ZitatUlrica: Orwells "1984" - Gesellschaft hingegen fütterte die sog. Unterschicht mit Unterhaltungsmüll zweck Dummerhaltung im Slum ab und die mittleren und höheren Chargen befassten sie hauptsächlich mit dem Aufrechterhalten der Kultur- und anderer Unterdrückung. In diesem Fall sähe es schlecht aus.
Obgleich wir (trotz der Mühen unseres Geldköffercheninnenministers) noch keine totalitäre Gesellschaft im Orwellschen Sinne haben, kommt mir der Unterhaltungsmüll (nicht nur, aber auch zwecks Dummhaltung sog. Unterschichten) doch ziemlich vertraut vor. Er hat jedenfalls in den gut 20 Jahren, seit denen (bezeichnenderweise von einer Partei, die eine sog. "geistig-moralische Wende" angekündigt hatte) das Privatfernsehen eingeführt wurde, und dieses inzwischen große Teile der gebührenfinanzierten Programme (TV, im Hörfunk gehts noch) auf sein Niveau runtergezogen hat, außerordentlich zugenommen. Wenn es nur drei Programme gibt, die wenigstens ein gewisses Niveau halten, dann fällt vielleicht die Verblödung desjenigen, der den halben Tag vor der Glotze hockt, nur moderat aus.
Vielleicht ist der Schluß, daß das eine direkte Folge gewisser Erscheinungsformen des Kapitalismus ist, vorschnell. Völlig klar ist aber, daß der Kapitalismus dies nicht verhindert, sondern mitunter befördert.
Zitat
Ich glaube, die Überfülle an Konsumramsch macht es für viele schwer, gerade für Kinder und Jugendliche, sich herauszufiltern, was wirklich Qualität und Wert hat. Man wird berieselt und zugemüllt, und, wie der "Zeit" - Artikel sagt, verlernt, differenziert zuzuhören. Sollte mal durch irgendwelche Ereignisse eine deutliche Reduzierung des Überangebots jeglicher Art eintreten, dann kann ich mir auch vorstellen, dass viele einen Opernabend live ohne Technik mehr zu schätzen wüßten als vielleicht derzeit, und sei es, weil sonst nichts los ist.
Das Überangebot und die Dauerberieselung sind, glaube ich, der wesentliche Unterschied zu der von uns hier (je nach Lebensalter) ungefähr miterlebten Zeit der 50er-70er Jahre.
Deswegen sehe ich Programme wie die in der "Zeit" genannten, auch nicht als "Zwangsbeglückung", sondern als notwendigen Ausgleich zur tatsächlichen Zwangsbelückung durch die Unterhaltungs- und Werbeindustrie.
Mindestens so schlimm wie die Minderwertigkeit dessen, mit dem man berieselt wird, ist ja, daß diese Berieselung oft so vollständig ist, daß viele Leute gar nicht wissen, daß es anderes gibt. Oder das Andere ist ihnen (zunächst) derartig fremd, daß sie davon abgestoßen werden. Man ist ja sogar schon froh, wenn die Jugendlichen in entsprechenden Gebieten selbst rappen u.ä., statt sich nur berieseln zu lassen. Aber der Horizont, der durch die Begegnung mit Klassischer Musik eröffnet wird, ist eben ein ganz anderer.
Folgendes Zitat bringt die Situation ganz gut zum Ausdruck (damit will ich keineswegs Blooms Haltung in toto unterstützen und wenn ich besser gebildet wäre, würde ich sicher auch wissen, wo Adorno u.a. Ähnliches schon viel früher viel differenzierter festgestellt haben, aber es ist prägnant formuliert):
"Die erfolgreichste Tyrannei ist nicht die, die direkten Zwang anwenden muß, um Gleichförmigkeit sicherzustellen, sondern die, die die Wahrnehmung anderer Möglichkeiten zerstört, die es undenkbar erscheinen läßt, daß es andere Weisen gibt, die das Bewußtsein für ein "Außen" wegnimmt."
("The most successful tyranny is not the one that uses force to assure uniformity but the one that removes the awareness of other possibilities, that makes it seem inconceivable that other ways are viable, that removes the sense that there is an outside." (Allan Bloom, Closing of the American Mind, 249))
Das Tückische daran ist, daß die solcherart Tyrannisierten sich frei fühlen, sogar nach durchaus gängigen Begriffen frei sind: Sie haben die Freiheit zwischen 20 unterschiedlichen Verdummungsprogrammen und 30 Haarshampoos zu wählen. (Sie haben allerdings auch, wenigstens im Prinzip die Freiheit abzuschalten...)
JR