Claudio Abbado - Sichtung der Zeugnisse einer Ära

  • abbado.jpg



    Hallo Forianer,


    Als Claudio Abbado den Stab quasi an Rattle weiterreichte, reagierten die Musikfreunde mit durchaus gemischten Gefühlen.
    Teilweise hatte ich das Gefühl eines "Aufatmens" (warum weiß ich nicht), andererseits waren nicht alle restlos begeistert. Manche "trauerten" sogar um den scheidenden Maestro.


    Was ist nun eine realistische Einschätzung von Abbados Lebenswerk ?
    Mich persönlich interesiert in diesem Zusammenhang vor allem die Schllplatte bzw. CD, aber es können in der Diskussion natürlich auch andere Aspekte ins Spiel gebracht werden.


    Was ich nicht ganz verstehe ist, der Eindruck, daß hier ein Dirigent der "Alten Schule" einem sogenannten "Jungen" Platz macht.



    Zum ersten ist Rattle nun tatsächlich kein "Junger" mehr, sollte das jemand so sehen, dann bin iches nämlich auch.
    Zum zweiten ist (war ?) Abbado eigentlich dem Wesen nach ein Reformer, der sich um die Musik des zwanzigsten Jahrhundert bemühte, in Wien ein Festival für zeitgenössische Musiik etablierte, in Italien regelmäßig in Fabriken (ich glaube es war in Turin) Konzerte dirigierte und mit den Arbeitern über die Werke diskutierte. Er grub unbekannte Schubert- und Rossini- Opern aus etc.etc.
    Daneben dirigierte er sowohl Wiener Klassik, als auch Klassische Moderne, sowie Verdi.


    Allein, ich kenne wenige Tonaufnahmen, wo ich einen "persönlichen Stil" erkennen kann, alles ist gut gemacht, zweifellos, jedoch die "prägende Hand" konnte ich (bis jetzt) nirgends eindeutig erkennen.


    Allerdings gibt es doch einzelne Aufnahmen, die ich mit ihm in Verbindung bringe:


    Dazu gehört die (damals) "neue" Gesamtaufnahme von Rossinis " Barbier von Sevilla " die Furore machte, weil sie von etlichen Verzierungen der vergangenheit befreit war, allerdings auch IMO von jeder Spritzigkeit und Spielfreude. Die Besetzung war jedoch hervorragend und die Aufnahme wurde in den damaligen Fachzeitschriften von allen Kritikern in den Himmel gehoben, wobei verschwiegen wurde, daß das Klangbild ein wenig kompakt war (eine Eigenschft die IMO viele Abbado-Aufnahmen "auszeichnet", vielleicht ist das doch sein persönlicher Stil ?)



    Mit seiner Aufnahme der Beethoven-Sinfonien (Wiener Philharmoniker)
    konnte ich, als sie erschienen, nicht allzuviel anfangen. Vielleicht werde ich demnächst überprüfen, ob das an mir oder an Abbado lag.


    In bester Erinnerung habe ich allerdings die Einspielungs von Bartoks
    Klavierkonzerten mit Pollini



    (Das Forum wird mich noch ruinieren. Ich hab die Aufnahme als LP,
    nun sehe ich sie als Galleria-CD . Unfortunately hat EMI Austria gerade eine Aktion von Galeria-CDs laufen...........)


    Um mich weiteren Versuchungen erst gar nicht auszusetzen, überlasse ich die Fortführung des Threads jetzt Euch....



    Gruß aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,


    neben der schon von dir empfohlenen Bartok-Aufnahme, kann ich noch wärmstens empfehlen:


    das Brahms-Violinkonzert mit (wegen :D) Mullova




    ...den Schönberg (der geht aber ganz auf Abbados Kappe):



    ...und der für mich beste und rundeste Macbeth:



    Seinen Beethoven-Zyklus mit den Berlinern fand ich nicht so extraordinär, als dass er hier erwähnt werden müsste, aber seine Mahler 7 und Mahler 3 sind durchaus ansprechende Aufnahmen.


    Gruß aus Hamburg
    Uwe

  • Nun, Claudio Abbado kann schwer an ein paar Aufnahmen festgemacht werden. Deshalb ist diese Aufzählung ohne Anspruch auf Vollzähligkeit und objektiver Richtigkeit.
    Beeindruckend war für mich sein Engagement für "Wien modern". Dank seines Namens und dem fallweisen Einsatz der Wiener Philharmoniker konnte er die "Klassische Moderne" dem konservativen Wiener Konzertpublikum näherbringen.
    Ein beredtes Zeugnis dafür ist die CD "Wien modern" der DGG aus 1988 (Rihm, Ligety, Nono und Boulez).
    Seine Opernaufnahmen gefallen mir besser als seine Konzertaufnahmen, von den "Modernen" abgesehen.
    Unter anderem wären zu erwähnen:
    Carmen mit Berganza und Domingo
    Macbeth (bereits von Uwe angeführt)
    Simone Boccanegra
    Requiem mit Ghiaurov, Domingo

    Otto Rehhagel: "Mal verliert man und mal gewinnen die anderen".
    (aus "Sprechen Sie Fußball?")

  • Seine Zauberflöte habe ich noch nicht gehört, aber Danke, daß Du diesen Thread ausgegraben hast Siegfried.
    Ich fragte mich schon mehrfach, wie viele wirklich großartige Aufnahmen Abbado in seiner Zeit als Berliner Chefdirigent gemacht hat. Vor allem in seiner Anfangszeit waren es ja nicht allzuviele, oder, und das relativiert doch etwas die Kritik, der sich Rattle derzeit im Vergleich zu seinem Vorgänger zu stellen hat...
    Aber ich werde diesen Thread dann mal nutzen, um meine liebsten Abbado-Aufnahmen zu sammeln (er ist leider etwas unterrepräsentiert bei mir)


    Eine denkbar gelungene (störgeräuschfreie Live-) Aufnahme (1998 ) von Mozarts Klarinettenkonzert hat Abbado meiner Meinung nach mit Sabine Meyer da eingespielt. Diese Aufnahme lohnt auch für Leute, die schon mehrere Einspielungen von KV 622 besitzen, da Meyer hier zur tieferklingenden Bassettklarinette greift. Die gewöhnliche Interpretation des Konzerts mit einer A-Klarinette entspricht wohl gar nicht Mozarts ursprünglicher Partitur und so ist hier in Meyers Aufnahme die originale Fassung des Konzerts mit einigen tieferen Tönen zu hören, die auf der A-Klarinette wohl nicht realisierbar sind.


  • Hallo Thomas,


    obwohl es einen eigenen KV622-Thread gibt, möchte ich auf die schon 1990 erschienene Einpielung mit Sabine Meyer (Staatskapelle Dresden,Vonk) hinweisen,bei der auch die Bassettklarinette verwendet wurde.


    Eine andere Aufnahme von RCA hat Sammlerwert,da Benny Goodman hier als Solist glänzt.Lebhaft und unsentimental,einfach schön.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Hallo Abbado-Feunde,


    der Abbado-Thread aus dem Jahr 2004 hat bisher erst 5 Beiträge.


    Welch ein Unterschied zu den Karajan-Thraeds, von denen es bereits so viele gibt, das sich "Karajan-Gegner" schon über einen weiteren ins Leben gerufenen Thread aufgeregt hatten.


    Was ist mit Claudio Abbado ?
    Ein Perfektionist - ein kurzzeitiger Chefdirigent der Berliner PH - ein ruher Mensch, der wenig Aufsehen um seine Person gemacht hat.
    Es gibt eine ganze Reihe CD´s mit ihm, aber nicht mit so vielen Werken, die man nicht ohnehin schon in anderen guten Aufnahmen von anderen Dirigenten hätte. Die Werke, die für mich von Interesse waren, die er inn seiner Zeit bei den Berliner PH aufgenommen hat, hatte ich alle schon in guten Aufnahmen.


    Ich selbst habe nur wenige CD´s auf der der Name Abbado auftaucht:
    Warum ist das so ? Die Konkurenz ist einfach für Abbado zu groß !


    1. Bartok: Klavierkonzerte Nr.1und 2 mit Pollini (bereits oben von Alfred genannt)- für mich die beste Aufnahme der beiden Werke - das Duo Pollini/Abbado ein Glücksfall.


    2. Brahms: Klavierkonzerte Nr.1 und 2 mit Zimmermann auf DG (Gute, perfekte Aufnahmen, aber nicht so umwerdend wie Fleisher/Szell).


    3. Prokofieff: Alexander Newski-Kantate op. 78, Leutnant Kije op. 60; Skythische Suite
    Die dritte CD ist eine Typische Abbado-Produktion - absolut perfekt und präzise mit größster Durchhörbarkeit; für sich genommen eine Spitzenaufnahme --- aber letztendlich doch nicht das spannenste Produkt, da es auch hier wieder bei der Konkurenz spannendere und emotionalere Aufnahmen gibt:
    Ich erinnere an Szell´s Aufnahme der Leutnant Kije - Suite und erst Recht Bernsteins-NewYorker-CBS-Aufnahme der Skythischen Suite.



    Obraztsova, London SO, Chicago SO, Abbado
    DG Aufnahmen 1977/79 ADD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Zitat

    Original von teleton
    Welch ein Unterschied zu den Karajan-Thraeds, von denen es bereits so viele gibt, das sich "Karajan-Gegner" schon über einen weiteren ins Leben gerufenen Thread aufgeregt hatten.


    Was ist mit Claudio Abbado ?


    Vermutlich ist er nicht so umstritten wie HvK.


    LG, Paul

  • Moin,


    mit Abbado bringe ich schon manches positiv in Verbindung. Mir sind namentlich seine Mahler-Einspielungen (die jüngeren Datums mit den Berlinern in den lindfarbenen Schubern; bei der 2. auch mit dem Lucerne Festival Orchestra) sehr lieb.


    Und wenn gesagt wird, dass man manche Aufnahmen schon mit anderen Dirigenten hatte, so ist es bei mir gerade so, dass ich mir manches, was mich nicht so interessiert, dass ich davon x-Einspielungen benötige (Mendelssohn Bartholdy zB), mit Abbado geholt habe. Und zufrieden bin.


    Gruß, l.

    "Jein".

    Fettes Brot

  • Sagitt meint:


    Abbado hat mindestens zwei große Verdienste:


    1. Ein grossartiger Rossini-Dirigent.Bleibende Aufnahmen mit Referenzcharakter,zB viaggio a Reims
    2. Ein durch seine schwere Krankheit sehr gereifter Mensch, der zu wesentlichen Interpretationen findet, Verdi-Requiem, italienischer Beethovenzyklus mit den Berlinern. Man hört und sieht, wie sehr sie ihn da mögen und zeigen, was sie können.

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Den Namen Claudio Abbado nennen heißt,in Ehrfurcht und Dankbarkeit sein Haupt zu verneigen vor diesem großen Mann.Als Künstler und als Mensch hat er sich in den Herzen unzähliger Verehrer ein Denkmal gesetzt,das ihn lange überdauern wird.
    Daß er seine heimtückische Krankheit besiegt hat,verdankt er neben ärztlicher Kunst auch seiner Liebe zu den Mitmenschen und zur Musik.


    Und in seiner neuen musikalischen Heimat Luzern hat er mit hochrangigen Musikern einen Klangkörper geschaffen,dessen Freude am gemeinsamen Wirken bei jeder Aufführung erkenntlich ist.
    Möge ER uns noch lange erhalten bleiben.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Liebe Forianer,


    bemerkenswert erscheint mir, dass Abbado erst nach Beendigung seiner Tätigkeit in Berlin mit den Berliner Philharmonikern einige seiner besten Aufnahmen gelangen, während manch anderes, was vorher entstand, doch auch hin und wieder Pflichtprogramm gewesen sein mag. So ist bspw. seine Aufnahme der 9. Mahler von einer neuen Leidenschaftlichkeit und mit unerhört viel Schwung (2. Satz!) vorgetragen:



    Auch das Wagner Album glüht regelrecht:



    Diese neuen 'Töne' mögen mit der überwundenen Krankheit des Maestros zusammenhängen, von der man gelesen hat. Jedenfalls erscheinen mir diese bemerkenswerten Ergebnisse von Abbados 'Spätphase' besonders intensiv und leidenschaftlich dirigiert. Mich erinnert dieser Vorgang an die späten Aufnahmen Karajans mit den Wienern (Bruckner 7 und 8!), die ja auch einzigartig sind. Vielleicht liegts daran, dass in beiden Fällen einfach mehr die Musik im Vordergrund stand und nicht ein Abonnement, das es zu erfüllen gilt. Oder es hängt mit dem Phänomen 'Spätphase' zusammen, das freilich schwierig auszuloten ist.


    Viele Grüße,
    Christian

  • Neben Pierre Boulez ist Claudio Abbado derjenige Dirigent, den ich menschlich am interessantesten und auch am sympathischsten finde. (Wobei ich natürlich nicht weiß, wie die Beiden in der Realität sind und sich im alltäglichen Miteinander verhalten.)


    Aber das ist natürlich nicht alles. Den Harnoncourt finde ich auch "interessant", und was er so sagt, und was er schreibt ist durchaus sehr lesenswert, aber die Interpretationen selbst sagen mir nur in einzelnen Fällen zu. Bei Abbado ist das anders, obwohl mir teilweise der letzte entscheidene Biß fehlt.
    Trotzdem sind die meisten seiner Einspielungen für mich gekennzeichnet von einer überaus gelungenen Gleichzeitigkeit von Transparenz, Komplexität und Emotion, Eingängigkeit.


    Herausragend sind vorallem seine Rossini-Einspielungen, sein Mahler und die Werke der Moderne - die mustergültigen Interpretationen bei so unterschiedlichen Stilen sind ja schon bemerkenswert.


    Sehr Empfehlenswert sind auch diese beiden DVDs:

    Wenn ich mir vorstelle, was es für Deutschland bedeuten würde, wenn die heilige Kuh zu uns käme, welches Glück und welcher Segen ginge von allgegenwärtigen heiligen Kühen aus!

  • Für mich ganz grandios (auch wenn ich keinen Vergleich habe) ist die Carmen mit Berganza



    auch sehr gut gefallen mir die Achte und Neunte aus dem zweiten Berliner Beethovenzyklus:




    Ansonsten besitze ich noch seine Mendelssohn-Symphonien, da habe ich keinen Vergleich und leider ist der Klang sehr, sehr künstlich (frühes DDD) und seine Brahms-Klavierkonzerte mit Pollini. Hier missfällt mir der Klavierpart vor allem im ersten Konzert. An der Begleitung gibt es nicht besonderes auszusetzen oder hervorzuheben.


    Lieber Teleton,

    Zitat

    2. Brahms: Klavierkonzerte Nr.1 und 2 mit Zimmermann auf DG (Gute, perfekte Aufnahmen, aber nicht so umwerdend wie Fleisher/Szell).


    Ich nehme an, du meinst die Aufnahmen mit den Berlinern und Pollini. Abbado/Zimerman wäre mir neu.


    Demnächst werde ich wohl seine 5. Mahler mit dem CSO erwerben.


    Jetzt eine Frage:


    Ich hab auf Amazon gelesen, dass seine Beethoven-Symphonien aus Rom jetzt auch auf CD bei DGG erscheinen sollen. Weiß da jemand etwas näheres?

    Früher rasierte man sich wenn man Beethoven hören wollte. Heute hört man Beethoven wenn man sich rasiert. (Peter Bamm)

  • Hallo Marc,
    wobei man bei den Mahler-Einspielungen Abbados ein wenig differenzieren muß. Er hat bei der DG in den 90er-Jahren einen kompletten Zyklus aufgenommen, der sehr genau gelesen, aber in der Interpretation etwas unspezifisch ist.
    Mittlerweile sind aber einige der späten Mahler-Aufführungen Abbados herausgekommen, die ich für sensationell halte. Auch sie sind unglaublich genau, aber jetzt auch von einer menschlichen Tiefe und, fast möchte ich sagen, einem Wissen um die letzten Dinge, wie ich das in dieser Verbindung aus Zärtlichkeit und auflehnender Gewalt sonst kaum kenne. Hier wird nahezu jeder Satz zu einem Tanz mit dem Tod. Interpretationen, die ungemütlich zu hören sind, weil sie die eigene Seele auf eine Weise berühren, die man nicht jeden Tag erträgt - aber Interpretationen, mit denen man sich immer wieder auseinandersetzen wird. Ich halte sie für Meilensteine der Mahler-Interpretation.
    :hello:

    ...

  • Meiner Meinung nach ist Claudio Abbado ein sehr unterschätzter Dirigent, besonders seine Brahms-Aufnahmen sind wirklich großartig: naturgemäß betont der Dirigent hier weniger die nordische Schwermut, als vielmehr das temperamentvolle in dieser Musik. Unbedingt empfehlenswert ist die neu erschienene Doppel-CD mit allen ungarischen Tänzen, den Serenaden 1&2 und den beiden Overtüren:



    Eine ganz neue Leseart brachte Abbado auch bei den 4 Sinfonien ein:



    Eine gute Kombination ist immer auch Abbado und Alban Berg. Die folgende Originals-CD vereint die Lulu-Suite, die Orchesterstücke op. 6 und die Altenberg-Lieder mit der hervorragenden Margaret Price. Das Fono-Forum konnte sich 1983 vor lauter Lob kaum noch halten und schrieb: "Die glühende Farbenpracht, die verzehrende Intensität dieser psychogrammatischen Musik kommen vorbildlich herüber. Auch die fabelhaft und intonationssicher deklamierende Margaret Price fügt sich dem vielstimmig wogenden Geflecht nicht als 'Solistin',sondern als Partnerin ein. Eine begrüßenswerte Wiederauflage."



    Außerdem ist noch eine Wozzeck-Aufnahme von 1988 vorhanden, die ich allerdings noch nicht kenne.


    Große Verdienste erwarb sich Claudio Abbado auch durch die Gründung des Gustav-Mahler-Jugendorchesters, worüber man unter dieser Adresse einige interessante Informationen erhält. Erst kürzlich durfte ich dieses bemerkenswerte Orchester in Graz mit Bergs Violinkonzert und Bruckners 7. Symphonie unter der Leitung Herbert Blomstedts erleben.


    Liebe Grüße,
    Gerald

    "Das Höchste in der Kunst - vor Gott besagt's nicht viel.
    Hat doch die Welt zuletzt nur ein moralisch Ziel."
    (Hans Pfitzner)

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    wobei man bei den Mahler-Einspielungen Abbados ein wenig differenzieren muß. Er hat bei der DG in den 90er-Jahren einen kompletten Zyklus aufgenommen, der sehr genau gelesen, aber in der Interpretation etwas unspezifisch ist.


    Ja, ich glaube das ist ein Dirigent, bei dem gelegentlich die Gefahr besteht, dass er in eine etwas lauwarme Betriebstemperatur verfällt, wobei wohl jeder Dirigent manchmal abdriftet in Bereiche, mit denen man nichts anfangen kann, obwohl die Musik und der Interpret einem unterm Strich doch sehr liegen. Bernstein z.B. trägt manchmal zu dick auf, bei Boulez hat man gelegentlich den Eindruck, er würde Sachen mechanisch hinunternpinseln und hätte kein Gespür für langsame Tempi, obwohl ... mir seine Mahler-Neunte z.B. fast noch immer die Liebste ist. *Grübel*


    Na, wie auch immer. Ein paar Mahler-Interpretationen, die mir sehr ans Herz gewachsen sind, sind jedenfalls folgende:





    Wenn ich mir vorstelle, was es für Deutschland bedeuten würde, wenn die heilige Kuh zu uns käme, welches Glück und welcher Segen ginge von allgegenwärtigen heiligen Kühen aus!

  • Hallo Marc,


    wie schön, dass Du diesen thread aus der Versenkung geholt hast! Was sich für mich vor annähernd zwei Jahren (siehe Beitrg vom Juni 2006 weiter oben) noch nicht klar abzeichnete und eher eine Tendenz war, ist nun ganz eindeutig: Das Spätwerk von Abbado wird zusehends spannender, gleichzeitig sind neue Aufnahmen von ihm aber auch immer schwieriger zu bekommen, zum Teil nur als DVD (was mich nicht interessiert) oder über den sehr teuren Direktverkauf des Luzerner Orchesters.


    Auf die neue Aufnahme von Bruckners 4. Sinfonie wurde hier im Forum ja auch schon hingewiesen. Bei der DG hingegen macht sich Abbado rar, was mir aus DG-Perpsektive unverständlich ist. Sollten die einen ihrer wenigen noch lebenden großen Dirigenten in seiner interessantesten Phase etwa im Stich lassen?


    Herzliche Grüße,
    Christian

  • Zitat

    Bei der DG hingegen macht sich Abbado rar, was mir aus DG-Perpsektive unverständlich ist.


    Leider nicht ganz so unverständlich: Mein CD-Fachhändler (reines Klassikprogramm) klagt immer wieder, daß Abbado ein Dirigent für eine intellektuelle Minderheit ist und auch die späten Aufnahmen in den seltensten Fällen konkret verlangt werden.
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Leider nicht ganz so unverständlich: Mein CD-Fachhändler (reines Klassikprogramm) klagt immer wieder, daß Abbado ein Dirigent für eine intellektuelle Minderheit ist und auch die späten Aufnahmen in den seltensten Fällen konkret verlangt werden.


    Oh, dann gehöre ich gerne zur Minderheit ;)


    Eine sehr interessante neuere Aufnahme wurde hier noch nicht erwähnt:


    Anton Bruckner
    Sinfonie Nr. 4


    (2. Fassung)
    Lucerne Festival Orchestra, Claudio Abbado
    Label: Lucerne Festival, DDD, 2007



    Zitat


    LUCERNE FESTIVAL lanciert im Sommer 2007 erstmals eine CD unter dem eigenen Label «LUCERNE FESTIVAL Edition»: Die Aufnahme von Anton Bruckners Sinfonie Nr. 4 ist ein Live-Mitschnitt des Konzertes in Tokio 2006 mit dem LUCERNE FESTIVAL ORCHESTRA und Claudio Abbado.


    Hier gibt es einen link zur Bezugsquelle.


    LG, Elisabeth

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  • Ich habe in der Ära Drese der Wiener Staatsoper (1986-1991) fast alle Produktionen, die Claudio Abbado dirigiert hat, zumindest einmal besucht (versäumt habe ich damals nur sein Repertoiredirigat von Rossinis "Barbier"), daneben viele Konzerte, bei "Wien modern", mit den Wiener Philharmonikern (mit denen es leider seit 1997 keine Projekte mehr gibt) oder mit dem Gustav Mahler Jugendorchester. Mein letztes Live Erlebnis (nach vielen Jahren Pause) war eine unvergeßliche Mahler Vierte im Münchner Herkulessaal.


    Mir sind die damals live oder im Umfeld von Neuproduktionen entstandenen Opernaufnahmen alle lieb und teuer.





    Und als DVD:



    Dazu die Produktionen, die er in Wien dirigiert hat, aber schon vorher auf Tonträgern vorlagen: "Don Carlos", "Simone Boccanegra", "Il Viaggio a Reims" usw.


    Aufschlüsse über die Ära Drese gibt das von Claus Helmut Drese verfasste, im Second Hand Bereich leicht zu findende Buch "Im Palast der Gefühle", natürlich mit vielen Anmerkungen zur Zusammenarbeit mit Claudio Abbado.


    Herzlicher Gruß
    Alexander

    Freundlicher Gruß
    Alexander

  • Zitat

    Original von Alexander_Kinsky
    bei "Wien modern", mit den Wiener Philharmonikern (mit denen es leider seit 1997 keine Projekte mehr gibt)


    Also letztes Jahr haben sie Berios Sinfonia, Lutoslawskys Konzert für Orchester und einen frischen Haas aufgespielt.
    :hello:

  • Das Konzert am 26.11.2007 ...


    Luciano Berio
    Sinfonia (1968-1969)
    Georg Friedrich Haas
    Konzert für Violoncello und Orchester (2003-2004)
    ***
    Witold Lutoslawski
    Konzert für Orchester (1954)


    ...hat laut Konzerthaus Homepage Jonathan Nott dirigiert, nicht Claudio Abbado.


    Herzlicher Gruß
    Alexander

    Freundlicher Gruß
    Alexander

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Also letztes Jahr haben sie Berios Sinfonia, Lutoslawskys Konzert für Orchester und einen frischen Haas aufgespielt.
    :hello:



    Alexander meinte Konzerte Abbados mit den Wiener Philharmonikern, nicht Auftritte der Philharmoniker bei "Wien modern".


    Letztere gibt es natürlich - das von Dir genannte Konzert wurde m.W. von Jonathan Nott geleitet.


    Dagegen hat Abbado ja in mindestens einem Interview (für seine Verhältnisse deutlich) festgestellt, dass zwischen den Wiener Philharmonikern und ihm das Tischtuch zerschnitten sei.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Von Abbados Bemühungen um die Moderne ist ja leider nicht allzuviel auf Tonträgern dokumentiert – bzw. inzwischen nicht mehr erhältlich. Schade! – denn seine Beschäftigung mit der Musik nach 1945 hat doch zu ziemlich herausragenden Interpretationen geführt. Auf zwei zum Glück auf Tonträgern dokumentierte und zudem auch noch erhältliche seiner Arbeiten in diesem Bereich möchte ich nachdrücklich hinweisen:



    Luigi Nono: Como una ola de fuerza y luz
    Ganz vorzugliche Interpretation dieses Ausnahmewerks. Abbado läßt glasklar musizieren und arbeitet die Strukturen der Komposition wie gemeißelt heraus.



    Karlheinz Stockhausen: Gruppen
    Eine gradezu sinnliche Einspielung! – und daher für meinen Geschmack der ebenfalls grandiosen, aber doch deutlich kälteren Interpretation von Peter Eötvös überlegen.


    Herzliche Grüße,
    Medard


  • Und ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal auf die CD mit einem Teilmitschnitt des Eröffnungskonzerts von Wien modern (Eröffnungsjahr 1988 ) verweisen. Darauf enthalten sind:


    Ligeti: Lontano; Atmospheres
    Nono: Liebeslied
    Boulez: Notations I-IV
    Rihm: Depart


    Herzlicher Gruß
    Alexander


    PS: Unendlich schade, dass (wie Zwielicht schreibt) das Tischtuch zerschnitten sein dürfte. Die Mahler Symphonien, die Mozart Konzerte mit Friedrich Gulda - ich tröste mich mit lieb gewonnen Aufnahmen...


    PS 2: Dadurch, dass Abbado bei der DGG einige Mozart-Konzerte sowohl mit Gulda als auch mit Serkin als auch mit Pires aufgenommen hat, gibt es von KV 467 drei Aufnahmen bei der DGG mit Abbado (Interpretationsvergleich folgt wahrscheinlich nächste Woche).


    Herzlicher Gruß
    Alexander

    Freundlicher Gruß
    Alexander

  • Zitat

    Original von Klawirr
    Auf zwei zum Glück auf Tonträgern dokumentierte und zudem auch noch erhältliche seiner Arbeiten in diesem Bereich möchte ich nachdrücklich hinweisen
    Luigi Nonos »Como Una Ola de Fuerza Y Luz«
    Karlheinz Stockhausen: Gruppen


    Die kann ich auch jedem wärmstens empfehlen, der keine Angst vor moderner Nachkriegsmusik hat. Insbesondere eignen sie sich bestens dafür, Vorurteile betreffend Ausdrucksarmut bedingt durch Konstruktion bei serieller Musik abzubauen! Das ist wirklich mitreißend (Stockhausen) bzw. überwältigend (Nono).
    :hello:


  • Hallo Alexander,
    stimmt, die Reihe hatte ich ganz vergessen. Und die Nummer 1 der »Wien Modern«-Reihe ist ja sogar auch noch im Handel, während die Folgen 2 und 3 leider gestrichen und über den Marketplace allenfalls zu relativen Mondpreisen erhältlich sind:



    Viele Grüße,
    Medard

  • Die Como-una-ola-Aufnahme (plus sofferte onde serene) gibt es auch gekoppelt mit einem sehr interessanten Stück von dem heute leider etwas in Vergessenheit geratenen Giacomo Manzoni, dessen "Masse, Hommage an Varèse" aus den 1970ern durch ambitionierten Modernismus besticht: Das Orchester liefert fast ausschließlich Glissandi und Geräusche und der durchgehende Druck mag nicht nur an Varèse oder Xenakis sondern auch (durch den hohen Geräuschanteil) an jüngere Noise-Tendenzen erinnern.

  • Was man bei Abbados Leistungen ganz vorne anführen muss sind die von ihm gegründeten Orchester.


    Mit dem Gustav Mahler Jugendorchester, dem daraus entstandenden Mahler Chamber Orchestra und dem Luzerne Festival Orchestra hat er 3 absolute Weltklasse-Ensembles ins Leben gerufen.


    Was seinen "fehlenden" Personalstil angeht so glaub ich das er da ganz im Erbe seines Lehrers Hans Swarowsky steht der diesen ja grundweg verurteilte. Seine Interpretationen zeichnen sich durchwegs durch eine enorm tiefe Beschäftigung mit dem Material aus.

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