Hallo, liebe Musikfreunde,
wie in einer Windstille entstand 1905 diese Sinfonie. Die 5. und 6. waren bereits geschrieben, aber noch nicht aufgeführt. Die in der 6. vorausgeahnten 3 Schicksalsschläge trafen erst zwei Jahre später (Tod der Tochter, Herzkrankheit festgestellt, Bruch mit der Wiener Hofoper).
Einen oder zwei Sommer lang hoffte Mahler im Urlaub am Wörthersee, Zuflucht bei der Nacht zu finden, um vor dem blendenden Licht des Tages und des Lebens und ihren Prophezeiungen geschützt zu sein. Es ist schwer, hierfür ein Bild zu finden, am nächsten kommt vielleicht Anselm Kiefer:
Anselm Kiefer: Johannes Nacht
Wen nicht bereits die ersten Takte in ihren Bann ziehen, der wird auch kaum mehr im weiteren einen Zugang zu diesem Werk finden. Bisweilen wird es aufgrund seiner kammermusikalischen Züge in der Nähe der 4. Sinfonie gesehen, aber der erste Satz ist wie eine Umprägung der 3. Sinfonie. Ging es dort über dem Attersee voller Lebenskraft in die Steilwand des Höllengebirges hinein, dessen Felsen Mahler schließlich glatt „wegkomponiert“ hatte, wie er Bruno Walter sagte, als er von ihm dort besucht wurde, um den Weg zu finden zu den Blumen und den Tieren und schließlich dem, was dem Menschen gesagt wird:
„O Mensch! Gib acht! Was spricht die tiefe Mitternacht? ‚Ich schlief, ich schlief – aus tiefem Traum bin ich erwacht: Die Welt ist tief, und tiefer als der Tag gedacht.“
so geht hier umgekehrt der Weg aus dem Tag und dem Leben in die Nacht hin. Da ist kein Aufwachen, sondern tiefe Sehnsucht Schlaf zu finden. Kein Aufwachen, um die Mitternacht sprechen zu hören, sondern er legt sich nieder und möchte das Lied der Nacht hören, die nicht über den Menschen spricht, sondern sich in immer weitere Einsamkeit zurückzieht und abwendet. In ihren Gesang einstimmen und nie wieder zurückkehren müssen.
Wie viele schlaflose Nächte möchten vorangegangen sein, in denen der Kopf hin und her geschlagen war im Rhythmus eines Trauermarsch. Auch hier wählt Mahler einen Trauermarsch. Doch wie langsam sind die Schritte geworden. Die Steigerungen des Orchester klingen wie Erinnerungen an vergangene innere Kämpfe, von deren Anstrengungen er nur noch die Müdigkeit zurückzubekommen hofft, um mit ihr in die Nacht zu finden.
Nacht nicht mehr als Fahrt durch das dunkle Meer, wie die Sonne hinter dem untergegangenen Horizont, ein zeitlich befristeter Tod, an dessen Ende ein neuer Tag aufbrechen wird, sondern als die andere Heimat, nachdem alle Heimat im Leben verloren gegangen ist.
Während in den Verzweiflungsmomenten der vorangegangenen Sinfonien Anklänge an Choräle zu hören waren, eine letzte Hoffnung auf religiöse Gefühle und von ihnen ergriffen zu werden, gibt es in dieser Sinfonie nirgends mehr auch nur eine Andeutung von Hintergründigkeit. Das Horn schallt herein, Kuhglocken stellen allen Fortschritt der Zivilisation – hier verstanden als Kultivierung der Instrumente – infrage: Hier vermögen sie mehr auszudrücken als die entwickeltsten Techniken der Musikgeschichte. Die Nachtmusiken und das Scherzo der drei mittleren Sätze sind erkennbar die letzte verbliebene Schicht des Komponisten, das Lied der Nacht noch in halbwegs erkennbare und gestaltete Melodien und Töne zu bringen.
Da sein Gestaltungswille nie zur Ruhe zu kommen vermag, kann auch hier die innere Unruhe schließlich nicht besänftigt werden. Die Tragödie dieser Sinfonie liegt im Verfehlen des Liedes der Nacht. Machtlos wird sie erschlagen vom „Triumph“ des Finale.
Selbst bei Mahler-Freunden blieb diese Musik umstritten. Während über die Fünfte, Sechste, Erste, Zweite oder Neunte oder die Lieder sich viel zu lesen findet, kam die Siebte nicht recht aus einem Schatten-Dasein heraus. Für mich ist jedoch nirgends wie hier die persönliche Stimme von Mahler zu hören.
Viele Grüße,
Walter