Puccini - Kitschfabrikant oder verkanntes Genie?

  • 1. Fanciulla: Gestehe, daß ich damit wenig anfangen kann, habe es bisher zweimal versucht


    2. Originalsprachen: Bevorzuge ich, die Argumente dafür hat Hendrik dargelegt. Eine Fast-Ideal-Lösung
    ist das System an der Wiener Staatsoper (vor jedem Sitz "Übersetzungsdisplays", die man benutzen kann oder auch nicht, und die nicht stören). Dabei stelle ich fest, daß auch manchmal bei Wagner dieses Display einschalte (bin leider etwas schwerhörig).


    Zum Thema Originalsprachen gibt es für mich eine kleine Ausnahme: Ein Live-Mitschnitt aus der Wiener Staatsoper vom "Barbier von Sevilla" aus 1966 in deutsch gesungen und gespielt. Böhm dirigiert den Barbier etwas breiter, aber die Singschauspieler Kunz, Czerwenka und Wächter zu verstehen, ist Genuß. Dazu noch Fritz Wunderlich!!!

    Otto Rehhagel: "Mal verliert man und mal gewinnen die anderen".
    (aus "Sprechen Sie Fußball?")

  • Hallo Hendrik,


    zum "Mädchen"
    vielleicht liegt es auch an der Aufführung in Bonn,die ich 1995 sah. Davor (halt nur Querschnitte kennend)
    fand ich das Werk eben anders, als die anderen Werke aber auch gut. Muß wohl noch einmal eine andere Aufführung sehen.
    Vielleicht ändert es sich dann (auch durch die Jahre) wieder.
    Da ich nicht zu denn gehöre, die Puccini Kitsch unterstellen, liegt es bestimmt nicht an etwaiger "Barschheit"


    "Sprache"
    Der Unterschied italienisch - deutsch ist natürlich recht groß (Rhytmus, Vokale, Betonung, Sinn etc).
    Obwohl ich eine gute Übersetzung und Sänger (die verstehen, was sie singen) auch nicht generell schlecht finde.
    Nichts ist schlimmer, als wenn man merkt, er/sie versteht kein Wort was er/sie singt.
    Manchmal ist mir die deutsche Variante aber lieber. Ich "sitze" also im Opernhaus zwischen Dir und Deinem Vater
    - als Zünglein an der Waage: )


    Ich liebäugele (sagt man das eigentlich noch) mit der Anschaffung einer deutschen Turandotaufnhame.
    Ende Nov hat dann Turandot (ital.ges)) in der Kölner Oper Premiere. Als Einstimmung sozusagen.


    Gruss,
    Harald

  • Puccini hat seit je mit dem intellektuellen Hochmut der ewigen Besserwisser, die seine Musik als Kitsch bezeichnen, ganz gut leben können. Ich jedenfalls wäre begeistert, wenn ich solchen "Kitsch" produzieren könnte. Daß Puccini in der Lage war, nach Verdi einen eigenen Stil zu entwickeln, ist an sich schon eine bewunderswerte Leistung (ähnlich wie Richard Strauss nach Wagner, woraufhin Strauss denn auch sofort auf Konfrontationskurs gegen Puccini ging). Dieser Puccini-Stil steht zwar - wie sollte es anders sein - in der Tradition des italienischen Melos, doch wie Puccini dieses Melos zwischen Singstimme und Orchester verteilt, ja aufspaltet, war seinerzeit reichlich neuartig. Daß er Einflüsse von Verdi, Wagner, Debussy, Strawinsky und auch Strauss zu verarbeiten und zu nutzen vermochte, ohne als Eklektiker zu enden, macht einmal mehr seine Bedeutung aus. Selbst mit Schönberg hat er sich beschäftigt. Und wer jemals die Partitur des "Gianni Schicchi", dieses letzten großen Meisterwerks der opera buffa, zur Hand genommen hat und diese lebenssprühend-funkelnde Komödiantik zu verspüren vermag, der staunt nur über die durch nichts begründete Selbstgerechtigkeit sogenannter Fachleute, die versessen auf ihrer Beckmesser-Tabulatur herumkratzen. Nebenei: Puccini, zeitlebens trotz aller Welterfolge ein großer Melancholiker vor dem Herrn, hat diese herrliche Komödie in einer Zeit tiefster Depression geschrieben.

  • Zitat

    Original von Zeus0043
    Wenn Ihr Puccini nur als 'Banal' und 'Verkitscht' abtut, dann habt Ihr anscheinend noch nie gehört oder gelesen, was sich da alles im Orchestergraben tut, das ist modernste Musik auf der Höhe ihrer Zeit,



    ich liebe die Musik von Puccini, weil sie mich sehr tief bewegt..


    aber das mit der modernsten Musik ist zu dick aufgetragen!
    (ich weiß, was sich im Graben tut...)
    Ciao, Wolfgang

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

    Einmal editiert, zuletzt von tastenwolf ()

  • Verkannt deshalb, weil er von der ernstzunehmenden Musikwissenschaft bis in die 80er Jahre hinein kaum beachtet worden ist


    vielleicht ist die Musikwissenschaft doch nicht so ernstzunehmen...

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • hallo,


    ich habe nie verstanden, wie man den begriff 'kitsch' überhaupt mit puccini in verbindung bringen konnte .. traumhafte, ergreifende, mitreißende melodien, grandiose orchsterbehandlung, großartige rollencharakterisierung ...und für mich ...einfach süchtigmachende musik ... einmal angefangen, hör ich meistens eine woche durch ... :D



    wenn schon kitsch, dann evtl. bei lehar, den man ja auch bösartig 'puccini für arme' nannte 8o. aber den schätze ich auch immer mehr. generell bin ich für die ehrenrettung der (guten) operette!!!!!


    lg

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Durch seine Kunst, menschliches Hoch und Tief, besonders in Frauengestalten auf die Bühne zu bringen, mag ihm das Klischee des "Kitschfabrikanten" anhängen. Das er aber eher als verkanntes Genie
    gilt, ist durch den musikalischen Gehalt, der oft unterschätzt wird (Fanciulla, La Rondine, Le Villi) aufgezeigt.
    Das heisst nicht, das seine "Knüller" (Bohème, Tosca), die zu meinen Lieblingsopern zählen, billiger Kitsch bedeuten.


    Gruß Heldenbariton

    Wie aus der Ferne längst vergang´ner Zeiten
    GB

  • Hello!


    Zitat

    Original von klingsor
    ...einfach süchtigmachende musik ... einmal angefangen, hör ich meistens eine woche durch ... :D




    lg


    vollkommen richtig!
    ich könnte La Bohéme rund um die Uhr hören.


    Themen wie Madama Butterfly oder La Boheme finde ich ebenfalls nicht kitschig - sondern weit realistischer als Themen von älteren Opern


    ich (Ahnungsloser) finde auch noch dass Puccini moderner klingt als seine Vorgänger - was sich da im Graben tut weiss ich leider net - aber was ich hör ist schlicht und weg der Hammer.


    Frage an die Profis: MB kam hier im Thread bislang zu kurz denke ich. Welche CD wäre denn zu empfehlen wenn man sich eine Gesamtaufnahme der Madama Butterfly zulegen möchte - bzw - gibts eine DVD von einer optisch/akustisch ansrechenden Inszinierung?


    LG Paul?

  • Hallo Paul,


    bei DVD kenne ich mich nicht aus.
    CD: Callas ist wie immer ein Ereignis, aber evtl. für den japanischen Teenager etwas zu extrovertiert in ihrer Darstellung.
    Mein Favorit ist die Aufnahme mit Scotto/Bergonzi unter Barbirolli


    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Weder noch! Puccini ist ein anerkanntes Genie und aus den Besetzungslisten sämtlicher Opernhäuser nicht mehr wegzudenken. :angel:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Hi


    Technisch gute und empfehlenswerte Stereo-Aufnahmen wären z.B.:





    Etwas später als die erstgenannte Aufnahme entstand die Verfilmung der Ponelle-Inszenierung (also ein Opernfilm; mit Domingo statt Pavarotti; wieder ein Fall, wo Karajan für den Film einen optisch attraktiveren Sänger als bei der Studio-Aufnahme engagierte! Er sorgte sich eben auch um die Details!). Eine Verfilmung die recht gelungen ist. Aber es sollte auch die eine oder andere empfehlenswerte Bühnenversion existieren.




    Die berührendste Butterfly der Beispiele war vielleicht Mirella Freni, die stimmlich beste Leontyne Price. Aber alle Aufnahmen liegen auf sehr hohem Niveau.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Victoria de los Angeles war wohl sehr beliebt - ich habe drei Aufnahmen
    in der sie vertreten ist, die günstigste und zugleich meine liebste
    Aufnahme ist von 1954 u.a. mit Tito Gobbi:


    Giacomo Puccini, 1858-1924: Madama Butterfly
    Historische Gesamtaufnahme / Historic Complete Recording
    Pressdatum/Release Date: 1954


    Besetzung/Artists:
    Cio-ci-san/Madama Butterfly: Victoria de Los Angeles, soprano
    Suzuki: Anna Maria Canali, mezzosoprano
    Pinkerton: Giuseppe di Stefano, tenor
    Kate Pinkerton: Maria Huder, soprano
    Sharpless: Tito Gobbi, bariton
    Goro: Renato Ercolani, tenor
    Yamador-Commissario-Ufficiale del Registro: Arturo la Porta, bariton
    Bonzo: Bruno Sbalchiero, basso
    Dirigent/Conductor: Gianandrea Gavazzeni
    Sprache/Language: Italienisch/Italian


    Ich bezeichne mich nicht als der Fan von Puccini, doch schätze ich
    seine theatralischen Inszenierungen wie Tosca und evtl. Turrandot.
    Ich habe auch einige verdeutschte Fassungen gehört, von denen ich
    jedoch auf Bezug des guten Geschmacks eher abrate. Heuzutage
    gibt es ja sogar Aufnahmen von Verdi in Chinesisch :D


    Greets, Carl

    Our cultural heritage belongs to all of us, that's why we must preserve it
    Unser Kulturgut gehört uns allen, deshalb müssen wir es bewahren
    http://www.publicdomain.ch

  • Hallo,
    Puccini ist einer,der ganz großen Meister und es ist absolut
    lächerlich,diese Meisterschaft mit Kitsch in Verbindung zu
    bringen.Meine Favoriten sind:La Boheme,Gianni Schicchi,
    und Turandot.


    Gruß Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Bei Puccini bin ich recht zwiegespalten. "Madame Butterfly" mochte ich nie, "La Bohème" geht auch nur alle Jubeljahre mal, "Tosca" und "Manon Lescaut" hingegen schätze ich sehr.


    Um so erstaunlicher für mich, daß ich von letztgenannter Oper nur eine Aufnahme besitze:



    Eine "Klassikeraufnahme", wenngleich Mario del Monaco -wie so häufig- nur zwei Laustärken kennt: Forte und Dauerforte ;) . Aber stimmlich war er, wie der Rest des Ensembles, in Top-Form.


    Da der Trend bei mir gerne einmal zur Zweitaufnahme geht ;) , wäre ich für Empfehlungen dankbar.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hallo Norbert,


    eine sehr gute Aufnahme,auch von 1954,ist die


    mit J.Björling,in einer seiner besten Rollen.


    In den weiteren Hauptrollen :L.Albanese und


    R.Merrill ,Dirigent : Jonel Perlea.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Hallo Herbert,


    die Besetzung liest sich sehr gut und interessant. Ich vermute, daß die Aufnahme Mono ist?!


    Allgemein: Gibt's Empfehlungen neuerer Aufnahmen? Wie schlagen sich die "großen drei Tenöre" als Des Grieux?

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hallo Norbert,


    wenn Du die drei Tenöre meinst,die jetzt kaum mehr


    singen,muß ich gestehen,daß ich sie nie in der Rolle


    gehört habe.Ich kann mir aber vorstellen,daß Domingo


    in diesem Fall die Nr.1 ist.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Ich kann wirklich nicht verstehen, wie man Puccini als Kitsch abtun kann. Gott sei Dank herrscht darüber in diesem Forum ein gewisser Konsens. Puccini ist einer der genialsten Komponisten des letzten Jahrhunderts gewesen. Selbst wenn man seine Sujets nicht immer mag, dann muß man, wenn man etwas von Musik versteht, es wenigstens so machen wie Gustav Mahler, der, als er die Tosca-Partitur zu Gesicht bekam, folgendermaßen geurteilt hat: ein Meistermachwerk!


    Das neue Turandot-Finale von Berio finde ich ebenfalls schwach. Der Bruch ist mir nicht deutlich genug, bei Alfano natürlich erst recht nicht. Es wäre mir lieber gewesen, Arnold Schönberg hätte das Finale komponiert. Aber das kommt wohl darauf an, wie man den Stoff interpretiert...


    Mit den Aufnahmen, die hier teilweise als Referenzaufnahmen vorgestellt wurden, bin ich größtenteils nicht einverstanden. Pavarotti als Calaf zu empfehlen, ist nahezu unglaublich. Selbst wenn man das Volumen seiner Stimme verdoppelt hätte, hätte es noch lange nicht zum Calaf gereicht. Ich habe ihn als Cavaradossi auf der Bühne erlebt - ein teurer Spaß. Ohne Mikrophone war für Pavarotti nicht viel zu holen. Für Domingo war Calaf auch schon eine Grenzpartie - und für Carreras erst recht. Pavarotti eignete sich höchstens für La Bohème, auch wenn da der dritte Akt immer schon recht dünn klang. Mein Rat: Finger weg von den drei Tenören...


    Meine Referenzaufnahmen:


    - TURANDOT: Merli, Cigna, Olivero, Ghione, EIAR (RAI) 1938
    - TOSCA: Björling, Curtis-Verna, MacNeil, Mitropoulos, MET 1959
    - MANON LESCAUT: Björling, Albanese, Guarrera, Mitropoulos, MET 1956
    - LA BOHÈME: Raimondi, Freni, Panerai, Karajan, Wien 1960
    - LA RONDINE: Barioni, Moffo, Sereni, Molinari Pradelli, RCA 1967
    - LA FANCIULLA DEL WEST: Del Monaco, Kirsten, Guelfi, Mitropoulos 1954


    :hello:
    M.

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  • Hallo,
    Vielleicht sollten wir mal kitsch definieren. Bei Wikipedia bin ich auf folgendes gestossen:


    Im Gegensatz zum Kunstwerk, das Spielraum für Interpretation zulässt (Interpretation sogar fordert) ist Kitsch nicht auslegbar.
    Stereotypen und Klischees: Kitsch wiederholt, was dem Betrachter bereits geläufig ist. Vom Kunstwerk wird Originalität erwartet (Innovationszwang der Kunst).
    Leichte Reproduzierbarkeit (Massenware)
    Ich würde noch hinzufügen, Kitsch ist auch normalerweise handwerklich schlecht gemacht.


    So gesehen, kann man Puccinis Musik wohl auf keinen Fall als Kitsch bezeichnen.


    Trotzdem wäre es mal interessant die Argumente eines Pucciniverächters zu hören.


    Ich höre übrigens auch sehr gern Pucciniopern. Um nochmal auf Turandot zurück zu kommen: Ich habe Turandot im Dezember in Zürich gehört und kann im Moment als CAlaf uneingeschränkt Jose Cura empfehlen. (MIr ist aber leider noch keine Aufnahme bekannt)
    Und um nochmal auf die Diskussion um moderne Musik in Puccinis Werken zurück zu kommen: Turandot nimmt wohl in Puccinis Werken da eine ziemliche Sonderstellung ein und in der Tat gibt es da die eine oder andere durchaus moderne Tendenz zu beobachten.
    Ich war sehr erstaunt, welche Entwicklung die Musik Puccinis bis zur Turandot durchlaufen hat, und dies wiederspricht auch dem, dass er nur für den Geldbeutel komponiert hat, wie igendwer mal hier geschrieben hat. Puccini hat sich übrigens mal mit Schönberg getroffen, war im Programmheft zu lesen. Er hat also die zeitgenössische Musik durchaus beobachtet.


    Gruss :hello:


    Syrinx

  • Hallo,


    Bin grad zufällig auf dieses Thread gestossen...
    Puccini und Kitsch...hm...ich denke, den Begriff "Kitsch" kann man, abgesehen von Wikipedia ambivalent Interpretieren - es gibt auch schönen, qualitätvollen Kitsch...


    Ich liebe Puccini über alles, muss aber noch enige Opern hören!
    Tosca (in der Essener Inszenierung) ist das einzige mal, das ich wirklich von Musik zu Tränen gerührt worden bin!...(Nicht dass ich jetzt als unsensibler Grobian und Kein Gefühlhaber hier rüberkomme... :untertauch: - auch andere Musik berührt mich durchaus... :D) Und zwar, als Carvadossi sozusagen auf seinen Tod wartet und nochmal von Tosca hört!


    Turandot finde ich, ist eine wirklich grandiose, Musikalisch höchst ansprechende Oper! Die asiatisierenden Elemente und die teils äusserst expressiven, mit dissonanzen gespickten Chorstellen, sowie "Nessun Dorma" ( :D) - (welches ja irgendwie nicht in diese Oper passt... :rolleyes:) machen Turandot doch zu einem großen Ereigniss...
    Turando ist ja des weitern eine großen "Inszenierungsopern" wie auch z.B. Aida...da kann man richtig Protzen - was teilweise auc (grässlicherweise) in Fussballstadien gemacht worden sein soll... :wacky: - Also doch Kitsch... :D


    LG
    Raphael

  • Zitat

    Original von Syrinx
    Hallo,
    Vielleicht sollten wir mal kitsch definieren.


    Hall Syrinx,


    damit habe ich mich schon mal eingehend beschäftigt. Die Definition ist alles andere als leicht, wenn man über Musik spricht. Bei Literatur und bei der bildenden Kunst (von letzterer her wurde der Begriff ja gefunden, die billigen "sketches" waren schlechte Reproduktionen von populären Malereien). Wenn Interesse an der Frage besteht, glaube ich eher, dass man da Tschaikowsky als Untersuchungsobjekt wählt, dem ja etwa von Adorno (abgeschwächt, aber nicht abweichend auch von Dahlhaus) Kitsch vorgeworfen wurde.


    Zitat

    Bei Wikipedia bin ich auf folgendes gestossen:


    Im Gegensatz zum Kunstwerk, das Spielraum für Interpretation zulässt (Interpretation sogar fordert) ist Kitsch nicht auslegbar.


    Das halte ich für eine Fabel. Zentrales Kriterium des Kitsches ist die fehlende Wahrheit, "falsche" Gefühle sind aber ebenso interpretabel. Und was Nostalgisches alles an Interpretation zulässt ...


    Zitat

    Stereotypen und Klischees: Kitsch wiederholt, was dem Betrachter bereits geläufig ist. Vom Kunstwerk wird Originalität erwartet (Innovationszwang der Kunst).


    Da geht es wohl mehr um das Kunstgewerbe. Bei der bildenden Kunst sind die Grenzen da manchmal fließend. In der Musik ist Epigonales nicht notwendigerweise Kitsch (etwas, was mir bei den Werken von Furtwängler in keinem Falle einfallen würde, noch nicht einmal bei Pfitzner. Die Ineinssetzung von Kunst und Originalität ist eine vergleichsweise moderne Sache, da kommt man im vorromantischen Rahmen nicht weit.


    Zitat

    Leichte Reproduzierbarkeit (Massenware)


    Das zielt wieder auf das Kunstgewerbe. Hält man aber Tschaikowskys Fünfte für Kitsch, ich tue das übrigens nicht, halte das Werk aber für ein gutes Scheidemittel, um die Begrifflichkeit mit einer gewissen Komplexität entwickeln zu können, also hält man die Fünfte für Kitsch, was fängt man da mit dem Kriterium "leichte Reprozierbarkeit" an?


    Diesselbe Frage kann man sich bei Puccini stellen, den ich aber eigentlich gleich und umfassend vom Kitsch-Verdacht freisprechen möchte. Eher hat sich das Kunstgewerbe in Form populärer Musik in unzulässiger Form bei Puccini bedient, aber eben auch, indem es die bewusst eingesetzten musikalischen Mittel verfälschte.


    Zitat

    Ich würde noch hinzufügen, Kitsch ist auch normalerweise handwerklich schlecht gemacht.


    Nicht notwendigerweise, das mag für Massenproduktion gelten, aber es gibt doch handwerklich hervorragende Unaufrichtigkeit in der Kunst ...



    Zitat

    So gesehen, kann man Puccinis Musik wohl auf keinen Fall als Kitsch bezeichnen.


    Volles Einverständnis


    Zitat

    Trotzdem wäre es mal interessant die Argumente eines Pucciniverächters zu hören.


    Meine Probleme mit Puccini liegen wo anders, etwa in den sadistischen Folterszenen.



    LG Peter

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Sado-Kitsch...


    Hallo Edwin,


    du hast Recht. Das muss ich mir mal noch einmal durch den Kopf gehen
    lassen.


    LG Peter

  • Ich halte eine präzise Definition von Kitsch für unmöglich.
    Des einen Kitsch ist des Anderen Himmelreich. Das ist ganz entschieden eine Frage des persönlichen Hintergrunds, der Geschmacks-Bildung, des allgemeinen Horizontes. Wenn ich allein in meinem engsten Umfeld mich umsehe: meine deutsche Grossmutter schmolz bei Heimatfilmen und Operettenmelodien dahin, die für mich nichts als Kitsch waren. Meine Mutter liest Romane(nciht nur solche!) die ich nur im Zustand der erschöpftesten Rekonvaleszenz als Ablenkung ertrüge. Und ein früherer Lebensgefährte konnte absolut nciht nachvollziehn, wie ich bei Verdi, Bellin oder gar Puccini von Rührung übermannt wurde. :rolleyes: Für ihn war auch Verdi Kitsch, nciht nur Puccini! Und ich kenne genug Leute, für die Wagner der schwülstigste Kitsch aller Zeiten ist. Isoldes Liebestod-was für ein Kitsch-Schmarrn!(das ist NICHT meine Meinung!!!!)
    Wer hat denn da bitte Recht????? ?( ?( ?(


    Mozart und Bach hat gottseidank noch niemand in meiner Gegenwart als Kitsch bezeichnet und die Barockmusik scheint überhaupt von diesem Vorwurf verschont zu sein.
    Was nun wirklich Kitsch ist? Keine Ahnung!
    Das was mir persönlich zu banal, zu leer, zu plakativ, zu durchsichtig, zu verlogen, zu zuckersüss, zu was weiss ich erscheint, ist mein persönlciher Kitsch. Eine Madonna mit angeleuchtetem durchbohrtem Herzen ist für mich Kitsch. Für meine italienische Nonna war das ein Devotionsgegenstand erster Klasse.
    Als meine italienische Cousine heiratete wurde ein stilisierter Film von der Trauung gedreht, in den der Photograph, dem loklaen Geschmack gemâss, einen sterbenden Jesus am Kreuz den Segen über das Brautpaar sprechen liess. Mir ist fast das Blut in den Adern gefroren dabei, aber:
    Habe ich das Recht, auf sie herabzusehen??? Nie und Nimmer! :no:
    Wenn ich aufgrund meines allgemeinen Lebens- Hintergrunds andere Gefühlsqualitäten erlebe, heisst das noch lange nciht, dass die hôherwertig sind.
    Ich verbitte mir genauso, von irgendwelchem hochintelletuellen Männern ausgelacht zu werden, wenn ich bei Bellinis "Qui la voce sua soave" weinen muss.
    Wie gesagt: des Einen Kitsch ist des Anderen Himmelrecih. Puccini ist vieler Leute Himmelrecih :angel:

  • Hallo,

    Zitat

    Habe ich das Recht, auf sie herabzusehen??? Nie und Nimmer! Wenn ich aufgrund meines allgemeinen Lebens- Hintergrunds andere Gefühlsqualitäten erlebe, heisst das noch lange nciht, dass die hôherwertig sind. Ich verbitte mir genauso, von irgendwelchem hochintelletuellen Männern ausgelacht zu werden, wenn ich bei Bellinis "Qui la voce sua soave" weinen muss. Wie gesagt: des Einen Kitsch ist des Anderen Himmelrecih. Puccini ist vieler Leute Himmelrecih


    Obwohl das Wahrnehmen von Kitsch offenbar subjektiv geprägt ist, so ist es doch erstaunlich, dass zumindest niemand in diesem Forum bisher Puccini als Kitsch bezeichen würde. MAn gestatte mir den elitär klingenden Satz, dass dieses vielleicht doch etwas mit musikalischer Bildung zu tun haben mag.Diese Erkenntnis muss nicht notwendiger Weise bedeuten, dass man deshalb auf andere herabsieht.
    Vielleicht hat es aber auch mit dem Einlassen auf Gefühle durch Musik zu tun. Ich denke dass viele von denen, die Wagner , Puccini oder Strauss als Kitsch bezeichnen, damit die Gefühle blockieren wollen, die diese Musik in Ihnen auslösst.
    Um nochmal auf die offenbar schwierige Definition von Kitsch zurück zu kommen: Vielleicht könnte man das Pferd von Hinten aufzäumen. Wo sind wir uns weitgehend einig welche Komponisten denn "Kitsch" produziert haben ?
    Im Popbereich fallen jedem von uns sicher viele Beispiele ein. Spontan z.B. Andre Rieu oder Andrea Bocelli, mit "Time to say good bye" (Ich hätte gerade beinahe "good buy" getippt, hätt eja auch irgendwie gepasst :D


    Ich denke da würden wir mit dem Kriterium "Schlecht gemacht" und "leicht reproduzierbar" "fehlende Originalität" schon relativ weit kommen.


    Wesentlich schwieriger finde ich dies schon in der klassischen Musik. Spontan einfallen würden mir da nur die Musik des romantischen Komponisten Johann Kaspar Mertz , die hier vermutlich keiner kennt, da dieser Komponist vorwiegend für Gitarre geschrieben hat. Da gibt es z.B. eine Tondichtung namens Fingals Höhle, die durch besonders plumpe Lautmalerei hervorsticht, also auch durch fehlende Originalität, handwerkliche Fehler und leichte Reproduzierbarkeit besticht.



    Also ich denke schon, dass sich Kriterien für Kitsch mehr oder weniger unter ähnlichen Bildungsvoraussetzungen definieren lassen. Was individuell sein mag, sind die Grenzwerte für diese Kriterien.


    Viele Grüsse


    Syrinx :hello:

    Einmal editiert, zuletzt von Syrinx ()

  • Ich weiß, damit setze ich mich in die Nesseln, aber: für mich ist Tschaikowsky fürchterlicher Kitsch. Ganz einfach wegen des plakativen, pathetischen, sentimentalen Ausdrucks.


    :hello:
    M.

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Ich halte eine präzise Definition von Kitsch für unmöglich.
    Des einen Kitsch ist des Anderen Himmelreich. Das ist ganz entschieden eine Frage des persönlichen Hintergrunds, der Geschmacks-Bildung, des allgemeinen Horizontes.


    Das ist der Ansatz von Ludwig Giesz (Phänomenologie des Kitsches, München, 2. Aufl. 1971). Er sieht den Kitsch als etwas, das im Auge des Betrachters entsteht und nicht notwendigerweise mit dem Objekt, das als Kitsch erlebt wird, verbunden ist: "Eine Reihe scheinbar nur 'objektiver' Merkmale des Kitschproduktes - Penetranz, Klebrigkeit, Sentimentalistät, Exotismus, Schwächlichkeit, übersättigte Stimmungen, Pseudowerte und -ideale u.a.m. - führten wir auf die Genüsslichkeit zurück. Stets war es diese Grundverfassung des kitschigen Menschen, die uns das in seiner Ärgerlichkeit aufschlussreiche Doppelspiel des Kitschigen verstehen ließ." (S. 53) Giesz postuliert von diesem Ansatz her die Möglichkeit der Entkitschung, wenn "die strukturellen Interferenzen des Kitsches [...] auf klarere und eindeutigere Sachverhalte zurückgeführt würden, etwa auf puren Genuss oder auf (distanziertes) Spiel." Ich sehe darin auch einen Ansatz, die leidige Inszenierungsdebatte auf den Begriff zu bringen.


    Zitat

    Wenn ich allein in meinem engsten Umfeld mich umsehe: meine deutsche Grossmutter schmolz bei Heimatfilmen und Operettenmelodien dahin, die für mich nichts als Kitsch waren.


    Wie ich das kenne - auch die Großmutter! Sie hat mich jahr(zehnt)elang von jeder Operette ferngehalten!


    Zitat

    Meine Mutter liest Romane(nciht nur solche!) die ich nur im Zustand der erschöpftesten Rekonvaleszenz als Ablenkung ertrüge. Und ein früherer Lebensgefährte konnte absolut nciht nachvollziehn, wie ich bei Verdi, Bellin oder gar Puccini von Rührung übermannt wurde. :rolleyes: Für ihn war auch Verdi Kitsch, nciht nur Puccini! Und ich kenne genug Leute, für die Wagner der schwülstigste Kitsch aller Zeiten ist. Isoldes Liebestod-was für ein Kitsch-Schmarrn!(das ist NICHT meine Meinung!!!!)
    Wer hat denn da bitte Recht????? ?( ?( ?(


    Wenn wir vom subjektiven Geschmacksurteil zum objektivierenden Kunsturteil kommen, gibt es - so denke ich - entscheidbare Antworten. Auf der Ebene des Geschmacks hat jeder Recht.


    Zitat

    Mozart und Bach hat gottseidank noch niemand in meiner Gegenwart als Kitsch bezeichnet und die Barockmusik scheint überhaupt von diesem Vorwurf verschont zu sein.
    Was nun wirklich Kitsch ist? Keine Ahnung!
    Das was mir persönlich zu banal, zu leer, zu plakativ, zu durchsichtig, zu verlogen, zu zuckersüss, zu was weiss ich erscheint, ist mein persönlciher Kitsch. Eine Madonna mit angeleuchtetem durchbohrtem Herzen ist für mich Kitsch. Für meine italienische Nonna war das ein Devotionsgegenstand erster Klasse.
    Als meine italienische Cousine heiratete wurde ein stilisierter Film von der Trauung gedreht, in den der Photograph, dem loklaen Geschmack gemâss, einen sterbenden Jesus am Kreuz den Segen über das Brautpaar sprechen liess. Mir ist fast das Blut in den Adern gefroren dabei, aber:
    Habe ich das Recht, auf sie herabzusehen??? Nie und Nimmer! :no:


    Das tun wir ja auch nicht bei den Liebhabern verstaubter Inszenierungen :yes: Wenn wir uns da auf die Auflösung in den puren Geschmack einigen, der ihnen den Rechtfertigungszwang nimmt, sind wir ein gutes Stück weiter.


    Zitat

    Wenn ich aufgrund meines allgemeinen Lebens- Hintergrunds andere Gefühlsqualitäten erlebe, heisst das noch lange nciht, dass die hôherwertig sind.


    Wobei es eben auch eine Erziehung der Gefühle geben kann und muss.


    Zitat

    Ich verbitte mir genauso, von irgendwelchem hochintelletuellen Männern ausgelacht zu werden, wenn ich bei Bellinis "Qui la voce sua soave" weinen muss.


    Ich weine einfach mit ...


    Zitat

    Wie gesagt: des Einen Kitsch ist des Anderen Himmelrecih. Puccini ist vieler Leute Himmelrecih :angel:


    Bei Puccini ist allerdings in der Partitur eine hochkomplexe Künstlichkeit nachzuweisen, die meiner Meinung nach die Qualität des Kunstwerks beweist.


    Liebe Grüße Peter

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