Nicht reproduzierbare Dynamik in Mahlers Werk!?

  • Hallo Tamino,


    um es kurz zu machen. Ich habe einen Kollegen, der erklärte mir, Gustav Mahler müsse man live hören. Diese Dynamik liese sich nicht auf eine CD pressen. Die Anlage, welche das von ihm im Konzertsaal in punkto Mahler erlebte wiedergeben könnte, müßte erst noch gebaut werden.


    Nun habe ich weder Mahler live gehört, noch bin ich im Besitz einer besonders hochwertigen Anlage. Ich kann die Behauptung also weder bestätigen noch widerlegen. Aber es interessiert mich Eure Meinung. Wie seht Ihr das? Hat er recht?


    Liebe Grüße
    Euer Gallo

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)

  • Mahler interessiert mich nur am Rande. Aber ich könnte mir vorstellen, daß seine 8. Sinfonie (Sinfonie der Tausend) aufnahmetechmisch nicht so leicht einzufangen ist.

  • Ich muß zugeben, Mahlers Musik auch noch nie live gehört zu haben. Aber Bruckners, und da gilt es genaugenommen ähnlich. Eigentlich gilt trivialerweise für jegliche Musik, dass ein Unterschied zwischen Live-Erlebnis und Konserve besteht. Die Obsession mit "Dynamik" klingt mir aber eher nach reduziertem Fetischismus. Es hängt einfach auch davon ab, wie wichtig einem als Hörer die Klangnuancen (nicht nur Dynamik)sind (und wie wichtig sie für die Musik sind). Es gibt vermutlich Musik (z.B. Debussy oder erst recht gewisse Musik des 20. Jhds.), die so empfindlich von Timbre-Werten u.ä. abhängt, dass die Konserve ein viel größerers Problem ist als bei Mahler (Es gibt ein oder meherer Stück(e) von Ligeti, die "Differenztöne" nutzen. Wenn ich richtig verstehe wird dabei der Schwebungseffekt leicht gegeneinander verstimmter Töne ausgenutzt, wobei durch die Überlagerung ein neuer Ton im Raum wahrgenommen wird. Das läßt sich auf Konserve angeblich nicht reproduzieren.)
    Ich persönlich (aber das dürft ziemlich banale Ursache haben) finde große Chorwerke (bspw. Matthäuspassion) und Opern live viel wirkungsvoller. Aber nicht in erster Linie wegen des Klangs, sondern weil ich außer im Konzert meist zu ungeduldig bin, mir ein solches Stück in einem Rutsch anzuhören.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Wenn es um Dynamik geht, verstehe ich darunter die Frequenzbreite.


    Das gesunde menschliche Ohr kann Töne von 16HZ bis 20 khz wahrnehmen.


    Normale Audio CDs haben eine höhere Frequenzbreite als das menschliche Ohr, ich denke mal, die Aufnahmegeräte auch. Von daher kann der Bekannte ja eigentlich nur noch die Ausgabe über die Lautsprecher meinen?


    Ich kann aus eigener Erfahrung berichten, daß ich sowohl bei Mahler als auch bei Bruckner, wenn ich über Kopfhörer höre, das gesamte Klangspektrum genau so höre, wie im Konzertsaal, ohne Abstriche. Im Gegenteil: Über die Anlage sind noch mehr Details "erhörbar" als im Konzertsaal.

  • Zitat

    Original von Holger_Grintz
    Wenn es um Dynamik geht, verstehe ich darunter die Frequenzbreite.


    Das gesunde menschliche Ohr kann Töne von 16HZ bis 20 khz wahrnehmen.


    Frequenzspektrum ist etwas anderes als Dynamik. Frequenzen entsprechen (grob) der Tonhöhe (die Frequenz der Schwingung, wie oft in der Sekunde die Saite hin und her zappelt), die Dynamik der Lautstärke (Amplitude der Schwingung, wie weit sich die Saite von ihrer Gleichgewichtslage entfernt.



    viele Grüße


    JR

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    (Bob Dylan)

  • :O Hoppla, da habe ich wohl etwas verwechselt :O


    Aber auch die Dynamische Bandbreite kommt bei mir im Kopfhörer im ganzen Spektrum an.


    Man muss die Werke eben kennen, und am ANfang den richtigen Pegel einstellen (z.B. bei Harnoncourt Bruckner 5 am Anfang nicht zu viel Volume, sonst haut es Dir beim ersten Ausbruch die Hörer vom Kopf).


    Ich denke, es ist eher eine Sache der Konzentration, nicht der Technik.
    Wenn man beim Anfang der 7ten von Bruckner im Konzertsaal bspw. die Augen zumacht, also nicht sieht, wann das Kommando kommt, dann dürfte es schwerfallen, das Streichertremolo direkt zu hören.


    Dafür gibt es noch viele Beispiele. Auch bei Mahler.

  • Liebe Freunde


    Ich oute mich nun als (einstiger) HIFI-Freak und -Kenner.


    zunächst mal: Dynamik - das ist das Verhältinis zwischen leistestem und lautestem Ton, der in einem Musikstück vorkommt (ist natürlich auch von der Interpretation abhängig)


    In Zeiten der analogen Langspielplatte - und noch vorher - der Schellackplatte ( ca 30 dB) war der Dynamikumfang mit ca 50-56 db ziemlich limitiert.


    52 dB Dynamikumfang auf Tonträger bedeutet, daß der lauteste Ton etwa 400 mal so laut sein darf wie der leisteste - wobei der leisete damals etwa 10 mal so laut sein sollte wie das Grundrauschen der Schallplatte (bzw Bandes)


    Darüber hinaus würde einersets das Rauschen das Tonsignal fast überdecken, andererseit würden die Verzerrungen bei Übersteuerung
    (physikalische Ursachen auf Anfrage hier im Thread)dramatische Ausmaße annehmen, die akustisch nicht mehr akzeptabel wären.


    Mit Einführung der Digitaltechnik war es nunmehr möhlich - einen wesentlich größeren Dynamikumfang widerzugeben .-Theoretisch auch jenen der in Mahler-Sinfonien vorkommt .


    Dabei hat man jedoch die Tatsache übersehen, daß Wohnräume und auch Salons in der Regel keine Konzertsäle sind - und daher auch solche Dynamiksprünge nicht verkraften - bzw der Hörer verkraftet es in dieser Umgebung nicht.


    Versuche, die Dynamik auf CD gegenüber der Langspielplatte drastisch anzuheben - scheiterten an hörphysiologischen und psychoakustischen Gegebenheiten.


    Wer da Schwierigkeiten hat sich vorzustellen worum es geht, dem biete ich als Vergleich folgendes an:


    Ein farbiges Papierbild ist eine gravierende Einschränkung von Helligkeitsunterschieden, wie sie in der Natur vorkommen.


    Ein (abgebildestes ) weisses objekt, von der (abgtebildeten) Sonne beschienen ist in etwa gleich hell als die Sonne - Weisser als weiß geht es bei dieser Technik nicht....


    Ein Farbdia (oder BIldschirmbild) ist in dieser hinsicht wesentlich realitätsnäher: Ein beträchtlicher Helligkeitsunterschied ist realisierber.


    Niemandem aber würde ich zu einem Bildverfahren raten, daß es möglich macht, die Helligjeit der Sonne 1:1 darstellbar zu machen - die Folgen wären fatal.



    ZU alldem kommt daß bei "Originallautstärke" (und die ist Bedingung für
    originalnahe Wiedergabe) die Verfärbungen durch glieder der Wiedergabekette sehr offensichtlich hörbar werden - allen Behauptungen von HIFI- Verfechtern zum Trotz....


    Dennoch können heut Mahler Sinfonien wesentlich realistischer auf Tonträger gebannt werden als vor ca 50 Jahren.....


    mfg


    aus Wien


    Alfred

    POLITIKER wollen stets unser Bestes - ABER WIR GEBEN ES NICHT HER !!!



  • Lieber Alfred,
    ich danke Dir für Deine interessanten Ausführungen.
    Auch wenn ich Technologische Aufrüstung kurzfristig nicht eingaplant habe, ahbe ich beschlossen, vom Gesparten, das eine oder andere mal mehr ein Konzert oder eine Oper besuchen. Zum einen sollte man vielleicht das live kennengelernt haben, was man irgendwann mal noch besser reproduzieren möchte. Zum anderen geht es mir beim Thema Oper wie Johannes :D


    Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Ich persönlich (aber das dürft ziemlich banale Ursache haben) finde große Chorwerke (bspw. Matthäuspassion) und Opern live viel wirkungsvoller. Aber nicht in erster Linie wegen des Klangs, sondern weil ich außer im Konzert meist zu ungeduldig bin, mir ein solches Stück in einem Rutsch anzuhören.
    JR


    Liebe Grüße
    Gallo Nero

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)

  • Ich möchte in die Runde werfen, dass die Schallplatte, und hier insbesondere die Gesamtaufnahmen Kubeliks (DG), Soltis (Decca) und Haitinks (Philips) wesentlich dazu beigetragen haben, Mahler populär zu machen. Irgendwie muss das wohl doch funktionieren, nämlich Mahlers Musik über Hifi zu vermitteln.


    Interessanter Aspekt dabei: Nahezu alle Mahler-Einspielungen entstanden erst in der Stereo-Phase. Vielleicht war das Medium LP da erst bereit, große Orchesterapparate zu "verkraften"? Auch Bruckner wurde richtig populär erst mit der Stereo-Aufnahmetechnik.

  • ich kenne bruckner und mahler sowohl live, als auch von CD. ich bezweifle,
    dass auch die beste CD-aufnahme und eine HiFi anlage im werte von mehreren
    hunderttausend euro (grosse hörner, etc.) je den live-eindruck auch nur
    halbwegs wiedergeben kann.


    zum vorgebrachten frequenz-umfang und dem menschlichen hörvermögen.
    einer versuchsgruppe von etwas älteren menschen, deren oberste hörbare
    sinus-frequenz bei etwa 10kHz lag, wurde im blinden A-B vergleich hörbeispiele
    mit


    a) 20 kHz oberster grenzfrequenz
    b) 15 kHz oberster grenzfrequenz


    angeboten. 100% der versuchspersonen erkannten den unterschied und
    konnten die beispiele a) und b) klar zuordnen. nach dem reinen (sinus)
    frequenz-modell des hörens ist diese unterscheidbarkeit nicht erklärbar.
    das ohr kann also auch transiente und phasen-relevante audio-informationen
    erkennen.


    eine CD mit 20 kHz oberer grenzfrequenz ist dazu nicht in der lage.
    von den lautsprechern gar nicht zu reden.


    faun

    die kritik ist das psychogramm des kritikers (will quadflieg)

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  • Hallo Faun


    Zitat

    ich kenne bruckner und mahler sowohl live, als auch von CD. ich bezweifle,
    dass auch die beste CD-aufnahme und eine HiFi anlage im werte von mehreren
    hunderttausend euro (grosse hörner, etc.) je den live-eindruck auch nur
    halbwegs wiedergeben kann.


    Im Prinzip geht das problemlos. Es hat derartige Versuche bereits gegeben. Du brauchst nur eine hochwertige und entsprechend leistungsfähige Anlage in einem Konzertsaal aufstellen und es ist möglich, eine ziemlich gute Illusion des Originals zu erzielen (Voraussetzung ist natürlich eine nicht manipulierte Aufnahme; diese Versuche gab es auch schon zu Analogzeiten, und ich will hier nicht die Problematik analog / digital diskutieren).


    Das Hauptproblem zu Hause liegt darin, dass man unmöglich die Konzertsaalakustik in sein Wohnzimmer übertragen kann. Man kann nicht die dynamische Bandbreite erzielen, da der Wohnraum viel zu schnell akustisch überladen wird, und durch die veränderten Nachhallzeiten und das zumeist völlig andere Reflxionsverhalten der Zimmerwände klingt zu Hause automatisch alles anders als live. Besonders das Verhalten des Tieftonbereichs ist durch die geänderten Dimensionen ein völlig anderes. Dies wird schon beim Abmischen berücksichtigt und an durchschnittliche Hörverhältnisse angepasst. Man wird zu Hause also niemals eine Kontrabassgruppe in ihrem typischen Sound erklingen hören können, wie man es vom Konzertsaal her kennt.


    Man muss also diese Einschränkungen nolens volens akzeptieren. Dafür bekommt man als Ersatz (künstlerisch fragwürdig) heute Orchesteraufnahmen, wo man viel genauer in die einzelnen Stimmen des Orchesters hineinhören kann, als man es im Konzertsaal vermag, wo sich der Orchesterklang wesentlich stärker mischt.



    Das Argument von Heinz hat eigentlich nichts mit HiFi zu tun. Die Platte hat sicher viel zur Verbreitung von Mahler oder Bruckner beigetragen. Dies aber nicht, weil es klanglich so toll war, sondern weil man durch die Platte überhaupt erst die Möglichkeit bekam, vielerorts diese Werke auf Abruf hörbar zu machen. Es gab und gibt ja nicht so viele Plätze, wo diese Werke regelmäßig gespielt werden.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Theophilus
    Das Argument von Heinz hat eigentlich nichts mit HiFi zu tun. Die Platte hat sicher viel zur Verbreitung von Mahler oder Bruckner beigetragen. Dies aber nicht, weil es klanglich so toll war, sondern weil man durch die Platte überhaupt erst die Möglichkeit bekam, vielerorts diese Werke auf Abruf hörbar zu machen. Es gab und gibt ja nicht so viele Plätze, wo diese Werke regelmäßig gespielt werden.


    Ich glaube auch, dass das der entscheidende Punkt ist. Man kann das ja anhand von Konzertprogrammen überprüfen; wenn mal Mahler gespielt wurde, dann 1.,4. und das Lied von der Erde, Bruckner wurde außerhalb von Deutschland und Österreich selten aufgeführt.
    Stereo ist zwar nett, aber auch hier glaube ich, dass das mit Mono-LPs funktioniert hätte. 4min-Schellacks dagegen dürften sehr nervig sein...


    Unter den ältesten kompletten Bruckner-Aufnahmen sind AFAIK die 7. mit Horenstein von ca. 1928 und eine 4. mit Böhm aus den 30ern. Bei Mahler weiß ich's nicht. Mengelbergs 4. ist IIRC von '39 (oder ist die live?), Ich meine aber bei Naxos gäbe es eine 2. aus den 20er/30ern.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Moin,


    es gab Zeiten, als ich so eine Art Klangjäger war, da war ich fest davon überzeugt, dass meine heimische Anlage besser klingt als ein Live-Konzert. Es mag von den Plätzen im Saal abhängig gewesen sein - aber mir gefiel die Tiefenstaffelung, die meine Anlage produzierte, außerordentlich.


    Nun, auf Dauer ist die Klangjägerei ein mich ermüdendes Hobby gewesen und ich habe mich lieber der Musik zugewandt. Und jetzt, nach einer gewissen HighEnd-Verblendung, kann ich natürlich gern einräumen, dass manches eben nicht reproduzierbar ist. So hatte ich jüngst das Vergnügen, Mahlers VIII. unter Boulez live zu erleben. Also wie man das über eine Anlage hinkriegen will, ist mir ein Rätsel. Zuhause zumindest ist das nicht zu machen, man kann sich Zuhause höchstens an das erinnern, was man live hörte.


    Gruß, l.

    "Jein".

    Fettes Brot

  • Hallo lohengriens und Taminoaner,


    OK-Mahlers Sinfonie Nr.8 ist ein Extreembeispiel, da haben die Toningenieure immer schon ihre Probleme mit gehabt. Durch die Aufstellung des Orchesters mit den Chören ist das Optimum unmöglich und der Aufnahmetechniker muß Kompromisse eingehen.


    Ich bin jedoch auch, wie einige hier, der Meinung das man gerade eine Mahler- oder Bruckner-Sinfonie, die ich Beide auch im Konzert gehört habe, zu Hause auf einer guten Anlage besser Hören kann. Durch die Microphonaufstellung geht keine Orchesterstimme verloren, die man live durch die Entfernung des Sitzplatzes gar nicht wahrnehmen würde.
    Vor der Stereo-oder noch besser 5.1-Kanal-Anlage und Dolby Digital mit SACD hat man quasi den besten Hörplatz in der Mitte vor dem Orchester.


    Im Konzert muß man mit dem Sitzplatz immer Kompromisse eingehen:
    Sitzt man links sind die Celli und Kontrabässe leiser; sitzt man rechts sind die Violinen leiser; sitzt man auf der oberen Empore hat man das weit entfernte Orchester quasi in MONO und viel zu leise (habe alles ausprobiert); sitzt man vorne in der Mitte wird es richtig teuer X(.


    Klar, das man hier und da auch mal ins Konzert geht, aber bei mir hat schon wegen der hoch angestiegenen Eintrittspreise (in den 80-90er Jahren war es noch bezahlbar) stark abgenonmmen. Für den Preis bekomme ich das Konzert auf CD und kann es immer hören - und durch HIFI perfekt.


    @Johannnes
    Mit MONO hätte es nicht funktioniert, jedenfalls nicht bei mir.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Moin Teleton,


    da hast Du natürlich recht. Man sitzt Zuhause besser; angesichts der eiegenen Anlage hat man stets den Idealplatz, was im Konzert ja nicht immer so ist (jaja, die Kartenpreise). Ich habe im April den "Tristan" in der Wiener Staatsoper gehört - wir hatten Plätze in der Proszeniumsloge; das war an sich sehr schön, man saß dicht am Geschehen, nur wenn die Blechbläser forciert zur Sache gingen, hat man schon einen Schreck gekriegt.


    Ich weiß also die heimische Anlage schon sehr zu schätzen. Nur manches ist eben nicht reproduzierbar. Glücklich also, wer sich eine gute Anlage und hinreichend häufig Karten gönnen kann.


    Gruß, l.

    "Jein".

    Fettes Brot

  • Zitat

    um es kurz zu machen. Ich habe einen Kollegen, der erklärte mir, Gustav Mahler müsse man live hören. Diese Dynamik liese sich nicht auf eine CD pressen. Die Anlage, welche das von ihm im Konzertsaal in punkto Mahler erlebte wiedergeben könnte, müßte erst noch gebaut werden.


    Hallo Gallo,


    das ist nicht richtig. Ein großes Orchester erreicht maximal ca. 110dB/SPL, die leisesten Stellen liegen kaum unter 40dB/SPL, so daß 70dB Dynamik ausreichend sind, was die CD praktisch ermöglicht.


    Auch die Lautsprechertechnik ermöglicht problemlos unverzerrte Schalldruckpegel in der Größeordnung um 110dB/SPL. Hier der Maximalpgel des Klein+Hummel O500C als Funktion der Frequenz bei 1% Klirrfaktor:



    Sehr wichtig für die Wiedergabe hoher Lautstärken (und überhaupt sehr wichtig für Klangfarbe und Phantomschallquellenbildung) ist eine ausreichende Bedämpfung des Hörraumes. Ein unzureichend bedämpfter Raum hat ein zu starkes Diffusfeld, was die Dynamik komprimiert und hohe Wiedergabelautstärken unangenehm macht. Zusätzlich "vermatschen" starke Einzelrückwürfe (diskrete Reflexionen) das Klangbild.
    Wichtig ist weiterhin eine frequenzlineare Betriebsschallpegelkurve. Aus vielerlei Gründen, u.a. der frequenzabhängigen Nachhallzeit des Raumes und eines unstetigen Bündelungsmaß des Lautsprechres liegt am Hörplatz meist kein ausgewogener Amplitudenfrequenzgang vor, sondern ein zu tiefen Frequenzen ansteigender, was (Fletcher-Munson-Kurven) zu einer unangenehmen Wiedergabe bei hoher Lautstärke führt. Ein zu tiefen Frequenzen steigender Betriebsschallpegel ist quasi eine fest eingebaute Loudnessfunktion und zwingt zum leisen Hören. Wer hohe Dynamik hören möchte benötigt also:


    (1) einen stark bedämpften Hörraum
    (2) einen linearen Amplitudenfrequenzgang am Hörplatz (frequenzlineare Betriebsschallpegelkurve)
    (3) einen pegelfesten Lautsprecher (empfehlenswert: Größere Hauptregielautsprecher, die bei mittleren Frequenzen 112dB/SPL @ 1m liefern können, wie in IRT b115/90d vorgeschrieben)
    (4) eine Tonaufnahme mit nicht komprimierter Dynamik


    Gruß


    Andreas

    De gustibus non est disputandum (über Geschmäcker kann man nicht streiten)

  • Hallo


    Zitat

    das ist nicht richtig. Ein großes Orchester erreicht maximal ca. 110dB/SPL, die leisesten Stellen liegen kaum unter 40dB/SPL, so daß 70dB Dynamik ausreichend sind, was die CD praktisch ermöglicht.


    Theoretisch mag das stimmen, praktisch packt keine Plattenfirma der Welt 70dB Dynamik auf eine Musik-CD, da das Ergebnis für mehr als 90% der Kunden unbefriedigend wäre. 70dB verkraften nur höchstwertige Musikanlagen, einen Ghettoblaster kannst du damit in seine Einzelteile zerlegen. :D



    (Ich kann mich dunkel erinnern, dass die Majors bei Einführung der CD eine Art stillschweigendes Abkommen machten, dem zufolge die Dynamik auf CDs nur unwesentlich höher war als auf hochwertigen LP-Pressungen. Diese erreichte etwas über 50 dB, die durchschnittliche CD wird auch nicht mehr als 55dB haben. Der Hauptunterschied ist also das fehlende Bandrauschen und die leichtere Editierarbeit, letzteres ist aber in erster Linie ein Vorteil für die Plattenfirmen. Da es analoge Bandmaschinen mit 75dB Dynamikumfang und linearem Frequenzgang bis ca 35kHz gibt, ist der CD-Standard inzwischen sogar von der Analogtechnik weit übertroffen, aber das interessiert praktisch niemanden, der Markt für wirklich hochwertige Aufnahmen ist einfach zu klein.)



    PS: Dein Diagramm ist bei näherer Betrachtung äußerst überraschend! Warum die Mittelton-Kalotte des O500 im Zentrum ihres Übertragungsbereichs die kleinste maximale Lautstärke entwickeln soll, will sich mir nicht so recht erschließen.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo,


    in der Tat gibt es nur wenige Musik-CD´s mit einer über 60dB hinausgehenden Dynamik. Man mag das bedauern oder praxisgerecht finden, beide Sichtweisen sind verständlich. Ich selbst würde mich zumindest über eine z.B. zusätzliche nicht komprimierte Variante einer Tonaufnahme freuen. Man hat ja bisher keine Wahl.
    Aber als Klassikhörer sollte man hier nicht allzu laut klagen, in anderen Genres wird wesentlich stärker komprimiert. Tonaufnahmen mit einer Dynamik von 1dB (!) gibt es durchaus in den Genres Rock und Pop. Und klägliche 30dB gelten bei Jazz schon als richtig viel.


    Der "geringe" Maximalpegel bei 1% THD des Mitteltöners um 1,5kHz kommt daher, daß hier der Realteil des Strahlungswiderstandes gegen Eins geht (Anpassungsfrequenz, ka = 1, Wellenlänge = Strahlerumfang). Unterhalb dieser Frequenz erhöht die Hornschallführung den Realteil des Strahlungswiderstands und somit den Kennschalldruckpegel.
    Normalerweise (ohne Horn) gleicht sich unterhalb ka = 1 die sinkende Membranamplitude (massegehemmt) und der steigende Realteil des Strahlungswiderstandes aus, so daß sich ein linearer Amplitudenfrequenzgang ergibt. Das Horn erhöht jedoch den Realteil des Strahlungswiderstandes unterhalb ka = 1, so daß die Empfindlichkeit bzw. der Kennschalldruckpegel (ohne Entzerrung) zum unteren Ende des Übertragungsbereichs des MT zunimmt.


    Die Maximalpelgekurve bei 1% THD folgt nun weitgehend der Kurve des Kennschalldruckpegels (vor elektrischer Entzerrung) als Funktion der Frequenz.
    Die Frage bleibt, warum der Maximalpegel oberhalb 2kHz dann wieder ansteigt, die Erklärung dafür liegt sicher im Mitteltonstrahler selbst.


    Gruß


    Andreas

    De gustibus non est disputandum (über Geschmäcker kann man nicht streiten)

  • Hallo Johannes, die älteste Aufnahme einer Mahler-Sinfonie,
    ist von 1923.Es ist die 2.mit Gertrud Bindernagel,Emmi Leisner,
    Berliner Kathedral Chor, Berl.Philh. Dir. Oskar Fried.



    :hello:Herbert

    Tutto nel mondo è burla.


  • Eigentlich steht dieser Punkt, so richtig er auch sicher ist (sein mag), überhaupt nicht zur Debatte. Eine CD mit der Musik von Gustav Mahler ist nie die Alternative zum Konzert, sondern mE immer nur eine Möglichkeit, sich diese Musik nach Hause zu holen und diese dann - wenn man Lust hat - auch "zwischendurch" - auch mal nur einen Satz - zu hören. Dass eine solche Musik (wie alle Musik, die aufgenommen wird) über die Krücke Aufnahmemikrofon - Speicherung - Wiedergabe über eine künstliche "Gerätschaft" nie vergleichbar sein kann wie ein Konzert (von der Life-Atmosphäre gar nicht zu reden), muß einleuchten.


    Dennoch glaub ich, daß man diese Musik zuhause durchaus so hören kann, daß sowohl die Wucht als auch die Feinheiten "werkgetreu" rüberzubringen sind - ein vernünftiges Equipment vorausgesetzt. Und: die immensen Dynamiksprünge im Konzert möchte ich glaub ich nicht zuhause in meinen 35 qm hören ;-)


    Vielleicht noch ein Wort zum Frequenzbereich (Fachleute mögen mich bitte korrigieren): Ich hab mal gehört, daß der Mensch durchaus in der Lage ist, Frequenzen oberhalb von 20000 Hz wahrzunehmen (Altersaspekte mal weggelassen). Nicht zu hören, aber wahrzunehmen. Dies ist mE auch genau der Punkt, was das Lifekonzert (neben vielen anderen Aspekten) so reizvoll macht: die "Luft" die über allen Klängen liegt. Das ist auch der Effekt, der die LP immer noch "besser" erscheinen läßt als die CD. Denn diese (die CD) überträgt ja nur Frequenzen bis 20000 Hz, die LP kann diese "Luft" darüber auch noch rüberbringen. Nicht umsonst sagen viele LP-Junkies, daß eine LP "irgendwie mehr atmet".


    Der höchste Ton der Violine liegt nur bei etwa 4000 Hz, aber das Obertonspektrum geht hinauf bis zu 30000 Hz. Dies macht den Schmelz dieses Instrumentes (wie jeden Intrumentes) aus.


    Fachleute bitte vor...
    :hello:


    Herzlichst
    Thomas

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  • Hallo,


    leider, oder Gott sei dank, ist es nicht möglich die originalen Dynamik-Sprünge zu Hause darzustellen.
    Zumindest nicht in dieser Reinheit des Klanges. Das hängt auch mit der Raumgröße zusammen.
    Ein Orgelton von 20 Hz hat eine Wellenlänge von 340 / 20 = 17 (m) !
    Kontrabass 4 Seiten (E-Seite leer gezupft) hat eine Wellenlänge von 340 / 41,2 = 8,25 (m)
    d.h. dass sich Wellen an den Zimmerwänden verstärken oder sich gar auslöschen können.
    Je nachdem wo wir uns im Raum befinden, kann der Klang anders sein.


    Jegliche Musikkonserve ist ein Mix aus Kompromissen, die mehr oder weniger gut gelingen.


    Das ist die Kunst der Tonmeister den "Live-Konzert-Sound" so zu gestalten / abzumischen, dass zu Hause auch unter "miserablen" Raum-Umständen noch ein hervorragender Klang entstehen kann.


    An dieser Stelle mal ein besonderes Lob an die Tonmeisterzunft :jubel:



    Ich wage es mal:
    Wie wir wissen ist der Klang eines Instruments die Zusammensetzung aus den unterschiedlichsten Tönen.
    Zum Grundton gesellen sich unterschiedlich dynamische Obertöne hinzu. Der Mix ist die Klangfarbe eines Instruments. Die Obertöne können ganz feine Unterschiede haben. Deshalb können wir die Geige A von der Geige B, die direkt daneben ist, unterscheiden.


    Bleiben wir mal bei den 4000 Hz (4kHz).
    bei jeweiliger Verdopplung kämen wir auf 8 kHz, 16 kHz und 32 kHz.


    Auch wenn wir einzelne Sinusschwingungen (je nach Alter auch schon 16 kHz) von 32 kHz nicht hören können, macht es doch Sinn, Hochton-Lautsprecher zu verwenden, die diesen Bereich abdecken können.
    Das Phänomen liegt darin, dass auch diese Ultrahochtöne den Gesamtklang mit beeinflussen.
    Schon deshalb führt kein Weg am Konzertbesuch vorbei, um den ganzen Klang (incl. Husten, Räuspern, Rascheln, ...) zu genießen.
    (Vielleicht nicht immer - doch zumindest hin und wieder :yes: )


    In diesem Sinne
    Gruß


    Siegfried

    ASA-Lautsprecherboxen
    für die anspruchsvollsten Hörer.

  • ... dieser Thread artet ja nun doch sehr ins technisch-physikalische aus. Die Ausführungen sind gewiß instruktiv, aber doch nur bedingt Mahler-spezifisch. Sie gelten in gleicher Weise auch für andere großorchestrale Werke.


    Ich postuliere hier einfach mal, dass es für mich bei KEINER anderen Musik als der Mahlers so evident ist, dass man sie einfach live im Konzertsaal erleben muß, um sie richtig verstehen und genießen zu können. Selbst mit dem allerfeinsten Equipment bekommt man zuhause nicht annähernd das kathartische Erlebnis reproduziert, das einem eine geglückte Aufführung in einem guten Konzertsaal beschert - wenn nicht gerade Barenboim dirigiert :evil: Mahler-CDs besitze ich eigentlich nur, um die Durststrecken zwischen zwei Konzerten ohne Entzugserscheinungen überbrücken zu können. Ich besitze Einspielungen vom Allerfeinsten, aber bei jedem Anhören denke ich doch an das letzte Konzerterlebnis zurück und konstatiere, dass die CD nur ein sehr schwacher Ersatz ist. In ganz besonderer Weise gilt dies für die Schlußsätze der 2., 3. und 9. Sinfonie sowie für die gesamte 6. Das Gefühl der Schauer, die mich überall überlaufen und des Lautaufschreienwollens nach dem Verklingen des Schlußtaktes bleibt im häuslichen Wohnzimmer einfach weitaus schwächer


    Ähnlich geht es mir allenfalls noch mit Wagner - den höre ich nur selten zuhause und lechze lieber nach dem nächsten Live-Erlebnis.


    Salve,


    Cassiodor :hello:

  • Zitat

    Ich postuliere hier einfach mal, dass es für mich bei KEINER anderen Musik als der Mahlers so evident ist, dass man sie einfach live im Konzertsaal erleben muß, um sie richtig verstehen und genießen zu können. Selbst mit dem allerfeinsten Equipment bekommt man zuhause nicht annähernd das kathartische Erlebnis reproduziert, das einem eine geglückte Aufführung in einem guten Konzertsaal beschert


    Nein, das gilt natürlich auch für Strawinsky, Bruckner, Richard Strauß und etliche andere - in letzer Konsequenz eigentlic für fast ALLE Werke.


    Nicht mal der Diskant- Anschlag eines Flügels ist einigermaßen naturnah realisierbar.


    mfg aus Wien


    Alfred

    POLITIKER wollen stets unser Bestes - ABER WIR GEBEN ES NICHT HER !!!



  • Zitat

    Je nachdem wo wir uns im Raum befinden, kann der Klang anders sein.


    Aber das ist in einem Konzertsaal auch nicht anders....



    Zitat

    Das ist auch der Effekt, der die LP immer noch "besser" erscheinen läßt als die CD. Denn diese (die CD) überträgt ja nur Frequenzen bis 20000 Hz, die LP kann diese "Luft" darüber auch noch rüberbringen. Nicht umsonst sagen viele LP-Junkies, daß eine LP "irgendwie mehr atmet".


    Dem stimme ich zu.



    Zitat

    Das hängt auch mit der Raumgröße zusammen.


    Das stimmt alles, für mich wesenrlich wichtiger ist noch, daß das orginale visuelle Konzertereigniss wegfällt.


    Wenn man ein Instrument im Konzert auch sieht, dann erscheint es wesentlich präsenter.



    Zitat

    Nicht mal der Diskant- Anschlag eines Flügels ist einigermaßen naturnah realisierbar.


    Dem schließe ich mich an, irgendwie naturgetreue Klavieraufnahmen, gerade im Diskant, gehören zum Schwierigstern und sind m.W. nach zwar befriedigend, aber eben halt doch nicht völlig naturnah zu bewerkstelligen.


    Gruß,
    Michael

  • Die Frage ist ja nicht nur eine technische: Als Musikhörer daheim entscheiden wir über die Lautstärke. Selbst wenn sich der Hammerschlag in Mahlers 6. Sinfonie reproduzieren lässt, wer tut denn das daheim? Das physische Erleben dieser Schläge muss ich im Konzertsaale ersteinmal gehabt haben, um eine Idee davon zu bekommen, was ich daheim reproduzieren will.


    Nachdem ich diese Urgewalt einmal live in der Kölner Philharmonie erlebt hatte (selbst in Stehplatznähe sind diese Hammerschläge nicht nur ein akkustisches, sondern auch ein physisches Ereignis), bin ich für mich zu dem Schluß gelangt, daß Mahler zu jenen Komponisten zählt, für die mehr als für viele andere gilt, daß sich die Aufzeichnung zur Aufführung verhält, wie in der Kunstgeschichte der Bilddruck zum Original (selbst wenn es, wie bei vielen Werken etwa Jan van Eycks möglich ist, diese Bilder in Originalgröße im Buche abzudrucken).


    In Aachen habe ich vor Jahren Beat Furrers Oper "Die Blinden" erlebt. Mein Gedanke dabei war, daß das wohl kaum auf Tonträger reproduzierbar sei. Bei Mahlers 6. ging es mir ähnlich. Ähnliche Extreme bei Mahler -und dies sage ich in dem bescheidenen Umfange, in dem mir sein Werk vertraut ist- kann ich mir bei der 8. Sinfonie vorstellen. Die ist wohl auch auf Tonträger nur als Abglanz und Idee reproduzierbar.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    Zitat von Cassiodor
    Ich postuliere hier einfach mal, dass es für mich bei KEINER anderen Musik als der Mahlers so evident ist, dass man sie einfach live im Konzertsaal erleben muß, um sie richtig verstehen und genießen zu können.


    Sicherlich gehören Mahlers Sinfonien zu den Werken, die im Konzert einen viel stärkeren Effekt erzielen als zuhause auf der heimischen Anlage. Ich habe selbst einige seiner Sinfonien live erlebt (mir fallen gerade die Nummern 5, 6 und 7 ein). Ich würde ihn ihn in dieser Hinsicht aber nicht als Einzelfall sehen. Ich finde den Effekt eher noch größer bei einigen Sinfonien von Schostakowitsch.


    Jedenfalls glaube ich auch, wer solche Werke nie live im Konzertsaal erlebt hat, der kann sich deren "eigentliche" Wirkung nur bedingt vorstellen. Umgekehrt, wenn man ein solches Stück schon live gehört hat, kann man sich die entsprechende Effekte beim Hören einer CD auch mitdenken.


    Generell möchte ich aber sagen, dass viele CD-Aufnahmen der letzten Jahre doch schon sehr gut geworden sind.


    maticus