] hinzu, dass bei einigen der moll-Werke der Finalsatz in Dur steht, z.B. Klavierquartett KV 478, wenn ich nicht irre, so auch nach einer g-moll-Einleitung der Finalsatz des Quintettes KV 516.


    Inwiefern diese Erkenntnisse nun [auch] auf Bach anzuwenden sind, interessiert mich auch definitiv.


    Beste Grüße
    Ulli

    Als Pumuckl sich zum Frühstück noch ein Bier reingeorgelt hat, war die Welt noch in Ordnung.
    (unbekannt)

  • Lieber Ulli,


    die Dur/moll-Konstellationen sind bei Bach weniger scharf definiert als bei Mozart, von späterern Komponisten einmal ganz zu schweigen.
    Wie ich an anderer Stelle schon erörtert habe, ist Bach, vor allem bei seiner Vokal (und der vielfach wortgezeugten "Choral" Orgelmusik, dem musikalischen Denken des 17.Jahrhunderts verhaftet, das sich doch im wesentlichen noch an den Kirchentonarten orientierte.
    Einzige Ausnahme in Bachs Schaffen stellt diesbezüglich seine Musik für NICHT orgelspezifische Tasteninstrumente, und da allen voran, das "Wohltemperierte Kla4" dar, das seinem Komponoisten schon zu Lebzeiten europäischen Ruhm, vor allem im "Mutterland" der Musik, Italien, brachte und der breühmte Padre Martini hat ganze Generationen junger italienischer Kompositeure an Bachs Tastenwerken lernen lassen.
    Einen direkten Zusmamenhang zwischen Seelenzuständen und dem UMGANG mit der Tonart als Reaktion darauf, wie sie bei Mozart ganz offensichtlich ist, vermag ich bei Bach SO nicht zu erkennen...

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

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  • ich darf mir erlauben, ganz unthematisch (ich könnte das jetzt auch in vielen anderen threads posten) bbb, salisburgensis, ulli -partes pro multis- für die erhellung, das enlightenment danken, welche ich aus ihren beiträgen erfahre!


    :jubel:

  • Hallo,


    ich höre grade einige Musik von Bach und bin total glücklich! Was mir durch den Kopf geht, warum gibts dieses Gefühl nur bei Bach? Ich liebe Wagner und Beethoven, allein ich habe bei deren Musik das Gefühl ein mehr oder weniger geduldeter Gast zu sein. Ganz blöd gesagt: Ich würde niemals auf den Gedanken kommen Beethoven oder Wagner umarmen zu wollen. Bach schon...


    Wie ergehts Euch?


    Oliver

  • Ich habe, wenn ich Bach höre, immer das Gefühl, dass mir endlich alles klar wird und ich mal voll den Durchblick habe ;)
    Bach hören ist das Beste was man vor einer Mathe oder Physik Klausur tun kann.

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Zitat

    Was mir durch den Kopf geht, warum gibts dieses Gefühl nur bei Bach?



    warum DU dieses (welches auch immer) Gefühl hast, - das mußt du dir leider selbst beantworten...


    vielleicht gibts bei Bach ein Bach-Gefühl, bei Mozart ein Mozart- Gefühl, bei Wagner ein Wagner-Gefühl....


    Bitte auch ein bißchen überlegen, nicht nur schwärmen... ;)

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

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  • Zitat

    Original von tastenwolf...Bitte auch ein bißchen überlegen, nicht nur schwärmen... ;)


    Bitte auch ein bißchen auf das Eingangsthema eingehen und mich nicht für blöd verkaufen ;)


    Oliver

  • Nun ich glaube so weit ist gar niemand vom Thema abgekommen,
    zumindest wurde auf die Frage ja geantwortet - Wenngleich die Antwort nicht die erwartete war.


    Wahrscheinlich ist es tatsächlich so, daß (schwärmerisch ausgedrückt) die "Wellenlänge" zwischen Komponist und Hörer passen muß, damit der Zauber wirkt.


    Vielleicht ist es die strukturell klare Tonsprache Bachs, die Dich bewegt - ich weiß es nicht, denn ich werde durch Mozart und Beethoven "bezaubert" . Bachs Musik empand ich vor allem in früher Jugend als "sperrig". Als ich in jener Zeit das "Musikalische Opfer" im Wiener Konzerthaus hörte (Münchinger), da dachte ich bei mir, daß dies wahrlich ein Opfer sei.
    Den Brandeburgischen Konzerten, dem Italienischen Konzert und den Orchestersuiten stand ich viel positiver gegenüber, die Violinkonzerte erfasste ich erst viel später in ihrere vollen Schömheit - dann aber umso heftiger.
    Aber umarmen ? Nein umarmen möchte ich diesen starken, angeblich jähzornigen Mann nicht......


    Bleibt aber immer noch die Frage woher er seinen Zauber bezieht, derzeit dürfte seine Beliebtheit größer sein als jene von Mozart.....



    Beste Grüße


    aus Wien


    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Dein Eingangsposting ist so subjektiv, dass es relativ schwer ist, darauf angemessen zu reagieren. Was soll man denn zu diesem Gefühl sagen?
    Ich teile den Eindruck so jedenfalls nicht. Beethoven z.B. fühle ich mich gewiß "näher" als Bach (jedenfalls meistens). Nie jedoch in der Form, ihn umarmen zu wollen,... :wacky:
    Es gibt eine Menge Musik, die mich auf die eine oder andere Art "total glücklich" macht, auf unterschiedliche Weisen, von vielen Komponisten, ohne dabei aber so etwas wie eine Bezihung zu dem Kompnisten aufzubauen, eher zum Stück.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hlallo Oliver, also grundsätzlich freut es mich natürlich, daß Bach ganz besonere Saiten bei Dir zum Klingen bringt und dieses ist, aufgrund langjähriger Erfahrung mit Musikern und auch "anderen Leuten", eher selten zu diagnostizieren. Bach wird häufig als einer der "Lieblingskomponiten" genannt, weil er so berühmt und seine Größe auch bei denen,deren Musikempfinden eher in der Klassik oder Romantik anzusiedeln ist, unumstritten it. So musste ich hier im Forum z.b. feststelen, daß sich für zwei der bedeutendsten Bach-Werke, in dem Falle das "Musikalische Opfer" und die "Kunst der Fuge" kaum jemand intersisierte. Für eine beachtliche Mehrheit der Musikhörer fängt reflektierendes Hören immer noch JENSEITS von Bach an und diiese schätzen sein Werk dann auch mehr in zeitgeistigen Einspielungen (Cemablowerke auf dem Klavier, die Passionen in romantisiernder Auffassung!) Also einen trinken müsste ich mit ihm nicht zwingend, (obwohl er das offenbar ganz gut konnte, wie die Abrechnung seiner gemeinsam mit Gottfried Silbermann durchgeführten Orgel-Abnahme in Naumburg aus dem Jahr 1746 belegt ! :D

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Ich denke die Musik Bachs ist in ihrem Wesen verkannt, wenn man sie ausschließlich als Ausdruck von Stimmungen oder Gefühlen auffaßt oder auslegt. Insofern hat Alfred recht, wenn er von einer "strukturell klaren Tonsprache" Bachs schreibt. Gleichzeitig geht die Bedeutung dieser Musik aber über Alfreds Deutung hinaus, denn, jedenfalls ich, verstehe sie als Musik der Innerlichkeit, wohlgemerkt nicht als Musik bloßen Ausdrucks des Inneren. Bach stand eben mit beiden Beinen auf dem Boden des Christentums und seiner reformatorischen Erneuerung, ohne selbst, Gott sei Dank, in eine pietistische Frömmigkeit zu verfallen, wie einige seiner Zeitgenossen, mit denen er dann in Leipzig über Kreuz lag.


    Ergo: Der fromme, nicht frömmenlnde, Bach hat nach immer umfassenderen Steigerungen musikalischer Symmetrien, Spannungen gesucht (man betrachte die hochabstrakte Kunst der Fuge) und sich nicht mehr mit der schlichten Gefühlsinnigkeit eines Chorals begnügt, in der er doch auch ein unübertroffener Meister war. Letztlich ging es ihm also, so meine Schlußfolgerung, darum, Gott mit dem, was die musikalische Kunst vermag, zu ehren.


    So meinte auch kein Geringerer als Goethe zur Musik Bachs:


    "als wenn die ewige Harmonie sich mit sich selbst unterhielte, wie sich's etwa in Gottes Busen, möchte zugetragen haben. So bewegte sich's auch in meinem Inneren, und es war mir als wenn ich weder Ohren, am wenigsten Augen, und und weiter keine übrigen Sinne besäße noch brauchte."

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  • Oliver,


    ich kann das durchaus nachvollziehen was in Dir vorgeht.


    Wenn ich Bach höre dann habe ich auch immer den Eindruck etwas außergewöhnliches zu erleben und es ist immer etwas "Besonderes" was mich dabei umgibt.


    rappy,


    natürlich ist es mit das Beste vor Mathe und Physik Bach zu hören.
    Letztendlich sind da ja auch gewissen Zusammenhänge :P

  • Mir ergeht es mit Bach nicht so, wie Oliver es beschrieben hat. Dafür fühle ich mich in seiner Musik einfach nicht wohl genug.
    Das empfinde ich aber bei Mendelssohn beispielsweise.
    Bei ihm könnte ich mir durchaus vorstellen, ihn zu umarmen.
    Manchmal auch Mozart, aber Bach bestimmt nicht.
    Momentan entdecke ich aber Fauré, bei dem ich auch immer öfter dieses Gefühl bekomme.



    Gruß, Peter.

  • Auch ich fühle mich stark durch die Musik Bachs angezogen. Das war selbst zu Zeiten so, als ich ansonsten eher "Ton Steine Scherben" oder Pink Floyd bevorzugt habe.


    Was ich höre bei Bach ist gleichzeitig sehr strukturiert, sehr klar und dennoch hoch expressiv und gefühlvoll, ohne je sentimental zu werden. Bei aller Mathematik und Konstruktion wirkt die Musik dennoch nie starr und "gemacht". Sie bleibt innerhalb der Form und hebt sie gleichzeitig auf durch etwas "Schwebendes" (ich finde leider kein besseres Wort). Dieses geerdete "Schweben" innerhalb von Form und Struktur ist das, was mich am meisten fasziniert. Ich empfinde es besonders stark in Bachs geistlicher Musik. Aber auch im Wohltemperierten Klavier zum Beispiel.


    Alles sehr subjektiv und schwer zu formulieren. Es macht aber Spaß, es wenigstens zu versuchen.


    Es grüßt euch Carola :hello:

  • Bei Bachs geistlicher Musik empfinde ich zum letzten Mal in der westlichen Musik jene tiefe, archaische Spiritualität, die gregorianischen Chorälen und geistlicher Musik des Mittelalters und der Renaissance zu eigen ist. In der Orthodoxie konnte diese interessanterweise bis ins 20. Jahrhundert hinübergerettet werden (siehe die geistlichen Werke von Rachmaninov, Theodorakis...). Aber innerhalb der katholischen Kirchenmusik wurde damit in der Wiener Klassik radikal Schluss gemacht, bzw. die Spiritualität so verändert, dass sie auf mich nicht mehr wirkt. Und seither wurde sie auch nicht mehr wirklich ausgegraben.

  • Glücklich kann ich mir sehr gut vorstellen, aber J.S. umarmen? Hilary Hahn vielleicht... :lips: :D


    Nein, bei Bach empfinde ich, genau wie bei Arvo Pärt, vor allem eines: Demut. Nicht vor dem Komponisten, aber vor dem, der ihnen die Gabe gegeben hat, sich so ausdrücken zu können, daß letztlich die Gefühle, die aus der Musik sprechen und die ich als Hörer empfinde, nicht in Worte gefaßt werden können. Sollen sie auch gar nicht. Die Musik ist geschrieben ad maiorem dei gloriam.

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  • Der "Zauber" Bachs, wenn man so will, liegt mE darin, daß diese Musik, wenn auch "alt", dennoch nicht "veraltet" ist, sondern heute "neu" geschehen und "neu" vollzogen werden kann, wenn man einmal die Umdeutungen, die diese Musik durch die Romantik und den Impressionismus leider auch erfahren hat, einmal beiseite läßt. Insoweit enthält diese Musik eben zeitlose "unkaputtbare" Strukturmerkmale.

  • Philhellene:


    Zitat

    empfinde ich zum letzten Mal in der westlichen Musik jene tiefe, archaische Spiritualität, die gregorianischen Chorälen und geistlicher Musik des Mittelalters und der Renaissance zu eigen ist. In der Orthodoxie konnte diese interessanterweise bis ins 20. Jahrhundert hinübergerettet werden


    Das ist ein Vorurteil, weil jene Spiritualität auch in den geistlichen Werken Mendelssohns (hier vor allem die a cappella Musik) der Vokalmusik Anton Bruckners und der Oratorik Edward Elgars innewohnt.
    Auch das nach wie vor weitgehend "unentdeckte" Spätwerk Strawinskis
    (ab dem "Canticum Sacrum" bis zu den "Requiem Canticles" aus 1968 ist davon geprägt.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Hallo,


    danke für Eure Antworten!


    Zitat


    Ich denke die Musik Bachs ist in ihrem Wesen verkannt, wenn man sie ausschließlich als Ausdruck von Stimmungen oder Gefühlen auffaßt oder auslegt.


    Darf man von Musik keine gute Laune mehr bekommen? Ist sie dann gleich Programm-Musik? Und man selbst blöd?



    Gruß,
    Oliver

  • Hi,


    wenn Du schreibst


    "Darf man von Musik keine gute Laune mehr bekommen? Ist sie dann gleich Programm-Musik? Und man selbst blöd?",


    ist dazu mitzuteilen, daß man natürlich von Musik gute Laune bekommen kann; im Übrigen ist aber mit einem satten N E I N zu antworten. Ich denke, keiner der Teilnehmer dieses Threads wollte oder will Dir zu nahe treten. Wir haben doch nur Deine sehr interessante Ausgangsfrage erörtert, haben uns ausgetauscht, haben diesen oder jenen Punkt näher beleuchtet. Wenn Du die Musik Bachs in einer bestimmten Weise auffasst, bleibt Dir das unbenommen. Aber vielleicht konntest auch Du Honig aus der Diskussion ziehen. Ich gönne es Dir jedenfalls.


    Im Übrigen versetzt mich die Musik JS Bachs regelmäßig in einen Zustand der Glückseligkeit. Die Annahme, man könne die Musik Bachs völlig emotionslos konsumieren dürfte lebensfremd sein.


    Beste Grüße aus dem schönen Hannover

  • Hallo,


    tom: Danke für Deine Antwort.


    Zitat

    Darf man von Musik keine gute Laune mehr bekommen? Ist sie dann gleich Programm-Musik? Und man selbst blöd?


    Meine Frage war rhetorisch ;)


    Gruß,
    Oliver

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