Jessye Norman - Sängerin besonderer Art

  • Heute in der Tagesschau fiel der Satz: "Die Sängerin war vor allem als Wagner-Interpretin bekannt." Diesen Satz finde ich unzutreffend.

    Ist er wohl auch, aber das "Problem" wird sein, dass sich die meisten Leuten darunter immerhin noch etwas vorstellen können - und wenn es die flügelbehelmte Matrone ist ... Mit dem Verweis beispielsweise auf die großartige Strauß-Interpretin oder Lied-Sängerin wird es da schon deutlich schwieriger :hello:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Ein unersetzlicher Verlust für die Opernwelt!


    Als ich heute früh bei t-online.de die Schlagzeile las "Berühmte Operndiva gestorben" war mein erster Gedanke: O Gott, Leontyne Price!


    Aber eine fast 20 Jahre jüngere Künstlerin war gemeint: Jessye Norman.

    Eine Nachricht, die traurig stimmt!


    R.I.P.


    Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

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  • Anlässlich des Todes von Jessye Norman

    Jessye Normans herausragende gesangliche Kompetenz als Liedinterpretin, - hier ist sie zu vernehmen:




    Der Kontrast, den Schubert in die Deklamation der melodischen Linie der Mädchen- und der Todesstrophe gelegt hat, wird von ihr auf hoch ausgeprägte und deshalb tief berührende Weise herausgearbeitet. Geradezu heftig, die von Schubert auf der Grundlage von „mäßig“ mit „etwas geschwinder“ vorgegebene Vortragsanweisung nicht als Moderato, sondern eher als Allegro nehmend, treibt sie die melodische Linie in ihren Sekundsprüngen und Tonrepetitionen zu dem hohen „D“ empor, lässt das harmonisch verminderte Cis auf „Knochenmann“ durch Akzentuierung des repetierenden Tones deutlich vernehmen und steigert diese Expressivität noch, indem sie die mit einem Crescendo versehene Dehnung auf dem hohen „Es“ bei „bin“ stark hervortreten lässt. Die nachfolgende zweifache Fallbewegung bei den Worten „und rühre mich nicht an“ entfaltet aus diesen Gründen umso stärker anrührende Kraft als Ausdruck tiefer Todesangst. Dies auch deshalb, weil sie die in d-Moll harmonisierte gedehnte Tonrepetition auf dem zweiten „rühre“ in der Stimme zurücknimmt und in das tiefe „E“ auf „an“ am Ende ein leichtes Zittern legt.

    Dann das tief beeindruckende, pianissimo und mezza voce vorgetragene geradezu endlose Verharren der melodischen Linie auf den tonalen Ebenen eines „D“ und eines „F“ in der Todesstrophe. Fast in die klangliche Fahlheit nimmt sie da ihre Stimme zurück, so dass die sorgfältig artikulierten Worte und Silben geradezu überdeutlich hervortreten und der Ansprache-Gestus große Suggestivität entfaltet. Immer stärker lässt sie die melodische Linie ersterben, bis hin zu dem Versinken in der abgründigen Tiefe eines grenzenlos fahlen „D“ im Quintfall auf dem Wort „schlafen“.
    Das ist großer Liedgesang!

  • Eine meiner liebsten CDs mit Schubert Aufnahmen stammt von Jessye Norman.

    "Der Zwerg" D. 771 wird zu einem Seelendrama. Ihre besondere Liebe galt dem Liedgesang. Wer diese Aufnahme und weitere von Mahler- und Brahms-Liedern kennt, weiss, wie hoch ihr Rang als Liedsängerin einzustufen ist. Das ist grosse Kunst.

    Helmut Hofmann hat mit seiner Besprechung der Interpretation von "Der Tod und das Mädchen" eine ihr gebührende Ehrung bereits vorgenommen, dem nichts beizufügen ist.


    1968 begann übrigens ihre Karriere in Europa mit dem 1. Preis im anspruchsvollen ARD-Musikwettbewerb. Bemerkenswert und erfreulich finde ich, dass sie als Schwarze zu einer Zeit, als dies nicht selbstverständlich war, tragende Opernrollen auf den Opernbühnen der Welt sang. Englisch, deutsch, französisch, italienisch und russisch sprach sie auch, was ihren Interpretationen anzuhören ist.



    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Hallo!


    Durch sie habe ich zu den Vier letzten Liedern und im Grunde genommen zur klassischen Musik gefunden:



    Gruß

    WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Ich habe es erst in der Tagesschau vernommen und bin sehr traurig. Ich schätzte sie gleichermaßen als Opern- und Liedsängerin. Ich werde sie noch einmal hören und sehen in einer Partie, in der ich sie unerreicht fand, und zwar in der Mezzisopranpartie im Verdi-Requiem 1982 bei den Festspielen in Edinburgh unter Claudio Abbado:

    Hier das Lacrimosa, nicht nur bei Mozart, sondern auch im Verdi-Requiem einer der Höhepunkte und in dieser Aufführung auch dank ihres überragenden

    Gesanges!


    R.I.P.

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Diese Baudelaire-Vertonung von Henri Duparc ist für ihre Stimme und Gestaltungskraft einfach wie geschaffen:



    Diese CD steht bei mir tatsächlich noch ungehört:



    Ich werde sie mir bei nächster Gelegenheit in wehmütig-würdigender Erinnerung zu Gemüte führen.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Eine meiner liebsten Aufnahmen mit Jessye Norman und auch eine meiner liebsten Wagner-CDs im Allgemeinen (auch wegen Klaus Tennstedt):


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    Highlight: Brünnhildes Schlussgesang in opulentester Klanggewalt, passend zu ihrer üppigen Stimme.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hier noch einmal ein Beispiel, wie sie aus einem nun wirklich landauf landab millionenfach gesungenen Lied Schuberts ein Ereignis macht:


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich hatte dieses Brahms-Lied vor wenigen Tagen im "Schlaf in der Musik" Thread gepostet, ohne zu ahnen, dass Jessye Normans unvergleichliche Stimme für immer verstummen wird. Ich hatte mir diese Aufnahme mit Daniel Barenboim am Flügel und dem Bratschisten Wolfram Christ angehört und war von der Interpretation dieses selten zu hörenden Liedes in seiner Wehmut und Sehnsucht tief berührt. Nun sind die letzten Zeilen wahr geworden.


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    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Gestern im TV angesehen - Jessye Norman war 1993 zu Gast in der Talk-Show Boulevard Bio zum Thema "Mythos Primadonna". Die weiteren Gäste dieser Ausgabe waren Lucia Aliberti und Martha Mödl.


    (War Jessye Norman eigentlich nie zu Gast in August Everding's Sende-Reihe Da Capo?)





    Gregor

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  • Danke Gregor für das Einstellen dieses YouTube Film des Interviews mit Alfred Biolek. Solche Sendeformate wie Boulevard Bio gibt es nicht mehr, wird einem bewusst.

    Bewundernswert die Ausstrahlung Jessye Normans, ihre deutsche Aussprache, ihr Humor und ihr gesundes Selbstbewusstsein. Es lohnt am Schluss das Lied von Arnold Schönberg in der Darbietung Jessye Normans anzuhören. (bei 1 h 04 min 15 s). Auch was die beiden anderen Sängerinnen Lucia Alberti (*1957) Martha Mödl (1912-2001) zum Thema Primadonna zu sagen haben, verdient Beachtung. (Man erfährt, welches Lied aus der Unterhaltungsmusik Martha Mödl gerne hörte.)

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • War Jessye Norman eigentlich nie zu Gast in August Everding's Sende-Reihe Da Capo?)

    Nein, war sie nicht, lieber Gregor.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Wie habe ich während der Schulzeit den Erlkönig als Gedicht gehasst, auswendig lernen und dann vor der Klasse vortragen. Das war Folter.

    Aber der Vortrag von Jessye Norman hat mich Jahrzehnte später eines Besseren belehrt, ich liebe ihren Vortrag


    Es grüßt Vera


  • Kennt ihr eigentlich dieses Filmportrait, welches André Heller über Jessye Norman gemacht hat? Es lief gestern im österreichischen Fernsehen und Heller hat hier einen ganz wunderbaren Interview-Film mit der Sopranistin gemacht, in dem Norman über ihren Werdegang, ihre Familie, ihre Arbeit spricht.

    Mit manchen Dirigenten dürfte sie ja Schwierigkeiten gehabt haben. ;)

    Eine kluge Frau, der man stundenlang auch beim Erzählen zuhören könnte. <3

    Sie erzählt hier unter anderem, dass sie am Anfang ihrer Karriere für einige Spielzeiten Ensemble-Mitglied an der Deutschen Oper Berlin gewesen ist. Kann man sagen, wann das genau gewesen ist?


    Sie spricht hier auch über den Tod und wie sie sich vorstellt, ob und was da kommt und wie sie sich ihr eigenes Begräbnis wünscht. Es soll mit Musik von Fauré, Bach und Schubert sein.

    Prädikat: Sehr empfehlenswert! :jubel:





    Gregor

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  • Danke Gregor

    für diesen wertvollen Hinweis auf das filmische Porträt, das André Heller über Jessye Norman gedreht hat.


    Danke operaVera

    Ich habe mir auf arte den Film angesehen. Meine Verehrung für diese Sängerin ist noch mehr gewachsen.


    Übrigens, die Zeile "Ich leb allein in meinem Himmel, in meinem Lieben, in meinem Lied", das die Sängerin ganz am Schluss des Filmes zitiert, stammt aus dem Lied Gustav Mahlers "Ich bin der Welt abhanden gekommen", das er auf ein Gedicht Friedrich Rückerts komponiert hatte.


    Ich bin der Welt abhanden gekommen,

    Mit der ich sonst viele Zeit verdorben,

    Sie hat so lange nichts von mir vernommen,

    Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben!


    Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,

    Ob sie mich für gestorben hält,

    Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,

    Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.


    Ich bin gestorben dem Weltgetümmel,

    Und ruh' in einem stillen Gebiet!

    Ich leb' allein in meinem Himmel,

    In meinem Lieben, in meinem Lied!




    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Liebe Freunde von Jessye Norman, ich höre die grandiose Sängerin gerade wieder vermehrt. Gestern noch ihre Ariadne, heute die Rückert-Lieder. Und sie überwältigt einen förmlich mit ihrer Gesangskunst, ihrer phänomenalen Technik und mit ihrer einzigartigen Ausdruckskraft. Wieso schafft es Norman einen so zu berühren?


    Was war eigentlich ihre Domäne? Das französische Fach oder doch das Lied? Kann man so eine versierte Sängerin überhaupt auf ein bestimmtes Fach festlegen?


    Auch mit der Dalila-Arie - um auf ihr französisches Repertoire zurückzukommen - fesselt sie einen enorm. Sie ist auch konzertant ganz in ihrer Rolle.

    Am Ende der Arie, als das Publikum schon längst frenetisch applaudiert, ist sie immer noch ganz in ihrer Interpretation. Wie hypnotisiert steht sie da, und es dauert dann noch einige Sekunden bis sie "erwacht", wieder ganz sie selbst ist, und ihr jubelndes Publikum wahrnimmt.





    Gregor

  • Viel kann ich nicht von Jessye Norman's Sieglinde finden, eine ihrer hervorragenden Wagner-Partien.

    Es finden sich nur Walküre-Schnipsel. Immerhin. Eine Gesamtaufnahme ihrer Sieglinde gibt es wohl leider nicht.


    Hier zumindest sogar visuell:




    Gregor

  • Eine Gesamtaufnahme ihrer Sieglinde gibt es wohl leider nicht.

    Durchaus gibt es die, lieber Gregor.


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    1987 unter James Levine im Studio. Als DVD auch die von Dir schon gezeigte live aus der Met.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Eine Gesamtaufnahme ihrer Sieglinde gibt es wohl leider nicht.

    Doch, der gesamte Levine/Schenk-Ring aus der MET ist auf DVD erschienen:



    Auch meine Verehrung für Jessye Norman hat mich allerdings nicht dazu bewegen können, mir diese grauenhafte Inszenierung anzuschauen.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

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  • Als Tondokumente gibt es bei YT den ersten Akt der Walküre mit Norman, Vickers und Howell vom Tanglewood Festival unter Ozawa von 1979. Dauer 1:07:28. Bei Operapassion als CD erhältlich.

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Zu "grauenhaft" fielen mir persönlich andere Beispiele ein, wie sie derzeit häufiger im Forum auftauchen. Aber eine gewisse unfreiwillige Situationskomik ist bei Hundings "Wie gleicht er dem Weibe!" nicht zu leugnen, welches Kurt Moll anstimmt, als er Gary Lakes neben Jessye Norman erblickt. :pfeif:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Die Sieglinde im ersten Aufzug von Wagners "Walküre" hat sie konzertant mehrfach gesungen. Drei Mitschnitte sind mir bekannt:


    Sieglinde: Jessye Norman

    Siegmund: Robert Schunk

    Hunding: Marius Rintzler

    London Philharmonic Orchestra

    Conductor: Klaus Tennstedt

    Broadcast, London 25. Oktober 1981


    Sieglinde: Jessye Norman

    Siegmund: Jon Vickers

    Hunding: Gwynne Howell

    Boston Symphony Orchestra at Tanglewood Festival

    Conductor:Seiji Ozawa

    Broadcast August 1979



    Sieglinde: Jessye Norman

    Siegmund: Jess Thomas

    Hunding: Thomas Paul

    Milwaukee Symphony Orchestra

    Conductor: Kenneth Schermerhorn

    Broadcast recording 1980




    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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