Zyklus der Verzweiflung - Schuberts Winterreise


  • Liebe F.Q.,


    damit sind wir uns absolut einig - siehe mein Zitat oben:
    "Die Einschätzung DFDs "Leistung für das Lied" mag...sogar als falsch widerlegbar sein..." Auch ging es mir überhaupt nicht darum, irgendjemanden vom Gegenteil zu überzeugen (warum auch?). Ich wollte lediglich auf den Reflex reagiern, große Künstler aufgrund ihres Rangs als unantastbar hinzustellen. So kommt es mir manchmal vor. Meine Reaktion ist genausowenig böse gemeint wie die der FiDi-Verteidiger - so nehme ich es zumindest mal an... ;)
    Beste Grüße
    Accuphan

    „In sanfter Extase“ - Richard Strauss (Alpensinfonie, Ziffer 135)

  • Hallo Winterreisende!


    Theophilus war eine der wenigen, wenn nicht gar der einzige, der auf die Einspielung durch Benjamin Britten und Peter Pears hinwies.


    Ich höre gerade diese Aufnahme, die von vielen Kritiken als eine außerordentliche gepriesen wurde und bin eigentlich ganz angetan. Die Verstädnlichkeit von Pears ist ein (kleines?) Manko, die Intonation manchmal vielleicht nicht ganz sauber, aber mir gefällt die Stimmfräbung von Pears sehr gut. Ausserdem ist das Klavierspiel Brittens exorbitant. Äußerst einfühlsam.


    Mich würde interessieren, wie ihr das seht, die ihr mehr firm seid und mehrere Aufnahmen kennt? Handelt es sich um eine gute unter vielen oder schon um eine aus dem Olymp? Oder gar weder noch - nur Mittelmaß?? Die seltene Nennung verwundert mich.


    :hello:
    Wulf

  • Zitat

    Original von Wulf
    Theophilus war eine der wenigen, wenn nicht gar der einzige, der auf die Einspielung durch Benjamin Britten und Peter Pears hinwies.


    [...]


    Die seltene Nennung verwundert mich.


    Auch wenn man den langen Thread nicht durchlesen will - die meisten Browser haben eine Suchfunktion... :D


    Außer Fischer-Dieskau ist in diesem Thread wohl kaum ein anderer Sänger öfter erwähnt worden als Pears.


    Eine kleine Blütenlese:



    Zitat

    Original von jubal
    Unbedingt Beachtung verdienen folgende Aufnahmen der Winterreise:


    - Peter Pears, von Benjamin Britten höchstselbst am Klavier begleitet. Der englische Tenor singt so ausdrucksstark und einfühlsam, daß manche der Meinung sind, diese Winterreise wäre die großartigste überhaupt. Ach, wäre da nicht das Problem der Aussprache...



    Zitat

    Original von Heinz
    Die großartigste überhaupt, ja, finde ich auch!


    Die Aussprache ist ein Problem? Wieso das denn? Ich finde, Peter Pears hat eine sehr gute, deutliche Aussprache. Daß er ganz selten mal ein Wort falsch ausspricht, kann man ihm nun wirklich nicht übelnehmen.



    Zitat

    Original von Theophilus
    Auch Peter Pears habe ich gehört, und er hat mir gut gefallen.



    Zitat

    Original von Cosima
    Beim ersten Anhören daheim dann die große Überraschung: Pears und Britten sind m.E. ein fantastisches Team (die kleinen Aussprachefehler stören mich übrigens überhaupt nicht). Aber nicht nur das: Es ist unglaublich ergreifend, wie diese geschundene Seele durch die Winterlandschaft wandert; so voller Einsamkeit, Leid und Schmerzen. Sie vermag zwar noch einige Hoffnungsschimmer wahrzunehmen, am Ende fügt sie sich jedoch in die Vorstellung, dass nur der Tod Erlösung bedeuten kann.



    Zitat

    Original von Johann Nepomuk
    Abraten möchte ich jedem die Aufnahme mit Peter Pears und Benjamin Britten. Man merkt meiner Meinung nach zu deutlich, daß Britten halt was für Pears tun wollte und ihm zum Auftritt verhalf. Oder gibt es tatsächlich jemand, der diese Aufnahme bevorzugt?



    Zitat

    Original von Johannes Roehl
    In jedem Fall sollte man als Ergänzung mindestens eine Einspielung mit einem Tenor haben, zB die schon erwähnte historische mit Anders/Raucheisen (DG) (oder zur Not halt Pears :wacky: )



    Zitat

    Original von alfons
    Die Pears/Britten-Winterreise gehört zu meinen Favoriten, auch wenn sie nicht die "für alle Ewigkeiten gültige" Interpretation ist (aber kann das überhaupt eine Einspielung dieses so vielschichtigen und vieldeutigen Werkes sein?) - ebenso schätze ich sehr hoch Roman Trekel/Ulrich Eisenlohr, höher als einige der Aufnahmen des von mir verehrten Dietrich Fischer-Dieskau.



    Zitat

    Original von Fairy Queen
    aber was Bostridge aus diesem Werk gemacht hat: ein gelangweilter Dandy hat Liebeskummer und suhlt sich darin. Nichts von echter Verzweiflung, ncihts Authentisches. :no:
    Wie anders dagegen Peter Pears oder Preghardien, auch Tenoere!



    Zitat

    Original von fio
    Ich schätze sehr die Aufnahme von Olaf Bär (mit Geoffrey Parsons), eine schöne Stimme voll Eindringlichkeit.
    Ebenso die Aufnahme von Peter Pears mit Benjamin Britten. Abgesehen davon, dass man hier Britten als hervorragenden und einfühlsamen Pianisten kennenlernt, schätze ich an Pears, dass er eher die Musik sprechen lässt als selbst "in denVordergrund zu treten" im Gegensatz zu Schreier, der mit seiner unglaublich wandlungsfähigen Stimme lautierend den Sinn des Textes zu unterstreichen sucht.



    Zitat

    Original von brunello
    Ich habe diesen Liedzyklus unter anderem von Peter Schreier gehört (und dem kann man seine Stärken im Liedgesang sicher nicht absprechen) - es war stilistisch und technisch ausgezeichnet, aber sein heller Tenor stört MICH bei all der Trauer, Sentimentalität und Todesahnung der Lieder (da finde ich Peter Pears mit benjamin Britten am Klavier noch besser, weil er nicht wirklich Schubert singt).



    Zitat

    Original von Eponine
    Gerade Pears hat aber eine ganz hervorragende Einspielung abgeliefert, wie ich finde.



    Zitat

    Original von Gabi
    Das ist aber mal eine interessante und informative Unterhaltung! Angeregt davon hörte ich mir Winterreisen-Ausschnitte von Bostridge und Pears an, deren Aufnahmen ich noch nicht kannte.


    Während Bostridges frische und schlichte Art des Vortrags sehr wohl Gefallen finden kann, verstehe ich die geäußerte Begeisterung für Pears überhaupt nicht. Er macht sehr komische Sachen mit seiner Stimme, nur vereinzelt schöne Töne, meistens knödelt er. Da kann ich nicht lange zuhören!



    Zitat

    Original von Fairy Queen
    Pears mit Britten bilden eine Klasse für sich-das ist einfach kongenial.


    Pears polarisiert, wie man sieht (auch wenn die positiven Urteile stark überwiegen). Die erwähnten Defizite höre ich durchaus - normalerweise fallen bei mir im Liedgesang Sänger mit auch nur leichten Ausspracheproblemen gleich raus (das gilt z.B. auch für Bostridge, obwohl der ebenso wie Pears ein ziemlich gutes Deutsch mit nur ganz leichten Vokalverfärbungen singt). Und sängerische Defizite gibt's bei Pears auch. Aber für mich steht diese Stimme wie keine zweite für diesen Zyklus, ist mit ihm verschmolzen - das kann ich nicht beschreiben, ich kenne die Aufnahme auch schon sehr lange. Britten am Klavier finde oft sehr sensibel, manchmal auch hölzern (Die Wetterfahne) - aber es "passt".


    Bei den winterreisenden Tenören schätze ich sonst den wunderbar verinnerlichten Ernst Haefliger (mit Jörg Ewald Dähler auf einem Brodmann-Hammerflügel) und den stilsicheren und untadeligen Christoph Prégardien (mit Andreas Staier auf einem Fritz-Hammerflügel).



    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo,
    ich habe erst neulich wieder in die Pears/Britten-Aufnahme hineingehört und muss leider sagen, dass mich Pears' "Akzent" doch nachhaltig stört. Es ist einfach so, dass ich einem fremdsprachigen Sänger unterstelle (und herauszuhören glaube), dass er sich mehr auf die Textverständlichkeit konzentrieren muss, als er sich um den emotionalen Ausdruck kümmern kann, der bei diesen Stücken doch enorm wichtig ist. Folglich kommt bei mir überhaupt nichts "rüber" bei Pears' Interpretation.
    Bin immer noch auf der Suche nach einer "tenoralen" Alternative zu meiner Lieblings-Bariton-Interpretation von Prey/Sawallisch und habe diesbezüglich Peter Anders und Peter Schreier weiter im Auge...

    Herzliche Grüße
    Uranus

  • Zitat

    Original von Uranus
    Bin immer noch auf der Suche nach einer "tenoralen" Alternative zu meiner Lieblings-Bariton-Interpretation von Prey/Sawallisch und habe diesbezüglich Peter Anders und Peter Schreier weiter im Auge...


    Lieber Uranus,


    die Aufnahme von Peter Anders kann ich dir wärmstens empfehlen. :angel:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Es gibt allerdings zwei Einspielungen mit Peter Anders.


    P. Anders, Michael Raucheisen, Klav. (1945).


    P. Anders, Günther Weissenborn, Klav. (WDR 1948 ).


    Ich bevorzuge die Aufnahme von 1945.


    Das soll aber keine Empfehlung sein.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Zitat

    Original von Uranus
    Hallo,
    ich habe erst neulich wieder in die Pears/Britten-Aufnahme hineingehört und muss leider sagen, dass mich Pears' "Akzent" doch nachhaltig stört. Es ist einfach so, dass ich einem fremdsprachigen Sänger unterstelle (und herauszuhören glaube), dass er sich mehr auf die Textverständlichkeit konzentrieren muss, als er sich um den emotionalen Ausdruck kümmern kann, der bei diesen Stücken doch enorm wichtig ist. Folglich kommt bei mir überhaupt nichts "rüber" bei Pears' Interpretation.
    Bin immer noch auf der Suche nach einer "tenoralen" Alternative zu meiner Lieblings-Bariton-Interpretation von Prey/Sawallisch und habe diesbezüglich Peter Anders und Peter Schreier weiter im Auge...


    Hmm. bei mir kommt da schon ordentlich was rüber. Ich kann den zwielichtigen Bernd gut verstehen. ;)


    Außerdem glaube ich nicht, daß ein deutsprachiger Sänger sich weniger auf die Aussprache konzentrieren muss. Ganz im Gegenteil, muss er doch darauf achten die Wörter verständlich zu betonen, die ihm in der Alltagssprache vielleicht flüssiger über die Lippen kommen. Beim Erlernen einer fremden Sprache achtet man vermutlich viel instinktiver auf deutliches Aussprechen.
    Peter Pears Darbietung ist eine sehr verinnerlichte, intime Wiedergabe eines verzweifelten Menschen, der allerdings ohne die große theatralische Geste auskommt. Das macht ihn mir - trotz der angsprochenen Mankos - so sympathisch. Von Brittens auf Pears genau justiertem Klavierspiel einmal ganz abgesehen.


    :hello:
    Wulf

  • Hallo ihr Kenner,


    erstaunlich, wieviel da über die Winterreise zusammengekommen ist. Sie war mein erster Kontakt mit Liedern überhaupt. Ich hatte ein intensives Erlebnis in Frankfurt- es waren allerdings zwei Sänger in zerissenen Jeans und Turnschuhen, teils tatsächlich im Schlafsack auf dem Bühnenboden liegend- das war schon ein eigenartiger Kontrast. Findet ihr solche Arrangements für einen "klassischen" Liederabend unangemessen? Ich war überrascht und würde gern wissen, wie die Kundigen zu solchem stehen..


    Ich habe zwei Aufnahmen: die erste mit Dietrich Henschel und Irwin Gage, und dann die wie ich finde, sehr sensible mit Gerold Huber und Christian Gerhaher.



    Liebe Grüße,
    Lilith

    "Der Mensch ist nicht ganz dicht, er entweicht ins Imaginäre." (Bloch?)

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  • Liebe Lilith,


    Zitat

    Original von Lilith
    erstaunlich, wieviel da über die Winterreise zusammengekommen ist. Sie war mein erster Kontakt mit Liedern überhaupt. Ich hatte ein intensives Erlebnis in Frankfurt- es waren allerdings zwei Sänger in zerissenen Jeans und Turnschuhen, teils tatsächlich im Schlafsack auf dem Bühnenboden liegend- das war schon ein eigenartiger Kontrast.


    war das die Inszenierung von Udo Samel vor vier oder fünf Jahren am Frankfurter Schauspiel? Die habe ich leider nicht erlebt.



    Zitat

    Findet ihr solche Arrangements für einen "klassischen" Liederabend unangemessen? Ich war überrascht und würde gern wissen, wie die Kundigen zu solchem stehen..


    Ich bin zwar nicht übermäßig kundig, finde aber szenische Arrangements von Liedern, insb. von Liedzyklen sehr interessant, auch wenn die Gefahr des Scheiterns m.E. groß ist. Die Winterreise ist schon ziemlich häufig szenisch dargeboten worden, u.a. von Christine Schäfer mit Irwin Gage bei der Ruhrtriennale 2002 ("Winterreise im Boxring" mit hohem Videoanteil, hat mich nicht sehr überzeugt). Es hat aber auch "Inszenierungen" der Winterreise von Herbert Wernicke in Basel und von Michael Thalheimer in Berlin gegeben (und sicher noch viel mehr). Ebenfalls 2002 bei der Ruhrtriennale habe ich Die schöne Müllerin, inszeniert von Christoph Marthaler, gesehen, bei der der Müllersbursche sich immer wieder ins Bett flüchtete und sich die Decke über den Kopf zog... Hat mir sehr gefallen!


    Sowas soll den klassischen Liederabend natürlich nicht ersetzen, ist aber m.E. eine echte Alternative. Anscheinend verspüren ja einige Sänger selbst ein gewisses Ungenügen an der traditionellen Darbietungsform. Und auch wenn mir die Kundigen gleich widersprechen werden: Unter den verschiedenen Konzertformen ist der Liederabend mit dem sich am Flügel festhaltenden oder die Hände verschränkenden Sänger (bzw. der Sängerin) eine der prekärsten...



    Viele Grüße


    Bernd

  • Liebe Lilith !


    Über Geschmack kann man trefflich streiten.
    Kann so eine Inszenierung eine gut vorgetragene Winterreise noch verbessern ? Was bleibt länger im Gedächtnis : Stimmiger Vortrag oder Jeans und Schlafsack ?


    Oder soll die "Action" nur von der mangelnden Vortragskunst ablenken ? :kotz:


    Ich kann im Konzertsaal (und nicht nur dort) die Augen schließen und mich aufs Wesentliche konzentrieren, denn schließlich geht man hin, um die Winterreise zu hören und nicht zwei Typen in Jeans und Schlafsack zu bewundern.


    Wie wäre Dein Eindruck ohne "Action" gewesen, würde mich interessieren.


    Liebe Grüße


    vom Operngernhörer :hello:

  • Fûr den Sänger ist das Szenische sicher leichter, denn es gibt fast ncihts Schwierigeres als ein ganzes Konzert mit Kunstlied-Interpretatonen
    Niemand steht so nackt und bloss vor dem Publikum wie ein Liedsänger- man istgezwungen, auf kleinstem Raum fortlaufend neue Szenerien nur mit der Stimme und inneren Haltung zu erschaffen.
    Wer nur oper singt und glaubt, dass Lieddgesang dagegen ein Spaziergang sei, täuscht sich ganz entschieden!
    Das Gegenteil ist eher wahr!


    Daher kommt die Szene sicher auch dem Sänger gelegen udn ich kann mir das durchaus vorstellen.
    Allerdings scheint mir das von Lilith beschriebene Schalfsack -Ambiente zur Winterreise doch etwas extrem. aber ich urteile ungern aus Distanz und müsste das erst sehen.
    Eine Winterresie mit Ballett-Choreographie von Anthony Taylor hat mir vor Jahren sehr gefallen, nur ledier war dort der Tenor (es war die Zender-Feassung für Kammerorchester udn Tenor) nciht so umwerfend.
    F.Q.

  • Hallo,


    Zwielicht: Udo Samel- ja, das war diese... so lang ist das schon her =) Was Du schreibst, ist ja sehr interessant.. Ich hielt das bisher für außergewöhnlich. Einen Boxring kann ich mir auch nur schwer vorstellen, muss ich sagen..


    Die Schlafsack- Szene hatte für mich zwei Effekte. Als völlig naive Zuhörerin konnte ich einen Bogen spannen zwischen der Musik, die mir so fremd war, dass sie mich zunächst nicht anzugehen schien- die Darsteller in Jetzt- Zeit- Erscheinungsbild sozusagen verknüpften mich aber damit. Das ist denke ich schon ein wichtiger Aspekt, der aber nur für ganz, ganz neue Neulinge greift und für Kenner wohl etwas sinnlos anmutet.


    Auf der anderen Seite muss ich sagen, dass diese schroffe, schwarze, irgendwie existenzialistische Darstellung tatsächlich einen Zusammenhang gestiftet hat - die Winterreise hat auch etwas mit Isolation, "Obdachlosigkeit", Freiheit, Individualismus zu tun, oder?


    Ohne "Szene" hätte ich so eine Brücke nicht gehabt, das muss ich ehrlich sagen. Mitlerweile "bräuchte" ich das aber nicht mehr. So würde ich das beschreiben: eine Art Vehikel.


    Liebe Grüße,
    Lilith

    "Der Mensch ist nicht ganz dicht, er entweicht ins Imaginäre." (Bloch?)

  • Zitat

    Original von Fairy Queen


    Eine Winterresie mit Ballett-Choreographie von Anthony Taylor hat mir vor Jahren sehr gefallen, nur ledier war dort der Tenor (es war die Zender-Feassung für Kammerorchester udn Tenor) nciht so umwerfend.
    F.Q.


    hm, ich kann mich an eine john neumayer inszenierung mit dem hamburger ballett vor 3,4 jahren erinnern. hat mir sehr gefallen. (ich find jetzt leider das programmheft nicht)

  • Zitat

    Original von Lilith
    Die Schlafsack- Szene hatte für mich zwei Effekte. Als völlig naive Zuhörerin konnte ich einen Bogen spannen zwischen der Musik, die mir so fremd war, dass sie mich zunächst nicht anzugehen schien- die Darsteller in Jetzt- Zeit- Erscheinungsbild sozusagen verknüpften mich aber damit. Das ist denke ich schon ein wichtiger Aspekt, der aber nur für ganz, ganz neue Neulinge greift und für Kenner wohl etwas sinnlos anmutet.


    Einerseits hast Du bestimmt recht: durch solche Abende - zumal wenn sie wie in Frankfurt in einem Schauspielhaus stattfinden - wird auch ein Publikum angesprochen, das normalerweise nie einen "klassischen" Liederabend besuchen würde und die Winterreise somit vielleicht nie kennengelernt hätte. Dabei spricht nach meiner Erfahrung gerade die Winterreise auch Menschen an, die mit klassischer Musik sonst nicht viel anfangen können. Finde ich uneingeschränkt positiv.


    Andererseits meine ich, dass Deine Unterscheidung zwischen "Kennern" und "Neulingen" hier nicht greift. Ob ich ein "Kenner" bin, sei mal dahingestellt, aber ich habe schon sehr viele normale Liederabende erlebt, bevor mir die erste szenische Interpretation begegnet ist. Und ich empfinde diese Art von Interpretation prinzipiell als eine Erweiterung meines Horizonts und als eine Offenlegung der großartigen theatralischen Qualitäten (nicht nur) der Schubert-Zyklen.


    Dass "Kenner" Musik vorwiegend mit geschlossenen Augen rezipieren, wie oben angeklungen, halte ich für ein Gerücht. Ich finde die visuelle Dimension beim Musikerlebnis sehr wichtig, nicht nur beim Musiktheater. Fairy glaube ich aufs Wort, dass ein Liederabend eine ungeheure Herausforderung für einen Sänger/eine Sängerin ist. Trotzdem empfinde ich bei vielen (nicht bei allen) Liedsängern eine enorme Diskrepanz zwischen der rein stimmlichen Leistung und der Unfähigkeit, mit dem eigenen Körper, insb. mit den Händen und oft genug auch mit der Mimik umzugehen. Entweder erfolgt eine Reduzierung auf ganz wenige standardisierte Muster oder ein Sänger (Beispiel: Ian Bostridge) gibt sich seinen "Ticks" so hin, dass es fast schon unfreiwillig komisch wirkt (dabei kann Bostridge auf der Opernbühne, mit dem richtigen Regisseur im Rücken, ganz wunderbar agieren...).



    Zitat

    Auf der anderen Seite muss ich sagen, dass diese schroffe, schwarze, irgendwie existenzialistische Darstellung tatsächlich einen Zusammenhang gestiftet hat - die Winterreise hat auch etwas mit Isolation, "Obdachlosigkeit", Freiheit, Individualismus zu tun, oder?


    Ganz bestimmt. :yes:


    Wir sind hier gefährlich nah bei den im Forum sehr heftig ausgefochtenen Debatten um Opernregie, aber Du hast den Sinn einer solchen szenischen Interpretation m.E. auf den Punkt gebracht.



    Zitat

    Ohne "Szene" hätte ich so eine Brücke nicht gehabt, das muss ich ehrlich sagen. Mitlerweile "bräuchte" ich das aber nicht mehr. So würde ich das beschreiben: eine Art Vehikel.


    Sehe ich auch so, wie schon weiter oben gesagt: sowas ist eine Alternative, soll und wird aber natürlich niemals den klassischen Liederabend ersetzen. Beide Herangehensweisen sind möglich - bei der einen konzentriert man sich eher auf die rein musikalische Seite des Zyklus, bei der anderen mehr auf das Zusammenwirken von Musik und theatralischer Dimension.


    Szenische Vergegenwärtigungen eigentlich nicht-szenischer Musikformen sind ja schon seit langer Zeit im Kommen - es wimmelt nur so von getanzten Mahler-Sinfonien und inszenierten Händel-Oratorien (gerade hat Claus Guth wieder den Messias in Wien auf die Bühne gebracht).



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    ...
    Wer nur Oper singt und glaubt, dass Liedgesang dagegen ein Spaziergang sei, täuscht sich ganz entschieden!
    Das Gegenteil ist eher wahr!
    ...


    Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass es solche Sänger geben soll. Es mag zwar ein Opernsänger das Lied in seinem Repertoire unter ferner liefen einstufen, aber es ist Grundtenor aller Gesangslehrer, dass das Lied wesentlich schwieriger ist. Es geht um feinere Nuancen und man kann sich nie hinter dem Orchester verstecken.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Lieber Zwielicht !


    Ich muß Dir etwas wiedersprechen. Wenn ich Karten für die Winterreise erwerbe, so will ich auch die Winterreise hören, evtl. auch gut vorgetragen sehen. Welcher unserer großen Liedersänger hätte dazu Aktion gebraucht ?


    Wenn ich für mich im Konzert oder in der Oper die Augen schliesse, so gehe ich entweder mit der Musik und dem Text in mich oder ich blende etwas aus, das ich nicht sehen möchte. Die visuelle Dimension akzeptiere ich für mich nur, wenn sie eine Bereicherung darstellt.


    Ich möchte abschliessend noch ein Zitat anfügen :
    Liegesang ist Kammermusik par excellence und in diesem intimen Medium zeigt sich erst die Qualität eines Sängers.
    Im Lied wird ein Klavierbegleiter zum echten Partner, eben Kammermusik !


    Mit lieben Grüßen vom Operngernhörer :hello:

  • Lieber Operngernhörer, deine letzten Sätze könnten glatt von mir sein!
    Wo hast Du die gefunden?


    Ich habe mich gerade mit diesem Argument für eine Kammermusik-Akademie im Sommer bei einem Klavierpofessor angemeldet, der noch nie einen Sänger in seinen Kursen hatte und einen Präzedenzfall schaffen will, weil er als erfahrener Lied-Begleiter das Oben gesagte genau nachvollziehen kann.


    Ich gebe dir Recht, dass wirklich gute Liedsänger ohne jede Aktion überzeugen müssen, würde gelegentliche "Inszenierungen" grosser gut bekannter Lied-Zyklen aber trotzdem als Bereicherung und Erweiterung des Horizonts empfinden. Siehe Zwielicht.


    Lieber Theo, aus meiner eigenen bescheidenen aktiven und wenig bescheidenen passiven Erfahrung ist es keinesfalls Grundtenor aller Sänger und Gesangslehrer, dass Lied schwieirger zu singen sei als Oper.
    Lied wird nicht selten mit Anfänger gleichgesetzt und fast Alle wollen so schnell wie möglcih grosse Oper singen. Das erscheint Vielen nciht nur renommierter, sondern auch rein wirtschaftlich gesehen, wesentlcih vorteilhafter.
    Mit Oper kann man Geld verdienen mit Kunstlied allenfalls Anerkennung der Kenner.


    Was die rein vokale Virtuosität, die Höhenexpansion und auch die Kraft angeht, ist in der Regel Operngesang anspruchsvoller.
    Was Intelligenz(besonders auch der EQ), Musikaliität und Finesse angeht, m.E. der Liedgesang.
    Es gibt Sänger, die können Beides überzeugend vereinigen, es gibt aber auch reine Lied- oder Operntalente.


    Und solche, die das leider nicht wissen (wollen)...... :wacky:


    F.Q.

  • Liebe Fairy Queen !


    Kompliment - diese Worte stammen Dir !!!


    Vor einiger Zeit habe ich den Thread durchgelesen und diesen Beitrag vom 25.06.07 gefunden, der so ganz meine Meinung wiedergibt. Deshalb habe ich mir erlaubt, Deine Worte zu zitieren. :untertauch:


    Ich stimme auch Deinem letzten Beitrag voll zu. Er vertritt zu 95% meine Meinung. Nur zweifle ich, daß die meisten sogenannten Inszenierungen auch des Werkes würdig sind.


    Es wünscht Dir einen schönen Gründonnerstag -


    der Operngernhörer :hello:

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  • Zitat

    Original von Operngernhörer
    Ich muß Dir etwas wiedersprechen. Wenn ich Karten für die Winterreise erwerbe, so will ich auch die Winterreise hören, evtl. auch gut vorgetragen sehen.


    Lieber Operngernhörer,


    das ist ja ok und wirft in diesem Fall auch gar keine Probleme auf: wer eine Karte für eine szenische Interpretation der Winterreise erwirbt, weiß in der Regel, was er tut. Wer den "normalen" Liederabend möchte, kann eben dafür Karten kaufen. Verwechslungsgefahr sollte nicht bestehen. Ich mag (im Prinzip, nicht immer im Einzelfall) beides.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Nicht nur höre ich zum ersten Mal von szenischen Inszenierungen der Winterreise, es ist mir seltsamerweise auch noch nie in den Sinn gekommen, daß es so etwas geben könnte. Daher mußte ich erst einmal eine Weile darüber nachdenken.Sagen wir so: ich könnte es mir interessant vorstellen, wenn die Inszenierung eine eigene Aussage hat und eine neue Perspektive eröffnet. Läßt mich die Inszenierung die Winterreise auf eine andere Art wahrnehmen als zuvor? Auf die ich auch nicht ohne weiteres selbst gekommen wäre? (Also auf eine nicht-triviale Art?) Wenn das der Fall wäre, könnte ich mir gut vorstellen, daß es mir gefallen würde. Würde die Inszenierung aber lediglich den Text der Winterreise „illustrieren“, könnte ich, glaube ich, gut darauf verzichten. Denn da würde ich die „Illustrationen“ bevorzugen, die dieses phantastische Stück in meinem Kopf hervorruft. Gruß,^_^J.

  • Hallo.


    Wenn ein Buch verfilmt wird bin ich erstmal skeptisch. Wenn ich es zeitlich schaffe das Buch zu lesen, bin ich erstmal glücklicher.


    Wenn ich Schubert höre, stellen sich bei mir auch Bilder ein. Eine Szene brauche ich da nicht. Ich kann mir nur schwer vorstellen, eine Aufführung der schönen Müllerin ernst nehmen zu können, bei der jemand am Ende darstellt, wie er im Bach ertrinkt. Vielleicht geht das bei der Winterreise noch eher... ich denke darüber nach. Vielleicht kann ja ´mal jemand ein bisschen genauer beschreiben, was bei den betreffenden Aufführungen gezeigt wurde (abgesehen von Schlafsäcken).


    Tharon.

  • Ich für meinen Teil habe mir die Winterreise ein Mal angehört und ich glaube nicht,dass ich es noch einmal durchstehe.
    Noch nie hat mich etwas wirklich so ergriffen.
    Ich habe allerdings einen persönlichen Bezug dazu.


    Mfg.


    hörer

    ARROGANZ IST DIE PERÜCKE GEISTIGER KAHLHEIT.

  • Hallo Uranus,
    Zu Deiner Tenorinterpretation der Winterreise folgendes:
    Auf die vorzügliche Aufnahme von Prégardien/Staier wurde bereits oben hingewiesen. Weitere Möglichkeiten sind:
    Anton Dermota/Hilde Dermota
    Julius Patzak/Jörg Demus
    Eberhard Büchner/Norman Shetler
    und
    Scot Weir mit dem Folkwang Gitarren Duo
    sowie
    Christian Elsner mit dem Henschel Quartet
    Aus meiner ganz persönlichen Sicht schätze ich auch die beiden letztgenannten Aufnahmen sehr; es muss nicht immer mit Piano sein.

  • Hallo, sagitt,
    Dein Beitrag ist zwar schon uralt, aber es drängt mich anzumerken, dass ich mehr als doppelt so viele "Winterreisen" habe...
    Aber ich will damit nicht protzen, sondern nur bemerken, dass Deinem Beitrag nichts hinzuzufügen ist!

  • Ich bin wieder rückfällig geworden nachdem ich bei über 50 aufgehört habe, meine Winterreisen zu zählen.
    Aus meiner Sicht hat sich der Rückfall gelohnt, obwohl ich Michael Volle bisher nur als Oratorien- und Opernsänger kannte. Bin sehr zufrieden mit der Aufnahme. Mal wieder ein Bariton mit sehr guter Textverständlichkeit und kein Problemo zwischen pianissimo und forte.





    LG. Bernward


    Der Thread "15 Jahre Winterreise und Schöne Müllerin" konnte nicht geöffnet werden.


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • So viele sind es bei mir noch lange nicht, aber 13 sind es mittlerweile geworden, davon fünf von Fidi (1952, 1955, 1966, 1970, 1985).
    Die jüngste Neuerwerbung ist die auch schon über 20 Jahre alte Aufnahme von Olaf Bär mit dem fabelhaften Geoffrey Parsons als "Begleiter". Ich glaube, man kann ihn zusammen mit Gerald Moore als den besten Liedbegleiter bezeichnen. Dieser Titel hätte eigentlich Sviatoslav Richter zugestanden, wenn er "nur" Liedpianist gewesen wäre. Aber Gottseidank hat er ja auch noch beinahe alles andere gespielt.
    Aber zurück zu Olaf Bär: fabelhafte Diktion, heller, sehr lyrischer Bariton, gutes Legato, schöne dynamische Abstufungen, Sicherheit in den tiefen Lagen, schönes piano, aber auch die Fähigkeit, an den entsprechenden Stelle zu forcieren, allerdings gänzlich ohne wie z.b. Kollo zu schreien.
    Also ich kann diese Aufnahme ohne Weiteres empfehlen. Vielleicht ist seine Leistung im ebenfalls in dieser Kassette vorliegenden "Schwanengesang" noch höher einzuschätzen.



    ich werde übrigens den Tipp mit Michael Volle weiterverfolgen. Irgendwann habe ich in FONO FORUM schon mal eine positive Rezension von ihm gelesen, ich glaube sogar, es war die Winterreise.


    Liebe Grüße


    Willi :hello:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

    2 Mal editiert, zuletzt von William B.A. ()

  • ... mit dem fabelhaften Geoffrey Parsons als "Begleiter". Ich glaube, man kann ihn zusammen mit Gerald Moore als den besten Liedbegleiter bezeichnen. ...


    Damit bin ich nicht ganz einverstanden. Es fehlt da nämlich der großartige Dalton Baldwin, der kaum eine Konkurrenz zu scheuen braucht(e).


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!




  • Lieber Bernward,
    kannst du deine Winterreisen-Liste mal vorstellen?
    :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried

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