Was ist dran an Karajan? - Versuch einer Analyse

  • Hallo Karajan-Freunde,


    ich habe am 18.07.2005 ein Zitat von pinoflo gelesen, dem ich mich in Bezug auf Karajan und Masur überhaupt nicht anschließen kann:

    Zitat

    Wenn man Masur jetzt beispielsweise mit dem Machtmenschen Karajan vergleicht, wird es ganz offensichtlich:
    Karajan schwankt in seinen Ausdrucksextremen oft zwischen genial und total daneben, während Masur eigentlich nie falsch liegt, aber auch nie ein künstlerisches Statement abgibt, es bleibt letztlich alles belanglos.


    Solche Sätze können nur von einem Karajan-Gegner stammen.
    Was soll den Machtmensch heißen ?
    Welche Werke sind denn mit Karajan total daneben ???
    Es gibt sicher bei jedem Dirigenten Werke die ihm nicht so 100% liegen; ich nenne jetzt mal die Mozart - Sinfonien mit Karajan. Aber deshalb sind diese nicht total daneben, sondern eben nicht so 100% wie mit Böhm.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang


  • Oh, es gibt ziemlich viel Mißlungenes: Sein Brahms-Requiem, seine Schumann-Sinfonien, die (späteren) Beethoven-Aufnahmen...


    Mein schlimmstes Karajan-Erlebnis war Bachs h-moll-Messe (irgendwie war die beim Kauf einer LP-Sammlung "dabei") - da sollte man ihn allerdings vielleicht nicht am Kenntnisstand bzw. an der heute üblichen Interpretationshaltung messen. Karajan ist m.E. da am besten, wo er die grandiosen Berliner Philharmoniker in die Waagschale werfen konnte und deren Luxusklang zur Musik passt: Strauss, Holst, Bruckner, etc.


    Ein Macht-Politiker war Karajan auf jeden Fall. War es nicht Bernstein, der viele Jahre nicht mit den Berlinern auftreten durfte, weil er in einem Interview ein unbedachtes Wort über HvK fallen gelassen hatte? Ich erinnere mich, das irgendwo gelesen zu haben.


    Freundliche Grüße


    Heinz Gelking

  • Hallo


    heinz hat mir schon etliche Aussagen weggenommen, denen ich hier nochmal zustimmen möchte.


    Ich bin durchaus kein Gegner von HvK, sondern jederzeit bereit (wie bei jedem anderen Dirigenten auch) mir Aufnahmen anzuhören und dann zu urteilen. Alles andere wäre ja auch extrem engstirnig.


    Auf Karajans Habenseite würde ich v.a. Aufnahmen von folgenden Komponisten plazieren, die ihm einfach besonders lagen:


    Tschaikowsky, Bruckner (überragend die siebte), Strauss, teilweise auch Wagner (der Ring), Humperndick (Hänsel und Gretel, sehr gut)
    dazu die frühen Mozart-Opern-Aufnahmen von der Wiener Staatsoper


    Schlecht bis verfehlt finde ich dagegen folgende Aufnahmen:


    Mahler: Lied von der Erde, Bach h-Moll wurde schon erwähnt, Mozarts Sinfonien (Nr. 35 und 41, mehr sind mir nicht bekannt mit ihm), Mozart Requiem


    Außerhalb jeder Wertung seine Beethoven-Aufnahmen, bei denen er die komplette Bandbreite abdeckt.


    Ich verstehe mich weder als Freund noch als Gegner bestimmter Dirigenten, sondern versuche meistens, neutral an Aufnahmen heranzugehen und mir so ein Urteil zu bilden.


    Gruß, flo

    "Das Leben ist zu kurz für schlechte Musik"


    Wise Guys 2000

  • Hallo pianoflo,


    es freut mich, das Du kein Karajan-Gegner bist, wie ich zunächst angenommen hatte. Mit Tschaikowsky, Bruckner und R.Strauß liegen wir auf einer Linie, die finde ich mit Karajan auch überragend.
    Wie ich schon im Masur-Thread schrieb, wird es bei jedem Dirigenten Werke geben, die einem persönlich nicht so liegen und gefallen. Aber deshalb sind diese Sachen mit Karajan nicht gleich "total daneben".


    Hallo Heinz Gelking,


    ich finde es schade das Dir die späten Beethoven-Aufnahmen nicht gefallen. Ich favorisiere auch eher Karajan´s Beethoven aus den 70er Jahren, aber es sind einige TOP-Aufnahmen (besonders die Sinfonie Nr.6) dabei, die ich für gleichermaßen gut gelungen halte, wie seine Älteren. Einzig die moderne DG-Klangqualität in DDD hat Karajan keine Vorteile bereitet.


    Bei den Schumann-Sinfonien mit Karajan bin ich ebenfalls gar nicht Deiner Meinung ! Wieso sollen diese Mißlungen sein?
    Ich finde die Sinfonie Nr.3 "Rheinische" mit Karajan die beste Aufnahme - mein Favorit, gleich gefolgt von den Bernstein-Aufnahmen (DG,Wiener PH), die ich bei den anderen Sinfonien favorisiere.


    Zu Bach´s h-moll Messe kann ich nichts sagen, das ist ohnehin nicht meine Musik !
    Und die Mozart-Sinfonien sind auch nicht ganz daneben. Es sind eben nur einfach nicht seine stärksten Aufnahmen.


    :hello: Unsere Einschätzungen liegen eben hier verschieden - jedem das Seine !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo,


    eine Spezialität Karajans war gewissermassen auch der Umgang mit der "leichten" Muse. Strauss Walzer und Polkas, Marschmusik und Operetten sind durchaus eine Stärke von ihm.


    Zu den Schumann Sinfonien will ich mich im Moment nicht äußern, muss noch mal ein Vergleichshören vorschieben.


    Für Karajan-Fans eine Empfehlung, dezeit im Angebot bei jpc: Drei Live-Aufnahmen von der Wiener Staatsoper aus den frühen Sechzigern für insgesamt 20 euro (Il trovatore, Parsifal und die Fledermaus)


    Schnäppchen-Alarm :D



    Gruß, flo

    "Das Leben ist zu kurz für schlechte Musik"


    Wise Guys 2000

  • Ich bin nicht unbedingt ein Karajan-Freund, schon alleine deswegen, weil er immer in aller Munde ist, bin ich sehr kritisch. Er ist mir fast zu unelitär. ;)


    Ich würde sagen, dass er Werke der deutschen Romantik, Spätromantik und klassischen Moderne sehr gut dirigiert hat... aber das, was darüber hinausgeht und er trotzdem versucht hat, trifft selten den Kern der Sache. Und nachdem mein Geschmack eher das, was darüber hinausgeht ist, habe ich auch nicht viele CDs von ihm, weil ich dort andere Einspielungen beim Probehören für gelungener befand bzw. bei Opern auch nach den Solisten geurteilt habe.


    Ich kann also guten Gewissens lediglich ein Negativbeispiel für Karajan nennen: seine Carmenaufnahme mit Leontyne Price und Franco Corelli klingt 1.) absolut unfranzösisch, 2.) ist geradezu ein Gegenentwurf zur Opèra-comique, 3.) klingt oft sehr militärisch-marschartig, 4.) ist seltsam brutal dirigiert und hat 5.) unmotivierte Lautstärkenunterschiede, weil offensichtlich Frau Pricens Stimme in der Mezzo-Lage so leise war, dass er das Orchester zurücknehmen musste, damit man sie überhaupt hören konnte, während Corelli als José die Pianokultur sehr vermissen lässt, so dass Karajan bei seinen Solostellen das komplette Fortissimotutti anfahren muss... Jedenfalls für mich eine stilistisch überaus eigenartige und sehr unausgeglichene Aufnahme, die mir Unverständnis des Werkes zu zeigen dünkt.

  • Hallo Philhellene,


    Man muß Karajan (wie übrigens alles auf dieser Welt) aus dem historischen Umfeld betrachten. Das geht meiner Ansicht nasch der jungen Generation ab. Man hat ihr (in vielen Bereichen) "absolute Wahrheiten" gepredigt - Wahrheiten die es nie gab - und nie geben wird.
    Das wäre als Beispiel, daß viele jüngere Menschen im Glauben sind, man hätte früher nicht gewusst wie Werke zu spielen oder zu inszenieren seine. Das ist jedoch falsch.
    Genauso wie man heut bei modernen Inszenierungen Werke BEWUSST gegen den Stich bürstet, und dies als "zeitgemäß" verkauft (in Wahrheit sind es nur Einsparungsmaßnahmen) - genauso hat man vor 30 oder 40 Jahren und früher ANDERE Aspekte bei Opern, aber auch bei der Interpretation von Sinfonien vernachlässigt oder negiert.


    Kein Mensch störte sich in den 30er und 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, wenn italienische Texte in mangelhaften deutschen Fassungen gesungen wurden. Kein Mensch nahm in dern sechziger Jahren Anstoß, wenn italienische Opern von Sängern interpretiert wurden, deren italienisch sehr "deutsch" klang...


    Es war also nicht ein Unvermögen Karajans wenn er gewisse Dinge negiert, schönte bzw überspielte - es war der Zeitgeschmack dem er sich unterordnete. Hätte er das nicht getan - Niemand würde heute seinen Namen kennen....


    Karajan ist eine Ikone wie Caruso oder die Callas ... unsterblich - immer wird man ihn als Referenz heranziehen....


    LG


    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Hallo,


    jetzt muss ich doch noch etwas ergänzen. Karajan verwendet in seiner Einspielung die Guiraud-Fassung, die aus der Opéra Comique Carmen eine Grande Opéra macht. Die Entstehung dieser Fassung (relativ kurz nach der Originalfassung) hat historische Gründe, die heute nicht mehr von Belang sind. Dennoch war sie immerhin so gelungen, dass sie für gut 80 Jahre die überwiegend verwendete Fassung der Carmen blieb. Im Laufe der 50er begann die Rückbesinnung auf die ursprüngliche Fassung (u.a. dokumentiert in den Einspielungen von Dervaux und Beecham), die seit den frühen 70ern vorwiegend verwendet wird.
    Wie so oft in der Geschichte, sehen wir auch hier den Effekt, dass im Abendrot der Guiraud-Fassung es noch einmal zu einem letzten großen Aufflackern, zu letzten großen Kraftanstrengungen in der Realisierung dieser Fassung kommt, und die vielleicht ultimative Einspielung in Stereo ist eben die Karajansche.


    Und das ist sie in der Tat. Es ist eine ungemein kraftvolle, sinnliche, theatralische, gewalttätige, eben opernhafte Version der Carmen, wenn auch - wie Philhellene richtig bemerkt - mit kleinen Schönheitsfehlern. Carmen klingt etwas mehr nach Havanna als nach Sevilla, Don José würde sicher lieber spanisch als französisch singen, auch war Corelli nie für seine Piani berühmt. Aber Leidenschaft konnte er sehr gut vermitteln, und darum geht es hier in der Hauptsache. Das erzielte Ergebnis wurde ganz bewusst angestrebt und galt damals für viele als die ultima ratio der Carmen. Bevor man also eine Truppe von Weltklassekünstlern des kollektiven Unverständnisses zeiht, sollte man ein wenig darüber nachdenken, ob sie sich vielleicht doch etwas dabei gedacht haben.


    Die Aufnahme klingt martial-militärisch und brutal? Die Handlung spielt zwischen Soldaten, Schmugglern, Messerstechern - scheint mir also ganz angemessen musiziert zu sein. ;) Es muss diese Version ja nicht gefallen, überhaupt dann, wenn man als erstes die Originalfassung kennengelernt hat, wird die Karajan-Einspielung wahrscheinlich als ziemlich heftig empfunden werden. Dennoch ist sie in ihrer Art sehr gut.


    Aber die Zeit ist weitergegangen, man ist zur Originalfassung zurückgekehrt und kennt seither Einspielungen, die wirklich ein ganz anderes Bild der Carmen vermitteln, das mit Sicherheit mehr den Intentionen Bizets entspricht (zumindest müssen wir das annehmen; denn wir wissen nicht genau, wie glücklich oder unglücklich Bizet darüber war, dass die Uraufführung an der Opéra Comique stattfand; vielleicht hätte er ohnehin lieber im Palais Garnier gespielt und die Carmen als Grande Opéra gesehen). Wir werden also noch ein paar Jahrzehnte die Fassung als Opéra Comique genießen und verinnerlichen, bis man vielleicht wieder meint, das reiche jetzt, und man könnte sich wieder etwas kraftvolleres gönnen....

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Gute Zusammenfassung! Bleibt zur Karajan-Carmen nur zu ergänzen, dass sie zu den am besten aufgenommen Opern überhaupt gehört - noch heute, wie ich finde. Und Leontyne Price ist einfach... Jedenfalls kann man verstehen, dass José spitz wie Nachbars Lumpi ist und Michaela nix mehr zu melden hat, um es mal sehr profan auszudrücken!


    Freundliche Grüße


    Heinz

  • Meine liebsten Karajan-Aufnahmen sind:


    Brahms, Erste, bei DECCA
    Beethoven, alle Sinfonien auf SACD


    und mit Abstand die schönste:
    Schumann/ Grieg, Klavierkonzerte mit Krystian Zimerman


    Aus meiner Sicht als HiFi-Fan kommt ein ganz wesentliches Verdienst HvKs hinzu:


    Er war ein massiver Förderer der CD und hat maßgeblich an ihrem weltweiten Durchbruch mitgearbeitet.
    Legendär sein Zitat: "Gegen die CD ist alles andere wie Gaslicht!"


    Dafür danke, Herbert von Karajan!

    "Muss es sein? - Es muss sein!" Grave man non troppo tratto.

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Hallo CRC,


    zu Deinem Kurzbeitrag über Karajan hast Du meine volle Zustimmung.
    ............................. :hello:...............................

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo,


    ein Tipp für Freunde von Karajan und der Wiener Staatsoper: Habe mir vor kurzem bei jpc für 20 Euro ein Box Set erworben mit drei Live-Aufnahmen des Maestros, eben von der Staatsoper Wien:


    Parsifal - Il Trovatore - Die Fledermaus,


    Aufnahmen von 1960 bis 1978


    Karajan zeigt sich in der Fledermaus von seiner besten Seite, ein sehr spontanes, lockeres Musizieren mit etlichen Gags, die auch die Zuschauer zum Lachen bringen. Es handelt sich um einen Silvester-Mitschnitt inklusive Spezialeinlagen. Einfach nur genial


    Parsifal und Trovatore habe ich noch nicht ganz durchgehört, erste Stichproben geben ein positives Bild, der Klang ist auch ziemlich gut.


    Von meiner Seite eine absolute Kaufempfehlung.


    Gruß, flo

    "Das Leben ist zu kurz für schlechte Musik"


    Wise Guys 2000

  • Hi,


    was an Karajan dran ist?


    Karajan hat das Repertoire der bildungsbürgerlichen Mehrheit festgeklopft. Was der Maestro nicht dokumentiert hat, ist nicht des Interesses wert. Praktisch fehlt die komplette Moderne ab 1920 und die frühe Musik um und vor Bach; entsprechend sieht zur Zeit das Stammrepertoire des realen Musiklebens aus.


    Haltet Ihr die These für zutreffend? Ist da was dran?


    Beste Grüße

  • Ich halte dagegen:


    Was er eingespielt hat, wurde verkauft - mehr als zuvor und öfter, als es ohne ihn geschehen wäre.
    Das heißt nicht, dass das von ihm nicht abgedeckte Repertoire in den Hintergrund gedrängt worden wäre.
    Karajan hat einfach neue Hörer- und Käuferschichten erschlossen, von denen mancher dann auch zu anderem Repertoire und anderen Künstlern gefunden haben dürfte.


    So hat HvK das Interesse an klassischer Musik ganz im Allgemeinen gefördert.

    "Muss es sein? - Es muss sein!" Grave man non troppo tratto.


  • Mit Abstrichen: Welcher Dirigent der Generation um Karajan hat sich für die Zeit um und vor Bach eingesetzt? Da fällt mir aus dem Stand keiner ein. Und den Namen Herbert von Karajan als Synonym für "bildungsbürgerlich" zu verwenden halte ich ebenfalls für gewagt. Das Herbert von Karajan für das Repertoire des derzeitigen Musiklebens ist? Es ist sehr problematisch einen so komplexen Prozess auf einen Namen zu kondensensieren. So monokausal sind solche Prozesse nicht zu sehen.


    Herzliche Grüße,


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Ich halte das auch für problematisch; Karajan war gewiß eher Jet-Set-Glamour-Schicki-Micki als bieder bildungsbürgerlich. Auf Furtwängler-Anhänger wirkte er zunächst wohl oberflächlich und kalt (Lt. Thärichens anderswo erwähntem Buch) Insgesamt scheint mir sein Einfluß, etwa aufs Repertoire hier massiv überschätzt zu werden. Er hat wie die meisten seiner Generation einige der großen Chorwerke Bachs dirigiert und eingespielt auch die Brandenburgischen Konzerte.
    Von expliziten Spezialisten oder Kantoren abgesehen hat unter den älteren Dirigenten Scherchen sehr viel Bach aufgenommen (das mag aber teils auch an Westminsters Repertoirepolitik gelegen haben), auch Kantaten (und Händels op.6).
    Ich habe keine Ahnung, ob er "Steckenpferde" abseits des Standardrepertoires hatte; unter seinen Aufnahmen fallen mir da höchstens die Honegger-Platte und Schostakowitschs 10. (für einen deutschen /östereichischen Dirigenten *1908 gewiß kein Standard) ein. Verglichen mit Fricsay oder Solti siehts beim Rest der klassischen Moderne etwas dürftig aus, aber das trifft gewiß auch auf andern bekannte und weniger bekannte Musiker der Generation zu.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hi,


    nicht zu vergessen seine hoch gelobte Platte mit Musik von Berg, Webern und Schönberg, sowie die reine Schönberg-Platte!


    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Immerhin gibt's von Karajan auch:



    Strawinsky: Apollon Musagète (revidierte Version von 1947), welches bis in seinen letzten Jahren zum Repertoire zählte (und u.a. auf der letzten Tournee Karajanas mit den Berliner Philharmonikern 1982 gespielt wurde) und


    Bartok: Musik für Saiteninstrumente, Schalgzeug und Celesta, das Karajan erstmals 1948 in Wien dirigierte.


    Mag durchaus angehen, daß diese Werke eher Ausnahmen als die Regel waren, aber gänzlich verschloß er sich nicht. So hatte er (letztlich erfolglose) Pläne, in seiner Zeit an der Wiener Staatsoper das Sacre du printemps aufzuführen.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hallo Norbert,


    er hat Strawinsky´s Le Sacre du Printemps aber auf dieser DG-CD herausgebracht und nicht schlecht:

    Strawinsky: Le Sacre du Printemps
    +Prokofieff: Symphonie Nr. 5

    Berlin PO, Karajan
    Aufnahme DG 1968-1977 ADD


    Hier meine DG-CD-Version auf der auch eine der schönsten Aufnahmen der Prokofieff: Sinfonie Nr.1 enthalten ist:

    Prokofieff: Symphonien Nr. 1 & 5
    Berlin PO, Karajan
    Aufnahmen DG 1968 und 1981


    Nicht in Vergessenheit geraten sollte auch diese hervorragende Aufnahme:

    Strawinsky: Concerto in D
    +Symphonie in C; Psalmensymphonie

    Berlin PO, Karajan
    Aufnahen DG 1971-79 ADD


    Karajan hat Bartok´s Konzert für Orchester zwei mal aufgenommen:

    Bartok: Konzert für Orchester
    +Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug, Celesta

    Berlin PO, Herbert von Karajan
    Aufnahme EMI 1959



    Bartok: Konzert für Orchester
    +Musik f. Saiteninstrumente, Schlagzeug, Celesta

    Berlin PO, Karajan
    Aufnahme DG 1966/1973 ADD


    Karajan´s glänzende Richard Strauss-Aufnahmen sind zahlreich bei DG und EMI vertreten. Hier nur ein kleiner Auszug (jpc hat derzeit 29CD´s und 4DVD´s in Programm):

    Richard Strauss: Also sprach Zarathustra op. 30
    +Till Eulenspiegel; Don Juan; Ein Heldenleben; Tod und Verklärung

    Wien PO, Karajan
    Aufnahmen DG 1959 - 1974 ADD



    Aber außerhalb der bereits in diesem Thread erwähnten Einspielungen ist Karajan im 20.Jahrhundert tatsächlich nicht stark vetreten.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • hallo,


    karajan hat IMO nicht die musikgeschichte beeinflusst, indem er z.b. komponierte oder zeitgenössischen komponisten zu großem erfolg führte, indem er ihre werke besonders häufig aufführte oder gar in auftrag gab.


    aber er war perfektionist auf seinem gebiet der orchesterleitung und wegbereiter der audiophilie und tonträgerindustrie. dadurch hat er sich und seine orchester in die köpfe der massen engrammiert.


    solche typen gibt es in allen fachrichtungen. sie berrschen ihr handwerk auf sehr hohem niveau und bauen durch ihre zunehmende popularität ein netz von bekanntschaften und beziehungen zur wirtschaft, den medien und der politik auf. dadurch sind sie zu lebzeiten in aller munde, werden zum synonymbegriff für ihr fach. das hat wiederum zur folge, dass sie den kontakt zur realität verlieren und ständig im mittelpunkt stehen und auch stehen wollen. sie mögen es dann auch, über die karriere anderer (hier z.b. musiker) zu entscheiden. bei initial so harmlosen geschöpfen wie a.s. mutter werden sie zum 'entdecker', bei starken persönlichkeiten wie z.b. ivo pogorelich kommt es dann zum bruch, da sie es nicht ertragen, andere ansichten zu tolerieren und auch mal in die zweite reihe zurückzutreten. sie werden schließlich zur karikatur ihrerselbst. und eigentlich hätten sie es gar nicht nötig.


    gruß, siamak

    Siamak

  • Hi,


    ich bin ein großer Verehrer Karajans. Für mich ist Karajan unter den Dirigenten wie Beethoven unter den Komponisten. Es klingt einfach alles "perfekt", es gibt keine Schönheitsfehler (ich spreche jetzt mal von Karajan und den Berlinern), der Klang ist dadurch abgerundet und vollkommen, dass jedes einzelne Instrument genau in der richtigen Lautstärke spielt - "perfekt" eben.


    Wer dennoch nicht die Genialität Karajans erkennt oder wahrhaben möchte, sollte sich mal seinen Wagner anhören!
    Hervorragendes Beispiel der Clip aus dem Quiz, Wotans Feuerzauber aus Die Walküre:
    http://www.bernardynet.de/quiz/mittel2.mp3

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Hallo,


    ich kann dir nur zustimmen, rappy, auch ich bin ein großer Bewunderer Karajans. Daß er heutzutage so sehr angefeindet wird, ist mir größtenteils ein Rätsel. Vor allen Dingen: Wieso gelten seine späten Aufnahmen (z.B. 70er und 80er Beethoven-Symphonien) als so übel?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • Es fällt mir einfach schwer, die Person und seine menschliche Seite und politischen Verstrickungen von seinem Schaffen zu trennen. Ich gebe zu, dass bei einem Blindtest mir so manche Karajan-Aufnahme extrem gefallen würde (Zauberflöte, Beethoven 6. und 7. u.a.) und dies ja auch tut. Ich habe aber fast ein schlechtes Gewissen dabei, weil ich vieles, was ich über ihn weiß (oder zu wissen meine?) ihn mir derart unsymphatisch macht, dass ich auch nicht mehr unvoreingenommen seinen Künsten lauschen mag. Als noch relativ junger Mensch bin ich froh, dass mittlerweile eine andere Generation von Dirigenten am Pult steht. Sicherlich haben viele stabschwingende Despoten uns zu zu großen Hörgenüssen verholfen (Fritz Reiner!). doch wer von uns hätte gerne mit ihnen gearbeitet?

  • Zitat

    Daß er heutzutage so sehr angefeindet wird, ist mir größtenteils ein Rätsel. Vor allen Dingen: Wieso gelten seine späten Aufnahmen (z.B. 70er und 80er Beethoven-Symphonien) als so übel?


    1) Frage


    Es ist eine DOPPELTE politische Abrechnung.


    Zum einen war und ist er allen jenen ein Dorn im Auge, die die "Bürgerliche Gesellschaft" hassen - deren prominentester Vertreter er war, nein nicht mal das -er war sogar adelig.


    Zum andern weil er sich mit den NS.Machthabern arrangiert hatte.
    Er war jedoch - und hierin glaube ich ihm - mehr oder wenig politisch desinteressiert. Seine Karriere ging ihm über alles. Der Rest war ihm egal.
    Dazu gibt es eine eigene Aussage von ihm zu diesem Thema.


    DArüber mag man denken wie man will, Tatsache ist, daß er ein Jahrhundertereignis war - und daß ihn stets Politiker aller Coleur hofierten, selbst der Papst hat ihn empfangen....
    .
    Sein Dirigat mag mit heutigem Geschmack nicht kompatibel sein - kein Wunder, wo sieht man heute noch Eleganz und Schönheit ? - hervorragend war es allemal


    ------------------------------------
    2.) Frage


    Selbstverständlich sind auch die Aufnahmen der 80er Jahre auf seh hohem Niveau.


    Jedoch um 1960, als Karajan seinen ersten Zyklus der Beethoven Sinfonien einspielen ließ war es eine EINZIGARTIGE mehr oder weniger konkurrenzlose Aufnahme, sie traf genau den Geschmack der Zeit.


    Die "Aufgüsse" um 1978 bzw 1982 (DDD) jedoch, lassen das Feuer ein wenig vermissen, das der ersten Aufnahme-trotz aller Eleganz anhaftete.
    Sie sind routiniert auf höchstem Niveau - aber es fehlt das gewisse Etwas. Es ist so, als ob ein Maler eine Kopie eines eigenen Werke ausführt: Sie ist wunderbar, sie ist oft sogar in Details präziser. Was ihr aber fehlt ist der spontane Pinselstrich des Originals, der Schwung und die Spontanität.....
    Ich behaupte aber, da muß man schon sehr mit Beethovens Sinfonien vertraut sein um das zu hören.



    Zitat

    Als noch relativ junger Mensch bin ich froh, dass mittlerweile eine andere Generation von Dirigenten am Pult steht.


    Das kann ich nicht mal in Ansätzen nachvollziehen. Die heutige Dirigentengeneration ist mehrheitlich farblos und uncharismatisch.
    Würde man mir die Gelegenheit geben ein Plattenlabel zu gründen, das die Aufgabe hat das gesamte Repertoire erneut einzuspielen - und ich wäre in der Wahl meine Künstler völlig frei - ich wüsste nicht wen ich wählen würde - KEINER der heutigen kann sich mit den Titanen der Vergangenheit messen.


    BTW: Ich war zu Lebzeiten des Maestro KEIN Karajan-Anhänger - ich habe stets Karl Böhm vorgezogen - und tu das noch heute.


    Beste Grüße aus Wien


    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Jedoch um 1960, als Karajan seinen ersten Zyklus der Beethoven Sinfonien einspielen ließ war es eine EINZIGARTIGE mehr oder weniger konkurrenzlose Aufnahme, sie traf genau den Geschmack der Zeit.


    Besserwissermodus an: " Der erste kpl Zyklus stammt aus den 50er Jahren am Pult des Philharmonia Orchestra. Dieser wird von vielen als der beste Beethovenzyklus angesehen und ist bei EMI als GA lieferbar, ca. Euro 36,00" Besserwissermodus aus..

  • Robert Stuhr


    Ja natürlich hast Du recht. Ich hätte genauer formuliern müssen.


    Erster Zyklus der Beethovensinfonien unter Karajan in STEREO, das wäre korrekter gewesen.


    Der Fehler liegt darin, daß man um 1960, als Stereo aufkam, spätestens aber ab 1965, MONO Einspielungen nicht nur als obsolet, sondern auch als NICHT EXISTENT einstufte. Sogar die Schallplattenfirmen nahmen diese Aufnahmen - wie vom Aussatz befallene - raschest aus ihren Katalogen


    Hätten die Firmen - was sie heute gerne machen . Mono kommentarlos zu Stereo gemischt - man hätte sie den Produzenten an den Kopf geworfen (Ich ärgere mich noch heute drüber, wenn sowas gemacht wird) Ein "Rettungsversuch, in dem man aus Mono- Aufnahmen synthetisches Stereo mixte (z.B. "Duplo-Sound") verschlimmerte die Klanglichen Ergebnisse sogar....


    LG


    Aus Wien


    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Hallo, Rappy!


    Zitat

    Original von rappy
    ich bin ein großer Verehrer Karajans. Für mich ist Karajan unter den Dirigenten wie Beethoven unter den Komponisten. Es klingt einfach alles "perfekt", es gibt keine Schönheitsfehler (ich spreche jetzt mal von Karajan und den Berlinern), der Klang ist dadurch abgerundet und vollkommen, dass jedes einzelne Instrument genau in der richtigen Lautstärke spielt - "perfekt" eben.


    Mich wundert, daß gerade Du als Haydn-Fan solches äußerst.
    Die Haydn-Symphonien-Aufnahmen von DGG mit Karajan und den Berlinern halte ich für :kotz: , ebenso vieles andere des Vor-Beethoven-Repertoires in dieser Besetzung.
    Geht das nur mir so?


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Hallo Pius,


    du hast natürlich Recht, die Wiener Klassik ist tatsächlich eine Schwachstelle Karajans! Ich tue mir nur ungern Werke von Haydn und Mozart unter Karajan an. Das "perfekt", was ich meine, könnte man mit dem "perfekt" bei Komponisten vergleichen, die ihr Handwerk perfekt beherrschen und keinerlei formale bzw. kompositorische Fehler einbauen. Dennoch können sie ins manchen Gattungen Werke schreiben, die nicht sonderlich ansprechen. Genauso ist das bei Karajan unter den Dirigenten.

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Hallo,


    das Erscheinen einer neuen Biographie über HvK allein wäre keinen Forumsbeitrag wert, aber dieses gerade erst veröffentlichte Buch beschäftigt sich erstmals umfassend mit der diskographischen Hinterlassenschaft des nicht nur in diesem Forum heftig umstrittenen Dirigenten:





    Aus der Berliner Morgenpost vom 22. Juli 2006



    "Maestro unterm Mikroskop


    Peter Uehling legt eine neue spannende Karajan-Biographie vor. Dem Dirigenten ist er nie begegnet


    Von Klaus Geitel


    Ein Zeitalter wird besichtigt. Sine ira et studio: das Zeitalter Herbert von Karajans. So kann man wohl das Halbjahrhundert der Musik ruhig nennen, über das er, dirigierend, regiert hat. Die neue, durch ihre intelligente Argumentation fesselnde, geradezu umstürzlerische Biographie, von Peter Uehling geschrieben, kommt am Ende sogar klipp und klar zu dem Schluß: die Zeit könnte gekommen sein, "ein Lebenswerk von seltener ästhetischer Prägnanz und Konsequenz wieder zu entdecken und zur Diskussion zu stellen". Uehling hat sie mit seinem gedruckten Paukenwirbel eigenhändig eröffnet.


    Er sah den Nachruhm Karajans geradezu ausgelöscht: "Sprach man überhaupt noch von ihm, dann als Gegenstand von Unterschätzung, Spott und Hass". Gegen diese degradierende Einseitigkeit geht Uehling argumentativ an. Als allererster der Karajan-Biographen horcht er hellhörig in die musikalische Hinterlassenschaft des Maestros hinein. Er vergleicht sie mit anderen bedeutenden Interpreten von Toscanini über Furtwängler bis Harnoncourt und Boulez.


    Er tappt nicht einzig dem Lebensweg Karajans hinterher (viel Neues gibt es darüber auch nicht zu berichten), er schreibt im Grunde auch gar keine richtige Biographie, die sich in das äußerliche Tun und Lassen ihres Helden verbeißt. Karajan wird auch nicht zum Musikhelden hochgelobt. Sein musikalisches Lebenswerk wird gewissermaßen unter das Mikroskop der Wissenschaft gelegt und dort aufmerksam, neugierig und gutwillig, mit Unvoreingenommenheit inspiziert.


    Es empfiehlt sich allerdings, neben Uehlings außerordentlich anregendem Buch einen Stapel früher und späterer Einspielungen Karajans zur Hand zu haben. Außerdem natürlich eine größere Auswahl von Toscanini- und Furtwängler-Aufnahmen. Nicht zu vergessen die Partituren. Ohne die geht es ganz und gar nicht. Uehlings Buch ist eine einzige Herausforderung des musikalischen Wissens, der Lernfähigkeit und Lernlust der Leser. Überdies visiert Uehling Schallplattenaufnahmen generell als eine Kunstform mit eigenem ästhetischem Profil. Es blieb ihm auch kaum eine andere Möglichkeit: Der junge Uehling hatte gerade erst die Schule verlassen, als Karajan starb. Er muß seine Einsichten und Erkenntnisse aus dem klingenden Nachlaß ziehen.


    Doch das lohnt, wie man sehr schnell merkt. Uehling zielt unverhohlen bei der Darstellung von Karajans Lebenswerk auf "den Beginn eines interpretatorischen Gesamtkunstwerks von noch nie gesehenem und wohl auch nicht wiederholbarem Ausmaß". In mißliebiger Verkennung dieser Tatsache hatte Adorno Karajan anhaltend als "Dirigent des Wirtschaftswunders" madig gemacht. Dabei wirkte das zu Furtwänglers immerwährendem Ärger früh entdeckte "Wunder Karajan" zeitlich weit über den stimulierenden Aufgalopp der Nachkriegswirtschaft hinaus.


    Uehlings Buch signalisiert aber auch einen Aufgalopp der von ihm biographisch nur oberflächlich kaschierten reinen Musikwissenschaft. Im Kopfsatz der Siebten von Bruckner unter Knappertsbusch wird konstatiert: "Über einem regelmäßigen Puls der Bässe baut sich unter einem ostinaten Motiv der Streicher ein Akkord auf. Der punktierte Rhythmus des Motivs wird abgespalten, die Sequenzglieder verkürzen sich dabei von zwei Takten auf einen Takt...". Ähnliche Programmheft-Exegesen durchziehen immer wieder das Buch.


    Nicht viel anders klingt es auch aus den Karajan gewidmeten Zeilen über seine Darstellung der 8. Sinfonie Bruckners (von 1944): "Selbst auskomponierte Ritardando-Prozesse wie am Ende der ersten Themengruppe des Finales, wenn die mit Vorschlag akzentuierten Viertel der Streicher mit immer längeren Pausen durchsetzt werden, verstärkt Karajan noch mit einem Nachlassen des Tempos". Nicht jede durchaus verständliche Begeisterung für die eigenen Analysen macht den interpretatorischen Kohl fett.


    Rein biographisch wird ein bißchen reichlich nachgebetet, was die Mißgunst sich zurückgesetzt wähnender Zeitgenossen ebenso lebhaft herausgesprudelt hat wie die Kameras der Photographen. Die gesteigerte Objektivität in der schlichten Darstellung der musikalischen Sachverhalte, die selbst dem inzwischen gleichfalls legendären Pierre Boulez höflich zu widersprechen wagt, wirkt wie der Freispruch von manchem bislang gehässig gehätschelten Makel, dem Uehling ein für allemal an die Gurgel geht. Mit seinem Buch hat die längst überfällige Karajan-Renaissance begonnen.


    Peter Uehling: Karajan. Eine Biographie. Rowohlt, Reinbek. 352 S., 24,90 Euro"

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • GiselherHH:
    Vielen Dank für den interessanten Buchhinweis, werde `mal sehen, ob ich es mir bestelle.


    Als Kind habe ich sehr viel Karajan gehört, dann kam im Alter von 12 Jahren meine dramatische Harnoncourt-Bekehrung ( die bis heute anhält).
    Trotzdem verehre ich Karajans Interpretationen immer noch, aber wirklich nicht seinen Bach :no:


    Besonders sind mir natürlich seine Beethoven-Sinfonien in Erinnerung
    ( 70er-Jahre)
    Ich kann mich an eine gleichzeitige Fernseh- und Rundfunkübertragung der Eroica erinnern, die wesentlich lebendiger und spontaner klang, als die mir bis dahin bekannte Schallplatte aus den 70ern und die mich sehr begeistert hat.
    Ich weiss noch, dass damals Bundeskanzler Helmut Schmidt im Publikum sass.
    Leider wird man an einen Mitschnitt dieses Konzerts heute wohl kaum herankommen.?


    Jedem Interpreten liegen gewisse Werke und Komponisten mehr oder weniger. Herbert von Karajan seine Stärken kommen m.E. immer dann besonders gut heraus, wenn ein strahlender und voller Klang angebracht ist.
    Ich denke da z.B. an Wagner-Ouvertüren oder seine grandiose "Finlandia" von Sibelius.
    Er konnte unglaublich gut grosse Spannungsbögen aufbauen, finde ich jedenfalls.


    Zwischendurch höre ich immer wieder gerne diese Aufnahme hier:


    Das klingt für mich wirklich grossartig, ja magisch. So konnte es eben nur Karajan machen. Ob es nun das Blech oder die Streicher sind: Es ist ein strahlender, sehniger Luxusklang.


    In der Harnoncourt-Biografie "Vom Denken des Herzens" von Monika Mertl liesst man u.a. dass Karajan von Harnoncourt als genialer Orchestererzieher beschrieben wird.
    In seiner Zeit bei den Wiener Symphonikern ( 1950 - 1960) soll Karajan mit dem Orchester wirklich intensiv gearbeitet haben, was sich sehr positiv auf das Niveau der klingenden Resultate auswirkte.
    Man sah sich in einer Art Konkurrenzsituation zu den berühmten Wiener Philharmonikern, was Karajans Ehrgeiz wohl angestachelt hat.
    Besonders wenn Furtwängler während eines Konzertes verspätet den Saal als Zuhörer betrat, stieg Karajans Konzentation und Spannung beim Dirigieren noch einmal zusätzlich an, so berichtet Harnoncourt.
    Sein Probenstil soll recht streng, wenn nicht gar autoritär gewesen sein.
    In den 50er-Jahren ging es eben bei Orchesterproben noch anders zu als heute.


    Ich meine auch behaupten zu können, dass der edle, volle Klang des Berliner Philharmonischen Orchesters massgeblich durch seine "erzieherische" Arbeit als Chefdirigent geformt wurde.
    In gewisser klanglicher Hinsicht spielt Karajan heute immer noch mit, wenn das Orchester durch Rattle oder Harnoncourt dirigiert wird.
    Von Harnoncourt gibt es neben der Gesamtaufnahmen der Schubert-Symphonien mit dem Concertgebouw-Orkest auch eine Live-Aufnahme der 4.Symphonie von Schubert.
    Obwohl es sich um den gleichen Dirigenten handelt, ist der Orchesterklang mit den Berlinern imho viel "grösser" voller, süffiger, strahlender, ja vielleicht auch edler.
    Zu einem gewissen Teil schiebe ich dass auch auf die Gene Karajans, die im Orchesterklang der Berliner Philharmoniker stecken.


    Sollte das im vorherigen Beitrag beschriebene Buch eine Wiederbelebung der Beschäftigung mit dem Interpreten Karajan bewirken, dann würde ich das sehr begrüssen.


    :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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