Operninszenierungen - modern vs. "altmodisch"

  • Hallo faun,


    jetzt hast du aber meine Fragen wortreich umschifft... :D


    Zitat

    was ich so am gang in die pause hörte, dürfte der grossen mehrheit diese
    'moderne' inszenierung sehr gut gefallen haben. also keine spur davon, dass
    moderne inszenierungen das publikum vergraulen.


    Na Gott sei Dank geht es gelegentlich auch gut aus. Aber der folgende Schluss ist keinesfalls zulässig. Die Mehrzahl der modernen Inszenierungen werden nicht sonderlich goutiert, im günstigen Fall eher indifferent aufgenommen, weil man sich immerhin noch an Musik und Gesang erfreuen konnte. Dass dies in Wirklichkeit eher ein Armutszeugnis für die meisten Regisseure darstellt, scheint bereitwillig in Kauf genommen zu werden.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Michael_Flaschberger


    Zeffirelli ist mir v.a. wegen seiner Boheme-Inszenierung an der WSO eingefallen wo der gesamte 3. Akt hinter einem Decker stattfindet der so, wenn ein Dirigent hierbei mitgearbeitet hätte, nie durchgegangen wäre, da es zwar einen schönen optischen Effekt gibt, aber akkustisch katastrophal ist. Solche Dinge müssten schon Monate vor dem Bühnenbau besprochen und ausdiskutiert werden, dann würde man sicherlich auf eine sowohl musikalisch, wie auch optisch gute Lösung kommen und diese würde wiederum positiv auf das Gesamterlebnis des Publikums auswirken.


    Salut,


    Ähnliches gab es auch kürzlich in Schwetzingen bei Kraus 'Proserpin': Der Chor singt mit dem Rücken zum Publikum oder sogar von den Gängen hinter den Balkonen aus. Um den Dirigenten sehen zu können, wurden Fernseher abgestellt, die auch das Publikum leider sehen konnte/musste - auf der Bühne ggfs. Spiegel. Organisten werden das Problem kennen... es klappt nicht, wenn man nicht ausgegorene Übung darin hat. Obwohl die Idee für den Ü-Effekt [im 2. Fall] riesengroß ist!


    :hello:


    Ulli

    Cnusper, cnusper, cnasam, qui cnusperat meam casam?
    (Hexa dixit)

  • Ulli


    Wobei ich da einen, für mich, erheblichen Unterschied sehe.
    Das Beispiel aus Schwetzingen kann theoretisch funktionieren, ein Decker hingegen ist ein akustisches Hinderniss das immer zum selben Ergebniss führt, das die musikalische Ebene hintanstellt und "leicht beseitigbar" wäre, wohingegen der Chor im Proserpin, wenn es funktioniert, sowohl musikalisch als auch szenisch einen riesigen Effekt bringt, jedoch auch ( scheinbar in "deiner" Aufführung ) in die Hose gehen kann, hierbei wiegt sich IMO die Kosten-/Nutzenrechnung gegenseitig auf, beim Decker hingegen nicht, da er einseitig wirkt.


    LG,
    Michael

  • Hallo Michael


    Zitat

    bzgl. Phrasierung: Ich weiss jetzt nicht ganz, ob wir diesselbe Definition dieses Wortes meinen, aber Phrasen-Höhepunkte, Abphrasierung u.ä. ergeben sich im absoluten Groß der Fälle aus dem Text, da führt kein Weg daran vorbei, wenn dies nicht der Fall ist dann hat das IMMER einen textlichen Hintergrund und nicht ob der Reibungs-Akkord nicht doch besser auf die nächste Taktzeit passt ( bei GUTEN Komponisten ).


    OK, du meinst die rein technisch-gesangliche Seite einer Phrasierung, während ich meinte, welchen emotionalen Inhalt der Sänger hineinlegt, welche Farbe er einer Phrase gibt, wie sie verändert wird, welche Steigerung er vielleicht anbringt. Hier gibt die Musik i.a. viel mehr Information her als der Text alleine. Natürlich funktioniert Oper nicht ohne Text, aber sie wäre schon längst Geschichte, wäre sie einfach mit Musik unterlegter Text. Nur dadurch, dass sie den textlichen Inhalt noch weiter anreichert und mittels Musik in Summe so viel mehr leistet als es ein Text alleine könnte, hat sie bis heute überlebt (und dürfte es noch eine Zeit lang weiter schaffen ;) ; mir fällt dazu die Geschichte mit Victor Hugo ein, der sich eher skeptisch die Vertonung seines Stückes Le Roi s'amuse angeschaut hat, und nach dem Quartett im Schlussakt neidlos zugegeben hat, dass die Oper dem Theaterstück doch in gewissen Punkten etwas voraus hat).



    Zitat

    Du hast, glaub ich, noch nie bei einer Operninszenierung mitgearbeitet? Sonst wüsstest du wovon ich rede. Es geht mir nicht um die Aufführung an sich, sondern um die Erarbeitung ( am besten noch lange bevor die szenischen Proben losgehen ), hier merkt man nämlich immer wieder wie wenig in den verschiedenen Bereichen zusammengearbeitet wird.


    So ist es. Da kann und will ich natürlich nicht gegen dich argumentieren (ich sehe aber die Erarbeitung einer Inszenierung im Prinzip nicht anders als ein wirtschaftliches Projekt, an dem verschiedene Abteilungen einer großen Firma arbeiten. Jede wird für sich ihr bestes geben, aber es Bedarf einer übergeordneten Instanz, die die Arbeiten koordiniert und die letzte Entscheidungsgewalt besitzt. Auch hier gibt es keine Demokratie, sondern nur die Art und Weise, wie die Macht eingesetzt wird).



    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat


    Ganz entschieden aber wende ich mich gegen deine Argumentation bei den Soldatenbildern. Beide stellen eine Perversion dar (obwohl beide in Wirklichkeit existierten bzw. exisitieren, leider!), und dass das eine "Zuckerguss" und das andere ernst genommene Kunst sein soll, ist ein schlechter Scherz und keine ernstzunehmende Aussage (du brauchst dir zu diesem Thema lediglich die Dokumentationen ansehen, wie es auf Bahnhöfen zuging, als die Legionen am Beginn des 1. Weltkriegs in den Einsatz abfuhren; das hatte Volksfestcharakter!).


    Nochmal: Die Bilder sind natürlich keine Kunst, ich wollte hier einen Vergleich herstellen.
    Verschieden geprägte Menschen verbinden mit ein und demselben Begriff unterschiedliche Assoziationen und nehmen individuell Bedeutungszuschreibungen vor. Ein Soldat kann von Frauen geküsst und mit Orden behängt werden, er kann aber auch erbärmlich im Dreck sterben, ohne jemals bewundert zu werden. Beides kann passieren (Du schreibst es selbst) und beides ist eine zulässige "Interpretation". Sobald über eine rein definitorische Ebene hinausgegangen wird, ist es nicht mehr so einfach mit der Begriffstreue!
    Wenn ein einfacher Begriff durch soviele Bilder gezeigt werden kann, wieviel mehr enthält dann eine Oper und wie kann hier bei der Inszenierung eine Werktreue oder Werkuntreue festgestellt werden? Wer soll denn da Instanz sein? Ich? Ein oberster Kunstgerichtshof?
    Ich verstehe es einfach nicht! Es geht mir nicht in den Kopf, wieso man glaubt, seine subjektiven Vorlieben seien der einzig wahre, gute, erlaubte Zugang. Objektiv feststellbare Werktreue gibt es meiner Ansicht nach nicht!

  • Es wird für beachtlich viel Geld so viel Schindluder getrieben. Welche Instanz gibt es denn wirklich, dem Einhalt zu gebieten, vor allem auf großen Bühnen?


    Warum darf der unbegabte Australier, der in Wien Lohengrin "inszeniert" hat, danach die nächste große Bühne versauen und wieder abcashen? Wie ist denn das möglich? Meinem Hausverstand nach müssten sich doch in Zukunft alle weiteren Bühnen verweigern. Ein Beispiel von vielen, wo ein Regisseur nur einen Käse hinterlassen hat, über den ich mich jetzt die nächsten 15 Jahre ärgern muss, jedesmal, wenn ich mir Lohengrin in Wien anschauen will. Oder eher läuft es dann darauf hinaus, dass ich mir eben deswegen den Lohengrin nicht mehr anschauen will, bis die nächste Produktion herauskommt. Und das trifft nicht nur auf diesen einen unbedeutenden ungebildeten Regisseur zu sondern auch auf so manchen "großen Namen".


    Nicht nur die Inszenierungen bleiben oft belanglos oder sogar unsinnig, auch Bühnenbilder und Kostüme sind meist wenig ansprechend, und da fühle ich mich dann so richtig hereingelegt: Ätsch, teure Karte gekauft! Hörst auch gar nicht gut, da das Bühnenbild den Klang schluckt! Ätsch!


    Immer wieder dachte ich: Wäre ich doch lieber ins Konzert gegangen!

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Moin,


    wenn ich in die Oper marschiere, weiß ich, was auf mich zukommt - auf gar keinen Fall ein Dokumentarspiel.


    Um eben die ganz großen Gefühle zu transportieren, haben die Librettisten für mein Empfinden schon von jeher die dollsten Volten geschlagen. Und ich muss gestehen, dass ich mir früher mit meiner Mutter ein Späßchen gemacht habe und wir uns aus dem Opernführer die unsinnigsten Geschichten vorgelesen haben. Insofern finde ich den Hinweis auf den "historischen Rahmen", den man in der Oper mit Freude erfahren möchte auch für relativ unsinnig. Wenn kann man nur etwas über die Zeit erfahren, in der das jeweilige Werk geschaffen wurde; die abgebildete Epoche ist dagegen (häufig genug: vergewaltigtes) Vehikel.


    Und in diesem Zusammenhang noch eine Frage: Will ich wirklich eine Wagner-Inszenierung miterleben, in der es von Flügelhelm-tragenden, grotesk übergewichtigen Recken in einem total verkitschten Germanen-Outfit und tonnenförmigen Grazien im Fellmantel nur so wimmelt? :no:
    Dabei müssen doch die damaligen Inszenierungen mit solchem (gewiss stimmgewaltigen) Personal bestückt gewesen sein.


    Aber wahrscheinlich könnte ich sogar mit einer Original-Richard-Wagner-Darbeitung meinen Frieden machen. Der springende Punkt ist für mich auch in der Oper die Musik. Kein Bühnenbild der Welt kann für mich einen verkorkst gesungenen Liebestod retten. Allerdings kann mir ein Bühnenbild auch keinen überirdischen Liebestod versauen. Es sei denn, ich möchte mich nun mal aus Prinzip aufregen.


    Als ich im April in der Wiener Staatsoper den Tristan erleben durfte, waren mir Bühnenbild und Regie relativ gleichgültig. Es tat beides nicht weh. Das große Manko war für mich, dass ich den Protagonisten keine Leidenschaft geglaubt habe. Das lag gewiss auch an deren darstellerischen Möglichkeiten - vor allem aber an der Interpretation der Musik. Wären die beiden Liebenden im Original-Outfit übers irische Bärenfell gehoppelt, hätte das auch nichts zu retten vermocht.


    Gruß, l.

    "Jein".

    Fettes Brot

  • Hallo!!


    Wie viele wissen bin ich in diesem Punkt sehr konservativ, denn wenn ich manche Inszenierungen sehe, werd ich richtig aggressiv!!!
    Meiner Meinung nach ist an dem "alten" Libretto nichts schlechtes, ich will das Stück dann so sehen, wie es im Libretto steht. Mit allem Prunk, allem "Spezialeffekten" usw....
    Die Schreiber dieser Stücke, seien es die Librettisten oder die Komponisten, haben sich damals was gedacht und ich finde diese Gedanken gehören respektiert!!!


    Denn auch wenn sie altmodisch sein mögen, das liegt im Auge des Betrachters, denn für mich ist ein Opernbesuch auch immer ein Ausflug in die Vergangenheit, alle Stücke haben ihren Reiz!


    Diese, fast schon zwanghaften Modernisierungen, gehen mir richtig wohin. Ich verstehe nicht warum solche Möchtgernressigeure nichts so lassen können, wie es ist!!!


    LG Joschi


    PS: Ich bin auch Melots Meinung!

  • Hallo Theophilus,


    wo beginnen...? :D Vielleicht beim Chéreau-Ring. Der heile Es-Dur-Akkord am Beginn des "Rheingold" suggeriert eine unverletzte, intakte Natur, die zu diesem Zeitpunkt nicht mehr existiert. Wotan hat bereits seinen Speer aus der Weltesche gebrochen und sein Herrschaftssystem der Verträge errichtet. Wie Waltraute in der "Götterdämmerung" berichtet, ist die Weltesche an dieser Verletzung zugrunde gegangen und wird als Brennholz für das nahe Ende der Götter verwendet. Insofern ist die Staudamm-Methapher bei Chéreau nicht nur schlüssig, sondern auch richtig, wenn man nicht nur blind der Musik vertraut (das wäre bei Wagner ohnehín fatal, denn nicht selten kommentiert die Musik den Text bzw. eröffnet eine zweite Ebene, indem sie ihm widerspricht (Szene vor der Tötung Mimes im 2. Akt "Siegfried").


    Wie ich schon anderweitig geschrieben habe, kommt es mir persönlich weniger auf Bühnenbilder, Ausstattung etc. an als auf die Personenregie. Hier zeigt sich die wirkliche Begabung eines Regisseurs. Eine gute Personenregie kann in modernen wie traditionellen Bühnenbildern erfolgen, nur sollten die Bühnenbilder nicht von der Personenregie ablenken. Und das ist es, was man z.B. Herrn Zeffirelli seit mehr als 20 Jahren vorwerfen kann, nämlich statt einer schlüssigen Personenregie nur mehr das Arrangement luxuriöser Intérieurs zu betreiben, die einem dieser großformatigen coffee table books entsprungen zu sein scheinen. Dazu ein Ausschnitt aus einer Rezension in der "New York Times", die in opernästhetischen Dingen eher
    konsevativ ist: "At one time, Franco Zeffirelli was an opera director of artistic significance. His productions for Maria Callas and for Joan Sutherland in the 1950's showed off their great if dissimilar talents to advantage. His ''Falstaff'' at the old Metropolitan Opera House in 1964 raised staging standards there. For the last couple of decades, however, Mr. Zeffirelli's interest in opera has centered around the superficial and the trivial. As his new Metropolitan production of ''La Traviata'' showed conclusively on Monday evening, he is most charitably thought of nowadays as a fashion designer and interior decorator rather than an opera director."


    Und es ist auch keineswegs so, dass konservative Inszenierungen zwangsläufig immer "werktreu" sind. Nehmen wir als Beispiel die "Meistersinger"-Inszenierung aus Bayreuth von 1984. Nett, bunt und m.E. belanglos, da nur an der Oberfläche des Stückes bleibend. Richtig verfälschend wird es aber zum Schluss, wenn Wolfgang Wagner in eigener Person Beckmesser und Sachs per Handschlag "versöhnt". Sosehr man sich die "Wiedergutmachung" menschlich wünschen mag: in Richard Wagners Libretto kommt diese Szene nicht vor und widerspricht auch den Intentionen Wagners.


    Man sollte allerdings nicht jedes Stück mit schweren gedanklichen Gewichten zu behängen versuchen. Wo das Libretto wenig mehr ist als Stichwortgeber für die Musik (wie in vielen Opern des klassischen Belcanto), da sollte man auch der Musik eindeutig den Vortritt lassen und nicht auf Teufel komm raus eine tiefere Bedeutung suchen wollen, die nicht vorhanden ist. Das wird dann nur krampfig.


    Viele Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Bezüglich Melot und der auf ihn folgenden Antworten:


    Wie es kommen kann, daß ein unfähiger Regietheater-Regisseur von einem Haus zum anderen gereicht wird? - Es liegt am Feuilleton speziell der deutschen Presse und einiger Spezialzeitschriften wie "Oper heute".
    Durch weltweit relative kleine Opern-Repertoire sehen die Rezensenten dieselben Opern wieder und wieder und wieder - Langeweile stellt sich ein. Man hat den 45 Gott Wotan einfach satt und ist froh, wenn beim 46. Mal Wotan kein Gott sondern Goebbels ist. Da kann man dann in der Rezension wunderbar darüber philosophieren, ob das schlüssig ist oder nicht, man kann seine eigenen Theorien einbringen etc. Man wird endlich auch als Kritiker interessant.
    Also zieht man ganz automatisch die Regiearbeiten vor, die einem das ermöglichen.


    Will nun ein Operndirektor international bekannt werden (wer will das nicht), braucht er die internationale Presse - und die bekommt er eben über das Regietheater. Also lädt er die skandalumwittertsten Regisseure ein - und wer den meisten Mist baut, wird am Jahresende zum "Opernhaus des Jahres" gewählt.


    Wobei ich gar nicht leugnen will, daß mitunter Regietheater-Arbeiten auch ihr Gutes haben können und heute zu einer lebendigen Auseinandersetzung mit der Oper eben dazugehören. Nur: Mögen muß man sie deshalb noch lange nicht.

    ...

  • Mir fällt auf, dass sehr viele Taminos recht "totalitär" entweder zur einen oder zur anderen Seite hintendieren.


    Sicher hab auch ich lange darauf gepocht alte Opern im alten Gewand zu sehen.
    Aber ich weiß natürlich dass es vollkommen an der Sache vorbei geht, denn so wenig man 100% den Klang einer Oper die vor 400 Jahren oder kürzer aufgeführt worden ist kennt - sowenig weiß man wie die Inszenierung gewesen ist. Mann kennt ein paar Kupferstiche, Kostumentwürfe und Zeichnungen der Special Effects.


    Aber die DVD "Le Bourgeois Gentilhomme" (Molière / Lully) hat gezeigt, dass dazu noch viel mehr gehört, man muß die Gestik rekonstruieren, die Tänze - Choerographien sind aus den Opern meist auch nicht erhalten.
    Es ist absolut erfrischend und beeindruckend soetwas zu sehen - denn für mich war es NEU nicht altmodisch.
    Dann stellt sich aber eben auch die Frage - wär es gut jetzt nur noch dieses historisierende Sichtweise vorgesetzt zu bekommen ?


    Man bedenke - gerade in der Opera Seria war es doch so, dass die Sänger sich so gut wie nicht bewegten und mehr singende Statuen als Schauspieler waren - will man sowas wirklich sehen ?
    Prächtig kostümierte Sänger vor noch prächtiger Kulisse - ohne jegliche Bühnenaktion ?
    Die Kostüme ließen ja wohl kaum größere Bewegungen zu.



    Mir hat dieses Erlebnis aber letzlich gezeigt was ich wirklich will:
    Ich will ständig neue Sichtweisen.
    Aber wie gesagt ich würde halt auch gerne mal eine Oper erleben mit allen damaligen Technischen Möglichkeiten.


    Warum kann man also nicht einfach beides anbieten ? Dann wär das Publikum zwar immer noch am Maulen ( à la "der Stuhl ist vom Design aber 30 Jahre zu früh....)
    Aber man hätte zumindest eine Wahlmöglichkeit.


    Einigen Opernstoffe eignen sich recht gut für zeitgemäße Sichtweisen, andere weniger.
    Gerade mein Hausgott Lully - wie will man bitteschön ein Lobhudelei Prolog auf Louis XIV auf Heute übertragen ?
    Das wär mal spannend, aber ich befürchte da streicht man diesen Teil lieber....


    Am spannensten finde ich die Verknüpfung zwischen Historismus und moderner Sichtweise. z. B. Wernickes Inszenierung der Calisto (Cavalli) ist einfach genial gewesen - das war witzig, beindruckend, der Sache absolut gerecht und ließ viel Raum für Phantasie.


    (Ich gehöre auch zu denen die gerne noch etwas denken wollen - Fertigfutter lehne ich ab).


    Und da pflichte ich einigen Mitgliedern bei: Reproduktion ist keine Kunst und hat nur einen Effekt, beeindruckt im ersten Moment, dann kommt garantiert die Langeweile.

  • Servus Edwin,
    man sollte auch einmal bedenken,daß doch täglich tausende
    junge Menschen zum ersten mal ein Opernhaus besuchen.
    Sie bekommen ja niemals die Gelegenheit,eine Oper in der
    szenischen Originalfassung zu erleben,ist das nicht traurig? :(


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Zitat

    Original von GiselherHH
    Eine Aufführung ist immer ein eigenständiges Kunstwerk mit dem zugrunde gelegten Werk als strukturbestimmendem Element.
    Das "Werk an sich" existiert nicht und wird nur durch Aufführung zum Leben erweckt.


    Ich glaube genau hier liegt der Hund begraben, weil sich die Diskutanten über diesen zentralen Punkt uneins sind. Das "ewige Werk" ist eine Chimäre, aber das ist anscheinend schwer zu verstehen. Wir wissen nicht, was sich ein Komponist vorgestellt hat und wenn wir es wissen könnten, wäre es zweitrangig, weil der Komponist lange tot ist. Es ist auch ein naiver Fehlschluß zu meinen, zeitgenössische Aufführungen wie die Premiere eines Stücks seien ein Maßstab. Rosen bringt in einem anderen Zusammenhang mal einen Vergleich mit Gemälden, die in der Kirche, in der sie ursprgl. hingen, nur schwer zu sehen waren. Es ist absurd, darauf zu beharren, die müßten allein aus historischen Gründen in situ bleiben, anstatt sie ins Museum zu hängen, wo man sie erst richtig sehen kann. Das Werk kann also weder mit der "Intention des Autors" noch mit den zufälligen Bedingungen seiner ersten Realisierung identisch sein. Es "lebt" daher nur in seinen tatsächlichen Realisierungen und die sind in gewisser Weise neue eigenständige Kunstwerke.
    Schließlich widerspricht dieser pseudo-werktreue Fundamentalismus aufs Krasseste der seinerzeitgen Einstellung, in der meist ja sogar die Musik je nach den Gegebenheiten geändert, umgestellt etc. wurde.


    Zitat


    Bei der Aufführung kommen viele eigenständige Teile zusammen, die dann in Beziehung zueinander gesetzt werden müssen: Werk, Licht, Bühnenbild, Sänger, Chor, Orchester etc. Das Werk ist, wie gesagt, Grundlage und Ausgangspunkt der Inszenierung, es muss aber ausgelegt und interpretiert werden. Wer Interpretation scheut, sollte am besten die Finger von der Opernregie lassen. Reine Bebilderungen sind, falls das Stück wesentlich mehr hergibt, eine Flucht ins Ungenaue und damit eben nicht "werktreu", um diesen oft mißbrauchten Begriff zu benutzen.


    Es ist doch auch eine himmelschreiende Naivität zu glauben, man könne einfach so weiter die gleichen Bilder verwenden. Ein Wotan, der aussieht wie ein Mischung aus Hotzenplotz und Gandalf ist für mich erstmal weniger ernstzunehmen als einer, der eher wie ein moderner Manager aussieht. Manche Bilder stumpfen einfach ab, verkommen zu kitschigen Klischees (wie das vom Wotan als Manager vielleicht auch schon wieder).
    Der Vergleich mit der "Herr der Ringe"-Verfilmung ist m.E bezeichnend: Genauso etwas, wo der spärlich vorhandene Grips an die (zugegebn beindruckende und gewiß liebelvolle) Ausstattung verschwendet wird, daher der Rest flach und hölzern ist und nicht einmal den (verglichen mit bspw. Wagner selbstverständlich) recht bescheidenen Deutungsdimensionen der Vorlage gerecht wird, ist ein völliges Zerrbild der Oper als "Märchen für Erwachsene". Wer so etwas möchte, soll halt ins Musical oder ins Kino gehen.
    Als Kind war ich regelmäßig von Verfilmungen bitter enttäuscht, weil etwas verändert worden war oder irgendwas nicht meinen Vorstellungen entsprach, es war nicht richtig so, wie es im Buch gewesen war. Natürlich gibt es viele mißlungene Verfilmungen. Aber es ist ein wenig dreist, diese infantile Einstellung bewußt zu konservieren, somit außerstande zu sein, eine Literaturverflimung oder eine Inszenierung eines dramatischen Kunstwerks als etwas Eigenständiges zu würdigen, und das dann auch noch als einzig richtige Haltung zu verkaufen. Aber genau diese beleidigte Schnute eines Kindes, das von dem Film zu seinem Lieblingsbuch enttäuscht ist, weil der Held ein wenig anders aussieht als es sich vorgestellt hat, scheinen die Opernliebhaber zu ziehen...


    Es ist auch völlig verfehlt, Theater in abstracto zu diskutieren. Natürlich fallen jedem mißlungene Inszenierungen aus verschiedenen Lagern ein.
    Aber ob eine Inszenierungen gelungen ist bzw., was genau jemanden stört, läßt sich nur am Einzelfall erläutern. Es kommt, wie bei jeglicher Kunst, hauptsächlich auf die innere Stimmigkeit des Ganzen an, daher bringt es gar nichts, sich auf Details zu kaprizieren (deren Kenntnis man am besten nicht dem eigenen Erleben, sondern einer erzürnt-bornierten Rezension entnimmt).


    Zitat

    (Theophilus)
    Die letzte Grazer Parsifal-Inszenierung zeigte eine derartige seltsame, heruntergekommene Gemeinschaft von verwahrlosten Typen, die ganz offensichtlich jegliche Existenzberichtigung verloren haben. Man kann das bis zu einem gewissen Grad als interpretatorischen Freiraum argumentieren, aber die herrliche Musik Wagners suggeriert mir diametral gegensätzliches, es passte die Optik für mich überhaupt nicht zur Musik. Natürlich befinden sich die Gralsritter am Beginn des Stückes in einer existenziellen Krise, aber sie sind wohl kaum verlotterte Typen, die sich in einer heruntergekommenen Spelunke besaufen. Und wenn der Karfreitagszauber erklingt und ich eine kahle und einsame Winterlandschaft sehe, während die geknickten Gestalten über die Bühne marschieren, fällt mir dazu nichts anderes ein, als dass der Regisseur besser in Zukunft die Opernbühne meidet, da er offenbar kein Gespür dafür hat, was er einer Musik zumuten kann.


    Auf die Gefahr, dass ich genau das mache, nämlich ein isoliertes Detail ohne Kontext zu kritisieren: Es ist doch völlig offensichtlich, dass die Gralsgemeinschaft "heruntergekommen" ist, seit Amfortas Siechtum. Daher warten sie doch auf den erlösenden reinen Tor. Das so darzustellen wie Du schilderst, mag ein wenig platt sein, aber was suggeriert denn deiner Ansicht nach die "herrliche Musik"? Eine im Grunde verfaulte Gemeinschaft, die nach außen hin den schönen Schein wahrt? Ein im Grunde intakte Gemeinschaft, die ein kleines, lösbares Problemchen hat? Das entspricht wohl noch weniger dem Text. Und dass es mit der Gralsgemeinschaft auch vorher nicht so toll bestellt war, könnte man z.B. aus der Anfälligkeit der Helden für Klingsors Versuchungen schließen...usw. Es ist unmöglich, nicht zu interpretieren. ohne es gesehen zu haben, scheint mir das von Dir vorgebrachte Detail jedenfalls keine krasse oder willkürliche Fehldeutung, die den Schluß im letzten Satz rechtfertigen würde.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Salut,


    Zitat

    Original von der Lullist
    Mir hat dieses Erlebnis aber letzlich gezeigt was ich wirklich will:
    Ich will ständig neue Sichtweisen.


    neue Sichtweisen ist nicht das, was ich benötige. Die Libretti lassen verschiedene Sichtweisen ja teilweise gar nicht bzw. nur mit roher Gewalt zu. Abwechslung wünsche ich hingegen schon. Kostüme können sehr vielfältig variieren: Wieviele geniale Papagenokostüme kann man erfinden? Und da sind die heutigen Macher im Phantasyzeitalter wirklich erstklassig! Aber ein Papageno im blauen Müllsack? Solche Dinge lehne ich ab! Allerdings spricht auch nichts gegen eine Verballhornung - auch das gab es ja bereits zu Lebzeiten der Komponisten - das ist eben bewusst "lustig", unsinnig - zum Lachen eben. Aber ernsthaft kann ich soetwas nicht als gültige Inszenierung betrachten.


    Zitat


    (Ich gehöre auch zu denen die gerne noch etwas denken wollen - Fertigfutter lehne ich ab).


    Libretti, wie z.B. das der 'Zauberflöte' bieten dem Zuschauer/-hörer jede Menge Gelegenheit, sich Gedanken zu machen. Vor, während und nach der Oper. Ich brauche aber keine Aussage, die sich jemand anderes ausdenkt. Erstens komme ich zu gegebener Zeit selbst darauf und zweitens ist ja gerade diese Art der "Interpretation" Fertigfutter im Deinem Sinne, nicht?


    Zitat

    Man bedenke - gerade in der Opera Seria war es doch so, dass die Sänger sich so gut wie nicht bewegten und mehr singende Statuen als Schauspieler waren - will man sowas wirklich sehen ?
    Prächtig kostümierte Sänger vor noch prächtiger Kulisse - ohne jegliche Bühnenaktion ?
    Die Kostüme ließen ja wohl kaum größere Bewegungen zu.


    Die Seria ist ganz klar ein "Spezialfall". Es waren zumeist Huldigungsopern für Großmächtige der Zeit. Die Handlung ist hier wirklich nur zweitrangig zu betrachten - ein meist einfaches Grundgerüst, was durch jede Menge Zutaten [ = Anlässe für Arien] schnell verwirrend wirkt. Wichtig hingegen ist die Aussage der Handlung, die aber meist eh zu dieser Zeit bekannt war und auf den Gehuldigten passt. Wo keine Handlung ist, braucht auch keine "Bewegung" sein. Lieber habe ich in solchen Fällen tatsächlich "steife" Interpreten, als solche, die völlig sinnlos auf der Bühne herumtapsen und den Musikgenuss als Verherrlichung des Textes, denn darum geht es dabei, stören. Die Action einer Seria kommt meist ganz automatisch, wenn "il ferro" ins Spiel kommt.


    Was Herbert zuletzt schreibt, ist natürlich grundlegend richtig. Andererseits muß man verstehen, dass das sich auch ins genaue Gegenteil verkehren kann und durch das Angebot von HIP-Inszenierungen [ich nenne es jetzt mal so] dieses Genre bei der heutigen Jugend erst recht als verstaubt und verzopft gelten kann. Ich halte allderings den Sachverstand und das INteresse - das ich voraussetze - einfach dagegen.


    Liebe Grüße
    Ulli

    Cnusper, cnusper, cnasam, qui cnusperat meam casam?
    (Hexa dixit)

  • Zitat

    Original von der Lullist
    Einigen Opernstoffe eignen sich recht gut für zeitgemäße Sichtweisen, andere weniger.
    Gerade mein Hausgott Lully - wie will man bitteschön ein Lobhudelei Prolog auf Louis XIV auf Heute übertragen ?
    Das wär mal spannend, aber ich befürchte da streicht man diesen Teil lieber....


    Konkret dazu kann ich nichts sagen, aber viele Barockopern (z.B Händels Cäsar) sind ja keineswegs bloße Huldigungen an Herrscher, sondern haben Elemente eines "Fürstenspiegels", eben der faire, großmütige, tapfere Cäsar gegenüber dem verschlagenen, lüsternen, fiesen Tolomeo. Die Politik ist also immer schon drin gewesen und wird nicht erst von (bösen, linken, Soffjetfinanzierten) modernen Regisseuren hineingebracht.


    Zitat


    Am spannensten finde ich die Verknüpfung zwischen Historismus und moderner Sichtweise. z. B. Wernickes Inszenierung der Calisto (Cavalli) ist einfach genial gewesen - das war witzig, beindruckend, der Sache absolut gerecht und ließ viel Raum für Phantasie.


    Ich glaube nicht, dass es Zufall ist, dass die wirkliche Renaissance der Barockoper erst in den letzten Jahren stattfand, weil sie Raum für Phantasie, Spielerisches und inszenatorische Freiheiten lassen (und weil anders als bei Repertoireopern kein verbreitetes Vorverständnis der Bornierten, "wie es eigentlich richtig ist", besteht).


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von der Lullist
    Mir fällt auf, dass sehr viele Taminos recht "totalitär" entweder zur einen oder zur anderen Seite hintendieren.


    Lieber Matthias,


    Dein Beitrag habe ich mit Interesse gelesen. Ein Satz hat bei mir ein Aha-Erlebnis wachgeschüttelt. Du schriebest


    Zitat

    Dann wär das Publikum zwar immer noch am Maulen ( à la "der Stuhl ist vom Design aber 30 Jahre zu früh....)


    Du deutest da was an, worüber - soweit mir bewußt - hier nicht geschrieben wurde. Deine Bemerkung bedeutet, daß Du den Besuchern Allgemeinbildung zumutet.


    Ist es vielleicht nicht ein Teil des Problems, daß gerade diese Bildung immer mehr verflacht ?
    OK, Don Juan lebte - wann war das ? im 16. Jhdt? im 17. Jhdt? - so ungefähr weiß man es. Aber das bedeutet dagegen vieles für Inszenierung. Oder sogar noch mehr. Um die Oper erst recht verstehen zu können
    Waren es nicht die Jacobiner, die etwas blaues auf ihrer Kleidung trugen um sich zu unterscheiden. Bei uns hatte man jedenfalls eine Zeit, wo die eine Seite die "Perücken" genannt wurde, und die andere Seite (der Pöbel) die Farbe orange trug.


    Wenn da dann eine Oper, die sich im 18. oder 19. Jhdt abspielt, in en strengen, kalten, hypermodernen Inszenierung gebracht wird, muß einer dann eigentlich nicht erstaunt sein, wenn diese Oper keinen Erfolg hat.


    Nicht umsonst wurden Opern früher oft von der Zensur verboten. Weil sie aktuelle Tatsachen andeuteten. Wer kaum Geschichte und Kultur in der Schule lernte, versteht solche Anspielungen nicht.
    Und versteht erst recht nicht was eine gute Inszenierung bedeuten kann.


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von lohengrins



    Als ich im April in der Wiener Staatsoper den Tristan erleben durfte, waren mir Bühnenbild und Regie relativ gleichgültig. Es tat beides nicht weh.


    Ich will nicht pathetisch sein und von Weh sprechen, aber mich haben Bühnenbild und Regie die ganze Zeit gestört, und der Liebestod sitzend am Tisch, nein danke. Die einzig schönen Minuten waren im zweiten Akt, als das Paar im Dunkeln vor dem Vorhang nebeneinander die Nacht besang, da war nämlich die Akustik wieder in Ordnung und die störende Optik von dieser Produktion ausgeblendet.


    Manchmal - vor allem bei solchen Stellen wie dem Liebestod - wünschte ich mir eine weite leere Bühne ohne irgendwelche Badewannen, Klomuscheln, Barhocker oder sonstig unschönes Gerümpel, und eine (auch farblich) gut durchdachte Beleuchtung. Hat es das früher nicht öfter gegeben, dass die Regisseure und Bühnenbildner ein Gespür für "Raum" und Licht hatten?

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Noch einige Bemerkungen zum Thema "konservative" Aufführungen.


    Selbstverständlch sind auch sogenannte "konservative" Aufführungen einem Wandel unterworfen.


    Kein Mensch hätte in den 60er Jahren und später akzeptiert, daß die Sänger statish an der Rampe ihre da capo Arie ablieferten. Insoweit haben wir uns von "originalen" Aufführungen schon entfernt.


    Man begann auch drauf zu achten, daß die Sänger MÖGLICHST typgetreu besetzt wurden - aber im Gegensatz zu heute - war die Stimme noch immer wichtiger als bühnengerechtes Aussehen.


    Hier wird es IMO IMMER eine Diskrepanz geben: Der gutaussehende Jüngling mit stimmlichen Mittelklassequalitäten, - vs der brillatn singende Tenor mit dem Gewicht eines Mittelklassewagens. Das war schon immer so.


    Ich würde sagen: der goldene Mittelweg wäre anzustreben.....


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    Zitat

    Es wird für beachtlich viel Geld so viel Schindluder getrieben. Welche Instanz gibt es denn wirklich, dem Einhalt zu gebieten, vor allem auf großen Bühnen?


    Das Publikum.
    Bis dato hatte das Publikum kaum Macht. An allen Ecken und Enden
    hatten die "Modernisierer" ihre Gefolgsmänner - vor allem dort wo über Subventionen entschieden wurde.
    Das Geld für Subventionen ist nun fast alle. Die Resourcen sind verbraucht. Diejenigen die die Oper kaputtmodernisiert haben werden in den nächsten Jahren mit einem Szenarium konfroniert werden, das sie fürchten wie der Teufel das Weihwasser.
    Einerseits schwindende Besucherzahllen - andrerseits restriktive Subventionspolitik. Dazu kommen Medien, wie Tamino (wir sind inzwischen im deutschen Sprachraum viel gelesen) wo auch Dinge geschrieben werden (dürfen) die nicht dem "verordneten Zeitgeist" eintsprechen. Wie der Würgegriff einer Garotte zieht sich die Schlinge langsam aber sicher zu - und nimmt dem Regietheater -anfangs kaum merklich - aber umso sicherer - ihre Existenmöglichkeit, bis es nach einem erlösenden Röcheln verstummt.


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    Ich möchte hier zwei Inszenierungen erwähnen, die die meisten von uns kennen sollten.


    Es handelt sich (wie bei mir nicht anders zu erwarten) um ein Werk Mozarts: "Le nozze di Figaro"


    Beginnen wir mit der Ponnelle Inszenierung unter Böhm für die Vidieo eingespielt und mit anderer Besetztung ab 2007 wieder an der Wiener Staatsoper zu sehen.



    und vergleichen wir mit der Pariser Einstudierung des Théâtre des Champs-Elysées:



    Aus meiner Sicht sind beides noch "klassische" Inszenierungen, wenngleich die Unterschiede unübersehbar sind.


    Die Ponelle Inszenierung bietet "Große Oper" mit wunderschönen Bühnenbildern und ebensolchen Kostümen. Die Aufführung (zumindest hene die uns auf Video erhalten ist) ist von feinem ironischen Humor gekennzeichnet. Leute die kein Sensorium für feine Zwischentöne haben, werden das wahrscheinlich nicht einmal bemerken.


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    Die Inszenierung aus Paris ist ausstattungsmäßig viel spartanischer ausgefallen und befindet sich (zumindest was das Bühnenbild angeht) genau an jener Grenze die ich - gerade noch - toleriere.
    Die Kostüme sind ansprechend - wenngleich stilisiert.
    Alles in allem wirken die Figuren ein wenig wie aus der "Commedia dell´Arte" - aber das ist wahrscheinlich gar nicht mal so falsch. Die Personen bekommen mehr Profil, sind bissiger, giftiger, dümmlicher, boshafter. Alles wirkt leicht überzeichnet (man beobachte nur den boshaft-Verschlagenen Gesichtsausdruck der Mädchen, die dem Grafen das Ständchen bringen.... :hahahaha: ) Alles in allem eine gelungene Alternative mit (vermutlich) entscheidend weniger Kapitaleinsatz - und in einigen Punkten der berühmten Vergleichsaufnahme vielleicht sogar überlegen. Beaumarchais schimmert hier besser durch.


    Jedoch - bei aller Freiheit - es bleibt die Einheit von Zeit und Raum erhalten - die Story wird nicht angetastet und nach Belieben umgedeutet.
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    Wenn wer "Regietheater praktizieren will - von mir aus.
    Dann soll er es aber schon auf dem Programmzettel deklarieren - damit man fernbleiben kann - und soll es gefälligst aus eigener Tasche finanzieren. Für sowas sollte der Staat kein Geld verplempern.


    mit freundlichen
    Grüßen aus Wien
    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Danke, Edwin, für deine plausible Erklärung!
    Ich bin schon neugierig, ob sich das noch weiter entwickelt, dieses Phänomen des Herumreichens von ausgeflippten Regisseuren, mit manchen geht das ja schon seit Jahrzehnten.


    Mir fällt fast nichts ein, was mir in Wien in den letzten 10 Jahren so richtig gut gefallen hätte, ich gehe ja auch nur noch selten in die Oper. Die Meistersinger an der Volksoper (die es schon länger als 10 Jahre gibt) haben von Christine Mielitz eine tolle Personenregie, in Kombination mit dem Einsatz der Drehbühne und sogar dem Orchestergraben ergaben sich oft geniale Momente, szenisch wie optisch. An der Staatsoper haben mir Parsifal (Mielitz) und Daphne (Nicolas Joel/Pet Halmen) sehr gut gefallen in jeder Hinsicht - drei spannende, ästhetische, und auch optisch ansprechende Inszenierungen, die mit der Musik eine Einheit ergeben.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Eine solche Tristan-Inszenierung, wie sie untenstehend herbeigesehnt wurde, habe ich um 1980 herum erlebt, und zwar im provinziellen Aachener Satdttheater. Dort hatte der Regisseur sehr einfühlsam mit dem Licht gearbeitet und ansonsten auf jegliche Mätzchen verzichtet. Das Bühnenbild war äußerst sparsam gehalten, und man konnte sich richtig auf den Kern dieser so unglaublich berührenden Oper konzentrieren.
    Drei oder vier Jahre später habe ich den Tristan in München besucht, und da hat er mir trotz deutlich besseren Sängern insgesamt viel weniger Eindruck gemacht.
    Ich fürchte allerdings, daß ich eine Inszenierung, die nur annähernd an die Aachener heranreicht, nie mehr in meinem Leben sehen werde...


    Inzwischen bin ich nach einem Opernabend jedesmal froh, wenn das Stück durch die Szene nicht allzu krass entstellt und gestört wurde. Die Hoffnung, in der Oper noch einmal diurch eine gewisse Einheit von Inszenierung, Musik und Text im Sinne des Komponisten richtig gefesselt zu werden, habe ich weitgehend aufgegeben.


    Resignierte Grüße


    Bernd



    Zitat

    Original von Melot1967


    Manchmal - vor allem bei solchen Stellen wie dem Liebestod - wünschte ich mir eine weite leere Bühne ohne irgendwelche Badewannen, Klomuscheln, Barhocker oder sonstig unschönes Gerümpel, und eine (auch farblich) gut durchdachte Beleuchtung. Hat es das früher nicht öfter gegeben, dass die Regisseure und Bühnenbildner ein Gespür für "Raum" und Licht hatten?

  • Zitat

    Original von Melot1967


    Manchmal - vor allem bei solchen Stellen wie dem Liebestod - wünschte ich mir eine weite leere Bühne ohne irgendwelche Badewannen, Klomuscheln, Barhocker oder sonstig unschönes Gerümpel, und eine (auch farblich) gut durchdachte Beleuchtung. Hat es das früher nicht öfter gegeben, dass die Regisseure und Bühnenbildner ein Gespür für "Raum" und Licht hatten?


    Jedenfalls erzielte der erste (?) Regisseur, der die "leere Bühne" brachte (nämlich Wieland Wagner) meines Wissens ähnliche Reaktionen wie heute die mit Hühnerblut agierenden Inszenierungen....


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Was mich stört sind weniger "moderne" Bühnenbilder, als die Tatsache, daß die sprachliche Fassung des Librettos konträr zu den Charakteren auf der Bühne wirken kann.
    Eine Sprache, der man sich bspw. vor 3. Jhd. bedient hat, transportiert nicht nur die semantische Ebene, sondern verät auch etwas über damalige Gepflogenheiten, Lebensumstände und einen Lebensstil.
    Wenn sich dann Mafiabosse oder Bordellbesitzer - ich behaupte mal nicht die empfindsamsten Wesen dieser Erde, auf der Bühne in einer hochkultivierten Sprache ausdrücken, die eine damals aktuelle Empfindsamkeit ausdrücken, so finde ich das meist befremdlich.


    Ein Beispiel, obwohl keine Oper: Der Film "Romeo und Julia" mit diCaprio und Konsorten.
    Das ganze einfach in die heutige Zeit transponiert, mafiöse Strukturen, aber Shakespaersche Sprache.
    Also, ich finds skurill. Und vor allem unglaubwürdig....


    LG
    Wulf.

  • Ich glaube, wir verlieren in der Diskussion ein wenig den Boden unter den Füßen. Der Grund ist, daß wir die "modernen Inszenierungen" über einen Kamm scheren - was aber eine Vermengung ergibt. Mir fällt das jetzt auf, weil Melot und ich bezüglich des Mielitz-"Parsifals" in Wien übereinstimmen und ich weder ihn noch mich als Parteigänger des Regietheaters einstufen würde.


    Ich glaube, man muß unterschweiden zwischen Inszenierungen, die
    a) lediglich die Regieanweisungen umsetzen
    b) ein Werk interpretieren
    c) ein Werk umdeuten


    Was mich betrifft: Gegen a habe ich ebensoviel wie gegen c. Regieanweisungen umsetzen ist zwar für den Regisseur und das Publikum am bequemsten, ich halte es aber nicht für einen intelligenten Umgang mit dem Werk. Es bedarf auch keiner Neuinszenierungen, denn mir persönlich ist es ziemlich gleichgültig, ob ein Auftritt von links oder von rechts erfolgt, ob Siegfried die Hände in die Hüften stemmt oder zum Himmel reckt - diese Form des Musiktheaters ist in meinen Augen vorbei.


    Was ich gegen die Umdeutung eines Werkes habe, habe ich bereits ausgeführt. Ich halte es für nicht legitim und für wenig bühnengerecht obendrein. Nicht legitim, weil ich ja auch nicht Goethes Werther auf einen Homosexuellen-Roman im Nazi-Milieu umschreiben únd ihn als "Von Goethe" auf den Markt bringen kann. Das wäre nämlich ein Schwindel.
    Nicht bühnengerecht, weil eben die berühmten Holzhammer-Methoden notwendig sind, um dem Publikum zu erklären, was der Regisseur meint. Im Text steht schließlich nichts davon.


    b halte ich für den besten Weg. Er läßt eine Bandbreite zu von den bildmagischen Inszenierungen eines Jean Pierre Ponnelle bis zu den intellektuellen Deutungen eines Chéreau oder einer Mielitz (die freilich auch echtes Regietheater absondern kann, wenn sie der feministisch-kommunistische Furor packt und sie den "Holländer" zum Klassenkampfstück ummodelt).


    Wie dem auch sei - nur im Fall c, also der absichtlichen Umdeutung eines Werkes, eventuell sogar gegen das Werk selbst, würde ich von "Regietheater" sprechen. Der Fall a wäre für mich "konventionelle Opernregie", der Fall b "moderne Opernregie".

    ...

  • Zitat

    Original von Bernd Schulz
    Dort hatte der Regisseur sehr einfühlsam mit dem Licht gearbeitet und ansonsten auf jegliche Mätzchen verzichtet. Das Bühnenbild war äußerst sparsam gehalten, und man konnte sich richtig auf den Kern dieser so unglaublich berührenden Oper konzentrieren.


    das ist eine interssante Bemerkung über Opernregie...
    ich habe in der Met einen Rosenkavalier erlebt, in dem ständig irgendeine Slapstick-Nebenhandlung gespielt wurde - im Ersten Akt vor allem vom verkleideten Oktavian, im zweiten von den Lerchenauischen Bediensteten...Mir wars zuviel, es hat mich abgelenkt und eher gestört.


    Das Problem wird darin bestehen, nicht in Extreme zu verfallen... die früheren "Stehopern" möchte ich mir gar nicht vorstellen - ohne jede Aktion auf der Bühne


    NIcht ideal finde ich die Bewertung als Mätzchen etc. gerade den Tristan könnte man doch noch besser konzertant aufführen, da spielt sich doch sowieso nichts ab - und man kann sich noch besser konzentrieren... ;)

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Hallo, fand diesen Text, leider nur in englisch, hervorragend zum Thema passend.


    << How to Opera Germanly:



    1) The director is the most important personality involved in the


    production. His vision must supercede the needs of the composer, librettist,
    singers and especially the audience, those overfed fools who want to be
    entertained and moved.


    2) The second most important personality is the set designer.


    3) Comedy is verboten, except when unintentional. Wit is for TV watching
    idiots.


    4) Great acting is hyperintensity, with much rolling and the ground, groping
    the wall and sitting on a bare floor.


    5) The audience’s attention must be on anything except the person who is
    singing. A solo aria, outmoded even in the last century, must be accompanied
    by extraneous characters expressing their angst in trivial ways near, on or
    about the person singing the aria.


    6) Storytelling is anathema to the modern director, like realistic
    “photographic” painting is to the abstract painter. Don’t tell the story,
    COMMENT on it! Even better, UNDERMINE IT!


    7) When singing high notes, the singer must be crumpled over, lying down or
    facing the back of the stage.


    8 ) The music must stop once in awhile for intense, obscure miming.


    9) Sexual scenes must be charmless and aggressive. Rolling on the floor a
    must here.


    10) Unmotivated homosexual behavior must be introduced a few times during
    the evening.


    11) Happy endings are intellectually bankrupt. Play the opposite. Insert a
    sudden murder if at all possible.


    12) Avoid entertaining the audience at all costs. If they boo, you have
    succeeded.


    13) Rehearse it until it’s dead. Very important.


    14) Any suggestion of the beauty and mystery of nature must be avoided at
    all costs! The set must be trivial, contemporary and decrepit! Don’t forget
    the fluorescent lights! (Klieg lights also acceptable.)


    15) The audience must not know when to applaud or when the scene/act ends.


    16) Historical atrocities such as the Holocaust or the AIDS epidemic must be
    incorporated and exploited as much as possible. Also the lifestyle of the
    audience must be mocked.


    17) Colors are culinary. Black, white and gray only!


    18 ) The chorus must be bald, sexless, faceless and in trench coats.


    19) If the audience is bored, this is art.\


    20) Props are items of junk piled in a corner of the set. They must be
    overused pointlessly, then dropped on the floor, hopefully when the music is
    soft. Be careful to keep dangerous objects at the lip of the stage so the
    blindfolded dancers can kick them into the pit.


    21) All asides must be sung next to the person who is not supposed to hear
    them.


    22) The leading performers faces must be painted as a white mask to ensure
    no individuality or variety of expressions, as opera singers can’t act
    anyway. They just want to pose and make pretty sounds.


    23) Preparation is important. Try to read the libretto in advance to make
    sure it doesn’t interfere with your staging ideas. Not much harm in
    listening to the CD once, though that’s not really your job.


    24) Make the conductor feel useful, though he’s really a literal minded
    hack.


    25) The stage director must avoid any idea that is not his own, though that
    idea will surely be on this list already.


    26) A costume must serve at least two of the following criteria: a) Make the
    singer look unattractive b) Obscure his vision c) Make hearing the orchestra
    difficult d) Impede movement d) Contradict the period in which the opera is
    set (hardly worth mentioning) >>

  • @Maddalena Coigny


    Willkommen im Forum!
    :hahahaha: der Text gibt ja genau das wieder, was wir bei unserem nächsten Fernseh-Opern-Abend von den Festspielen sehlichst herbeiflehen :hahahaha:
    Ich glaube, meinen Traumberuf gefunden zu haben: Solche Inszenierungen will ich machen :baeh01:


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • @ Barezzi:
    Danke für das nette Willkommen. :hello: Solche Inszenierungen waren und sind immer mein Traum :P :baeh01: Wie gut, daß wir damit derzeit so reichlich gesegnet sind. :jubel: :jubel: :jubel: