Sinn oder Unsinn - Regietheater

  • Werktreue, Respekt, und "Überlieferung, der man sich in Liebe und Wertschätzung verbunden fühlt" - jeder Opernbesucher entscheidet letztendlich ganz individuell ob diese Kriterien für ihn Bedeutung haben.

    Für zigtausende Opernbesucher spielen sie anscheinend keine Rolle, denn sie gehen weiterhin in die Oper, sogar in "RT"-Inszenierungen. Es gilt, wie in der freien Marktwirtschaft, dass der Markt gut funktioniert, wenn er die Nachfrage zur Zufriedenheit der Kunden bedient. Würde der Kunde/Zuschauer die Inszenierungen nicht schätzen, bliebe er ja wohl weg.

    Da die Zahlen aus Zürich im Internet für mehrere Jahre zugängig sind, habe ich mal die Auslastung der Inszenierungen von Calixto Bieito am dortigen Opernhaus rausgesucht.


    Besucherschwund und totale Ablehnung sieht anders aus.

    Google-Suche nach den Statistiken mit: "Geschãftsbericht Opernhaus Zürich"

    13/14 Die Soldaten = 99,5%

    16/17 Der feurige Engel = 73,6%

    17/18 Die Krönung der Poppea = 91,6%

    22/23 Eliogabalo = Statistik liegt noch nicht vor, aber die Vorstellung am 30.12.22 ist ausverkauft und für die vom 7.1.23 gibt es nur Restkarten.

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Es gibt aber nunmal Künstler immer noch, und zwar keine unbedeutenden, für die "Werktreue" eine hohe und sehr hohe Verbindlichkeit hat. Was sagst Du diesen Deinen Kollegen?

    Komische Frage: Wenn etwas für die einen verbindlich und für die anderen unverbindlich ist, dann ist es unverbindlich. Also können diese meine Kollegen natürlich machen was sie wollen. Genau wie ich. Warum sollte ich denen irgendetwas sagen?

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Und daraus folgt, dass man den Sinn dieser Kunstwerke nicht versteht, wenn man die Regeln nicht versteht, nach denen sie geschaffen wurden und wie sie sich in der Struktur und dem Aufbau der Werke niedergeschlagen haben.

    Du magst es, ästhetische Probleme aufzuwerfen. Na klar...


    Meines Erachtens ist das in dieser Allgemeinheit falsch. Weder der Künstler noch der Rezipient der Kunst ist verpflichtet, Regeln des Kunstwerkes zu verstehen. Es ist ein menschliches theoretisches Interesse, seine eigene Kultur zu verstehen. Es ist in gewisser Weise bezeichnend für die menschliche Kultur sich selbst zu reflektieren. In diesem Sinne spielt die Philosophie eine hervorragende Rolle.


    Aus dieser Reflexion erfolgen aber keine Verbindlichkeiten. Man wird nicht jeden Menschen zu einem Künstler machen können und ebenso nicht zu einem Philosophen. Man wird nicht einmal jeden Menschen zu einem Rezipienten von Kunst machen können ...:)



    Jeder Mensch sollte sich erst einmal bemühen, sich verständlich zu machen, wenn er verstanden werden will. Das darf man bei einem Künstler, der Kunstwerke für ein Publikum schafft, wohl voraussetzen.

    Ich meine nicht wenige Künstler zu kennen, die behaupten, sie sprächen durch ihr Werk. So nützlich Klappentexte und Kurzzusammenfassungen für manchen Kritiker sein mögen, aber im Endeffekt muss das Werk für sich sprechen. Wenn es das nicht tun kann, sehe ich zum erstenmal ein wirkliches Problem an einem Kunstwerk.


    Wer keine Zwölftonmusik mag, den wird auch keine philosophische oder welche Erklärung auch immer dazu bringen, sie zu mögen. Aber er wird vielleicht etwas mehr Respekt vor dieser Art Kunst haben, wenn ihm einer erklärt, welcher Sinn darin zu finden ist und warum man sie gerne hört

    Vielleicht, vielleicht auch nicht ... Wir haben hier im Forum ja auch Gegner (ich finde es immer wieder verblüffend mit diesen Vokabeln) der Zwölftonmusik. Wenn man denen nun erklären würde, wie tief Arnold Schoenberg in der spätromantischen Tradition verhaftet ist, würde denen ein Stück dadurch mehr gefallen ... Ich glaube das nicht wirklich.


    Entweder man ist neugierig und interessiert sich oder eben nicht. Auch hier müssen die Werke im Endeffekt für sich sprechen.


    Menschen, die zeigen, dass sie keine Verbindlichkeiten achten, sind nie überzeugend. Überzeugend ist der - egal in welchem Beruf - wenn er sagt, wo seine sehr persönlichen Verbindlichkeiten liegen, was er anders als Andere lieber nicht tun würde. Maßstablosigkeit ist kein Wert an sich und keine Tugend. "Halte Maß" steht auf dem Apollon-Tempel in Delphi.

    Hier werden Menschentypen, wenn man denn so will, über ein Kamm geschert, die meines Erachtens wenig miteinander zu tun haben müssen.


    Ob ein Mensch persönliche Verbindlichkeiten kennt, ist zum einen seine Privatsache und man merkt es nur sehr selten an öffentlichen Verlautbarungen. Schon die Bibel kannte Pharisäer ... und wir kennen ja die Probleme, die Jesus mit ihnen hatte :)


    Mir wäre an einem Künstler wichtig, dass mir seine Kunst gefällt und nicht, was er so sagt über seine Verbindlichkeiten. Das ist so eine Art Rampentratsch, den man gerne mitnehmen kann, aber das Eigentliche steckt doch im Werk. Im Werk erkennt dann der Ästhetiker auch die Regeln und Maßstäbe, die jedes wirkliche Kunstwerk für sich neu setzt.

  • Die Frage von MDM ist doch nur zu berechtigt. Wenn ich ein Stück aufführe, dass den Namen eines Anderen trägt, darf man wohl doch erwarten, dass sich da das Berufsethos auch irgendwie zeigt. Alles, was ein solches Berusethos zeigen könnte wie Respekt vor dem Werk, Respekt vor dem Willen des Autors wurde aber in der Diskussion abgestritten. Transparenz darf man aber doch verlangen. Worin besteht denn dann das Ethos im Umgang mit fremden künstlerischen Werken, die man selber nicht geschaffen hat und bearbeiten will, wenn es nicht die Werktreue ist? Man könnte ja auch einfach sagen: So weit wie del Monaco würde ich nicht gehen. Auch für mich muss die Idee und Aussage eines Stückes erhalten bleiben, so dass man es als das des Namengebers noch erkennen kann. Wenn man das alles im Unklaren lässt, dann ist man einfach nicht überzeugend.

  • Für zigtausende Opernbesucher spielen sie anscheinend keine Rolle, denn sie gehen weiterhin in die Oper, sogar in "RT"-Inszenierungen. Es gilt, wie in der freien Marktwirtschaft, dass der Markt gut funktioniert, wenn er die Nachfrage zur Zufriedenheit der Kunden bedient. Würde der Kunde/Zuschauer die Inszenierungen nicht schätzen, bliebe er ja wohl weg.

    Diese vermeintlich einfache Schlussfolgerung greift zu kurz, da der Zuschauer die Wahl hat zwischen RT-Inszenierung oder eben gar nicht in die Oper zu gehen mangels Nicht-RT-Alternative. Dann beißen einige eben nach wie vor in den sauren Apfel. Ich wäre aber durchaus dankbar für Empfehlungen werkgetreuer Inszenierungen des Bayreuther Kanons im deutschsprachigen Raum. Leider ist gerade Wagner besonders von dieser Misere betroffen, da die RT-Regisseure ihm den angeblichen Nazismus auszutreiben suchen mittels möglichst grotesker Verzerrungen seiner Vorstellungen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Das ist einfach falsch - auch das hatte ich ausgeführt. Man hat nämlich Theaterstücke nicht als Werke angesehen und Aufführungen nicht als Aufführungen von autonomen Werken. Dieses Verständnis hat sich erst mit der Zeit entwickelt - und das kann man wiederum durch ein historisches Quellenstudium nachweisen.


    Nochmal zu Deiner "historischen Begründung". Ich bezweifle diese (Werner hat dazu bereits etwas geschrieben), aber nehmen wir einfach mal an, dass ich mich irre. Wer sagt denn dann, dass man eine historische Tradition fortsetzen muss? Zum Beispiel für die Sklaverei, die Unterdrückung der Frau und die Bestrafung von Homosexualität bestand jeweils eine historische Tradition, die wir für beendet erklärt haben. Letztlich ist auch das historische Argument ein "argument from authority" und kein inhaltliches, nur ist die Autorität in diesem Fall die Historie und keine konkrete Person.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Ich finde ein Berufsethos so per se auch nicht schlecht. ;) Dass du auf dieses im Zusammenhang mit gestaltenden Künstlern kommst, dürfte wohl ein Ausdruck grundsätzlichen Misstrauens sein, oder?

    Für mich hängen Fragen von großzügig ausgelegter künstlerischer Freiheit und die Frage nach Werktreue bzw. in wieweit sie ignoriert werden darf unmittelbar mit einer ethischen Haltung des gestaltenden Künstlers ( hier konkret gemeint : des Regietheater-Regisseurs) zusammen. Wie weit darf man dieses Privileg der künstlerischen Freiheit für Neubearbeitungen nutzen und wo sind die Grenzen zur Zweckentfremdung, gar zum Missbrauch usw. . Ich verstehe aber, wenn man diese Sicht nicht teilt und darum müssen wir das nicht unbedingt weiter verfolgen.


    Es wurde ja hier schon so einiges probiert, um so etwas wie einen "aufführungsgerechten" ( :) ) Programmzettel hinzubekommen. Ich sehe darin aber kein gewichtiges Problem, so gerne auch ich um Klarheit bemüht sein möchte. Aber es sollte m.E. auch nicht zu kompliziert und unpraktisch werden. Die meisten Opernbesucher wissen, dass die Spanne von... bis... gehen kann. Zudem gibt es keine klaren Kriterien für "stark RT", "mäßig RT" und "wenig RT" - und sehr niedrigschwellige Möglichkeiten, sich vorab zu informieren!

    Ja. Bertarido hat gestern in den Beiträgen #1003 und #1016 ähnliche Ansätze beschrieben. Ich fände kurze Kennzeichnungen dieser Art gut und dem ursprünglichen Opernkomponisten auch gegenüber irgendwie gerecht, weil nochmal klargemacht wird, dass nicht unbedingt das gezeigt wird, was er mal aufgeschrieben hat.


    Gruß....:hello:

    >>So it is written, and so it shall be done.<<

  • Für mich hängen Fragen von großzügig ausgelegter künstlerischer Freiheit und die Frage nach Werktreue bzw. in wieweit sie ignoriert werden darf unmittelbar mit einer ethischen Haltung des gestaltenden Künstlers ( hier konkret gemeint : des Regietheater-Regisseurs) zusammen. Wie weit darf man dieses Privileg der künstlerischen Freiheit für Neubearbeitungen nutzen und wo sind die Grenzen zur Zweckentfremdung, gar zum Missbrauch usw. . Ich verstehe aber, wenn man diese Sicht nicht teilt und darum müssen wir das nicht unbedingt weiter verfolgen.


    Ja. Bertarido hat gestern in den Beiträgen #1003 und #1016 ähnliche Ansätze beschrieben. Ich fände kurze Kennzeichnungen dieser Art gut und dem ursprünglichen Opernkomponisten auch irgendwie gerecht, weil nochmal klargemacht wird, dass nicht unbedingt das gezeigt wird, was er mal aufgeschrieben hat.


    Gruß....:hello:

    Okay. Vorsichtshalber dennoch eine Ergänzung von mir: Ich bezog mich auf die faktisch gültige künstlerische Freiheit, nicht auf eine "großzügig ausgelegte", die als "Privileg" gelten könnte. Wir scheinen da nicht von der gleichen Sache zu reden.

  • Auch wenn das vermutlich wieder nicht gelten wird, da Autoritäten per se nicht anerkannt werden (außer freilich diejenige, betreffend die "Freiheit der Kunst"), doch gibt es wiederum bzgl. Wagner ein Beispiel dafür, was Werktreue im vom Komponisten vorgesehenen ästhetischen Rahmen ist:


    "Die kluge und mit dem Wesen des Meisters am besten vertraute Meisterin [d. i. Cosima Wagner, Anm.] beachtete insbesondere die handschriftlichen Weisungen der alten Regieklavierauszüge, die mit einemmal größten Wert erhielten, und beobachtete in Proben und Aufführungen die Harmonie des Zusammenwirkens der mannigfach sich begegnenden ästhetischen Faktoren der Darstellung, um den einzelnen Mitgliedern auf Zetteln sofort die entsprechenden Weisungen zu geben, die ebenso der Verbesserung wie unter Umständen der Ermunterung dienten."


    (Richard Wilhelm Stock, Richard Wagner und seine Meistersinger, Nürnberg 1943, S. 94)

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • (Richard Wilhelm Stock, Richard Wagner und seine Meistersinger, Nürnberg 1943, S. 94)

    Der hat noch mehr Bücher geschrieben. Als sein Hauptwerk gilt "Die Judenfrage durch fünf Jahrhunderte", erschienen 1939 im Verlag Der Stürmer. Hatte Winifred Wagner sicher im Bücherregal stehen.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

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  • Der hat noch mehr Bücher geschrieben. Als sein Hauptwerk gilt "Die Judenfrage durch fünf Jahrhunderte", erschienen 1939 im Verlag Der Stürmer. Hatte Winifred Wagner sicher im Bücherregal stehen.

    Dieser in diesem Zusammenhang überflüssige Hinweis musste natürlich kommen. Ändert an der werkgetreuen Bayreuther Arbeitsweise unter Cosima nichts. Es ging doch darum, wie Werktreue sich definiere. Nun hat man es schwarz auf weiß.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zum Aspekt "Freiheit und Verbindlichkeit" und seiner Problematik. (Ich setze meinen obigen Gedankengang - Sinn oder Unsinn - Regietheater - fort)


    Die "Verbindlichkeit", die hier zur Diskussion steht, ist nicht eine, die von einer personalen Autorität postuliert und dem "Theaterkünstler" aufoktroyiert wird.

    Diese Verbindlichkeit ergibt sich aus der Sache, um die es hier geht. Die Sache ist das, was sich hermeneutisch bei der Inszenierung eines Kunstwerks ereignet.

    Dieser geht ein Akt des Verstehens voraus, - des Verstehens eines sprachlichen oder musikalischen Kunstwerks in seiner spezifischen Anlage und der künstlerischen Aussage, die daraus hervorgeht.

    "Ein Kunstwerk", so sagt der Hermeneutiker Hans-Georg Gadamer, ist "kein Gegenstand, der der für sich seienden Subjekt gegenübersteht. Das Kunstwerk hat vielmehr sein eigentliches Sein darin, daß es zur Erfahrung wird, die den Erfahrenden verwandelt. Das Subjekt der Erfahrung der Kunst, das was bleibt und beharrt, ist nicht die Subjektivität dessen, der sie erfährt, sondern das Kunstwerk selbst." (Wahrheit und Methode, S.98)

    Verstehen ist nicht Einfühlung einer Individualität, also hier eines Regisseurs, in eine andere, also die Aussage eines Kunstwerks, das ist der große Irrtum des Historismus, noch ist es "die Unterwerfung des anderen unter die eigenen Maßstäbe, sondern es bedeutet immer die Erhebung zu einer höheren Allgemeinheit, die nicht nur die eigene Partikularität, sondern auch die des anderen überwindet." (S.288)


    Verstehen ist also kein reproduktives, sondern ein produktives Verhalten. Die Freiheit, die der Rezipient eines historischen Kunstwerks und der Umsetzung desselben in ein gegenwärtiges theatralisches Kunstwerk auf der Bühne hat, ergibt sich aus der jedem Kunstwerk innewohnenden Polyvalenz der Aussage und dem Akt des produktiven Verstehens derselben. Der Verstehende bringt in diesem Akt ja immer seine eigene Zeit mit sich, und diese fließt in den Akt ein und prägt das Resultat des Verstehens. Jede Zeit wird also das historische Kunstwerk auf ihre Weise interpretieren, - wie man an der Geschichte der intentional werkbezogenen Inszenierungen etwa eines Werks wie Wagners "Tristan und Isolde" sehr schön erkennen kann.


    Aber neben der Freiheit gibt es in diesem Akt des Verstehens und der produktiven Umsetzung seines Resultats in eine Inszenierung auch Verbindlichkeiten. Sie ergeben sich aus der Notwendigkeit, dass das sprachliche oder musikalische Kunstwerk in den für seine künstlerische Aussage konstitutiven Elementen in ihr repräsentiert sein muss, auf dass die im Bühnenwerk sich manifestierende Interpretation des historischen künstlerischen Werks von den Rezipienten als solche erfasst und erkannt werden kann.

    Bei diesen konstitutiven Elementen handelt es sich beim sprachlichen Werk um den zugrunde liegenden narrativ-dramatischen Kontext, beim musikalischen um das Libretto und die Partitur, und in allen Fällen eine Kulissenregie, die damit in Einklang steht, so dass keine Disparität zwischen ihr und der Aussage des Textes und der Musik entstehen kann. Was ich mit letzterem meine, sei an einem aktuellen Fall konkretisiert. Wagners Rheingold-Text "Heiala weia! Wildes Geschwister! Floßhilde, schwimm! Woglinde flieht: hilf mir die Fließende fangen!" in der Kulisse eines biologischen Labors hin und her laufend singen zu lassen, ist ein Unding.


    "Verbindlichkeit" beinhaltet auf keinen Fall, dass das historische in seiner Originalfassung unverändert auf die Bühne gebracht werden soll. Der in seiner Struktur beschriebene hermeneutische Akt des Verstehens hatte dann ja gar nicht stattgefunden. Dann würde nämlich der historische Text (also das künstlerische Werk) historisch, also nicht aus dem Horizont der Gegenwart verstanden. Er würde, wie Gadamer das formuliert hat, "aus seinem Anspruch, Wahres zu sagen, förmlich hinausgedrängt. (....) In Wahrheit" hätte "man dann den Anspruch grundsätzlich aufgegeben, in der Überlieferung für einen selber gültige und verständliche Wahrheit zu finden." (S.287)


    Womit ich wieder beim Thema "Freiheit" in der Regie wäre (und die Leser meiner hiesigen Ausführungen um Verständnis dafür bitte, ein wenig Philosophie bemüht zu haben. Es musste sein. Das hier anstehende Thema ist in seinen Grundlagen nun einmal ein genuin philosophisch-ästhetisches).


  • Auch wenn das vermutlich wieder nicht gelten wird, da Autoritäten per se nicht anerkannt werden (außer freilich diejenige, betreffend die "Freiheit der Kunst"), doch gibt es wiederum bzgl. Wagner ein Beispiel dafür, was Werktreue im vom Komponisten vorgesehenen ästhetischen Rahmen ist:


    "Die kluge und mit dem Wesen des Meisters am besten vertraute Meisterin [d. i. Cosima Wagner, Anm.] beachtete insbesondere die handschriftlichen Weisungen der alten Regieklavierauszüge, die mit einemmal größten Wert erhielten, und beobachtete in Proben und Aufführungen die Harmonie des Zusammenwirkens der mannigfach sich begegnenden ästhetischen Faktoren der Darstellung, um den einzelnen Mitgliedern auf Zetteln sofort die entsprechenden Weisungen zu geben, die ebenso der Verbesserung wie unter Umständen der Ermunterung dienten."


    (Richard Wilhelm Stock, Richard Wagner und seine Meistersinger, Nürnberg 1943, S. 94)

    Oh ja, gab es da nicht in diesem Film Der Wagner-Clan. Eine Familiengeschichte eine Szene, wo Cosima gespielt von Iris Berben in einem schwarzen Kassten auf der bayreuther Bühne steht und "Regie" führt? - Was mich natürlich gleich auf den Punkt bringt: Das gegebene Beispiel hat - Autorität hin oder her - jetzt so überhaupt nichts mit einer irgend gearteten Werktreue zu tun ...

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Das ist alles sehr interessant, trägt aber nichts zur Lösung der Frage bei. Du gehst davon aus und behauptest es, ohne es zu belegen, dass Theater die Darstellung eines dramatischen Kunstwerks ist. Wäre das so, könnte es kein Theater ohne ein dramatisches Kunstwerk geben, dass es aufführen kann. Da Theater aber offensichtlich auch ohne ein solches Kunstwerk stattfinden kann, ist die Prämisse ungültig, mithin sind es auch alle Folgerungen aus ihr.

  • Auch wenn das vermutlich wieder nicht gelten wird, da Autoritäten per se nicht anerkannt werden (außer freilich diejenige, betreffend die "Freiheit der Kunst"),

    Die letzere ist im Grundgesetz verankert. Tatsächlich eine der wenigen Autoritäten, wo wir uns einig sein sollten. Man kann die natürlich bezweifeln, aber den verlassen wir die Grundlagen unseres demokratischen Staates :)


    "Die kluge und mit dem Wesen des Meisters am besten vertraute Meisterin [d. i. Cosima Wagner, Anm.] beachtete insbesondere die handschriftlichen Weisungen der alten Regieklavierauszüge, die mit einemmal größten Wert erhielten, und beobachtete in Proben und Aufführungen die Harmonie des Zusammenwirkens der mannigfach sich begegnenden ästhetischen Faktoren der Darstellung, um den einzelnen Mitgliedern auf Zetteln sofort die entsprechenden Weisungen zu geben, die ebenso der Verbesserung wie unter Umständen der Ermunterung dienten."


    (Richard Wilhelm Stock, Richard Wagner und seine Meistersinger, Nürnberg 1943, S. 94)

    Lieber Joseph II. ich bewundere irgendwie Deinen Mut und Deine Konsequenz, auch wenn wir wahrscheinlich ästhetisch an verschiedenen Enden der Welt anzutreffen wären. Ich würde es begrüßen, wenn es politisch weniger belastete Autoritäten wären, die Du heranzitierst. Auch wenn ich Autoritäten als solche vielleicht nicht akzeptieren muss, würde ich sie ja durchaus lesen wollen. Die zusätzlich notwendige Reflexionsebene erschwert bei solchen Personen im Endeffekt das Lesen.


    Dieser in diesem Zusammenhang überflüssige Hinweis musste natürlich kommen. Ändert an der werkgetreuen Bayreuther Arbeitsweise unter Cosima nichts. Es ging doch darum, wie Werktreue sich definiere. Nun hat man es schwarz auf weiß.

    So überflüssig finde ich den, auch in diesem Zusammenhang, nicht. Da werden jetzt die Zettel von Wagner genommen und die Weisungen gelesen.... Ich habe sogar den leisen Verdacht, dass so mancher Regietheaterregisseur das auch macht. Nur was wird da nun rausgezogen? Wird das kritisch beleuchtet oder einfach die Weisung befolgt ? Dann hätten wir eben den antisemitischen Parsifal .... (so hatte ich das in einem Beitrag verstanden)


    Das ist doch keine Kleinigkeit!

  • Diese Zettel sind durchaus interessant, aber die Informationen, die man ihnen entnehmen kann, reichen bei weitem nicht aus, um zu wissen, wie die Inszenierung Wagners gewesen ist. Das ergibt sich schon daraus, dass eine präzise Beschreibung einer Inszenierung, die eine Rekonstruktion ermöglichen würde, praktisch unmöglich ist. Anders ist es, wenn die Aufzeichnungen als Gedächtnisstütze für Leute dienen, die die Inszenierungen sehr gut kennen. Aber von denen lebt keiner mehr. Selbst wenn es also wünschenswert wäre, Wagners Inszenierungen zu rekonstruieren, wäre es nicht möglich.

  • Meine Lieben. Ich habe nun etwa 3 Stunden hier nachgelesen -Natürlich nicht alles und nicht intensiv.

    Weil mich das Thema "Oper" und "Regietheater" nicht mehr interessiert.

    Aber natürlich hab ich eine Meinung zum Thema. Die ist bekannt - und wird sich auch nicht meher ändern. Punktum

    Dennoch hab ich mir ein paar Statements rausgepickt - bei weitem nicht all - auf die ich - so kurz es mir möglich ist, eine Antwort geben werde.


    Der Eisberg ist gerade mal 5km entfernt, während die Führungsriege erbittert um die letzte Flasche Rum kämpft.

    Hätte sich die Führungsriege der realen "Titanic" nicht mit aller Gewalt bemüht, dem Eisberg auszuweichen, so wäre die Kollisio n frontal erfolgt - und das Schiff wäre nicht gesunken.

    Warum die darüber geführten Dialoge allerdings so derart entgleisen, obwohl hier gebildete Menschen miteinander diskutieren, ist mehr als schade.

    Gebildete Menschen reagieren oft wesentlich heftiger und bösartiger als ungebildete. Man nehme hier als Beispiel Newton, der faktisch mit allen Wissenschaflern seiner Zeit verfeindet war - allen voran Leibnitz.ABer - um im Bereich der Musik zu bleiben: Mozart, Haydn und Beethoven, Bruckener und Brahms waren auch nicht grade heikel im Umgang mit Gegnern...


    warum stürzen und konzentrieren sich bestimmte neue Mitglieder sofort auf das gerade laufende RT-Thema?

    Weil das ein interessanter Knackpunkt ist - Hier prallen Weltanschauungen aufenander -

    quasi ein stellvertretender Klassenkampf:baeh01:

    So ein Thread beschäftigt offensichtlich nicht nur die, die es wirklich interessiert, sondern auch eine Menge Leute, die einfach nur gerne zuschauen, so eine Art Regietheater-Voyeurismus ..

    Genau - Richtig beobachtet. Und genau dieser RT-Voyeurismus ist ein Beinahe Alleinstellungsmerkmal des Tamino :jubel:


    Also ich bin strikt dagegen, abgehobene Debatten nur deswegen nicht zu führen, weil sie abgleiten können. Bei primitiv geführter Debatte ist der Weg kürzer und man braucht nicht mal zu gleiten ...

    Vor dieser Frage stehen wir immer wieder. Sie wird von mir je nach zeitlichen Umständen unterschiedlich beantwortet.

    Man kann ein Forum durch zuviel Streit ruinieren ODER durch Mangel an Spannungsfeldern. Gewissermaßen ein Spagat....


    Warum sollten neue Mitglieder irgendwem (außer eventuell dem Forenbetreiber) Rechenschaft darüber schulden, zu welchen Themen sie etwas schreiben möchten und zu welchen nicht?

    Eine interessante Frage. Das ist aber kein Problem des Forums, sondern findet in der Gesellschaft laufend statt. Vor allem wenn Ein Unternehmen neue Mitarbeiter aufnimmt. Sofort sind Kollegen zur Stelle, die sagen, was hier erlaubt ist - und was nicht...:hahahaha:

    Frage nicht, was das Forum für dich tun kann, sondern frage dich, was du für das Forum tun kannst. :untertauch:

    Ich könnte mir vorstellen, dass Alfred das gefallen würde.

    Alfred ist es (zumindest seit einigen Jahren) klar, daß das eine nicht durchsetzbare Forderung ist.

    Niemand tut etwas ohne Anreiz. Es gibt viele Anreize um in einem Forum zu schreiben - idealistische Selbstaufopferung ist IMO keiner davon.

    Auch wenn es äußerst unmoralisch ist, muss ich bekennen: Ich bin zwar absolut kein Fan des Regietheaters, aber ich liebe die Regietheater-Diskussionen im Tamino-Klassik-Forum seit jeher heiß und innig. Sie sind einfach Kult und es gibt für mich im Internet kaum eine bessere Unterhaltung.

    Besser kann man es nicht formulieren. So sehe ich das auch. RT-Threads halten die Flamme des Forums am Brennen, man muß lediglich aufpassen, daß nicht ............:hahahaha:

    Ich hab es mal so formuliert:

    Ich hasse das Regietheater

    Aber die RT-Threads haben das Forum mehrmals vor dem Einschlafen bewahrt...:hahahaha:


    weil mit Berufung auf nahezu unbegrenzte künstlerische Freiheit letztlich alles erlaubt sein soll.

    Die oft Zitierte künstlerische Freiheit hat es nie gegebn. Der Komponist, Maler, Bilhauer, Architekt, Dichter hatte immer das zu schaffen was der Auftraggeber bestellt hat. Regiesseure wurden in diesen Tagen gar nicht als Künstler wahrgenommen, ein Standpunkt, den ich voll vertrete. Es sich IMO größenwahnsinnige Handwerker, die die Überschreitung ihrer Kompetenzen mit dem Phantom "Künstlerische Freiheit" cachieren wollen.

    Kurz und gut: Ich habe leider sehr viele »werkgerechte« Inszenierungen sehen müssen, die künstlerisch indiskutabel waren. Darum weiß ich aus unmittelbarer Erfahrung, dass dieser Zusammenhang nicht besteht.)


    apokalyptische Visionen, was aus der Welt wird, wenn es keine Werktreue mehr gibt,

    Die Welt wird weiterbestehen. Sie wird ohne Theater, ohne Kunst ohne gutes Essen und Trinken auskommen, es wird keine Standesunterschiede mehr geben, keinen Luxus, kein Design und bleiben wird nur Arbeit als Lebensunterhalt und -Sinn

    Eine Abart von Orwells 1984. Und gewertet soll dann auch nicht mehr werden.


    Dass die einzige "Verbindlichkeit" für einen Theaterkünstler die Existenz mindestens eines Darstellers und eines Zuschauers ist, hat Werner sehr plausibel erklärt

    Dagegen gibt nichts einzuwenden. Nur, daß man dann unter eigenem Namen "Künstler" sein muß -und nicht große Namen benutzen darf um seine eigene Unbedeutendheit dahinter zu verseck.

    Fehlt noch der Zuschauer. Keine Angest der wird sich finden - der findet sich immer. Eventuell sogar noch ein zweiter, dritter und vierter. Irgendwann wirds dann schwierig, vor allem wenn Eintritt verlangt werden soll. Große Häuser wird man damit allerdings nicht füllen können....

    Und wenn Mozart stattdessen in ein modernes Opernhaus gebeamt werden würde, mit allem, was das Herz begehrt: Wie würde er da inszenieren?

    Gar nicht - Mozart hat nie inszeniert. Allerdings hat er mit Schikaneder im Fall der Zauberflöte gestritten.....

    Mozart war aber - das ist überliefert - sehr intolerant in Bezug auf die Verfälschung seiner Kompositionen....


    Letzte Anmerkung:

    Auch wenn sich die RT-Befürworter hinter der angeblichen Schwierigkeit, Werktreue zu definieren verstecken,

    so ist es doch einfach, zu definieren, was NICHT wekgetreu ist (und da verstehe ich keinen Spaß)

    1) das Ignorieren EINDEUTIGER Regienweisungen im originalenLibretto

    2) Abweichungen vom Originaltext

    3) Verlegung der Zeit der Handlung

    4) Verlegung des Orts der Handlung und des gesellschaftlichen Umfelds

    5) Hinzufügung von Charaktären, die im Original nicht vorhanden waren.

    6) das Hinzufügen einer sogenannten "Rahmenhandlung"


    So - das sollte fürs erste reichen.....:baeh01:


    mfg aus Wien

    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Ich konstruiere mal ein Beispiel, das ich früher schon verwendet habe. Die Sache Makropulos von Janacek hat drei Akte. Akt I: der Streit um die Erbschaft. Ort: Rechtsanwaltskanzlei. Akt II Erbschaft und Liebesgeschichte, die scheitert. Ort: im Theater auf der Bühne. Hier machen die Theater das meist geschickt, indem sie ihre eigene offene, leere Bühne in ganzer Tiefe verwenden. Akt III: im Hotel, Zimmer der Elina Makropulos. Das Geheimnis des ewigen Lebens wird enthüllt. Die Sängerin stirbt, es ist die Erlösung von 300 jahren Qual. Sie schenkt die Formel des ewigen Lebens Kristina, einer jungen Sängerin. Diese verbrennt das Pergament.

    Meine Konzeption: Akt I spielt in einer Kanzlei im Trump Tower, der Advokat trägt die Maske von Donald Trump. Akt II: dieser Akt ist musikalisch nicht einfach, weil es ein Konversationsstück ist. Also wird der gestrichen; stattdessen wird die Sängerin bei einer Probe gezeigt. Geprobt wird "Salomé"von Richard Strauss, und zwar die Schlussszene, natürlich auch mit der Musik von Strauss. Diese Szene war der Wunsch der Sängerin, die an einem Abend zwei der gewaltigsten Schlüsse der Operngeschichte singen will, um damit eine Bewerbung für die MET zu lancieren. Dann kommt die Schlussszene, wie von Janacek komponiert. Dann klaue ich als Regisseur eine Idee aus "Gianni Schicchi", in der sich der Titelheld am Ende ans Publikum wendet: "Es war alles ein Spaß!"

    Nach dem letzten Ton schließt sich der Vorhang, Emilia Marty tritt hervor und sagt: "Meine Damen und Herren, befürchten Sie nichts, ich lebe noch. Außerdem muss ich ja auch die nächsten Vorstellungen noch singen. Ich werde jetzt im Kostüm nach unten gehen, dort können Sie die Produktion als DVD erwerben und ich werde sie signieren!"


    Diese Produktion würde ich jedes Mal besuchen, wenn sie gespielt wird. Wahrscheinlich wird man aber kaum an Karten kommen, weil das Stück in der Presse von den Edelfeder-Kritikern W.H., Ch.K. und Bert Arido enthusiastisch gelobt wird.

    Diese kleine Satire ist nur von Holger beachtet worden, da sie seine These ja stützt. Von den Edelfederkritikern kam nichts, was natürlich berechtigt ist. Aber dann ist es ein beredtes, nein, dröhnendes Schweigen!

    Noch ein Beispiel: vor Jahren habe ich es gewagt, den 4. Satz der 9. als misslungen zu bezeichnen. Auf die Guillotine musste ich nicht, aber immerhin wurde ich als "Dissident" gebrandmarkt, was natürlich stimmt, wenn man die kultische Verehrung der Klassik sich ansieht. Aufgrund der Kritik habe ich nochmal neu nachgedacht und meine Meinung insofern geändert, dass die Komposition doch grandios ist, nur für Chor nicht geeignet. Als Chorsänger, der 50 Jahre so gut wie alles gesungen hat, war und bin ich der Meinung, dass mir Beethoven nicht als hervorragender Chorkomponist erscheint. Daher würde ich, und jetzt kehren wir zu unserem Thema zurück, im Sinne von freibleibender Werktreue das Finale nicht mit Chor, sondern mit einem zweiten Orchester, am besten mit Blechbläsern, besetzen. Die Solisten allerdings würde ich glatt streichen.

    Darf ich das? Warum macht das keiner?

    Ich muss allerdings zugeben, anders als im Makropulos-Beispiel, dass ich das machen würde, wenn ich GMD wäre.


    Als letztes Wort: ich bin, wie MDM (der den Begriff geprägt hat) und Alfred nach wie vor ein RT-Theater-thread-Voyeur oder Junky. Bloß schreiben werde ich wohl nicht mehr, was aber keinen Entzug einleitet.

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Als letztes Wort: ich bin, wie MDM (der den Begriff geprägt hat) und Alfred nach wie vor ein RT-Theater-thread-Voyeur oder Junky.

    Wir dürften nicht die Einzigen sein: Der Thread - er läuft seit September dieses Jahres - hat bislang 37.000 Zugriffe.....


    mfg aus Wien

    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • ich bin, wie MDM (der den Begriff geprägt hat) und Alfred nach wie vor ein RT-Theater-thread-Voyeur oder Junky. Bloß schreiben werde ich wohl nicht mehr, was aber keinen Entzug einleitet.

    "RT-Theater-thread-Voyeur oder Junky" ,ist das so was Ähnliches wie "Harry und Meghan Junky" ?

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

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  • Diese kleine Satire ist nur von Holger beachtet worden, da sie seine These ja stützt. Von den Edelfederkritikern kam nichts, was natürlich berechtigt ist. Aber dann ist es ein beredtes, nein, dröhnendes Schweigen!

    Na ja, vielleicht liegt es auch daran, das die von Dir so bezeichneten "Edelfederkritiker" (W.H., Ch.K. und Bert Arido (sic!)) durchaus versuchen, die Diskussion ernst zu nehmen und deshalb nicht unbedingt über jedes alberne Stöckchen springen wollen, das man ihnen hinheält ...

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Diese ganze "ernste Diskussion" wird insgesamt nicht nur von mir als Satire betrachtet. "Nichts ist so satirisch wie die Wirklichkeit" (Karl Kraus). Außerdem steht hinter einer Satire meist eine ganz konkrete kritisierte Wirklichkeit. Meine Satire ernst formuliert würde lauten: "Darf man die Sache Makropulos so aufführen?" Das ist eine konkrete Frage und mal keine abgehobene Philosophie und schon gar kein albernes Stöckchen. Da haben sich die Edelfedern gedrückt, denn die Antwort ist ja mit Sicherheit die, dass man sowas niemals zu sehen bekommt, obwohl es nach eurer Theorie möglich und vor allem erlaubt sein müsste.

    Ich sehe meine Satire, die ja immerhin von Edelfeder Holger gewürdigt wurde, als Beispiel für das englische Sprichwort "The proof of the pudding is in the eating."

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Dass man Kunstschaffende sanktionieren kann, steht außer Frage. Das ändert aber nichts daran, dass sie bei jedem neuen Werk eine (juristisch begrenzte) Gestaltungsfreiheit haben, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu arbeiten. Und auch die Freiheit, sich vermeintlichen Autoritäten dabei nicht zu beugen.

    Das hätte ich fast übersehen. Das wäre schade gewesen, denn Du hast den entscheidenden Punkt genau getroffen. Man sieht es in dieser Diskussion sehr schön: Es geht überhaupt nicht um Kunst. Es geht darum, dass Leute gezwungen werden sollten, sich der Aurorität frag- und widerstandslos zu beugen. Man sieht das sehr schön an der Argumentation des ausgewiesenen Fachmanns fur philosophische Ästhetik, die als sehr defekt angesehen werden muss, wenn man davon ausgeht, dass es um die Sache geht. Da es aber um die Unterwerfung geht (die Weltuntergangsvision n, die er immer wieder malt, wenn er zeigt, welche Folgen es hat, wenn man Künstlern – und natürlich Menschen überhaupt – Entscheidungsfreiheit gewährt, zeigen das überdeutlich), ist ein Argument wie »was ich sage, ist richtig und muss akzeptiert werden, weil ich ein ausgewiesener Fachmann für philosophische Ästhetik bin und ganz, ganz viele sehr gute Bücher geschrieben habe (der Sachse sagt dazu »Eichenlaub stinkt«) ganz richtig. Allerdings eben verräterisch. Und es ist ganz offensichtlich, dass Winifred Wagners »Anordnungen sind auszuführen« die beste und klarste Zusammenfassung dieser Position ist.


    Ob nun freilich die Diskussion, ob selbständig und unabhängig denkende und handelnde Menschen (z. B. Künstler) durch Sanktionen zur Raison gebracht werden sollen, wie es hier vorgeschlagen wurde (freilich mit Hilfe eines ganz ungeeigneten Beispiels), sinnvoll ist, ist eine andere Frage. Es kann eigentlich nicht viel dabei herauskommen, weil die Freunde des »Anweisungen sind auszuführen« notwendigerweise schon den kleinsten Einwand gegen ihre Position geben dieses von ihnen als absolut gültig gesetzt Prinzip ansehen müssen. Das heißt, wer darüber diskutieren will, ist schon renitent, und das ist untersagt. Anders gedacht, in der Diskussion, die sich aus diesem Prinzip ergibt, kann es nur einen Sprecher geben und jedenfalls nur eine Meinung. Das führt natürlich zu nichts, aber es erklärt, warum sie immer nur dieselbe Gebetsmühle anschakten, ohne auf einen Einwand auch nur einzugehen.

  • Die "Verbindlichkeit", die hier zur Diskussion steht, ist nicht eine, die von einer personalen Autorität postuliert und dem "Theaterkünstler" aufoktroyiert wird.

    Diese Verbindlichkeit ergibt sich aus der Sache, um die es hier geht. Die Sache ist das, was sich hermeneutisch bei der Inszenierung eines Kunstwerks ereignet.

    Diese sehr schöne Bemerkung von Helmut Hofmann sollte man hier wirklich einrahmen! Wie man sieht geht es RT-Künstlern nur darum, ihre absolute Deutungshoheit in Fragen ihrer Kunst gegen Philosophen und Ästhetiker zu verteidigen, weil sie als fröhliche Konstruktivisten und ästhetische Nihilismen schlicht keine andere Verbindlichkeit akzeptieren als ihre grenzenlose künstlerische Freiheit. Jedes Einfordern von Verbindlichkeiten wird als strategischer Versuch gewertet, ihnen die Ausübung ihrer Kunst zu verbieten. Das aber ist einfach nur grotesk und lächerlich.


    Die Behauptung, es ginge speziell mir um eine "Unterwerfung" der Künstler (sie sollen also eine Art Sklaven des Philosophen werden), grenzt ans Pathologische und ist, wenn man nur liest, was ich gesagt habe, eine einzige Unverschämtheit. Um es nochmals deutlich zu sagen: Das Kriterium "Werktreue" haben nicht Philosophen aufgestellt, es stammt aus der Musikkritik. Philosophen und Ästhetiker reflektieren es dann kritisch. Ich bin kein "Gralshüter der Werktreue", sondern habe selbstverständlich auch ein kritisches Verhältnis zur "Werktreue". Das habe ich auch immer wieder deutlich gemacht. Meine Meinung ist, dass man dieses Kriterium zwar kritisch einschränken sollte, man darauf aber auch nicht vollständig verzichten kann. Da braucht man nun gar nicht unbedingt dogmatisch und normativ zu reden, sondern kann einfach pragmatisch argumentierten. Es ist nicht sinnvoll, ein Kriterium zu eliminieren, das man sinnvoll verwenden kann ohne dafür einen Ersatz zu haben. Wenn eine Aufführung beansprucht, ein Werk von Wagner aufzuführen, dann muss auch erkennbar sein und bleiben, dass es sich bei dem "Theaterkunstwerk" tatsächlich noch um Wagner handelt. Und dafür braucht man das Kriterium "werkgerecht". Ich sehe nicht und Niemand hat gezeigt, wie man das anders begründen kann.


    Und typisch für Sophistik ist der Schindluder mit Seinsmodalitäten. Hier: Wirklich? Nein, nicht nowendig. Wenn Helmut Hofmann sagt, das Werk als Werk stiftet Verbindlichkeiten, wird gesagt: Aber das Theaterkunstwerk ist nicht notwendig die Aufführung eines Werks. Richtig. Nur ist Wagners Tristan nunmal wirklich ein Werk. Der Künstler hat dann die freie Wahl: Wenn er Wagners Werk aufführen will, übernimmt er damit die mit ihm verbunden Verbindlichkeiten, muss also auch "werkgerecht" sein, sonst ist er unredlich und sein Kunstwerk eine Lüge. Wenn er aber keinerlei Verbindlichkeiten vom Werk her akzeptiert, die ihn irgendwie verpflichten, dann soll er einfach von Wagners Werk die Finger lassen und ein eigenes "Theaterkunstwerk" schaffen, das ausschließlich nur seinen Namen trägt. Entweder-Oder. Das gebietet eigentlich das Ethos des Künstlers, das ich dann vermisse, wenn er sich nicht an dieses Entweder-Oder hält.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Du magst es, ästhetische Probleme aufzuwerfen. Na klar...


    Meines Erachtens ist das in dieser Allgemeinheit falsch. Weder der Künstler noch der Rezipient der Kunst ist verpflichtet, Regeln des Kunstwerkes zu verstehen.

    Du redest hier einfach von Dingen, wozu Dir der Sachverstand fehlt. Wenn das "in dieser Allgemeinheit falsch" wäre, dann wäre die Arbeit und ein Großteil der Erkenntnisse von Literaturwissenschaftlern falsch und unsinnig. Darüber kannst Du Dir aber schlicht kein Urteil erlauben, weil Du kein Literaturwissenschaftler bist. Schuster, bleib bei Deinem Leisten, heißt das Sprichwort! Es geht hier nicht um eine abstrakte Betrachtung über angebliche Pflichten, sondern um Fakten. Es wurden solche Regeln faktisch befolgt - empirisch und literaturgeschichtlich nachweisbar. Punkt.

    Es ist ein menschliches theoretisches Interesse, seine eigene Kultur zu verstehen. Es ist in gewisser Weise bezeichnend für die menschliche Kultur sich selbst zu reflektieren. In diesem Sinne spielt die Philosophie eine hervorragende Rolle.

    Faktum ist, dass die ästhetische Reflexion insbesondere bei moderner Kusnt zur Kunst und zum Kunstschaffen mit dazu gehört - z.B. bei Busoni, bei Schönberg und auch Wassily Kandinsky. Im Briefwechsel von Schönberg und Kandinsky geht es fast ausschließlich um ästhetische Reflexion. Und wenn man das liest, sieht man, dass Schönberg und Kandinsky da über die Verbindlichkeiten (!!!) ihres Kunstschaffens streiten. Diese ästhetischen Betrachtungen stellen also nicht erst Ästhetiker und Philosophen an, sie finden sie bereits vor. Es gibt aber auch Beispiele, wo Ästhetik als Wissenschaft einen nicht unbedeutenden Einfluss auf die Rezeption von Kunst genommen hat. Das ist z.B. beim Barockstil der Fall gewesen.

    Aus dieser Reflexion erfolgen aber keine Verbindlichkeiten.

    Irrtum! Der Sinn solcher Reflexionen - so bei Schönberg und Kandinsky - ist es gerade, Verbindlichkeiten für das eigene künstlerische Tun zu finden und zu formulieren.

    Hier werden Menschentypen, wenn man denn so will, über ein Kamm geschert, die meines Erachtens wenig miteinander zu tun haben müssen.

    Nein, das ist einfach Erfahrungswissen. Das gilt sogar für Vertreter der Genieästhetik. Beispiel: Die Rezeptionsgeschichte von Goethes Novelle. Für die nachfolgenden Künstler-Genies wurde sie zum Paradigma, zum normativen Maßstab ihrer Novellendichtungen.



    Mir wäre an einem Künstler wichtig, dass mir seine Kunst gefällt und nicht, was er so sagt über seine Verbindlichkeiten.

    Der Fall ist aber nun nicht selten, dass einem die Kunst eines Künstlers nicht gefällt oder nicht ganz so gut gefällt. Und genau dann kommen die Verbindlichkeiten ins Spiel. Denn was ist dann daran "nicht gut"?

    Nochmal zu Deiner "historischen Begründung". Ich bezweifle diese

    Bezweifeln kann der Mensch alles. Nur ist das in diesem Fall unsinnig. Denn Fakten kann man nicht bezweifeln - das geht nur dann, wenn man ein Ignorant ist.


    aber nehmen wir einfach mal an, dass ich mich irre. Wer sagt denn dann, dass man eine historische Tradition fortsetzen muss? Zum Beispiel für die Sklaverei, die Unterdrückung der Frau und die Bestrafung von Homosexualität bestand jeweils eine historische Tradition, die wir für beendet erklärt haben. Letztlich ist auch das historische Argument ein "argument from authority" und kein inhaltliches, nur ist die Autorität in diesem Fall die Historie und keine konkrete Person.

    Das ist ein komplett unsinniger Vergleich und eine absurde Betrachtung. Was hat die Tatsache, dass ein Dichter im Mittelalter Horaz für verbindlich nimmt, mit der Sklaverei zu tun? Und natürlich gibt es auch in der geistesgeschichtlichen Betrachtung der Tradition der Sklaverei "Verbindlichkeiten in der Sache" mit Helmut Hofmann gesprochen. Die Sklaverei ist traditionell nämlich immer mit einer Kritik der Sklaverei untrennbar verbunden. Schon im Alten Testament wird die Schuldsklaverei sehr heftig von den Propheten kritisiert, bei Aristoteles findet sich die Kritik der Schuldsklaverei auch. Es gibt immer wieder Ermahnungen, die Sklaven anständig zu behandeln. Die Römer nahmen gebildete Griechen als Haussklaven, damit sie ihre Kinder erziehen und griechische Bildung vermitteln. Natürlich hatten die fast alle Freiheiten und wurden später auch meist freigelassen. Nun kann sich die geistesgeschichtliche Betrachtung fragen: Es gibt im Altertum zwar immer wieder Kritiken an bestimmten Formen der Sklaverei, aber nie der Sklaverei als solcher. Warum? Auch darauf gibt es eine sehr verbindliche Antwort in der Sache: Weil dem Altertum dazu gewisse Voraussetzungen fehlten, die erst die Neuzeit geschaffen hat: "Der Mensch ist frei geboren, nur liegt er überall in Ketten." (Rousseau) Solche Betrachtungen sind genauso "Verbindlichkeiten in der Sache" und kein bloßes "argument from authority" wie ein mathematischer Satz 2+2=4 Verbindlichkeit hat. Wer das nicht einsieht, hat einfach einen grundlegenden Mangel an Einsicht. Dann kann er z.B. von Erkenntnistheoretikern lernen, dass es "Verbindlichkeiten in der Sache" auch bei Philosophen und Geisteswissenschaftlern gibt.

    Diese kleine Satire ist nur von Holger beachtet worden, da sie seine These ja stützt. Von den Edelfederkritikern kam nichts, was natürlich berechtigt ist. Aber dann ist es ein beredtes, nein, dröhnendes Schweigen!

    Noch ein Beispiel: vor Jahren habe ich es gewagt, den 4. Satz der 9. als misslungen zu bezeichnen. Auf die Guillotine musste ich nicht, aber immerhin wurde ich als "Dissident" gebrandmarkt, was natürlich stimmt, wenn man die kultische Verehrung der Klassik sich ansieht. Aufgrund der Kritik habe ich nochmal neu nachgedacht und meine Meinung insofern geändert, dass die Komposition doch grandios ist, nur für Chor nicht geeignet. Als Chorsänger, der 50 Jahre so gut wie alles gesungen hat, war und bin ich der Meinung, dass mir Beethoven nicht als hervorragender Chorkomponist erscheint. Daher würde ich, und jetzt kehren wir zu unserem Thema zurück, im Sinne von freibleibender Werktreue das Finale nicht mit Chor, sondern mit einem zweiten Orchester, am besten mit Blechbläsern, besetzen. Die Solisten allerdings würde ich glatt streichen.

    Darf ich das? Warum macht das keiner?

    Ich muss allerdings zugeben, anders als im Makropulos-Beispiel, dass ich das machen würde, wenn ich GMD wäre.

    Von Janacek-Freund zu Janacek-Freund gesprochen: Dann machst Du es so wie Vaclav Talich. ;) Janacek hatte den Ruf eines schlechten Instrumentierers. Also hat Talich eine eigene Instrumentierung von Taras Bulba geschaffen, die bist heute fast alle Dirigenten verwenden. Nur Charles Mackeras hat in fast jeder neuen Aufführung immer eine anders instrumentierte Fassung gespielt (im Janacek-Archiv finden sich ganz unterschiedliche Fassungen). Selbstverständlich kann man auch ein großes, berühmtes Kunstwerk wie Beethovens 9. ästhetisch kritisieren. Ich bin kein Chorsänger und habe da nicht die Urteilskompetenz wie Du. Selbst wenn Du Recht hast, wirst Du mit Deinem Vorschlag aber wahrscheinlich an dem Widerstand der Orchestermitglieder scheitern. ^^ Und ich würde es auch nicht machen wegen der immensen kultur- und musikgeschichtlichen Bedeutung gerade des Chorsatzes. Wagner sprach von der "Erlösung der Musik durch das Wort" und Gustav Mahlers 2. Symphonie wäre ohne diesen Chorsatz von Beethovens 9. gar nicht entstanden. In Japan sind Aufführungen der 9. Beethoven mit dem Chorsatz bis heute "Kult". :)


    Schöne Grüße

    Holger

  • Es geht hier nicht um eine abstrakte Betrachtung über angebliche Pflichten

    Es geht die ganze Zeit um nichts anderes als die von Dir behauptete Pflicht zur "Werktreue". Als Ergebnis können wir festhalten, dass es eine solche Pflicht nicht gibt. Du hast ja auch selbst geschrieben, dass Künstler sich um die von Dir auf- bzw. festgestellten "Verbindlichkeiten" nicht scheren müssen, dass mit anderen Worten die "Verbindlichkeiten" nicht verbindlich sind. Das ist dann zwar ein etwas merkwürdiger Sprachgebrauch, aber in der Sache ist trotzdem alles klar.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Es geht die ganze Zeit um nichts anderes als die von Dir behauptete Pflicht zur "Werktreue". Als Ergebnis können wir festhalten, dass es eine solche Pflicht nicht gibt. Du hast ja auch selbst geschrieben, dass Künstler sich um die von Dir auf- bzw. festgestellten "Verbindlichkeiten" nicht scheren müssen, dass mit anderen Worten die "Verbindlichkeiten" nicht verbindlich sind. Das ist dann zwar ein etwas merkwürdiger Sprachgebrauch, aber in der Sache ist trotzdem alles klar.

    Ich kann nur einfach staunen über so eine Sophistik. Verpflichtungen sind natürlich niemals bedingungslos. Aber unter der (entscheidenden) Bedingung sind sie eben zwingend. Es gibt selbstverständlich keine Pflicht und Verpflichtung zur Werktreue allgemein und überhaupt. Nur dann, wenn man beansprucht, ein Werk eines anderen Urhebers aufzuführen, dann kommt diese Verpflichtung ins Spiel, insbesondere wann man über die Interpretation und die Nutzung von Interpretationsspielräumen hinaus das Werk bearbeitet. Wieso macht die Bearbeitung aus dem Werk nicht ganz etwas Anderes als es ist? Mit welchem Recht wird es noch als das Werk des Komponisten XY ausgegeben und nicht allein das des Bearbeiters? Um solche Fragen drückst Du Dich einfach herum und gibst keine verbindliche Antwort, sondern bleibst beim unverbindlichen "es gibt keine Verbindlichkeiten". Das finde ich nun langsam wirklich unerträglich und von Menschen, von denen man eine gewisse Intelligenz erwartet und die Fähigkeit, zu argumentieren und einer Argumentation zu folgen und auf vernünftig gestellte Fragen auch vernünftig zu antworten.


    Weiterhin finde ich den gewissen Autismus befremdlich, die eigene Kunstauffassung zu verabsolutieren und nicht links und rechts zu schauen. Es gibt jede Menge Ernst zu nehmende Künstler, die in dieser Frage vollkommen anders denken als Du und Werner Hintze. Waren Schönberg und Kandinsky Idioten, weil sie sich über Verbindlichkeiten ihres künstlerischen Schaffens verständigen wollten? Hältst Du Maurizio Pollini für einen Idioten, nur weil für ihn "Werktreue" eine Verpflichtung darstellt, die vielleicht sogar die wichtigste Verplichtung in seinem Künstlerleben ist? Weder Du noch Werner Hintze können repräsentativ für die Künstler überhaupt sprechen. Ihr sprecht nur über Euch allein. Und ich darf dann sagen: Bei Maurizio Pollini kann ich sein künstlerisches Ethos erkennen, bei Dir und bei Werner Hintze erkenne ich es leider nicht. Auch um die Frage des künstlerischen Ethos drückt Ihr Euch herum. Wenn man mich fragt, was mein Ethos als Ausleger und Interpret ist, kann ich sofort eine Antwort geben, was ich mir erlaube und was ich mir nicht erlaube. Wer sich darum drückt und nicht Stellung bezieht und sich nicht bekennt, der darf sich auch nicht wundern, wenn man dann Zweifel an seinem Ethos bekommt.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Meines Erachtens ist das in dieser Allgemeinheit falsch. Weder der Künstler noch der Rezipient der Kunst ist verpflichtet, Regeln des Kunstwerkes zu verstehen.


    Du redest hier einfach von Dingen, wozu Dir der Sachverstand fehlt. Wenn das "in dieser Allgemeinheit falsch" wäre, dann wäre die Arbeit und ein Großteil der Erkenntnisse von Literaturwissenschaftlern falsch und unsinnig.


    Der von mir formulierte Satz ist vielleicht kurz und enthält wenig philosophische Fremdwörter, aber ich versichere Dir, man benötigt keinen Sachverstand, um seine Wahrheit zu akzeptieren, Verstand reicht da völlig aus.


    Welch alberne Welt wäre es, wo Kunst und Kunstgenießer eines dauernd dazwischenplappernden regelerklärenden Philosophen bedürften, um ihre ästhetische Erfahrungen zu machen?


    Nun zu Deinem Satz: Auch hier benötigt man wiederum keinen Sachverstand, um zu erkennen, dass der Satz als logischer Schluss, den er wohl darstellen soll, einfach nur Quark ist. Warum sollen Literaturwissenschaftler nicht sinnvolle Erkenntnisse gewinnen können, auch wenn sie nicht versuchen, Künstlern und Kunstgenießern in ihre Tätigkeiten reinzuschwatzen. Das scheint mir doch ein sehr technokratisches Verständnis von Philosophie zu sein. Die Erkenntnis wird hier ja zum Mittel degradiert. Vielleicht solltest Du Dich da mal mit der Etymologie des Begriffes Philo-Sophie beschäftigen ;)


    Da nun aber "Sachverstand" folglich keinen Verstand benötigt und die Umkehrung offensichtlich ist, reden wir wahrscheinlich aneinander vorbei. Ich, für meinen Teil kann gut damit leben, und würde es gerne dabei bewenden lassen.

  • Es gibt selbstverständlich keine Pflicht und Verpflichtung zur Werktreue allgemein und überhaupt.

    Immerhin siehst Du das endlich ein.


    Nur dann, wenn man beansprucht, ein Werk eines anderen Urhebers aufzuführen, dann kommt diese Verpflichtung ins Spiel

    Es gibt für einen Theaterkünstler keine Verpflichtung, "das Werk eines anderen Urhebers aufzuführen". Auch das wurde inzwischen zigmal erklärt.


    Bei Maurizio Pollini kann ich sein künstlerisches Ethos erkennen, bei Dir und bei Werner Hintze erkenne ich es leider nicht.

    Was soll das jetzt? Wen interessiert, was Du erkennst oder nicht erkennst?

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Wenn einer bei irgendwem etwas nicht erkennt, muss sich der Betreffende darüber Gedanken machen. Vor allem, wenn es ein ausgewiesener Fachmann für philosophische Ästhetik und ein mit Vorliebe ad personam argumentierender Existenzphilosoph von überragender Fachkenntnis ist, der da irgendetwas nicht erkennt. Das ist doch klar.


    Wenn Du sagst, dass Dich gar nicht interessiert, was dieser Geistesriese erkennt, oder nicht, hat Du ja bewiesen, dass er recht hat. Denn das ist selbstverständlich eine philosophisch-ästhetisch wie auch existenzphilosophisch, vor allem aber moralinschmierig indiskutable Haltung.

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